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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
Prediger/ als viel ohne schaden ihres heils geschehen mag/ zu schonen/ und sie
nicht eben so offt oder so lang als sonsten bey andern zuständen bey sich zu verlau-
gen haben: so würde doch das in der frag angedeutete wider die pflicht treuer Pre-
diger streiten. Denn 1. wie des Predigers amt über seine gemeinde gehet/ so
hat jegliches dero glied das recht/ sich seines dienstes in gesund und krancken tagen/
und zwar also/ zubedienen/ daß es ihme ohne nachtheil geschehe. 3. Hingegen
können meistens solche patienten bey dergleichen kranckheiten nicht ohne grosse ge-
fahr anderswohin gebracht werden/ daß also müglich wäre/ daß der patient sei-
nen leiblichen todt davon haben könte/ darinnen er sein geistliches leben suchte:
welche gefahr der Prediger auff alle weiß vermeiden/ hingegen lieber einen theil
derselben auch auff sich nehmen solle. 3. Jst ohne daß ein Prediger sein leben vor
seine schaaffe auffzusetzen schuldig/ will er nicht ein miedling heissen/ warum solte
er denn denjenigen/ die seines zuspruchs/ am meisten bedörfftigt sind/ denselben
versagen/ oder doch nicht anders/ als mit dero gefahr vergrösserung/ erzeigen?
4. Wird durch dergleichen heraustragung der krancken die forcht bey allen leuten/
und also auch die gefahr der kranckheit/ desto grösser/ und viele andere dardurch
abgeschrecket/ die nöthige liebes-werck den krancken zu erzeigen/ wo sie den Pfar-
rer dermassen forchtsam gegen dieser art zustände sehen/ welche sonsten ausser der
forcht nicht eben so gefährlich sind. 5. Schläget solches werck gar sehr das ver-
trauen der zuhörer gegen ihren Seelsorger/ welches doch ie grösser es ist/ dessen
amt bey ihnen in allen stücken so viel fruchtbarer macht. 6. Wo die malignitet
der kranckheit so starck und so vielmehr gefahr einer ansteckung zu sorgen ist/ stehet
einem Prediger frey/ sich mit alexipharmacis und mit gifft-artzeneyen desto besser
zu verwahren: sonderlich aber 7. hat er mit eigenem exempel in solcher gelegen-
heit sein vertrauen zu GOtt/ dazu er zu allen zeiten die zuhörer vermahnet/ zu dero
selben erbauung und stärckung zu erweisen: da hingegen seine mehrere furcht und
übermäßige vorsichtigkeit/ seiner zu schonen dasselbige sehr bey ihnen schlagen möch-
te. Zugeschweigen der gefahr/ die einem solchen ort/ daher andere aus solcher
ursach einen abscheu bekämen/ nach der frage inhalt zuwachsen würde. Diesem
möchte zwar entgegen gesetzt werden/ daß dergleichen anstalten zu zeiten letzter con-
tagion
aus Churfl. verordnung gemachet worden; Dann wie dergleichen odio-
sa
nicht über den ausdrücklichen fall/ darinnen sie angeordnet/ extendiret werden
sollen/ so habe auch auff befragen von meinen werthen Hrn. collegis des Ober-
Consistorii vernommen/ daß weder bey damaliger anordnung die meinung ge-
wesen/ dergleichen auch bey andern ansteckenden kranckheiten einzuführen/ noch
auch wo es jetzo vorkommen solte/ einem verstattet werden würde. So hatte
jene ordnung ihre sonderbahre ursachen/ nicht allein weilen die gefahr der anste-
ckung bey der pest unvergleichlich grösser als bey andern kranckheiten/ sondern

auch

Das andere Capitel.
