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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO III.
de/ nicht bekant war. 2. Die sache die gelobet/ nemlich wochentliche doppele
enthaltung einer abendmahlzeit/ ist eine mittel-sache/ das ist/ an sich selbst we-
der böß noch gut. 1. Cor. 8/ 8. Die speise fördert uns vor GOTT
nicht. Essen wir/ so werden wir darum nicht besser seyn/ Essen wir
nicht/ so werden wir darum nicht weniger seyn.
3. Aber gleichwol
sind die ursachen/ warum das fasten angestellt wird/ als nemlich die züchti-
gung seines fleisches/ demüthige bezeugung seiner über die sünde habende
reue/ und beförderung hertzlicher andacht/ an sich selbst gut/ und um desselben
wird die sache selbs/ nemlich das fasten/ vor gut gehalten/ und in der schrifft
gelobet. 4. Gleichwol sind die jetzo angeführte stücke so bewandt/ daß sie
nicht bloß an das fasten gebunden/ sondern durch tägliches ordinari fasten/
das ist/ stätiges mäßiges halten/ das fleisch eben so wohl gezähmet Rom. 13/
14.
auff andere weise die reue angezeiget/ und die andacht befördert werden
mag. 5. Jst das fasten ein solches mittel/ das an sich selbsten nicht bey
allen noch zu allen zeiten nützlich ist/ theils zwahr weil bey gewissen personen
oder in gewissen zuständen solches der leibes-gesundheit mag schädlich seyn/
die wir aber nach vermögen nach götlicher ordnung zu erhalten verbun-
den sind; theils aber/ weil bey einigen/ welche von blöder constitution
und bey deren gantz lährer magen allerhand dünste/ mehr als sonsten/ in den
kopff auffsteigen macht/ die andacht etwa mehr gehindert als gefördert
wird/ und solche leute/ wo sie etwas weniges zu sich genommen/ viel freyer in
dem gemüth/ und also tüchtiger zu betrachtungen/ gebet und allerhand gott-
seligen übungen sich befinden/ als wo sie gantz nüchtern bleiben/ und die da-
her entstehende ungelegenheiten des leibes auch das gemüth und die gedan-
cken mehr beunruhigen. 6. Wann wir insgemein lehren/ daß die gelübde
nicht gültig sind/ welche von unmüglichen dingen gethan werden/ ist die mei-
nung nicht nur von bloß unmüglichen/ sondern auch den jenigen/ welche ohne
daraus fliessende andere sünde nicht könte gehalten werden. Solche sachen
sind zwahr physice, nicht aber moraliter, müglich/ und also die darüber thu-
ende gelübde unbündig: wie unsere allgemeine lehre über den päbstischen
geboten ausweiset.

Voraus gesetzt dieser dinge/ so wäre meine einfältige meinung diese.
1. Es hat diese weibs-person zum allerfördristen zu erkennen/ daß eine sünd-
liche schwachheit mit untergelauffen/ indem sie dergleichen sache GOtt gelo-
bet/ über welches sie sich nicht genugsam geprüffet/ obs ihr auch zu halten
müglich seye/ oder auch sich nicht mit andern verständigern davon beredet/
und dero raths gepflogen/ was sie vor müglich halten. Jst ein exempel ei-
nes menschlichen fehlers/ welches sich offt zuträget/ daß da wirs am besten
im sinne haben/ wir etwa in einem umstand anstossen/ und also das jenige/

