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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
men der Obrigkeit ohne entgeld wiederfahren lassen müssen/ was die unter-
thanen von der Obrigkeit/ eben deswegen/ weil es ihre Obrigkeit ist/ mit recht
fordern dörffen. Wo mir also einer mein gehöriges recht in dem gericht
nicht ohne geschencke wiederfahren lassen will/ und mich also durch die sorge/
meine gerechte sache zu verliehren/ zu jenen nöthiget/ der thut mir nicht viel
ander unrecht/ als wo mich einer sonsten nöthigen wolte/ ihm etwas des mei-
nigen/ so er von mir in händen hätte/ auffs neue wieder abzukauffen und zu
redimiren: welcher that unbillichkeit jeglichem leicht in die augen leuchtet.
3. Sind auch solche geschencke in den gesetzen und rechten ausdrücklich
verboten: und zwahr nicht nur in den weltlichen und menschlichen/ sondern
zumal auch in den göttlichen rechten: Da es heisset 2. Mos. 23/ 8. Du solt
nicht geschenck nehmen/ denn geschenck machen die sehende blind/ und
verkehren die sachen der gerechten.
So wiederholet wird 5. Mos. 16/
19.
Zwahr gehöret solches bekantlich zu dem jüdischen policey-recht/ so uns
an und vor sich selbs nicht verbindet/ als so fern und welche satzungen auf dem
grund der allgemeinen billich- und gerechtigkeit und liebe des nechsten beru-
hen/ darunter wir aber dieses mit recht zehlen: auch dessen zeugnüß ist/ daß sich
gleiche gesetze auch bey andern völckern finden/ so ihnen von klugen und der ge-
meinen wolfahrt kündigern männern/ ohne absicht auf die jüdische policey
gegeben worden. Daher wir solches gesetz/ als einen sondern ausdruck des
uns alle verbindenden moral-gesetzes/ und was dawider geschihet/ vor ei-
gentliche und schwehre sünden zu achten haben.
4. Werden die meiste Assessores und Räthe bey denen gerichten gemei-
niglich mit sonderbaren ordnungen versehen/ darinnen solcherley geschencke
gewöhnlich ihnen blosserdings verboten werden/ auf solche werden sie ange-
nommen/ und müssen meistentheils dieselbe mit leiblichem eyde besch wehren.
Wo sie dann nun dawider thun/ machen sie sich noch über die übrige sünden
auch eines meineyds schuldig/ dessen greuel vor GOTT nicht gnug ausge-
druckt werden kan.
5. Stürtzen sich solche/ welche geschenck annehmen/ in die gefahr eines
ungerechten urtheils oder voti, so von ihnen gegeben/ und dadurch veranlasset
werden kan: zwahr entschuldiget man sich damit gemeiniglich/ man nehme die
geschencke/ aber spreche doch was recht ist. Aber es betriegen sich solche leute
sehr/ und weil sie ihnen etwa einen vorsatz/ das recht nicht zu verletzen/ gefasset
haben/ bilden sie sich vergebens ein/ als stünde solches nachmal allerdings in
ihrer macht/ nicht bedenckende/ wie das urtheil des menschlichen verstandes so
viel auch von dem willen/ undwas demselben angenehm oder zu wider ist/ de-
pendi
re/ und darnach geändert werde. Wir erfahren je alle täglich an uns/
wie
Das dritte Capitel.
men der Obrigkeit ohne entgeld wiederfahren laſſen muͤſſen/ was die unter-
thanen von der Obrigkeit/ eben deswegen/ weil es ihre Obrigkeit iſt/ mit recht
fordern doͤrffen. Wo mir alſo einer mein gehoͤriges recht in dem gericht
nicht ohne geſchencke wiederfahren laſſen will/ und mich alſo durch die ſorge/
meine gerechte ſache zu verliehren/ zu jenen noͤthiget/ der thut mir nicht viel
ander unrecht/ als wo mich einer ſonſten noͤthigen wolte/ ihm etwas des mei-
nigen/ ſo er von mir in haͤnden haͤtte/ auffs neue wieder abzukauffen und zu
redimiren: welcher that unbillichkeit jeglichem leicht in die augen leuchtet.
3. Sind auch ſolche geſchencke in den geſetzen und rechten ausdruͤcklich
verboten: und zwahr nicht nur in den weltlichen und menſchlichen/ ſondern
zumal auch in den goͤttlichen rechten: Da es heiſſet 2. Moſ. 23/ 8. Du ſolt
nicht geſchenck nehmen/ denn geſchenck machen die ſehende blind/ und
verkehren die ſachen der gerechten.
So wiederholet wird 5. Moſ. 16/
19.
Zwahr gehoͤret ſolches bekantlich zu dem juͤdiſchen policey-recht/ ſo uns
an und vor ſich ſelbs nicht verbindet/ als ſo fern und welche ſatzungen auf dem
grund der allgemeinen billich- und gerechtigkeit und liebe des nechſten beru-
hen/ darunter wir aber dieſes mit recht zehlen: auch deſſen zeugnuͤß iſt/ daß ſich
gleiche geſetze auch bey andern voͤlckern finden/ ſo ihnen von klugen und der ge-
meinen wolfahrt kuͤndigern maͤnnern/ ohne abſicht auf die juͤdiſche policey
gegeben worden. Daher wir ſolches geſetz/ als einen ſondern ausdruck des
uns alle verbindenden moral-geſetzes/ und was dawider geſchihet/ vor ei-
gentliche und ſchwehre ſuͤnden zu achten haben.
