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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO XXIII.
gen wo viele beschimpffung ist/ das gemüth gemeiniglich zu zorn erreget/ und
also zur besserung unbequemer gemacht wird.
5. Nun auff die sache selbs zu kommen/ sehen wir also/ daß der Prediger ge-
fehlet/ der andere hingegen macht gehabt hat/ denselben zustraffen/ und zwahr
wie in der frage ausdrücklich bedinget wird/ solches aus gotiseligem eiffer
gethan; dabey das gute vertrauen gegen einen Pfarrherrn haben sollen/ daß
er nicht unter die säu und hunde gehöre/ welcher wuth man wider sich nicht
reitzen dörffe/ sondern einen christlichen bruder/ der solche liebe mit gleicher
liebe auffnehmen würde. Wir sehen auch/ daß die art des straffens oder erin-
nerns unsträflich gewesen/ da die worte liebreich lauten/ und nichts bitters in
sich haben; so dann eine gelegenheit gesucht worden/ worinnen derselbe am
wenigsten beschämet werden könte. Daher ich nicht wüste/ ob einer der alles
genau examiniren wolte/ etwas auch in der art zu tadeln finden möchte/ es
wäre denn sache/ daß die person sich nicht so bald kund gegeben: es kan aber
auch solcher fehler gantz leicht entschuldiget werden/ indem es gantz guter mei-
nung/ und aus demuth/ mag geschehen seyn; auch dem Pastori nicht dran ge-
legen seyn solte/ wer ihn über eine sache erinnerte/ worüber ihn sein gewissen
so bald selbs erinnern sollen.
6. Hieraus folget/ daß der sogenannte lay nicht schuldig seye/ über die-
se erinnerung den Pastorem um verzeihung zu bitten/ denn er hat ihm kein leid
noch unrecht gethan/ sondern einen liebes-dienst damit zu erzeigen getrachtet/
davor ihm eher christlicher danck/ als einiger verweiß gebührete.
7. Solte aber dergleichen der Prediger mit ernst praetendiren/ wäre
mir solches sehr leid/ indem er sich damit/ so doch nicht hoffen solle/ verrathen
würde/ daß er die regeln Christi/ zu deren beobachtung er gleichwol alle selbs
mit fleiß anzuhalten/ und sie also allermassen zu loben hat/ nicht verstehe/
vielweniger mit dem nachtruck auff dero übung treiben könte/ weil er sie an
sich auch nicht üben lassen will. Da gleichwol wir Prediger uns hertzlich drü-
ber zu erfreuen haben/ wo GOtt solche liebe in unsrer zuhörer hertzen gibet/
daß wo sie uns irgend straucheln sehen/ sie uns mit liebe erinnern/ dahinge-
gen die unordentliche ehrerbietung und scheue/ welche viele gegen uns tragen/
und daraus uns nicht/ was ihnen an uns mißfällig ist/ zu sagen getrauen/
auch uns selbs vielen schaden thut/ und uns um den nutzen bringet/ den wir
zu unsrer eignen besserung von anderer erinnerung schöpffen solten. Wie ich
etliche mal auff der Cantzel publice darüber geklaget/ daß die Prediger übel
dran wären/ daß zwahr jedermann in der gemeinde auff unser thun und las-
sen genau acht zu geben pflege/ selten aber jemand uns in liebe dasjenige sa-
ge/ was uns zu anderem verhalten dienlich wäre; indem wir so wenig als an-
dre bey uns/ was uns mangelt/ dermassen gewahr werden/ wie diejenige/ die
um
N 3
ARTIC. I. SECTIO XXIII.
gen wo viele beſchimpffung iſt/ das gemuͤth gemeiniglich zu zorn erreget/ und
alſo zur beſſerung unbequemer gemacht wird.
