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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO I.
geistlichen versorgung in einer christlichen aufferziehung/ sondern daß das
eusserliche so fern mit begriffen werde/ daß jeglicher die seinige/ nemlich mit
sorgfältiger arbeit und welches vor sich selbs bekant ohne abbrechung der nö-
thigen werck der liebe/ also zu versorgen habe/ daß als viel an ihm ist seine
wittwen und kinder (wiewol des textes absicht mehr auf die eltern gehet) nicht
mögen andern und der gemeinde zur last werden/ wie auch v. 16. einige anzeige
davon zusehen. Wird also eine mäßige fürsorge auch vor das künfftige/ nicht
in einem ängstlichen suchen und sorgen/ dawider Matth. 6/ 31. geredet wird/
sondern in einer spärlichen verwahrung seines übrigen in dem wort pronoein
anbefohlen/ nicht aus einem mißtrauen gegen GOtt/ noch liebe des irrdi-
schen/ sondern aus liebe gleichwie der seinigen/ also auch der gemeinde welcher
man durch der seinigen von sich verursachte dürfftigkeit keine last muthwillig
zu machen/ sondern derselben vielmehr nach vermögen durch eigenen fleiß zu
schohnen hat. Gegen diese meine meinung sehe ich nicht/ wie vieles möchte
gebracht werden können/ so in dem gewissen einen anstoß machen könte. Was
aber die maaß der gutthätigkeit anlanget/ solte es wol grössere difficultäten
setzen/ wie man darinnen zu verfahren habe. Zwahr wo wir unter meistens
rechten Christen lebeten/ würde es so viel anstand und bedenckens nicht ha-
ben/ sondern wir diese liebes-pflicht/ gleichwie andere des brüderlichen bestraf-
fens und dergleichen/ in aller einfalt gegen alle ohne viele sorge üben können/
so jetzt offt nicht gleichermassen geschehen kan/ und man an statt des guten offt
mehr sünde und übels zu veranlassen sorgen muß. Wie dann die betrach-
tung der bey andern so erloschener liebe/ wo man bey brüdern diejenige hülffe
nicht wiederum hoffen kan/ die sonsten der HErr so wol von andern als von
uns erfordert/ und durch dieselbe uns helffen wolte/ so dann der menschen boß-
heit/ die sich frommer hertzen gutthätigkeit mißbrauchen/ nicht aus der acht zu
lassen/ und uns in übung der mildigkeit behutsam machen dörffen. Also will
ich nicht zweiffeln/ daß wo es die noth eines rechtschaffenen kindes GOttes
erfordert/ und bey ermanglung anderer beyhülffe auf mich alles ankommen
solte/ daß ich mich nicht nur meines übrigen begeben/ sondern auch an meiner
eignen nothdurfft mich angreiffen muß. Sinds aber andere/ gegen welche
wir allein die gemeine liebe zu üben haben/ und kan auch von andern und meh-
rern die last getragen werden/ so habe ich zwahr jenen die liebes-thaten auch
nicht zu versagen/ bedarff mich aber auch nicht ihrentwegen allzuviel zu ent-
blössen/ noch dasjenige an solche allein zu wenden/ dessen nicht nur die meinige/
sondern auch andere würdigere brüder annoch von mir nöthig haben werden/
so bin auch in dem letzten fall nicht eben schuldig/ die last auf mich allein wel-
tzen zu lassen; dann es bleibt insgesamt auch diese liebes-regel 2. Cor. 8/ 13.
daß nicht andere ruhe haben und ihr trübsaal.
