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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
übungen zuzunehmen/ und die anmuth eines das wahre gut/ hindangesetzt der
weltlichen lüste/ allein suchenden lebens vergnüglichen zu kosten/ dardurch
aber immer weiter zum ernst und eiffer/ auf dem angefangenen wege fort zu
wandlen/ entzündet zu werden. Ja es wird die erfahrung geben/ daß offters
eine kleine anzahl dahin hertzlich geneigter gemüther/ da sie unter sich das
werck ihnen lassen ernstlich angelegen seyn/ in solchem wachsthum ehender zu-
nehmen werden/ als da derselben mehrere sind/ dabey es etwa nicht ohne zer-
streuung abgehet. Sonderlich wird der anfang glücklicher unter wenigen
gleich gesinnten gemacht/ biß solche durch göttliche gnade dermaffen bekräff-
tiget/ daß folgends auch mehrere allgemach dazu gezogen werden. Wes we-
gen E. Hoch Gräfl. Gn. bereits an dero geliebten Fräulein schwester/ und wo
sie noch einige guteseelen ihres orts wissen/ so einen zweck haben/ gnugsame ge-
sellschafft haben wird/ zu täglicher erbauung unter ihnen selbs und zu nütz-
lichen dahin ziehlenden übungen; worinnen der Herr Superintendens vor-
treffliche anleitung und in allem vorfallenden getreuen rath zu geben so
weißlich vermag/ als immer willig seyn wird. Es will aber der meiste an-
fang in allem solchen mitfleißiger lesung heiliger schrifft gemacht seyn als aus
welcher wir allein den willen unsers Heylandes erkennen/ und durch dero
krafft ihm zu folgen bewogen werden. Jn derselben aber mag etwa am
rathsamsten das Neue Testament erst unterschiedliche mal ausgeleseu wer-
den/ ehe wir zu dem Alten kommen/ damit wir dieses duncklere nicht eher als
mit ausjenem bereits erleuchteten augen einsehen mögen: So möchtevielleicht
selbs in dem Neuen Testament die erste milch-speise in etlichen schrifften und
episteln der Apostel/ sonderlich in den so liebreichen episteln Johannis gema-
chet/ und darnachimmer weiter auf andere nach führung einesgottseligen hand-
leiters fortgegangen werden. Jn der lesung aber/ gleichwie ein eiffriges ge-
bet und betrachtung/ daß jetzo der grösseste HERR himmels und der erden/
vor deme auch die H. Engel mit ehrerbietung stehen/ mit uns in seinem wort
reden wolle/ woraus auch eine ehrerbietung und achtsamkeit erwecket werden
wird/ nothwendig vorgehen soll/ so muß nach mal auf alles genau acht gegeben
werden/ daß wir glauben/ kein wörtlein stehe vergebens: und ist nicht rath-
sam/ daß man auf einmal vieles nach einan der lese/ sondern weniges/ aber mit
fleißigem nachsinnen. Hat man auch etwa nur einen versicul gelesen/ so bald
nachzudencken/ was solcher in sich fasse; woh in dieses/ wohin jenes wort/ ge-
meinet seye/ so viel nehmlich unsere einfalt davon fasset. Wo dann nicht
ohne nutzen ist/ daß wo ihrer etliche personen bey solchem lesen sind/ jegliche
derselben sage/ was ihr von solchem versicul deuchte/ ob sie ihn verstehe oder
nicht. Fasset man dann nun den verstand wol und gut: man muß aber dabey
gedencken/ es stecke in solchem doch noch vielmehr/ als wir darinnen erkant

haben/

Das dritte Capitel.
uͤbungen zuzunehmen/ und die anmuth eines das wahre gut/ hindangeſetzt der
weltlichen luͤſte/ allein ſuchenden lebens vergnuͤglichen zu koſten/ dardurch
aber immer weiter zum ernſt und eiffer/ auf dem angefangenen wege fort zu
wandlen/ entzuͤndet zu werden. Ja es wird die erfahrung geben/ daß offters
eine kleine anzahl dahin hertzlich geneigter gemuͤther/ da ſie unter ſich das
werck ihnen laſſen ernſtlich angelegen ſeyn/ in ſolchem wachsthum ehender zu-
nehmen werden/ als da derſelben mehrere ſind/ dabey es etwa nicht ohne zer-
ſtreuung abgehet. Sonderlich wird der anfang gluͤcklicher unter wenigen
gleich geſinnten gemacht/ biß ſolche durch goͤttliche gnade dermaffen bekraͤff-
tiget/ daß folgends auch mehrere allgemach dazu gezogen werden. Wes we-
gen E. Hoch Graͤfl. Gn. bereits an dero geliebten Fraͤulein ſchweſter/ und wo
ſie noch einige guteſeelen ihres orts wiſſen/ ſo einen zweck haben/ gnugſame ge-
ſellſchafft haben wird/ zu taͤglicher erbauung unter ihnen ſelbs und zu nuͤtz-
lichen dahin ziehlenden uͤbungen; worinnen der Herr Superintendens vor-
treffliche anleitung und in allem vorfallenden getreuen rath zu geben ſo
weißlich vermag/ als immer willig ſeyn wird. Es will aber der meiſte an-
fang in allem ſolchen mitfleißiger leſung heiliger ſchrifft gemacht ſeyn als aus
welcher wir allein den willen unſers Heylandes erkennen/ und durch dero
krafft ihm zu folgen bewogen werden. Jn derſelben aber mag etwa am
rathſamſten das Neue Teſtament erſt unterſchiedliche mal ausgeleſeu wer-
den/ ehe wir zu dem Alten kommen/ damit wir dieſes duncklere nicht eher als
mit ausjenem bereits erleuchtetẽ augen einſehen moͤgen: So moͤchtevielleicht
ſelbs in dem Neuen Teſtament die erſte milch-ſpeiſe in etlichen ſchrifften und
epiſteln der Apoſtel/ ſonderlich in den ſo liebreichen epiſteln Johannis gema-
chet/ und darnachim̃er weiter auf andere nach fuͤhrung einesgottſeligen hand-
leiters fortgegangen werden. Jn der leſung aber/ gleichwie ein eiffriges ge-
bet und betrachtung/ daß jetzo der groͤſſeſte HERR himmels und der erden/
vor deme auch die H. Engel mit ehrerbietung ſtehen/ mit uns in ſeinem wort
reden wolle/ woraus auch eine ehrerbietung und achtſamkeit erwecket werden
wird/ nothwendig voꝛgehen ſoll/ ſo muß nach mal auf alles genau acht gegeben
werden/ daß wir glauben/ kein woͤrtlein ſtehe vergebens: und iſt nicht rath-
ſam/ daß man auf einmal vieles nach einan der leſe/ ſondern weniges/ aber mit
fleißigem nachſinnen. Hat man auch etwa nur einen verſicul geleſen/ ſo bald
nachzudencken/ was ſolcher in ſich faſſe; woh in dieſes/ wohin jenes wort/ ge-
meinet ſeye/ ſo viel nehmlich unſere einfalt davon faſſet. Wo dann nicht
ohne nutzen iſt/ daß wo ihrer etliche perſonen bey ſolchem leſen ſind/ jegliche
derſelben ſage/ was ihr von ſolchem verſicul deuchte/ ob ſie ihn verſtehe oder
nicht. Faſſet man dann nun den verſtand wol und gut: man muß aber dabey
gedencken/ es ſtecke in ſolchem doch noch vielmehr/ als wir darinnen erkant

