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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO XVI.

ANtonius ein kauff- und welt-mann erlanget die gnade von GOtt/
daß er die eitelkeit der welt als auch der seelen gefährlichkeit erken-
nende/ ihm aus grund seines hertzens sich vornimmt/ alles weltliche
hinten an zu setzen/ und einen ort zu suchen/ wo er etliche recht fromme
und wahre Christen meinet zu finden oder zum wenigsten gelegen-
heit/ unverhindert von weltlichen geschäfften in ruhe und GOTT
alleine gelassen/ ihm die übrige zeit seines lebens zu dienen. Daß aber

Antonius zu diesem verlangten Gottesdienst nicht kommen kan/ schei-
net ihm im wege zu stehen/ weil er in fortbringung seines lebens und
wandels von witwen/ wäysen und anderen leuten ansehnliche gelder
auffgenommen/ und dieselbe hertzlich gerne bezahlen wolte/ auch nicht
zweiffelt/ wo er bey den weltlichen geschäfften bliebe/ über kurtz oder
lang dazu zu kommen/ allein wie ihn dieses auffhalten wird zu seiner

intention zu gelangen/ also fürchtet er auch/ daß er vom tode übereilet/
GOTT in der welt so nicht gedienet hätte/ wie er gesollt/ welches ihm
gar gefährlich ausschlagen möchte!

Fraget sich also/ ob Antonius mit gutem gewissen aus seinem
handel treten könne/ alles das seinige angeben/ und dazu seine schulden
unbezahlt lassen/ und wenn er GOTT an einem andern orte redlich
und christ-möglich dienet/ sich keine beschwehrnüß zu machen habe/
daß er um in gottesfurcht zu leben/ und dazu zu gelangen/ seinem nech-
sten das seinige nicht wiedergegeben.

Worüber als einer sachen/ an dem jemand das allerhöchste gelegen/ bit-
tet man ein Christ-Theologisches consilium & decisum.

Antwort.

WO man die vorgelegte frage oben hin ansihet/ solte dem ersten ansehen
naches scheinen/ daß man ohne viel bedencken/ die affirmativam schlies-
sen und Antonio zu seiner intention rathen solte/ angesehen 1. dem göttlichen
nichts vorzuzie[he]n ist/ und der dienst der ersten taffel der pflicht der andern
also gar vorgehet/ daß wo diese jenen hindern wolte/ man das einig-nothwen-
dige allem andern vorz[ieh]en solte. 2. Scheinet es eine ungleiche compara-
tion
zu seyn/ zwischen einerseits einem zeitlichen verlust/ welchen seine credi-
tores
an ihm leiden würden/ und der ewigen gefahr/ in welcher Antonius sich
befindet/ da aber allezeit die grössere gefahr/ und was dieselbe erfordert/ der
geringern vorzuziehen ist. 3. Solte man gedencken/ wo die creditores
christlich sind/ daß sie selbs den verlust des ihrigen der hesorgenden schwehren

gefahr
K k k
ARTIC. IV. SECTIO XVI.

ANtonius ein kauff- und welt-mann erlanget die gnade von GOtt/
daß er die eitelkeit der welt als auch der ſeelen gefaͤhrlichkeit erken-
nende/ ihm aus grund ſeines hertzens ſich vornimmt/ alles weltliche
hinten an zu ſetzen/ und einen ort zu ſuchen/ wo er etliche recht fromme
und wahre Chriſten meinet zu finden oder zum wenigſten gelegen-
heit/ unverhindert von weltlichen geſchaͤfften in ruhe und GOTT
alleine gelaſſen/ ihm die uͤbrige zeit ſeines lebens zu dienen. Daß aber

Antonius zu dieſem verlangten Gottesdienſt nicht kommen kan/ ſchei-
net ihm im wege zu ſtehen/ weil er in fortbringung ſeines lebens und
wandels von witwen/ waͤyſen und anderen leuten anſehnliche gelder
auffgenommen/ und dieſelbe hertzlich gerne bezahlen wolte/ auch nicht
zweiffelt/ wo er bey den weltlichen geſchaͤfften bliebe/ uͤber kurtz oder
lang dazu zu kommen/ allein wie ihn dieſes auffhalten wird zu ſeiner

intention zu gelangen/ alſo fuͤrchtet er auch/ daß er vom tode uͤbereilet/
GOTT in der welt ſo nicht gedienet haͤtte/ wie er geſollt/ welches ihm
gar gefaͤhrlich ausſchlagen moͤchte!

Fraget ſich alſo/ ob Antonius mit gutem gewiſſen aus ſeinem
handel treten koͤnne/ alles das ſeinige angeben/ und dazu ſeine ſchulden
unbezahlt laſſen/ und wenn er GOTT an einem andern orte redlich
und chriſt-moͤglich dienet/ ſich keine beſchwehrnuͤß zu machen habe/
daß er um in gottesfurcht zu leben/ und dazu zu gelangen/ ſeinem nech-
ſten das ſeinige nicht wiedergegeben.