Aus besagtem hoffe/

mein
C c c

ARTIC. IV. SECTIO I.
geiſtlichen verſorgung in einer chriſtlichen aufferziehung/ ſondern daß das
euſſerliche ſo fern mit begriffen werde/ daß jeglicher die ſeinige/ nemlich mit
ſorgfaͤltiger arbeit und welches vor ſich ſelbs bekant ohne abbrechung der noͤ-
thigen werck der liebe/ alſo zu verſorgen habe/ daß als viel an ihm iſt ſeine
wittwen und kinder (wiewol des textes abſicht mehr auf die eltern gehet) nicht
moͤgen andern und der gemeinde zur laſt werden/ wie auch v. 16. einige anzeige
davon zuſehen. Wird alſo eine maͤßige fuͤrſorge auch vor das kuͤnfftige/ nicht
in einem aͤngſtlichen ſuchen und ſorgen/ dawider Matth. 6/ 31. geredet wird/
ſondern in einer ſpaͤrlichen verwahrung ſeines uͤbrigen in dem wort προνοεῖν
anbefohlen/ nicht aus einem mißtrauen gegen GOtt/ noch liebe des irrdi-
ſchen/ ſondern aus liebe gleichwie der ſeinigen/ alſo auch der gemeinde welcher
man durch der ſeinigen von ſich verurſachte duͤrfftigkeit keine laſt muthwillig
zu machen/ ſondern derſelben vielmehr nach vermoͤgen durch eigenen fleiß zu
ſchohnen hat. Gegen dieſe meine meinung ſehe ich nicht/ wie vieles moͤchte
gebracht werden koͤnnen/ ſo in dem gewiſſen einen anſtoß machen koͤnte. Was
aber die maaß der gutthaͤtigkeit anlanget/ ſolte es wol groͤſſere difficultaͤten
ſetzen/ wie man darinnen zu verfahren habe. Zwahr wo wir unter meiſtens
rechten Chriſten lebeten/ wuͤrde es ſo viel anſtand und bedenckens nicht ha-
ben/ ſondern wir dieſe liebes-pflicht/ gleichwie andere des bruͤderlichen beſtraf-
fens und dergleichen/ in aller einfalt gegen alle ohne viele ſorge uͤben koͤnnen/
ſo jetzt offt nicht gleichermaſſen geſchehen kan/ und man an ſtatt des guten offt
mehr ſuͤnde und uͤbels zu veranlaſſen ſorgen muß. Wie dann die betrach-
tung der bey andern ſo erloſchener liebe/ wo man bey bruͤdern diejenige huͤlffe
nicht wiederum hoffen kan/ die ſonſten der HErr ſo wol von andern als von
uns erfordert/ und durch dieſelbe uns helffen wolte/ ſo dann der menſchen boß-
heit/ die ſich frommer hertzen gutthaͤtigkeit mißbrauchen/ nicht aus der acht zu
laſſen/ und uns in uͤbung der mildigkeit behutſam machen doͤrffen. Alſo will
ich nicht zweiffeln/ daß wo es die noth eines rechtſchaffenen kindes GOttes
erfordert/ und bey ermanglung anderer beyhuͤlffe auf mich alles ankommen
ſolte/ daß ich mich nicht nur meines uͤbrigen begeben/ ſondern auch an meiner
eignen nothdurfft mich angreiffen muß. Sinds aber andere/ gegen welche
wir allein die gemeine liebe zu uͤben haben/ und kan auch von andern und meh-
rern die laſt getragen werden/ ſo habe ich zwahr jenen die liebes-thaten auch
nicht zu verſagen/ bedarff mich aber auch nicht ihrentwegen allzuviel zu ent-
bloͤſſen/ noch dasjenige an ſolche allein zu wenden/ deſſen nicht nur die meinige/
ſondern auch andere wuͤrdigere bruͤder annoch von mir noͤthig haben werden/
ſo bin auch in dem letzten fall nicht eben ſchuldig/ die laſt auf mich allein wel-
tzen zu laſſen; dann es bleibt insgeſamt auch dieſe liebes-regel 2. Cor. 8/ 13.
daß nicht andere ruhe haben und ihr truͤbſaal.
