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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
könnte. Jndessen 4. wie es in der schrifft nirgend verboten ist/ so habe auch
noch keine einige ursache angeführt gesehen/ welche das gewissen convincir-
te/ daß man solche ceremonie selbst vor unrecht halten müste; sondern wie
einen guten wunsch zuthun/ zu allen zeiten und bey jeder gelegenheit/ nicht
unrecht ist/ so achte auch diese von langem gewährte gewohnheit/ daß solches
bey einem trunck geschehe/ vor unsündlich/ und traute mir keinen darüber zu
bestraffen/ noch machte mir ein gewissen/ einen mir noch dißmal nöthi-
gen trunck auf eine gesundheit/ ohne andere darbey vorgehende eitel-
keit/ zu mir zunehmen? Jch sorgte auch/ wo ich das gegentheil behaupten
wolte/ ich nehme mir eine nicht zustehende macht/ etwas zur sünde zu ma-
chen/ welches Gottes wort nicht darzu macht/ und würffe dem gewißen ei-
nen strick ohne noth an. Nun wie es unverantwortlich ist/ in einem dinge/
wo GOtt etwas verbeut/ sich die macht der dispensation zu nehmen/ nicht
nur in groben sachen/ sondern auch in denjenigen/ die die welt vor wohl er-
laubet hält/ so halte hingegen auch nicht nützlich/ die göttliche befehl und ge-
bote weiter/ als sie GOtt selbst gegeben/ zu extendiren. Versichere auch/
daß eher anstoß als erbauung daraus entstehet. Jn dem wo einige von uns
solche dinge bloß verboten zu werden sehen/ deren sündligkeit wir nicht zur
gnüge/ und mit überzeugung des gewissens erweisen können/ sie daraus gele-
genheit nehmen/ gleiches von allen andern zu urtheilen/ die auch mit mehrerem
grund wahrhafftig sündlich zu seyn erwiesen werden können. Dieses wäre mei-
ne meinung in dieser sache/ die ich hoffe/ dem gewißen nicht anstößig zu seyn/
will aber gerne vernehmen/ was dagegen gebracht werden könte. Der HErr
HErr mache durch seine gnade unsere hertzen in allen dingen gewiß. Hatte
sonst bey dieser gelegenheit freundlich zu bitten/ weil ohne das mein werther
bruder vielen ein dorn in den augen ist/ und deroselben hand wider sich sehen
muß/ daß er zwahr in der sache GOttes nicht weiche/ welches wir auch nie
macht haben/ in dessen gleichwol sich mit aller sorgfalt vorsehe/ in keinen un-
nöthigen zwist zu gerathen.

SECTIO XXIX.
Was von dem tantzen zu halten seye und obes mit
dem Christenthum überein komme?

WO man von dem tantzen in abstracto, und gleichsam als in einer idea
redet/ so kan man von demselben nicht sagen/ daß es an sich selbs und
bloß dahin verboten sey/ indem an sich eine bewegung des leibes/
nach einer gewissen melodie oder numeris nicht vor sundlich geachtet werden
kan/ sondern bleibet vor sich eine indifferente sache. So war es nicht sünd-

lich/

Das dritte Capitel.
koͤnnte. Jndeſſen 4. wie es in der ſchrifft nirgend verboten iſt/ ſo habe auch
noch keine einige urſache angefuͤhrt geſehen/ welche das gewiſſen convincir-
te/ daß man ſolche ceremonie ſelbſt vor unrecht halten muͤſte; ſondern wie
einen guten wunſch zuthun/ zu allen zeiten und bey jeder gelegenheit/ nicht
unrecht iſt/ ſo achte auch dieſe von langem gewaͤhrte gewohnheit/ daß ſolches
bey einem trunck geſchehe/ vor unſuͤndlich/ und traute mir keinen daruͤber zu
beſtraffen/ noch machte mir ein gewiſſen/ einen mir noch dißmal noͤthi-
gen trunck auf eine geſundheit/ ohne andere darbey vorgehende eitel-
keit/ zu mir zunehmen? Jch ſorgte auch/ wo ich das gegentheil behaupten
wolte/ ich nehme mir eine nicht zuſtehende macht/ etwas zur ſuͤnde zu ma-
chen/ welches Gottes wort nicht darzu macht/ und wuͤrffe dem gewißen ei-
nen ſtrick ohne noth an. Nun wie es unverantwortlich iſt/ in einem dinge/
wo GOtt etwas verbeut/ ſich die macht der diſpenſation zu nehmen/ nicht
nur in groben ſachen/ ſondern auch in denjenigen/ die die welt vor wohl er-
laubet haͤlt/ ſo halte hingegen auch nicht nuͤtzlich/ die goͤttliche befehl und ge-
bote weiter/ als ſie GOtt ſelbſt gegeben/ zu extendiren. Verſichere auch/
daß eher anſtoß als erbauung daraus entſtehet. Jn dem wo einige von uns
ſolche dinge bloß verboten zu werden ſehen/ deren ſuͤndligkeit wir nicht zur
gnuͤge/ und mit uͤberzeugung des gewiſſens erweiſen koͤnnen/ ſie daraus gele-
genheit nehmẽ/ gleiches von allen andern zu uꝛtheilen/ die auch mit mehrerem
grund wahrhafftig ſuͤndlich zu ſeyn erwieſen werden koͤñen. Dieſes waͤre mei-
ne meinung in dieſer ſache/ die ich hoffe/ dem gewißen nicht anſtoͤßig zu ſeyn/
will aber gerne vernehmen/ was dagegen gebracht werden koͤnte. Der HErr
HErr mache durch ſeine gnade unſere hertzen in allen dingen gewiß. Hatte
ſonſt bey dieſer gelegenheit freundlich zu bitten/ weil ohne das mein werther
bruder vielen ein dorn in den augen iſt/ und deroſelben hand wider ſich ſehen
muß/ daß er zwahr in der ſache GOttes nicht weiche/ welches wir auch nie
macht haben/ in deſſen gleichwol ſich mit aller ſorgfalt vorſehe/ in keinen un-
noͤthigen zwiſt zu gerathen.

