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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
herbey/ die allgemach mit den übrigen auch fort kommen. Weil ich im übrigen
sonderlich gern sehe/ daß die jugend fein bald ihren glauben lerne nicht nur aus
dem catechismo fassen/ sondern auff die bibel selbs gründen/ habe ich allezeit da-
hin getrachtet/ die jugend dahin zubringen/ daß iedes auffs wenigste das Neue
Testament mit sich hätte/ und die sprüche darinnen auffschlüge/ so auch wohl an-
gegangen: Weil aber an kleinen orten und landstätten die eltern schwehrer dran
kommen/ den kindern die bücher zuschaffen/ weiß ich/ das einige gute freunde die-
ses mittel gebraucht/ daß sie etwa aus den kirchenmitteln oder einiger freund gut-
that eine kleine anzahl neue Testamenter gekaufft/ und unter die ärmere catechi-
smus schüler ausgetheilet/ welche sie etwa nicht wohl hätten kauffen können: wo
dieses geschehen/ haben die andere mitschüler ihren eltern fast keine ruhe gelassen/
biß sie ihnen auch exemplaria angeschafft/ daß etwa in kurtzer zeit alle darmit ver-
sehen gewesen. Nechst vorigen erinnere mich noch eines mittels/ welches ich
und meine collegae in Franckheit zu unterhaltung der catechetischen exa-
minum
gebraucht; weil nemlich jeder fast allezeit auch zu hause wo-
chentlich ein examen gehalten/ vor diejenige so zum tisch des HErrn sich bald schi-
cken wolten/ daß man wann solche confirmiret solten werden/ von ihnen und den
eltern einen ausdrücklichen verspruch genommen/ noch länger unausgesetzt die öf-
fentliche examina zubesuchen. Wie nun diese mittel durch GOttes gnade nicht
wenig die sache befördert haben/ das gedachte examina stets mit ziemlichen suc-
cess
gehalten worden seynd/ so ists nicht ohn/ daß dannoch auch viele ausgeblie-
ben/ die derselben nicht weniger bedorfft hätten. Diese nun aber herbey zubrin-
gen oder zu nöthigen/ bekenne daß weder zulängliche mittel der orten/ da ich ge-
wesen/ gefunden/ noch auch starck darauff getrieben habe. Wie auch darvorhal-
te/ daß wir unserm amt gnug thun/ wo wir alle uns anbefohlene waffen gegen der
leute unwissenheit und boßheit gebrauchen/ daß sich niemand dermaleins vor
GOtt entschuldigen könne/ daß ihm entweder nicht seine schuldigkeit gnug vor
augen geleget/ oder nicht gelegenheit und mittel zu seiner erbauung an die hand
gegeben worden wäre: an obrigkeitlichen zwang und menschlichen arm komme
sehr ungern/ es betreffe dann öffentliche ärgernissen zu coerciren/ finde auch wo
man sich dessen ausser eussersten nothfall gebraucht/ nicht eben so grosse frucht/ son-
dern in gegenwärigem unsrer kirchen zustand; welchen ich mir ohne das fast im-
mer also vorstelle/ dahin gerathen zuseyn/ daß wir fast kaum mit einigen vielmehr
ausrichten/ als die sich willig in den gehorsam GOttes durch das wort führen las-
sen: bey denen aber/ die sich trotziglich widersetzen/ dörffen wir zwar unser amt
zu brauchen nicht unterlassen/ es bringet aber selten und wenige frucht: ist auch
schwerlich mehr zu hoffen/ der HErr thäte denn seiner kirchen die gnade/ sie in
gantz andre verfassungen zu bringen/ so nicht eher geschiehet/ es werden denn der

übri-

Das andere Capitel.