5. Nun auff die ſache ſelbs zu kom̃en/ ſehen wir alſo/ daß der Prediger ge-
fehlet/ der andere hingegen macht gehabt hat/ denſelben zuſtraffen/ und zwahr
wie in der frage ausdruͤcklich bedinget wird/ ſolches aus gotiſeligem eiffer
gethan; dabey das gute vertrauen gegen einen Pfarrherrn haben ſollen/ daß
er nicht unter die ſaͤu und hunde gehoͤre/ welcher wuth man wider ſich nicht
reitzen doͤrffe/ ſondern einen chriſtlichen bruder/ der ſolche liebe mit gleicher
liebe auffnehmen wuͤrde. Wir ſehen auch/ daß die art des ſtraffens oder erin-
nerns unſtraͤflich geweſen/ da die worte liebreich lauten/ und nichts bitters in
ſich haben; ſo dann eine gelegenheit geſucht worden/ worinnen derſelbe am
wenigſten beſchaͤmet werden koͤnte. Daher ich nicht wuͤſte/ ob einer der alles
genau examiniren wolte/ etwas auch in der art zu tadeln finden moͤchte/ es
waͤre denn ſache/ daß die perſon ſich nicht ſo bald kund gegeben: es kan aber
auch ſolcher fehler gantz leicht entſchuldiget werden/ indem es gantz guter mei-
nung/ und aus demuth/ mag geſchehen ſeyn; auch dem Paſtori nicht dran ge-
legen ſeyn ſolte/ wer ihn uͤber eine ſache erinnerte/ woruͤber ihn ſein gewiſſen
ſo bald ſelbs erinnern ſollen.
6. Hieraus folget/ daß der ſogenannte lay nicht ſchuldig ſeye/ uͤber die-
ſe erinnerung den Paſtorem um verzeihung zu bitten/ denn er hat ihm kein leid
noch unrecht gethan/ ſondern einen liebes-dienſt damit zu erzeigen getrachtet/
davor ihm eher chriſtlicher danck/ als einiger verweiß gebuͤhrete.
7. Solte aber dergleichen der Prediger mit ernſt prætendiren/ waͤre
mir ſolches ſehr leid/ indem er ſich damit/ ſo doch nicht hoffen ſolle/ verrathen
wuͤrde/ daß er die regeln Chriſti/ zu deren beobachtung er gleichwol alle ſelbs
mit fleiß anzuhalten/ und ſie alſo allermaſſen zu loben hat/ nicht verſtehe/
vielweniger mit dem nachtruck auff dero uͤbung treiben koͤnte/ weil er ſie an
ſich auch nicht uͤben laſſen will. Da gleichwol wir Prediger uns hertzlich druͤ-
ber zu erfreuen haben/ wo GOtt ſolche liebe in unſrer zuhoͤrer hertzen gibet/
daß wo ſie uns irgend ſtraucheln ſehen/ ſie uns mit liebe erinnern/ dahinge-
gen die unoꝛdentliche ehrerbietung und ſcheue/ welche viele gegen uns tragen/
und daraus uns nicht/ was ihnen an uns mißfaͤllig iſt/ zu ſagen getrauen/
auch uns ſelbs vielen ſchaden thut/ und uns um den nutzen bringet/ den wir
zu unſrer eignen beſſerung von anderer erinnerung ſchoͤpffen ſolten. Wie ich
etliche mal auff der Cantzel publice daruͤber geklaget/ daß die Prediger uͤbel
dran waͤren/ daß zwahr jedermann in der gemeinde auff unſer thun und laſ-
ſen genau acht zu geben pflege/ ſelten aber jemand uns in liebe dasjenige ſa-
ge/ was uns zu anderem verhalten dienlich waͤre; indem wir ſo wenig als an-
dre bey uns/ was uns mangelt/ dermaſſen gewahr werden/ wie diejenige/ die
