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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. IV. SECTIO I.
haßt zu seyn wissen/ derselben lieber nicht gedencken/ als wo sie sich ohne noth
deren annehmen/ einen theil meiner leiden/ auff sich ziehen wolten. Dann wer
bin ich/ daß iemand meinetwegen einiges leiden/ dessen er überhoben seyn könte/
ihm selbs verursachen wolte? So ich gewiß von niemanden fordere. Was
von dem N. N. ihres orts gemeldet wird/ solle mich billig betrüben/ dann wer
das Evangelium und gesetz nicht recht verstehet/ wird besorglich auch sein amt
nicht dermassen verrichten können/ wie er solte. Jch sende hiebey meine ant-
wort auff die fragen/ dawider versichert bin/ daß mit grund nichts auffzubrin-
gen. Doch bitte/ in der gantzen sache mit geziemender sanfftmuth und gedult
alles zu thun/ damit wir einer seits der wahrheit nichts begeben/ also ander seits
durch hefftigkeit oder einige andere fleischliche bewegung die sache nicht verdor-
ben/ sondern in liebe so viel als göttliche ehre leidet/ dem gegentheil nachgege-
ben/ und er also auff diese art vornehmlich überwunden werde. Der HErr gebe
selbs dazu den Geist der weisheit und der krafft/ schütze denselben wider alle un-
billigkeit/ und lasse seine gute intention und arbeit reichlich gesegnet werden.

Die I. Frage.
Ob eines Predigers hauptwerck solle seyn das
Evangelium oder das Gesetz der gemeinde
vorzutragen.

HJe wird voraus gesetzt/ daß beide gesetz und Evangelium einem predi-
ger zu treiben nöthig seye/ und derjenige so wol unrecht thun würde/
welcher in seinem amt das gesetz als das Evangelium auslassen würde:
wie dann das gesetz zu erst die hertzen zu bußfertiger erkäntnuß ihrer sünden
bringen/ und damit tüchtig machen muß/ daß das Evangelium seine seligma-
chende krafft an denselben erzeigen/ und den glauben erwecken möge. Daher
man hie mit den gesetzstürmern keine gemeinschafft hat/ sondern unsers theu-
ren Lutheri Disputationes wider dieselbe aus T. 7. Altenb. f. 316. u. f. gern an-
nimmet. 2. Wird in der bekehrung der menschen der ordnung nach nicht dem
Evangelio/ sondern dem gesetz die erste stelle gegeben: und heisset Marc. 1/ 5.
Thut Busse/ (dieses gehöret zu dem gesetz) und glaubet an das Evangelium.
Luc. 24/ 47. es solle geprediget werden busse und vergebung der sünden/
dero jene das gesetz/ diese das Evangelium angehet.

Wo aber die frage ist/ welches das hauptwerck seye/ in dem amt eines
Predigers/ worinnen nemlich die vornehmste krafft des amts stehe/ und worauff
er deswegen allezeit am meisten seine absicht richten solle/ so bleibets dabey/ daß

solche
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ARTIC. IV. SECTIO I.
haßt zu ſeyn wiſſen/ derſelben lieber nicht gedencken/ als wo ſie ſich ohne noth
deren annehmen/ einen theil meiner leiden/ auff ſich ziehen wolten. Dann wer
bin ich/ daß iemand meinetwegen einiges leiden/ deſſen er uͤberhoben ſeyn koͤnte/
ihm ſelbs verurſachen wolte? So ich gewiß von niemanden fordere. Was
von dem N. N. ihres orts gemeldet wird/ ſolle mich billig betruͤben/ dann wer
das Evangelium und geſetz nicht recht verſtehet/ wird beſorglich auch ſein amt
nicht dermaſſen verrichten koͤnnen/ wie er ſolte. Jch ſende hiebey meine ant-
wort auff die fragen/ dawider verſichert bin/ daß mit grund nichts auffzubrin-
gen. Doch bitte/ in der gantzen ſache mit geziemender ſanfftmuth und gedult
alles zu thun/ damit wir einer ſeits der wahrheit nichts begeben/ alſo ander ſeits
durch hefftigkeit oder einige andere fleiſchliche bewegung die ſache nicht verdor-
ben/ ſondern in liebe ſo viel als goͤttliche ehre leidet/ dem gegentheil nachgege-
ben/ und er alſo auff dieſe art vornehmlich uͤberwunden werde. Der HErr gebe
ſelbs dazu den Geiſt der weisheit und der krafft/ ſchuͤtze denſelben wider alle un-
billigkeit/ und laſſe ſeine gute intention und arbeit reichlich geſegnet werden.

Die I. Frage.
Ob eines Predigers hauptwerck ſolle ſeyn das
Evangelium oder das Geſetz der gemeinde
vorzutragen.