herbey/ die allgemach mit den uͤbrigen auch fort kommen. Weil ich im uͤbrigen
ſonderlich gern ſehe/ daß die jugend fein bald ihren glauben lerne nicht nur aus
dem catechiſmo faſſen/ ſondern auff die bibel ſelbs gruͤnden/ habe ich allezeit da-
hin getrachtet/ die jugend dahin zubringen/ daß iedes auffs wenigſte das Neue
Teſtament mit ſich haͤtte/ und die ſpruͤche darinnen auffſchluͤge/ ſo auch wohl an-
gegangen: Weil aber an kleinen orten und landſtaͤtten die eltern ſchwehrer dran
kommen/ den kindern die buͤcher zuſchaffen/ weiß ich/ das einige gute freunde die-
ſes mittel gebraucht/ daß ſie etwa aus den kirchenmitteln oder einiger freund gut-
that eine kleine anzahl neue Teſtamenter gekaufft/ und unter die aͤrmere catechi-
ſmus ſchuͤler ausgetheilet/ welche ſie etwa nicht wohl haͤtten kauffen koͤnnen: wo
dieſes geſchehen/ haben die andere mitſchuͤler ihren eltern faſt keine ruhe gelaſſen/
biß ſie ihnen auch exemplaria angeſchafft/ daß etwa in kurtzer zeit alle darmit ver-
ſehen geweſen. Nechſt vorigen erinnere mich noch eines mittels/ welches ich
und meine collegæ in Franckheit zu unterhaltung der catechetiſchen exa-
minum
gebraucht; weil nemlich jeder faſt allezeit auch zu hauſe wo-
chentlich ein examen gehalten/ vor diejenige ſo zum tiſch des HErrn ſich bald ſchi-
cken wolten/ daß man wann ſolche confirmiret ſolten werden/ von ihnen und den
eltern einen ausdruͤcklichen verſpruch genommen/ noch laͤnger unausgeſetzt die oͤf-
fentliche examina zubeſuchen. Wie nun dieſe mittel durch GOttes gnade nicht
wenig die ſache befoͤrdert haben/ das gedachte examina ſtets mit ziemlichen ſuc-
ceſs
gehalten worden ſeynd/ ſo iſts nicht ohn/ daß dannoch auch viele ausgeblie-
ben/ die derſelben nicht weniger bedorfft haͤtten. Dieſe nun aber herbey zubrin-
gen oder zu noͤthigen/ bekenne daß weder zulaͤngliche mittel der orten/ da ich ge-
weſen/ gefunden/ noch auch ſtarck darauff getrieben habe. Wie auch darvorhal-
te/ daß wir unſerm amt gnug thun/ wo wir alle uns anbefohlene waffen gegen der
leute unwiſſenheit und boßheit gebrauchen/ daß ſich niemand dermaleins vor
GOtt entſchuldigen koͤnne/ daß ihm entweder nicht ſeine ſchuldigkeit gnug vor
augen geleget/ oder nicht gelegenheit und mittel zu ſeiner erbauung an die hand
gegeben worden waͤre: an obrigkeitlichen zwang und menſchlichen arm komme
ſehr ungern/ es betreffe dann oͤffentliche aͤrgerniſſen zu coerciren/ finde auch wo
man ſich deſſen auſſer euſſerſten nothfall gebraucht/ nicht eben ſo groſſe frucht/ ſon-
dern in gegenwaͤrigem unſrer kirchen zuſtand; welchen ich mir ohne das faſt im-
mer alſo vorſtelle/ dahin gerathen zuſeyn/ daß wir faſt kaum mit einigen vielmehr
ausrichten/ als die ſich willig in den gehorſam GOttes durch das wort fuͤhren laſ-
ſen: bey denen aber/ die ſich trotziglich widerſetzen/ doͤrffen wir zwar unſer amt
zu brauchen nicht unterlaſſen/ es bringet aber ſelten und wenige frucht: iſt auch
ſchwerlich mehr zu hoffen/ der HErr thaͤte denn ſeiner kirchen die gnade/ ſie in
gantz andre verfaſſungen zu bringen/ ſo nicht eher geſchiehet/ es werden denn der

uͤbri-