Prediger/ als viel ohne ſchaden ihres heils geſchehen mag/ zu ſchonen/ und ſie
nicht eben ſo offt oder ſo lang als ſonſten bey andern zuſtaͤnden bey ſich zu verlau-
gen haben: ſo wuͤrde doch das in der frag angedeutete wider die pflicht treuer Pre-
diger ſtreiten. Denn 1. wie des Predigers amt uͤber ſeine gemeinde gehet/ ſo
hat jegliches dero glied das recht/ ſich ſeines dienſtes in geſund und krancken tagen/
und zwar alſo/ zubedienen/ daß es ihme ohne nachtheil geſchehe. 3. Hingegen
koͤnnen meiſtens ſolche patienten bey dergleichen kranckheiten nicht ohne groſſe ge-
fahr anderswohin gebracht werden/ daß alſo muͤglich waͤre/ daß der patient ſei-
nen leiblichen todt davon haben koͤnte/ darinnen er ſein geiſtliches leben ſuchte:
welche gefahr der Prediger auff alle weiß vermeiden/ hingegen lieber einen theil
derſelben auch auff ſich nehmen ſolle. 3. Jſt ohne daß ein Prediger ſein leben vor
ſeine ſchaaffe auffzuſetzen ſchuldig/ will er nicht ein miedling heiſſen/ warum ſolte
er denn denjenigen/ die ſeines zuſpruchs/ am meiſten bedoͤrfftigt ſind/ denſelben
verſagen/ oder doch nicht anders/ als mit dero gefahr vergroͤſſerung/ erzeigen?
4. Wird durch dergleichen heraustragung der krancken die forcht bey allen leuten/
und alſo auch die gefahr der kranckheit/ deſto groͤſſer/ und viele andere dardurch
abgeſchrecket/ die noͤthige liebes-werck den krancken zu erzeigen/ wo ſie den Pfar-
rer dermaſſen forchtſam gegen dieſer art zuſtaͤnde ſehen/ welche ſonſten auſſer der
forcht nicht eben ſo gefaͤhrlich ſind. 5. Schlaͤget ſolches werck gar ſehr das ver-
trauen der zuhoͤrer gegen ihren Seelſorger/ welches doch ie groͤſſer es iſt/ deſſen
amt bey ihnen in allen ſtuͤcken ſo viel fruchtbarer macht. 6. Wo die malignitet
der kranckheit ſo ſtarck und ſo vielmehr gefahr einer anſteckung zu ſorgen iſt/ ſtehet
einem Prediger frey/ ſich mit alexipharmacis und mit gifft-artzeneyen deſto beſſer
zu verwahren: ſonderlich aber 7. hat er mit eigenem exempel in ſolcher gelegen-
heit ſein vertrauen zu GOtt/ dazu er zu allen zeiten die zuhoͤrer vermahnet/ zu dero
ſelben erbauung und ſtaͤrckung zu erweiſen: da hingegen ſeine mehrere furcht und
uͤbermaͤßige vorſichtigkeit/ ſeiner zu ſchonen daſſelbige ſehr bey ihnen ſchlagen moͤch-
te. Zugeſchweigen der gefahr/ die einem ſolchen ort/ daher andere aus ſolcher
urſach einen abſcheu bekaͤmen/ nach der frage inhalt zuwachſen wuͤrde. Dieſem
moͤchte zwar entgegen geſetzt werden/ daß dergleichen anſtalten zu zeiten letzter con-
tagion
aus Churfl. verordnung gemachet worden; Dann wie dergleichen odio-
ſa
nicht uͤber den ausdruͤcklichen fall/ darinnen ſie angeordnet/ extendiret werden
ſollen/ ſo habe auch auff befragen von meinen werthen Hrn. collegis des Ober-
Conſiſtorii vernommen/ daß weder bey damaliger anordnung die meinung ge-
weſen/ dergleichen auch bey andern anſteckenden kranckheiten einzufuͤhren/ noch
auch wo es jetzo vorkommen ſolte/ einem verſtattet werden wuͤrde. So hatte
jene ordnung ihre ſonderbahre urſachen/ nicht allein weilen die gefahr der anſte-
ckung bey der peſt unvergleichlich groͤſſer als bey andern kranckheiten/ ſondern

auch