4. Werden die meiſte Aſſeſſores und Raͤthe bey denen gerichten gemei-
niglich mit ſonderbaren ordnungen verſehen/ darinnen ſolcherley geſchencke
gewoͤhnlich ihnen bloſſerdings verboten werden/ auf ſolche werden ſie ange-
nommen/ und muͤſſen meiſtentheils dieſelbe mit leiblichem eyde beſch wehren.
Wo ſie dann nun dawider thun/ machen ſie ſich noch uͤber die uͤbrige ſuͤnden
auch eines meineyds ſchuldig/ deſſen greuel vor GOTT nicht gnug ausge-
druckt werden kan.
5. Stuͤrtzen ſich ſolche/ welche geſchenck annehmen/ in die gefahr eines
ungerechten urtheils oder voti, ſo von ihnen gegeben/ und dadurch veranlaſſet
werden kan: zwahr entſchuldiget man ſich damit gemeiniglich/ man nehme die
geſchencke/ aber ſpreche doch was recht iſt. Aber es betriegen ſich ſolche leute
ſehr/ und weil ſie ihnen etwa einen vorſatz/ das recht nicht zu verletzen/ gefaſſet
haben/ bilden ſie ſich vergebens ein/ als ſtuͤnde ſolches nachmal allerdings in
ihrer macht/ nicht bedenckende/ wie das urtheil des menſchlichen verſtandes ſo
viel auch von dem willen/ undwas demſelben angenehm oder zu wider iſt/ de-
pendi
re/ und darnach geaͤndert werde. Wir erfahren je alle taͤglich an uns/
wie
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[244/0252] Das dritte Capitel. men der Obrigkeit ohne entgeld wiederfahren laſſen muͤſſen/ was die unter- thanen von der Obrigkeit/ eben deswegen/ weil es ihre Obrigkeit iſt/ mit recht fordern doͤrffen. Wo mir alſo einer mein gehoͤriges recht in dem gericht nicht ohne geſchencke wiederfahren laſſen will/ und mich alſo durch die ſorge/ meine gerechte ſache zu verliehren/ zu jenen noͤthiget/ der thut mir nicht viel ander unrecht/ als wo mich einer ſonſten noͤthigen wolte/ ihm etwas des mei- nigen/ ſo er von mir in haͤnden haͤtte/ auffs neue wieder abzukauffen und zu redimiren: welcher that unbillichkeit jeglichem leicht in die augen leuchtet. 3. Sind auch ſolche geſchencke in den geſetzen und rechten ausdruͤcklich verboten: und zwahr nicht nur in den weltlichen und menſchlichen/ ſondern zumal auch in den goͤttlichen rechten: Da es heiſſet 2. Moſ. 23/ 8. Du ſolt nicht geſchenck nehmen/ denn geſchenck machen die ſehende blind/ und verkehren die ſachen der gerechten. So wiederholet wird 5. Moſ. 16/ 19. Zwahr gehoͤret ſolches bekantlich zu dem juͤdiſchen policey-recht/ ſo uns an und vor ſich ſelbs nicht verbindet/ als ſo fern und welche ſatzungen auf dem grund der allgemeinen billich- und gerechtigkeit und liebe des nechſten beru- hen/ darunter wir aber dieſes mit recht zehlen: auch deſſen zeugnuͤß iſt/ daß ſich gleiche geſetze auch bey andern voͤlckern finden/ ſo ihnen von klugen und der ge- meinen wolfahrt kuͤndigern maͤnnern/ ohne abſicht auf die juͤdiſche policey gegeben worden. Daher wir ſolches geſetz/ als einen ſondern ausdruck des uns alle verbindenden moral-geſetzes/ und was dawider geſchihet/ vor ei- gentliche und ſchwehre ſuͤnden zu achten haben. 4. Werden die meiſte Aſſeſſores und Raͤthe bey denen gerichten gemei- niglich mit ſonderbaren ordnungen verſehen/ darinnen ſolcherley geſchencke gewoͤhnlich ihnen bloſſerdings verboten werden/ auf ſolche werden ſie ange- nommen/ und muͤſſen meiſtentheils dieſelbe mit leiblichem eyde beſch wehren. Wo ſie dann nun dawider thun/ machen ſie ſich noch uͤber die uͤbrige ſuͤnden auch eines meineyds ſchuldig/ deſſen greuel vor GOTT nicht gnug ausge- druckt werden kan. 5. Stuͤrtzen ſich ſolche/ welche geſchenck annehmen/ in die gefahr eines ungerechten urtheils oder voti, ſo von ihnen gegeben/ und dadurch veranlaſſet werden kan: zwahr entſchuldiget man ſich damit gemeiniglich/ man nehme die geſchencke/ aber ſpreche doch was recht iſt. Aber es betriegen ſich ſolche leute ſehr/ und weil ſie ihnen etwa einen vorſatz/ das recht nicht zu verletzen/ gefaſſet haben/ bilden ſie ſich vergebens ein/ als ſtuͤnde ſolches nachmal allerdings in ihrer macht/ nicht bedenckende/ wie das urtheil des menſchlichen verſtandes ſo viel auch von dem willen/ undwas demſelben angenehm oder zu wider iſt/ de- pendire/ und darnach geaͤndert werde. Wir erfahren je alle taͤglich an uns/ wie

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/252>, abgerufen am 22.11.2024.