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[52/0852] Das andere Capitel. herbey/ die allgemach mit den uͤbrigen auch fort kommen. Weil ich im uͤbrigen ſonderlich gern ſehe/ daß die jugend fein bald ihren glauben lerne nicht nur aus dem catechiſmo faſſen/ ſondern auff die bibel ſelbs gruͤnden/ habe ich allezeit da- hin getrachtet/ die jugend dahin zubringen/ daß iedes auffs wenigſte das Neue Teſtament mit ſich haͤtte/ und die ſpruͤche darinnen auffſchluͤge/ ſo auch wohl an- gegangen: Weil aber an kleinen orten und landſtaͤtten die eltern ſchwehrer dran kommen/ den kindern die buͤcher zuſchaffen/ weiß ich/ das einige gute freunde die- ſes mittel gebraucht/ daß ſie etwa aus den kirchenmitteln oder einiger freund gut- that eine kleine anzahl neue Teſtamenter gekaufft/ und unter die aͤrmere catechi- ſmus ſchuͤler ausgetheilet/ welche ſie etwa nicht wohl haͤtten kauffen koͤnnen: wo dieſes geſchehen/ haben die andere mitſchuͤler ihren eltern faſt keine ruhe gelaſſen/ biß ſie ihnen auch exemplaria angeſchafft/ daß etwa in kurtzer zeit alle darmit ver- ſehen geweſen. Nechſt vorigen erinnere mich noch eines mittels/ welches ich und meine collegæ in Franckheit zu unterhaltung der catechetiſchen exa- minum gebraucht; weil nemlich jeder faſt allezeit auch zu hauſe wo- chentlich ein examen gehalten/ vor diejenige ſo zum tiſch des HErrn ſich bald ſchi- cken wolten/ daß man wann ſolche confirmiret ſolten werden/ von ihnen und den eltern einen ausdruͤcklichen verſpruch genommen/ noch laͤnger unausgeſetzt die oͤf- fentliche examina zubeſuchen. Wie nun dieſe mittel durch GOttes gnade nicht wenig die ſache befoͤrdert haben/ das gedachte examina ſtets mit ziemlichen ſuc- ceſs gehalten worden ſeynd/ ſo iſts nicht ohn/ daß dannoch auch viele ausgeblie- ben/ die derſelben nicht weniger bedorfft haͤtten. Dieſe nun aber herbey zubrin- gen oder zu noͤthigen/ bekenne daß weder zulaͤngliche mittel der orten/ da ich ge- weſen/ gefunden/ noch auch ſtarck darauff getrieben habe. Wie auch darvorhal- te/ daß wir unſerm amt gnug thun/ wo wir alle uns anbefohlene waffen gegen der leute unwiſſenheit und boßheit gebrauchen/ daß ſich niemand dermaleins vor GOtt entſchuldigen koͤnne/ daß ihm entweder nicht ſeine ſchuldigkeit gnug vor augen geleget/ oder nicht gelegenheit und mittel zu ſeiner erbauung an die hand gegeben worden waͤre: an obrigkeitlichen zwang und menſchlichen arm komme ſehr ungern/ es betreffe dann oͤffentliche aͤrgerniſſen zu coerciren/ finde auch wo man ſich deſſen auſſer euſſerſten nothfall gebraucht/ nicht eben ſo groſſe frucht/ ſon- dern in gegenwaͤrigem unſrer kirchen zuſtand; welchen ich mir ohne das faſt im- mer alſo vorſtelle/ dahin gerathen zuſeyn/ daß wir faſt kaum mit einigen vielmehr ausrichten/ als die ſich willig in den gehorſam GOttes durch das wort fuͤhren laſ- ſen: bey denen aber/ die ſich trotziglich widerſetzen/ doͤrffen wir zwar unſer amt zu brauchen nicht unterlaſſen/ es bringet aber ſelten und wenige frucht: iſt auch ſchwerlich mehr zu hoffen/ der HErr thaͤte denn ſeiner kirchen die gnade/ ſie in gantz andre verfaſſungen zu bringen/ ſo nicht eher geſchiehet/ es werden denn der uͤbri-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/852>, abgerufen am 22.11.2024.