Aus beſagtem hoffe/

mein
C c c
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[385/0393] ARTIC. IV. SECTIO I. geiſtlichen verſorgung in einer chriſtlichen aufferziehung/ ſondern daß das euſſerliche ſo fern mit begriffen werde/ daß jeglicher die ſeinige/ nemlich mit ſorgfaͤltiger arbeit und welches vor ſich ſelbs bekant ohne abbrechung der noͤ- thigen werck der liebe/ alſo zu verſorgen habe/ daß als viel an ihm iſt ſeine wittwen und kinder (wiewol des textes abſicht mehr auf die eltern gehet) nicht moͤgen andern und der gemeinde zur laſt werden/ wie auch v. 16. einige anzeige davon zuſehen. Wird alſo eine maͤßige fuͤrſorge auch vor das kuͤnfftige/ nicht in einem aͤngſtlichen ſuchen und ſorgen/ dawider Matth. 6/ 31. geredet wird/ ſondern in einer ſpaͤrlichen verwahrung ſeines uͤbrigen in dem wort προνοεῖν anbefohlen/ nicht aus einem mißtrauen gegen GOtt/ noch liebe des irrdi- ſchen/ ſondern aus liebe gleichwie der ſeinigen/ alſo auch der gemeinde welcher man durch der ſeinigen von ſich verurſachte duͤrfftigkeit keine laſt muthwillig zu machen/ ſondern derſelben vielmehr nach vermoͤgen durch eigenen fleiß zu ſchohnen hat. Gegen dieſe meine meinung ſehe ich nicht/ wie vieles moͤchte gebracht werden koͤnnen/ ſo in dem gewiſſen einen anſtoß machen koͤnte. Was aber die maaß der gutthaͤtigkeit anlanget/ ſolte es wol groͤſſere difficultaͤten ſetzen/ wie man darinnen zu verfahren habe. Zwahr wo wir unter meiſtens rechten Chriſten lebeten/ wuͤrde es ſo viel anſtand und bedenckens nicht ha- ben/ ſondern wir dieſe liebes-pflicht/ gleichwie andere des bruͤderlichen beſtraf- fens und dergleichen/ in aller einfalt gegen alle ohne viele ſorge uͤben koͤnnen/ ſo jetzt offt nicht gleichermaſſen geſchehen kan/ und man an ſtatt des guten offt mehr ſuͤnde und uͤbels zu veranlaſſen ſorgen muß. Wie dann die betrach- tung der bey andern ſo erloſchener liebe/ wo man bey bruͤdern diejenige huͤlffe nicht wiederum hoffen kan/ die ſonſten der HErr ſo wol von andern als von uns erfordert/ und durch dieſelbe uns helffen wolte/ ſo dann der menſchen boß- heit/ die ſich frommer hertzen gutthaͤtigkeit mißbrauchen/ nicht aus der acht zu laſſen/ und uns in uͤbung der mildigkeit behutſam machen doͤrffen. Alſo will ich nicht zweiffeln/ daß wo es die noth eines rechtſchaffenen kindes GOttes erfordert/ und bey ermanglung anderer beyhuͤlffe auf mich alles ankommen ſolte/ daß ich mich nicht nur meines uͤbrigen begeben/ ſondern auch an meiner eignen nothdurfft mich angreiffen muß. Sinds aber andere/ gegen welche wir allein die gemeine liebe zu uͤben haben/ und kan auch von andern und meh- rern die laſt getragen werden/ ſo habe ich zwahr jenen die liebes-thaten auch nicht zu verſagen/ bedarff mich aber auch nicht ihrentwegen allzuviel zu ent- bloͤſſen/ noch dasjenige an ſolche allein zu wenden/ deſſen nicht nur die meinige/ ſondern auch andere wuͤrdigere bruͤder annoch von mir noͤthig haben werden/ ſo bin auch in dem letzten fall nicht eben ſchuldig/ die laſt auf mich allein wel- tzen zu laſſen; dann es bleibt insgeſamt auch dieſe liebes-regel 2. Cor. 8/ 13. daß nicht andere ruhe haben und ihr truͤbſaal. Aus beſagtem hoffe/ mein C c c

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/393>, abgerufen am 22.11.2024.