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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO I.
nen wir dann/ wo wir in den wegen des HErrn lauffen/ nicht anders als mit
hincken solches zu werck richten/ so lasset uns doch lieber also fortfahren/ als
aus schahm der unform des hinckens uns gar niedersetzen/ dann in jenem fall
kommen wir gleichwol weiter/ wo wir nur auf der rechten strasse bleiben/ und
nicht ausweichen. Ferner freuet mich meines werthen Bruders fleiß an die
jugend gewendet hertzlich/ und versichere denselben/ daß dieser saame in die
zarte hertzen ausgestreuet die grösseste hoffnung einer gesegneten ernde gebe.
Was aber anlanget das anligen/ wie mit der jugend am besten zu verfahren/
daß sie alles in rechter ordnung begriffen/ und nachmal in die übung brächten/
seye er gewiß/ daß es auch das meinige ist/ und wolte ich lieber von andern/ die
der HErr weiter geführet/ hierinnen das nöthige noch anhören/ als mir ein-
bilden/ daß ich andern die beste weise zeigen könte. Sonderlich was das letz-
te anlangt/ da mir mein lebenlang nicht aus den gedancken kommet/ was ein-
mal ein verständiger mann/ da ihm die hiesige manier der kinder-lehr wol ge-
fiel/ und er solches gegen mich bezeugte/ ferner zu mir sagte: Wie bringen
wir aber den kopff
(oder das darein gefaßte) in das hertz? und sehe ich lei-
der selbs bey den meisten/ welche zu einer zimlich reichen buchstäblichen er-
käntnüß gekommen sind/ daß ihre hertzen noch wenig gerühret sind. Jndes-
sen lasse ich mich doch solches von der fortsetzung der examinum nach der gna-
de/ die der HErr beschehret/ nicht abschrecken/ thue gemeiniglich nach den fra-
gen zuletzt einige vermahnung/ wie man die materie zur erbauung sich zu nutz
zu machen habe/ ohne welches sonsten das wissen vergebens seyn würde/ ne-
bens dem vermahne sie zu hertzlichem gebet/ damit was ich ihnen sage/ auch in
das hertz kommen möge: über dieses weiß nichts weiters zu thun/ als daß
selbs den HErrn um seinen seegen anruffe/ und der zeit erwarte/ wann er sol-
chen sehen wolle lassen. Wie ich dann versichert bin/ daß manche erkäntnüß
oder wissenschafft erstlich eine lange zeit nichts/ als eine blosse buchstäbliche
erkäntnüß bey einem menschen ist/ und wie ein todtes körnlein in dem staub
liget/ ohne einige frucht: aber zu seiner zeit/ da GOTT einen seegen und neue
krafft in das hertz gibet/ gleichsam erst lebendig wird/ und in seine frucht ge-
het. Wie auch die liebe Jünger/ da der HErr bey ihnen war/ vieles von ihm
hörten/ das sie nicht einmal buchstäblich recht verstunden/ und doch wars
nicht vergebens/ sondern es kam zu seiner zeit der H. Geist dazu/ und machte
lebendig/ was gleichsam todt war. Dieses ist einer meiner vornehmsten
trost-gründen/ was das amt anlangt/ bey alten und jungen. Der HErr
wird einmal sein wort und unser in seinem nahmen verrichtendes werck nicht
ungesegnet lassen/ solte auch der seegen spath kommen/ und der HErr uns
nützlicher finden/ eine weil denselben uns zu verbergen. Daß mein büchlein
von dem gebrauch und mißbrauch der klagen denselben gestärcket/ sage ich

mei-

ARTIC. IV. SECTIO I.
nen wir dann/ wo wir in den wegen des HErrn lauffen/ nicht anders als mit
hincken ſolches zu werck richten/ ſo laſſet uns doch lieber alſo fortfahren/ als
aus ſchahm der unform des hinckens uns gar niederſetzen/ dann in jenem fall
kommen wir gleichwol weiter/ wo wir nur auf der rechten ſtraſſe bleiben/ und
nicht ausweichen. Ferner freuet mich meines werthen Bruders fleiß an die
jugend gewendet hertzlich/ und verſichere denſelben/ daß dieſer ſaame in die
zarte hertzen ausgeſtreuet die groͤſſeſte hoffnung einer geſegneten ernde gebe.