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[64/0864] Das andere Capitel. Prediger/ als viel ohne ſchaden ihres heils geſchehen mag/ zu ſchonen/ und ſie nicht eben ſo offt oder ſo lang als ſonſten bey andern zuſtaͤnden bey ſich zu verlau- gen haben: ſo wuͤrde doch das in der frag angedeutete wider die pflicht treuer Pre- diger ſtreiten. Denn 1. wie des Predigers amt uͤber ſeine gemeinde gehet/ ſo hat jegliches dero glied das recht/ ſich ſeines dienſtes in geſund und krancken tagen/ und zwar alſo/ zubedienen/ daß es ihme ohne nachtheil geſchehe. 3. Hingegen koͤnnen meiſtens ſolche patienten bey dergleichen kranckheiten nicht ohne groſſe ge- fahr anderswohin gebracht werden/ daß alſo muͤglich waͤre/ daß der patient ſei- nen leiblichen todt davon haben koͤnte/ darinnen er ſein geiſtliches leben ſuchte: welche gefahr der Prediger auff alle weiß vermeiden/ hingegen lieber einen theil derſelben auch auff ſich nehmen ſolle. 3. Jſt ohne daß ein Prediger ſein leben vor ſeine ſchaaffe auffzuſetzen ſchuldig/ will er nicht ein miedling heiſſen/ warum ſolte er denn denjenigen/ die ſeines zuſpruchs/ am meiſten bedoͤrfftigt ſind/ denſelben verſagen/ oder doch nicht anders/ als mit dero gefahr vergroͤſſerung/ erzeigen? 4. Wird durch dergleichen heraustragung der krancken die forcht bey allen leuten/ und alſo auch die gefahr der kranckheit/ deſto groͤſſer/ und viele andere dardurch abgeſchrecket/ die noͤthige liebes-werck den krancken zu erzeigen/ wo ſie den Pfar- rer dermaſſen forchtſam gegen dieſer art zuſtaͤnde ſehen/ welche ſonſten auſſer der forcht nicht eben ſo gefaͤhrlich ſind. 5. Schlaͤget ſolches werck gar ſehr das ver- trauen der zuhoͤrer gegen ihren Seelſorger/ welches doch ie groͤſſer es iſt/ deſſen amt bey ihnen in allen ſtuͤcken ſo viel fruchtbarer macht. 6. Wo die malignitet der kranckheit ſo ſtarck und ſo vielmehr gefahr einer anſteckung zu ſorgen iſt/ ſtehet einem Prediger frey/ ſich mit alexipharmacis und mit gifft-artzeneyen deſto beſſer zu verwahren: ſonderlich aber 7. hat er mit eigenem exempel in ſolcher gelegen- heit ſein vertrauen zu GOtt/ dazu er zu allen zeiten die zuhoͤrer vermahnet/ zu dero ſelben erbauung und ſtaͤrckung zu erweiſen: da hingegen ſeine mehrere furcht und uͤbermaͤßige vorſichtigkeit/ ſeiner zu ſchonen daſſelbige ſehr bey ihnen ſchlagen moͤch- te. Zugeſchweigen der gefahr/ die einem ſolchen ort/ daher andere aus ſolcher urſach einen abſcheu bekaͤmen/ nach der frage inhalt zuwachſen wuͤrde. Dieſem moͤchte zwar entgegen geſetzt werden/ daß dergleichen anſtalten zu zeiten letzter con- tagion aus Churfl. verordnung gemachet worden; Dann wie dergleichen odio- ſa nicht uͤber den ausdruͤcklichen fall/ darinnen ſie angeordnet/ extendiret werden ſollen/ ſo habe auch auff befragen von meinen werthen Hrn. collegis des Ober- Conſiſtorii vernommen/ daß weder bey damaliger anordnung die meinung ge- weſen/ dergleichen auch bey andern anſteckenden kranckheiten einzufuͤhren/ noch auch wo es jetzo vorkommen ſolte/ einem verſtattet werden wuͤrde. So hatte jene ordnung ihre ſonderbahre urſachen/ nicht allein weilen die gefahr der anſte- ckung bey der peſt unvergleichlich groͤſſer als bey andern kranckheiten/ ſondern auch

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/864>, abgerufen am 22.11.2024.