was
A 3

ARTIC. I. SECTIO III.
de/ nicht bekant war. 2. Die ſache die gelobet/ nemlich wochentliche doppele
enthaltung einer abendmahlzeit/ iſt eine mittel-ſache/ das iſt/ an ſich ſelbſt we-
der boͤß noch gut. 1. Cor. 8/ 8. Die ſpeiſe foͤrdert uns vor GOTT
nicht. Eſſen wir/ ſo werden wir darum nicht beſſer ſeyn/ Eſſen wir
nicht/ ſo werden wir darum nicht weniger ſeyn.
3. Aber gleichwol
ſind die urſachen/ warum das faſten angeſtellt wird/ als nemlich die zuͤchti-
gung ſeines fleiſches/ demuͤthige bezeugung ſeiner uͤber die ſuͤnde habende
reue/ und befoͤrderung hertzlicher andacht/ an ſich ſelbſt gut/ und um deſſelben
wird die ſache ſelbs/ nemlich das faſten/ vor gut gehalten/ und in der ſchrifft
gelobet. 4. Gleichwol ſind die jetzo angefuͤhrte ſtuͤcke ſo bewandt/ daß ſie
nicht bloß an das faſten gebunden/ ſondern durch taͤgliches ordinari faſten/
das iſt/ ſtaͤtiges maͤßiges halten/ das fleiſch eben ſo wohl gezaͤhmet Rom. 13/
14.
auff andere weiſe die reue angezeiget/ und die andacht befoͤrdert werden
mag. 5. Jſt das faſten ein ſolches mittel/ das an ſich ſelbſten nicht bey
allen noch zu allen zeiten nuͤtzlich iſt/ theils zwahr weil bey gewiſſen perſonen
oder in gewiſſen zuſtaͤnden ſolches der leibes-geſundheit mag ſchaͤdlich ſeyn/
die wir aber nach vermoͤgen nach goͤtlicher ordnung zu erhalten verbun-
den ſind; theils aber/ weil bey einigen/ welche von bloͤder conſtitution
und bey deren gantz laͤhrer magen allerhand duͤnſte/ mehr als ſonſten/ in den
kopff auffſteigen macht/ die andacht etwa mehr gehindert als gefoͤrdert
wird/ und ſolche leute/ wo ſie etwas weniges zu ſich genommen/ viel freyer in
dem gemuͤth/ und alſo tuͤchtiger zu betrachtungen/ gebet und allerhand gott-
ſeligen uͤbungen ſich befinden/ als wo ſie gantz nuͤchtern bleiben/ und die da-
her entſtehende ungelegenheiten des leibes auch das gemuͤth und die gedan-
cken mehr beunruhigen. 6. Wann wir insgemein lehren/ daß die geluͤbde
nicht guͤltig ſind/ welche von unmuͤglichen dingen gethan werden/ iſt die mei-
nung nicht nur von bloß unmuͤglichen/ ſondern auch den jenigen/ welche ohne
daraus flieſſende andere ſuͤnde nicht koͤnte gehalten werden. Solche ſachen
ſind zwahr phyſice, nicht aber moraliter, muͤglich/ und alſo die daruͤber thu-
ende geluͤbde unbuͤndig: wie unſere allgemeine lehre uͤber den paͤbſtiſchen
geboten ausweiſet.

Voraus geſetzt dieſer dinge/ ſo waͤre meine einfaͤltige meinung dieſe.
1. Es hat dieſe weibs-perſon zum allerfoͤrdriſten zu erkennen/ daß eine ſuͤnd-
liche ſchwachheit mit untergelauffen/ indem ſie dergleichen ſache GOtt gelo-
bet/ uͤber welches ſie ſich nicht genugſam gepruͤffet/ obs ihr auch zu halten
muͤglich ſeye/ oder auch ſich nicht mit andern verſtaͤndigern davon beredet/
und dero raths gepflogen/ was ſie vor muͤglich halten. Jſt ein exempel ei-
nes menſchlichen fehlers/ welches ſich offt zutraͤget/ daß da wirs am beſten
im ſinne haben/ wir etwa in einem umſtand anſtoſſen/ und alſo das jenige/

