Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.ARTIC. IV. SECT. XXIX. SECTIO XXIX. Wann tragici casus von selbsmord/ oder mord anderer aus verdruß des lebens vorgehen/ was da- bey Prediger zu thun haben? WAs die casus tragicos anlangt/ ist mir zwar leid davon zu vernehmen/ höre man
ARTIC. IV. SECT. XXIX. SECTIO XXIX. Wann tragici caſus von ſelbsmord/ oder mord anderer aus verdruß des lebens vorgehen/ was da- bey Prediger zu thun haben? WAs die caſus tragicos anlangt/ iſt mir zwar leid davon zu vernehmen/ hoͤre man
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ARTIC. IV. SECT. XXIX.
SECTIO XXIX.
Wann tragici caſus von ſelbsmord/ oder mord
anderer aus verdruß des lebens vorgehen/ was da-
bey Prediger zu thun haben?
WAs die caſus tragicos anlangt/ iſt mir zwar leid davon zu vernehmen/ hoͤre
aber/ daß auch ſonſten dergleichen mehr daſelbs vorgegangen. Und
was wars mit N N. vor 30. jahren zu Straßburg? welcher um ſeines
lebens loßzukommen ſeinem eigenen kind/ den hals abgeſchnitten/ und daruͤber ent-
hauptet worden. Der gottſeligkeit kans nicht ſchuld gegeben werden/ als ob der-
gleichen davon herkaͤme. Jch achte es vornemlich vor affectus melancholicos,
und bedaure ſolche leute hertzlich: indem/ wie bey allen atrabiliariis der Fuͤrſt der
finſternis bereits natuͤrlicher weiſe eine bequeme wohnung oder werckſtatt hat/ er in
einigen vuch ſoviel leichter die gewalt erlangen kan/ ſeine moͤrdliche anſchlaͤge unter
gutem ſchein ins werck zu richten. Jch halte davor/ es ſeyen viele dergleichen mor-
bi aſtrales, da ϑει῀οντ_ dabey iſt/ und die medici ihre art unmoͤglich penetriren koͤn-
nen. Was wir Prediger dabey zuthun/ weiß ich nicht anders/ als daß wir 1. den
leuten aus ſolcher gelegenheit die ſchreckliche verderbnis der menſchen vorſtellen/
wie groſſe macht GOtt dem ſatan deswegen geſtatte/ daß derſelbe nicht allein un-
ter denen/ die ihm ohne des in ſuͤnden ſtets gedienet/ einige endlichen zu dergleichen
uͤbelthaten bringet/ davor ſonſten unſre natur/ wann wir nur daran gedencken/
ſich wahrhafftig entſetzet/ aber dennoch jene entweder in einer verwirrung des ver-
ſtandes/ wo GOtt dem ſatan ſoviel verhaͤnget/ auch ihre ſinne zu turbiren/ oder
aus frevler boßheit/ da dieſelbe den menſchen gantz eingenommen/ dieſelbe bege-
hen: ſondern auch/ daß unter denen/ welche ſonſten in der gnade GOttes geſtan-
den/ entweder einige ſich durch unterſchiedliche reitzungen der welt uͤberwinden
laſſen/ und damit wiedrumb aus der gnade fallen/ aber nachmahl in gefaͤhrliche
ſtricke des ſatans gerathen/ daß ſie derſelbe zu ſolchen ſuͤnden bringet/ die ſie vor
dem nimmermehr gedacht haͤtten muͤglich zuſeyn/ darein zu fallen/ oder andere
aus einem ſonderbahren heiligen gericht ihres voͤlligen verſtandes gebrauch ver-
liehren muͤſſen/ daß nachmal der moͤrder nach habenden verhaͤngnis ſich ihrer glie-
der zu einigen mordthaten mißbraucht/ die ſie ſonſten/ wo ſie bey ſich ſelbs waͤren/
nimmermehr begehen wuͤrden. Alle dieſe obwol unterſchiedene arten zeugen von
der ſchwehre der ſuͤndlichen verderbnis/ und der groſſen macht des ſeindes. Da-
her 2. ſolche exempel ferner darzu dienen laſſen/ daß man ſich ſowohl der ſuͤnden
wegen vor GOtt demuͤthige/ als mit furcht und zittern ſchaffe/ daß man ſelig wer-
de/ vermittels ſorgfaͤltiger bewahrung der goͤttlichen empfangenen gnade/ daß
man
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