Was aber anlanget das anligen/ wie mit der jugend am beſten zu verfahren/
daß ſie alles in rechter ordnung begriffen/ und nachmal in die uͤbung braͤchten/
ſeye er gewiß/ daß es auch das meinige iſt/ und wolte ich lieber von andern/ die
der HErr weiter gefuͤhret/ hierinnen das noͤthige noch anhoͤren/ als mir ein-
bilden/ daß ich andern die beſte weiſe zeigen koͤnte. Sonderlich was das letz-
te anlangt/ da mir mein lebenlang nicht aus den gedancken kommet/ was ein-
mal ein verſtaͤndiger mann/ da ihm die hieſige manier der kinder-lehr wol ge-
fiel/ und er ſolches gegen mich bezeugte/ ferner zu mir ſagte: Wie bringen
wir aber den kopff
(oder das darein gefaßte) in das hertz? und ſehe ich lei-
der ſelbs bey den meiſten/ welche zu einer zimlich reichen buchſtaͤblichen er-
kaͤntnuͤß gekommen ſind/ daß ihre hertzen noch wenig geruͤhret ſind. Jndeſ-
ſen laſſe ich mich doch ſolches von der fortſetzung der examinum nach der gna-
de/ die der HErr beſchehret/ nicht abſchrecken/ thue gemeiniglich nach den fra-
gen zuletzt einige vermahnung/ wie man die materie zur erbauung ſich zu nutz
zu machen habe/ ohne welches ſonſten das wiſſen vergebens ſeyn wuͤrde/ ne-
bens dem vermahne ſie zu hertzlichem gebet/ damit was ich ihnen ſage/ auch in
das hertz kommen moͤge: uͤber dieſes weiß nichts weiters zu thun/ als daß
ſelbs den HErrn um ſeinen ſeegen anruffe/ und der zeit erwarte/ wann er ſol-
chen ſehen wolle laſſen. Wie ich dann verſichert bin/ daß manche erkaͤntnuͤß
oder wiſſenſchafft erſtlich eine lange zeit nichts/ als eine bloſſe buchſtaͤbliche
erkaͤntnuͤß bey einem menſchen iſt/ und wie ein todtes koͤrnlein in dem ſtaub
liget/ ohne einige frucht: aber zu ſeiner zeit/ da GOTT einen ſeegen und neue
krafft in das hertz gibet/ gleichſam erſt lebendig wird/ und in ſeine frucht ge-
het. Wie auch die liebe Juͤnger/ da der HErr bey ihnen war/ vieles von ihm
hoͤrten/ das ſie nicht einmal buchſtaͤblich recht verſtunden/ und doch wars
nicht vergebens/ ſondern es kam zu ſeiner zeit der H. Geiſt dazu/ und machte
lebendig/ was gleichſam todt war. Dieſes iſt einer meiner vornehmſten
troſt-gruͤnden/ was das amt anlangt/ bey alten und jungen. Der HErr
wird einmal ſein wort und unſer in ſeinem nahmen verrichtendes werck nicht
ungeſegnet laſſen/ ſolte auch der ſeegen ſpath kommen/ und der HErr uns
nuͤtzlicher finden/ eine weil denſelben uns zu verbergen. Daß mein buͤchlein
von dem gebrauch und mißbrauch der klagen denſelben geſtaͤrcket/ ſage ich

mei-