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[5/0013] ARTIC. I. SECTIO III. de/ nicht bekant war. 2. Die ſache die gelobet/ nemlich wochentliche doppele enthaltung einer abendmahlzeit/ iſt eine mittel-ſache/ das iſt/ an ſich ſelbſt we- der boͤß noch gut. 1. Cor. 8/ 8. Die ſpeiſe foͤrdert uns vor GOTT nicht. Eſſen wir/ ſo werden wir darum nicht beſſer ſeyn/ Eſſen wir nicht/ ſo werden wir darum nicht weniger ſeyn. 3. Aber gleichwol ſind die urſachen/ warum das faſten angeſtellt wird/ als nemlich die zuͤchti- gung ſeines fleiſches/ demuͤthige bezeugung ſeiner uͤber die ſuͤnde habende reue/ und befoͤrderung hertzlicher andacht/ an ſich ſelbſt gut/ und um deſſelben wird die ſache ſelbs/ nemlich das faſten/ vor gut gehalten/ und in der ſchrifft gelobet. 4. Gleichwol ſind die jetzo angefuͤhrte ſtuͤcke ſo bewandt/ daß ſie nicht bloß an das faſten gebunden/ ſondern durch taͤgliches ordinari faſten/ das iſt/ ſtaͤtiges maͤßiges halten/ das fleiſch eben ſo wohl gezaͤhmet Rom. 13/ 14. auff andere weiſe die reue angezeiget/ und die andacht befoͤrdert werden mag. 5. Jſt das faſten ein ſolches mittel/ das an ſich ſelbſten nicht bey allen noch zu allen zeiten nuͤtzlich iſt/ theils zwahr weil bey gewiſſen perſonen oder in gewiſſen zuſtaͤnden ſolches der leibes-geſundheit mag ſchaͤdlich ſeyn/ die wir aber nach vermoͤgen nach goͤtlicher ordnung zu erhalten verbun- den ſind; theils aber/ weil bey einigen/ welche von bloͤder conſtitution und bey deren gantz laͤhrer magen allerhand duͤnſte/ mehr als ſonſten/ in den kopff auffſteigen macht/ die andacht etwa mehr gehindert als gefoͤrdert wird/ und ſolche leute/ wo ſie etwas weniges zu ſich genommen/ viel freyer in dem gemuͤth/ und alſo tuͤchtiger zu betrachtungen/ gebet und allerhand gott- ſeligen uͤbungen ſich befinden/ als wo ſie gantz nuͤchtern bleiben/ und die da- her entſtehende ungelegenheiten des leibes auch das gemuͤth und die gedan- cken mehr beunruhigen. 6. Wann wir insgemein lehren/ daß die geluͤbde nicht guͤltig ſind/ welche von unmuͤglichen dingen gethan werden/ iſt die mei- nung nicht nur von bloß unmuͤglichen/ ſondern auch den jenigen/ welche ohne daraus flieſſende andere ſuͤnde nicht koͤnte gehalten werden. Solche ſachen ſind zwahr phyſice, nicht aber moraliter, muͤglich/ und alſo die daruͤber thu- ende geluͤbde unbuͤndig: wie unſere allgemeine lehre uͤber den paͤbſtiſchen geboten ausweiſet. Voraus geſetzt dieſer dinge/ ſo waͤre meine einfaͤltige meinung dieſe. 1. Es hat dieſe weibs-perſon zum allerfoͤrdriſten zu erkennen/ daß eine ſuͤnd- liche ſchwachheit mit untergelauffen/ indem ſie dergleichen ſache GOtt gelo- bet/ uͤber welches ſie ſich nicht genugſam gepruͤffet/ obs ihr auch zu halten muͤglich ſeye/ oder auch ſich nicht mit andern verſtaͤndigern davon beredet/ und dero raths gepflogen/ was ſie vor muͤglich halten. Jſt ein exempel ei- nes menſchlichen fehlers/ welches ſich offt zutraͤget/ daß da wirs am beſten im ſinne haben/ wir etwa in einem umſtand anſtoſſen/ und alſo das jenige/ was A 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/13>, abgerufen am 21.11.2024.