HJe wird voraus geſetzt/ daß beide geſetz und Evangelium einem predi-
ger zu treiben noͤthig ſeye/ und derjenige ſo wol unrecht thun wuͤrde/
welcher in ſeinem amt das geſetz als das Evangelium auslaſſen wuͤrde:
wie dann das geſetz zu erſt die hertzen zu bußfertiger erkaͤntnuß ihrer ſuͤnden
bringen/ und damit tuͤchtig machen muß/ daß das Evangelium ſeine ſeligma-
chende krafft an denſelben erzeigen/ und den glauben erwecken moͤge. Daher
man hie mit den geſetzſtuͤrmern keine gemeinſchafft hat/ ſondern unſers theu-
ren Lutheri Diſputationes wider dieſelbe aus T. 7. Altenb. f. 316. u. f. gern an-
nimmet. 2. Wird in der bekehrung der menſchen der ordnung nach nicht dem
Evangelio/ ſondern dem geſetz die erſte ſtelle gegeben: und heiſſet Marc. 1/ 5.
Thut Buſſe/ (dieſes gehoͤret zu dem geſetz) und glaubet an das Evangelium.
Luc. 24/ 47. es ſolle geprediget werden buſſe und vergebung der ſuͤnden/
dero jene das geſetz/ dieſe das Evangelium angehet.

Wo aber die frage iſt/ welches das hauptwerck ſeye/ in dem amt eines
Predigers/ worinnen nemlich die vornehmſte krafft des amts ſtehe/ und worauff
er deswegen allezeit am meiſten ſeine abſicht richten ſolle/ ſo bleibets dabey/ daß

ſolche
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[3/0803] ARTIC. IV. SECTIO I. haßt zu ſeyn wiſſen/ derſelben lieber nicht gedencken/ als wo ſie ſich ohne noth deren annehmen/ einen theil meiner leiden/ auff ſich ziehen wolten. Dann wer bin ich/ daß iemand meinetwegen einiges leiden/ deſſen er uͤberhoben ſeyn koͤnte/ ihm ſelbs verurſachen wolte? So ich gewiß von niemanden fordere. Was von dem N. N. ihres orts gemeldet wird/ ſolle mich billig betruͤben/ dann wer das Evangelium und geſetz nicht recht verſtehet/ wird beſorglich auch ſein amt nicht dermaſſen verrichten koͤnnen/ wie er ſolte. Jch ſende hiebey meine ant- wort auff die fragen/ dawider verſichert bin/ daß mit grund nichts auffzubrin- gen. Doch bitte/ in der gantzen ſache mit geziemender ſanfftmuth und gedult alles zu thun/ damit wir einer ſeits der wahrheit nichts begeben/ alſo ander ſeits durch hefftigkeit oder einige andere fleiſchliche bewegung die ſache nicht verdor- ben/ ſondern in liebe ſo viel als goͤttliche ehre leidet/ dem gegentheil nachgege- ben/ und er alſo auff dieſe art vornehmlich uͤberwunden werde. Der HErr gebe ſelbs dazu den Geiſt der weisheit und der krafft/ ſchuͤtze denſelben wider alle un- billigkeit/ und laſſe ſeine gute intention und arbeit reichlich geſegnet werden. Die I. Frage. Ob eines Predigers hauptwerck ſolle ſeyn das Evangelium oder das Geſetz der gemeinde vorzutragen. HJe wird voraus geſetzt/ daß beide geſetz und Evangelium einem predi- ger zu treiben noͤthig ſeye/ und derjenige ſo wol unrecht thun wuͤrde/ welcher in ſeinem amt das geſetz als das Evangelium auslaſſen wuͤrde: wie dann das geſetz zu erſt die hertzen zu bußfertiger erkaͤntnuß ihrer ſuͤnden bringen/ und damit tuͤchtig machen muß/ daß das Evangelium ſeine ſeligma- chende krafft an denſelben erzeigen/ und den glauben erwecken moͤge. Daher man hie mit den geſetzſtuͤrmern keine gemeinſchafft hat/ ſondern unſers theu- ren Lutheri Diſputationes wider dieſelbe aus T. 7. Altenb. f. 316. u. f. gern an- nimmet. 2. Wird in der bekehrung der menſchen der ordnung nach nicht dem Evangelio/ ſondern dem geſetz die erſte ſtelle gegeben: und heiſſet Marc. 1/ 5. Thut Buſſe/ (dieſes gehoͤret zu dem geſetz) und glaubet an das Evangelium. Luc. 24/ 47. es ſolle geprediget werden buſſe und vergebung der ſuͤnden/ dero jene das geſetz/ dieſe das Evangelium angehet. Wo aber die frage iſt/ welches das hauptwerck ſeye/ in dem amt eines Predigers/ worinnen nemlich die vornehmſte krafft des amts ſtehe/ und worauff er deswegen allezeit am meiſten ſeine abſicht richten ſolle/ ſo bleibets dabey/ daß ſolche a 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/803>, abgerufen am 22.11.2024.