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[383/0391] ARTIC. IV. SECTIO I. nen wir dann/ wo wir in den wegen des HErrn lauffen/ nicht anders als mit hincken ſolches zu werck richten/ ſo laſſet uns doch lieber alſo fortfahren/ als aus ſchahm der unform des hinckens uns gar niederſetzen/ dann in jenem fall kommen wir gleichwol weiter/ wo wir nur auf der rechten ſtraſſe bleiben/ und nicht ausweichen. Ferner freuet mich meines werthen Bruders fleiß an die jugend gewendet hertzlich/ und verſichere denſelben/ daß dieſer ſaame in die zarte hertzen ausgeſtreuet die groͤſſeſte hoffnung einer geſegneten ernde gebe. Was aber anlanget das anligen/ wie mit der jugend am beſten zu verfahren/ daß ſie alles in rechter ordnung begriffen/ und nachmal in die uͤbung braͤchten/ ſeye er gewiß/ daß es auch das meinige iſt/ und wolte ich lieber von andern/ die der HErr weiter gefuͤhret/ hierinnen das noͤthige noch anhoͤren/ als mir ein- bilden/ daß ich andern die beſte weiſe zeigen koͤnte. Sonderlich was das letz- te anlangt/ da mir mein lebenlang nicht aus den gedancken kommet/ was ein- mal ein verſtaͤndiger mann/ da ihm die hieſige manier der kinder-lehr wol ge- fiel/ und er ſolches gegen mich bezeugte/ ferner zu mir ſagte: Wie bringen wir aber den kopff (oder das darein gefaßte) in das hertz? und ſehe ich lei- der ſelbs bey den meiſten/ welche zu einer zimlich reichen buchſtaͤblichen er- kaͤntnuͤß gekommen ſind/ daß ihre hertzen noch wenig geruͤhret ſind. Jndeſ- ſen laſſe ich mich doch ſolches von der fortſetzung der examinum nach der gna- de/ die der HErr beſchehret/ nicht abſchrecken/ thue gemeiniglich nach den fra- gen zuletzt einige vermahnung/ wie man die materie zur erbauung ſich zu nutz zu machen habe/ ohne welches ſonſten das wiſſen vergebens ſeyn wuͤrde/ ne- bens dem vermahne ſie zu hertzlichem gebet/ damit was ich ihnen ſage/ auch in das hertz kommen moͤge: uͤber dieſes weiß nichts weiters zu thun/ als daß ſelbs den HErrn um ſeinen ſeegen anruffe/ und der zeit erwarte/ wann er ſol- chen ſehen wolle laſſen. Wie ich dann verſichert bin/ daß manche erkaͤntnuͤß oder wiſſenſchafft erſtlich eine lange zeit nichts/ als eine bloſſe buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß bey einem menſchen iſt/ und wie ein todtes koͤrnlein in dem ſtaub liget/ ohne einige frucht: aber zu ſeiner zeit/ da GOTT einen ſeegen und neue krafft in das hertz gibet/ gleichſam erſt lebendig wird/ und in ſeine frucht ge- het. Wie auch die liebe Juͤnger/ da der HErr bey ihnen war/ vieles von ihm hoͤrten/ das ſie nicht einmal buchſtaͤblich recht verſtunden/ und doch wars nicht vergebens/ ſondern es kam zu ſeiner zeit der H. Geiſt dazu/ und machte lebendig/ was gleichſam todt war. Dieſes iſt einer meiner vornehmſten troſt-gruͤnden/ was das amt anlangt/ bey alten und jungen. Der HErr wird einmal ſein wort und unſer in ſeinem nahmen verrichtendes werck nicht ungeſegnet laſſen/ ſolte auch der ſeegen ſpath kommen/ und der HErr uns nuͤtzlicher finden/ eine weil denſelben uns zu verbergen. Daß mein buͤchlein von dem gebrauch und mißbrauch der klagen denſelben geſtaͤrcket/ ſage ich mei-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/391>, abgerufen am 22.11.2024.