haben/
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[192/0200] Das dritte Capitel. uͤbungen zuzunehmen/ und die anmuth eines das wahre gut/ hindangeſetzt der weltlichen luͤſte/ allein ſuchenden lebens vergnuͤglichen zu koſten/ dardurch aber immer weiter zum ernſt und eiffer/ auf dem angefangenen wege fort zu wandlen/ entzuͤndet zu werden. Ja es wird die erfahrung geben/ daß offters eine kleine anzahl dahin hertzlich geneigter gemuͤther/ da ſie unter ſich das werck ihnen laſſen ernſtlich angelegen ſeyn/ in ſolchem wachsthum ehender zu- nehmen werden/ als da derſelben mehrere ſind/ dabey es etwa nicht ohne zer- ſtreuung abgehet. Sonderlich wird der anfang gluͤcklicher unter wenigen gleich geſinnten gemacht/ biß ſolche durch goͤttliche gnade dermaffen bekraͤff- tiget/ daß folgends auch mehrere allgemach dazu gezogen werden. Wes we- gen E. Hoch Graͤfl. Gn. bereits an dero geliebten Fraͤulein ſchweſter/ und wo ſie noch einige guteſeelen ihres orts wiſſen/ ſo einen zweck haben/ gnugſame ge- ſellſchafft haben wird/ zu taͤglicher erbauung unter ihnen ſelbs und zu nuͤtz- lichen dahin ziehlenden uͤbungen; worinnen der Herr Superintendens vor- treffliche anleitung und in allem vorfallenden getreuen rath zu geben ſo weißlich vermag/ als immer willig ſeyn wird. Es will aber der meiſte an- fang in allem ſolchen mitfleißiger leſung heiliger ſchrifft gemacht ſeyn als aus welcher wir allein den willen unſers Heylandes erkennen/ und durch dero krafft ihm zu folgen bewogen werden. Jn derſelben aber mag etwa am rathſamſten das Neue Teſtament erſt unterſchiedliche mal ausgeleſeu wer- den/ ehe wir zu dem Alten kommen/ damit wir dieſes duncklere nicht eher als mit ausjenem bereits erleuchtetẽ augen einſehen moͤgen: So moͤchtevielleicht ſelbs in dem Neuen Teſtament die erſte milch-ſpeiſe in etlichen ſchrifften und epiſteln der Apoſtel/ ſonderlich in den ſo liebreichen epiſteln Johannis gema- chet/ und darnachim̃er weiter auf andere nach fuͤhrung einesgottſeligen hand- leiters fortgegangen werden. Jn der leſung aber/ gleichwie ein eiffriges ge- bet und betrachtung/ daß jetzo der groͤſſeſte HERR himmels und der erden/ vor deme auch die H. Engel mit ehrerbietung ſtehen/ mit uns in ſeinem wort reden wolle/ woraus auch eine ehrerbietung und achtſamkeit erwecket werden wird/ nothwendig voꝛgehen ſoll/ ſo muß nach mal auf alles genau acht gegeben werden/ daß wir glauben/ kein woͤrtlein ſtehe vergebens: und iſt nicht rath- ſam/ daß man auf einmal vieles nach einan der leſe/ ſondern weniges/ aber mit fleißigem nachſinnen. Hat man auch etwa nur einen verſicul geleſen/ ſo bald nachzudencken/ was ſolcher in ſich faſſe; woh in dieſes/ wohin jenes wort/ ge- meinet ſeye/ ſo viel nehmlich unſere einfalt davon faſſet. Wo dann nicht ohne nutzen iſt/ daß wo ihrer etliche perſonen bey ſolchem leſen ſind/ jegliche derſelben ſage/ was ihr von ſolchem verſicul deuchte/ ob ſie ihn verſtehe oder nicht. Faſſet man dann nun den verſtand wol und gut: man muß aber dabey gedencken/ es ſtecke in ſolchem doch noch vielmehr/ als wir darinnen erkant haben/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/200>, abgerufen am 22.11.2024.