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[101/0109] ARTIC. I. SECTIO XXIII. gen wo viele beſchimpffung iſt/ das gemuͤth gemeiniglich zu zorn erreget/ und alſo zur beſſerung unbequemer gemacht wird. 5. Nun auff die ſache ſelbs zu kom̃en/ ſehen wir alſo/ daß der Prediger ge- fehlet/ der andere hingegen macht gehabt hat/ denſelben zuſtraffen/ und zwahr wie in der frage ausdruͤcklich bedinget wird/ ſolches aus gotiſeligem eiffer gethan; dabey das gute vertrauen gegen einen Pfarrherrn haben ſollen/ daß er nicht unter die ſaͤu und hunde gehoͤre/ welcher wuth man wider ſich nicht reitzen doͤrffe/ ſondern einen chriſtlichen bruder/ der ſolche liebe mit gleicher liebe auffnehmen wuͤrde. Wir ſehen auch/ daß die art des ſtraffens oder erin- nerns unſtraͤflich geweſen/ da die worte liebreich lauten/ und nichts bitters in ſich haben; ſo dann eine gelegenheit geſucht worden/ worinnen derſelbe am wenigſten beſchaͤmet werden koͤnte. Daher ich nicht wuͤſte/ ob einer der alles genau examiniren wolte/ etwas auch in der art zu tadeln finden moͤchte/ es waͤre denn ſache/ daß die perſon ſich nicht ſo bald kund gegeben: es kan aber auch ſolcher fehler gantz leicht entſchuldiget werden/ indem es gantz guter mei- nung/ und aus demuth/ mag geſchehen ſeyn; auch dem Paſtori nicht dran ge- legen ſeyn ſolte/ wer ihn uͤber eine ſache erinnerte/ woruͤber ihn ſein gewiſſen ſo bald ſelbs erinnern ſollen. 6. Hieraus folget/ daß der ſogenannte lay nicht ſchuldig ſeye/ uͤber die- ſe erinnerung den Paſtorem um verzeihung zu bitten/ denn er hat ihm kein leid noch unrecht gethan/ ſondern einen liebes-dienſt damit zu erzeigen getrachtet/ davor ihm eher chriſtlicher danck/ als einiger verweiß gebuͤhrete. 7. Solte aber dergleichen der Prediger mit ernſt prætendiren/ waͤre mir ſolches ſehr leid/ indem er ſich damit/ ſo doch nicht hoffen ſolle/ verrathen wuͤrde/ daß er die regeln Chriſti/ zu deren beobachtung er gleichwol alle ſelbs mit fleiß anzuhalten/ und ſie alſo allermaſſen zu loben hat/ nicht verſtehe/ vielweniger mit dem nachtruck auff dero uͤbung treiben koͤnte/ weil er ſie an ſich auch nicht uͤben laſſen will. Da gleichwol wir Prediger uns hertzlich druͤ- ber zu erfreuen haben/ wo GOtt ſolche liebe in unſrer zuhoͤrer hertzen gibet/ daß wo ſie uns irgend ſtraucheln ſehen/ ſie uns mit liebe erinnern/ dahinge- gen die unoꝛdentliche ehrerbietung und ſcheue/ welche viele gegen uns tragen/ und daraus uns nicht/ was ihnen an uns mißfaͤllig iſt/ zu ſagen getrauen/ auch uns ſelbs vielen ſchaden thut/ und uns um den nutzen bringet/ den wir zu unſrer eignen beſſerung von anderer erinnerung ſchoͤpffen ſolten. Wie ich etliche mal auff der Cantzel publice daruͤber geklaget/ daß die Prediger uͤbel dran waͤren/ daß zwahr jedermann in der gemeinde auff unſer thun und laſ- ſen genau acht zu geben pflege/ ſelten aber jemand uns in liebe dasjenige ſa- ge/ was uns zu anderem verhalten dienlich waͤre; indem wir ſo wenig als an- dre bey uns/ was uns mangelt/ dermaſſen gewahr werden/ wie diejenige/ die um N 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/109>, abgerufen am 22.11.2024.