Woruͤber als einer ſachen/ an dem jemand das allerhoͤchſte gelegen/ bit-
tet man ein Chriſt-Theologiſches conſilium & deciſum.

Antwort.

WO man die vorgelegte frage oben hin anſihet/ ſolte dem erſten anſehen
naches ſcheinen/ daß man ohne viel bedencken/ die affirmativam ſchlieſ-
ſen und Antonio zu ſeiner intention rathen ſolte/ angeſehen 1. dem goͤttlichen
nichts vorzuzie[he]n iſt/ und der dienſt der erſten taffel der pflicht der andern
alſo gar vorgehet/ daß wo dieſe jenen hindern wolte/ man das einig-nothwen-
dige allem andern vorz[ieh]en ſolte. 2. Scheinet es eine ungleiche compara-
tion
zu ſeyn/ zwiſchen einerſeits einem zeitlichen verluſt/ welchen ſeine credi-
tores
an ihm leiden wuͤrden/ und der ewigen gefahr/ in welcher Antonius ſich
befindet/ da aber allezeit die groͤſſere gefahr/ und was dieſelbe erfordert/ der
geringern vorzuziehen iſt. 3. Solte man gedencken/ wo die creditores
chriſtlich ſind/ daß ſie ſelbs den verluſt des ihrigen der heſorgenden ſchwehren

gefahr
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[441/0449] ARTIC. IV. SECTIO XVI. ANtonius ein kauff- und welt-mann erlanget die gnade von GOtt/ daß er die eitelkeit der welt als auch der ſeelen gefaͤhrlichkeit erken- nende/ ihm aus grund ſeines hertzens ſich vornimmt/ alles weltliche hinten an zu ſetzen/ und einen ort zu ſuchen/ wo er etliche recht fromme und wahre Chriſten meinet zu finden oder zum wenigſten gelegen- heit/ unverhindert von weltlichen geſchaͤfften in ruhe und GOTT alleine gelaſſen/ ihm die uͤbrige zeit ſeines lebens zu dienen. Daß aber Antonius zu dieſem verlangten Gottesdienſt nicht kommen kan/ ſchei- net ihm im wege zu ſtehen/ weil er in fortbringung ſeines lebens und wandels von witwen/ waͤyſen und anderen leuten anſehnliche gelder auffgenommen/ und dieſelbe hertzlich gerne bezahlen wolte/ auch nicht zweiffelt/ wo er bey den weltlichen geſchaͤfften bliebe/ uͤber kurtz oder lang dazu zu kommen/ allein wie ihn dieſes auffhalten wird zu ſeiner intention zu gelangen/ alſo fuͤrchtet er auch/ daß er vom tode uͤbereilet/ GOTT in der welt ſo nicht gedienet haͤtte/ wie er geſollt/ welches ihm gar gefaͤhrlich ausſchlagen moͤchte! Fraget ſich alſo/ ob Antonius mit gutem gewiſſen aus ſeinem handel treten koͤnne/ alles das ſeinige angeben/ und dazu ſeine ſchulden unbezahlt laſſen/ und wenn er GOTT an einem andern orte redlich und chriſt-moͤglich dienet/ ſich keine beſchwehrnuͤß zu machen habe/ daß er um in gottesfurcht zu leben/ und dazu zu gelangen/ ſeinem nech- ſten das ſeinige nicht wiedergegeben. Woruͤber als einer ſachen/ an dem jemand das allerhoͤchſte gelegen/ bit- tet man ein Chriſt-Theologiſches conſilium & deciſum. Antwort. WO man die vorgelegte frage oben hin anſihet/ ſolte dem erſten anſehen naches ſcheinen/ daß man ohne viel bedencken/ die affirmativam ſchlieſ- ſen und Antonio zu ſeiner intention rathen ſolte/ angeſehen 1. dem goͤttlichen nichts vorzuziehen iſt/ und der dienſt der erſten taffel der pflicht der andern alſo gar vorgehet/ daß wo dieſe jenen hindern wolte/ man das einig-nothwen- dige allem andern vorziehen ſolte. 2. Scheinet es eine ungleiche compara- tion zu ſeyn/ zwiſchen einerſeits einem zeitlichen verluſt/ welchen ſeine credi- tores an ihm leiden wuͤrden/ und der ewigen gefahr/ in welcher Antonius ſich befindet/ da aber allezeit die groͤſſere gefahr/ und was dieſelbe erfordert/ der geringern vorzuziehen iſt. 3. Solte man gedencken/ wo die creditores chriſtlich ſind/ daß ſie ſelbs den verluſt des ihrigen der heſorgenden ſchwehren gefahr K k k

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/449>, abgerufen am 22.11.2024.