SECTIO XXIX.
Was von dem tantzen zu halten ſeye und obes mit
dem Chriſtenthum uͤberein komme?

WO man von dem tantzen in abſtracto, und gleichſam als in einer idea
redet/ ſo kan man von demſelben nicht ſagen/ daß es an ſich ſelbs und
bloß dahin verboten ſey/ indem an ſich eine bewegung des leibes/
nach einer gewiſſen melodie oder numeris nicht vor ſundlich geachtet werden
kan/ ſondern bleibet vor ſich eine indifferente ſache. So war es nicht ſuͤnd-

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[484/0492] Das dritte Capitel. koͤnnte. Jndeſſen 4. wie es in der ſchrifft nirgend verboten iſt/ ſo habe auch noch keine einige urſache angefuͤhrt geſehen/ welche das gewiſſen convincir- te/ daß man ſolche ceremonie ſelbſt vor unrecht halten muͤſte; ſondern wie einen guten wunſch zuthun/ zu allen zeiten und bey jeder gelegenheit/ nicht unrecht iſt/ ſo achte auch dieſe von langem gewaͤhrte gewohnheit/ daß ſolches bey einem trunck geſchehe/ vor unſuͤndlich/ und traute mir keinen daruͤber zu beſtraffen/ noch machte mir ein gewiſſen/ einen mir noch dißmal noͤthi- gen trunck auf eine geſundheit/ ohne andere darbey vorgehende eitel- keit/ zu mir zunehmen? Jch ſorgte auch/ wo ich das gegentheil behaupten wolte/ ich nehme mir eine nicht zuſtehende macht/ etwas zur ſuͤnde zu ma- chen/ welches Gottes wort nicht darzu macht/ und wuͤrffe dem gewißen ei- nen ſtrick ohne noth an. Nun wie es unverantwortlich iſt/ in einem dinge/ wo GOtt etwas verbeut/ ſich die macht der diſpenſation zu nehmen/ nicht nur in groben ſachen/ ſondern auch in denjenigen/ die die welt vor wohl er- laubet haͤlt/ ſo halte hingegen auch nicht nuͤtzlich/ die goͤttliche befehl und ge- bote weiter/ als ſie GOtt ſelbſt gegeben/ zu extendiren. Verſichere auch/ daß eher anſtoß als erbauung daraus entſtehet. Jn dem wo einige von uns ſolche dinge bloß verboten zu werden ſehen/ deren ſuͤndligkeit wir nicht zur gnuͤge/ und mit uͤberzeugung des gewiſſens erweiſen koͤnnen/ ſie daraus gele- genheit nehmẽ/ gleiches von allen andern zu uꝛtheilen/ die auch mit mehrerem grund wahrhafftig ſuͤndlich zu ſeyn erwieſen werden koͤñen. Dieſes waͤre mei- ne meinung in dieſer ſache/ die ich hoffe/ dem gewißen nicht anſtoͤßig zu ſeyn/ will aber gerne vernehmen/ was dagegen gebracht werden koͤnte. Der HErr HErr mache durch ſeine gnade unſere hertzen in allen dingen gewiß. Hatte ſonſt bey dieſer gelegenheit freundlich zu bitten/ weil ohne das mein werther bruder vielen ein dorn in den augen iſt/ und deroſelben hand wider ſich ſehen muß/ daß er zwahr in der ſache GOttes nicht weiche/ welches wir auch nie macht haben/ in deſſen gleichwol ſich mit aller ſorgfalt vorſehe/ in keinen un- noͤthigen zwiſt zu gerathen. SECTIO XXIX. Was von dem tantzen zu halten ſeye und obes mit dem Chriſtenthum uͤberein komme? WO man von dem tantzen in abſtracto, und gleichſam als in einer idea redet/ ſo kan man von demſelben nicht ſagen/ daß es an ſich ſelbs und bloß dahin verboten ſey/ indem an ſich eine bewegung des leibes/ nach einer gewiſſen melodie oder numeris nicht vor ſundlich geachtet werden kan/ ſondern bleibet vor ſich eine indifferente ſache. So war es nicht ſuͤnd- lich/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/492>, abgerufen am 22.11.2024.