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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO VIII.
weibs schwester ehelichen möge/ auf seiner ersten meinung geblieben/ oder sol-
che nachgehends in letzteren schrifften geändert.

Resp.

Dieses letzteren finde keinen gnugsamen grund/ und sehe ich nicht/ wie
die dazu anführende erweißthüme einem widersacher gnug thun möchten.
1681.

3. Das andre responsum.

ES wird diese frag vorgeleget/ ob ein wittiber mit gutem gewissen sei-
nes abgestorbenen ehegemahls leibliche schwester zu heyrathen
vermöge?
Hierauff in der furcht des HErren und mit dessen hertzlicher an-
ruffung zu antworten/ so bekenne/ daß ich sonsten in der materie dieser ehesa-
chen nicht pflege so streng zu seyn/ wie zuweilen einige aus guter meinung zu
seyn pflegen/ und also was diejenige grade anlangt/ welche nicht von GOtt
verboten sind/ nicht nur allein zu den dispensationen mich unschwehr bewe-
gen liesse/ sondern wo es in meiner macht gestanden wäre/ lieber gesehen hät-
te/ daß wir Evangelische alle diejenige weitere verbote/ als das göttliche ge-
setz gehet/ auffgehaben/ und es dabey gelassen hätten/ was der einige höchste
gesetzgeber in solcher materie für alle menschen am weißlichsten verordnet;
Massen ich davor halte/ daß obwol einige scheinbare ursachen angeführet
werden/ warum die christliche kirche noch weiter gegangen seye/ und dem ge-
setz gleichsam von aussen noch einen zaun umgeben habe/ solche gleichwohl so
kräfftig nicht seyen/ daß nicht die daraus entstehende incommoda, wie es ge-
meiniglich mit allen menschlichen zusätzen/ welche zu dem göttlichen gesetz hin-
zugethan werden/ ergehet/ jenem vorgebenden nutzen gleich streichen/ und es
also rathsamer bey der von GOtt gegebenen freyheit gelassen worden wäre.
Daher ich/ wo ich an einem solchen ort wohnete/ da sothane kirchliche und o-
brigkeitliche verbote nicht sind/ (dann wo sie sind/ so beruhet ihre obligation
auff einem andern fundament) selbs in meinem gewissen kein bedencken finde/
warum ich nicht dergleichen personen/ als zum exempel geschwister kind hey-
rathen möchte. So wenig ich nun von denen menschlichen verordnungen in
solcher sache halte/ so schwehr würde mirs seyn von dem göttlichen verbot in
etwas abzuweichen/ ja unmüglich selbsten in etwas zu gehellen/ dessen verbot
durch eine rechtschaffene folge aus solchem göttlichen gesetz gezogen wird.
Vorausgesetzt also dessen/ so kan auff diese gegenwärtige frage nicht anders
als mit nein antworten. Welche meine antwort ich nicht gründe auff das
weltliche und Canonische recht/ deren dieses uns an sich selbs nicht verbin-
det/ als so viel jede Obrigkeit aus demselben selbs angenommen hätte/ jenes
verbote aber durch die autorität der höchsten weltlichen Obrigkeit/ von dero

solche
Y y y

SECTIO VIII.
weibs ſchweſter ehelichen moͤge/ auf ſeiner erſten meinung geblieben/ oder ſol-
che nachgehends in letzteren ſchrifften geaͤndert.

Reſp.

Dieſes letzteren finde keinen gnugſamen grund/ und ſehe ich nicht/ wie
die dazu anfuͤhrende erweißthuͤme einem widerſacher gnug thun moͤchten.
1681.

3. Das andre reſponſum.

ES wird dieſe frag vorgeleget/ ob ein wittiber mit gutem gewiſſen ſei-
nes abgeſtorbenen ehegemahls leibliche ſchweſter zu heyrathen
vermoͤge?
Hierauff in der furcht des HErren und mit deſſen hertzlicher an-
ruffung zu antworten/ ſo bekenne/ daß ich ſonſten in der materie dieſer eheſa-
chen nicht pflege ſo ſtreng zu ſeyn/ wie zuweilen einige aus guter meinung zu
ſeyn pflegen/ und alſo was diejenige grade anlangt/ welche nicht von GOtt
verboten ſind/ nicht nur allein zu den diſpenſationen mich unſchwehr bewe-
gen lieſſe/ ſondern wo es in meiner macht geſtanden waͤre/ lieber geſehen haͤt-
te/ daß wir Evangeliſche alle diejenige weitere verbote/ als das goͤttliche ge-
ſetz gehet/ auffgehaben/ und es dabey gelaſſen haͤtten/ was der einige hoͤchſte
geſetzgeber in ſolcher materie fuͤr alle menſchen am weißlichſten verordnet;
Maſſen ich davor halte/ daß obwol einige ſcheinbare urſachen angefuͤhret
werden/ warum die chriſtliche kirche noch weiter gegangen ſeye/ und dem ge-
ſetz gleichſam von auſſen noch einen zaun umgeben habe/ ſolche gleichwohl ſo
kraͤfftig nicht ſeyen/ daß nicht die daraus entſtehende incommoda, wie es ge-
meiniglich mit allen menſchlichen zuſaͤtzen/ welche zu dem goͤttlichen geſetz hin-
zugethan werden/ ergehet/ jenem vorgebenden nutzen gleich ſtreichen/ und es
alſo rathſamer bey der von GOtt gegebenen freyheit gelaſſen worden waͤre.
Daher ich/ wo ich an einem ſolchen ort wohnete/ da ſothane kirchliche und o-
brigkeitliche verbote nicht ſind/ (dann wo ſie ſind/ ſo beruhet ihre obligation
auff einem andern fundament) ſelbs in meinem gewiſſen kein bedencken finde/
warum ich nicht dergleichen perſonen/ als zum exempel geſchwiſter kind hey-
rathen moͤchte. So wenig ich nun von denen menſchlichen verordnungen in
ſolcher ſache halte/ ſo ſchwehr wuͤrde mirs ſeyn von dem goͤttlichen verbot in
etwas abzuweichen/ ja unmuͤglich ſelbſten in etwas zu gehellen/ deſſen verbot
durch eine rechtſchaffene folge aus ſolchem goͤttlichen geſetz gezogen wird.
Vorausgeſetzt alſo deſſen/ ſo kan auff dieſe gegenwaͤrtige frage nicht anders
als mit nein antworten. Welche meine antwort ich nicht gruͤnde auff das
weltliche und Canoniſche recht/ deren dieſes uns an ſich ſelbs nicht verbin-
det/ als ſo viel jede Obrigkeit aus demſelben ſelbs angenommen haͤtte/ jenes
verbote aber durch die autoritaͤt der hoͤchſten weltlichen Obrigkeit/ von dero

ſolche
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[537/0545] SECTIO VIII. weibs ſchweſter ehelichen moͤge/ auf ſeiner erſten meinung geblieben/ oder ſol- che nachgehends in letzteren ſchrifften geaͤndert. Reſp. Dieſes letzteren finde keinen gnugſamen grund/ und ſehe ich nicht/ wie die dazu anfuͤhrende erweißthuͤme einem widerſacher gnug thun moͤchten. 1681. 3. Das andre reſponſum. ES wird dieſe frag vorgeleget/ ob ein wittiber mit gutem gewiſſen ſei- nes abgeſtorbenen ehegemahls leibliche ſchweſter zu heyrathen vermoͤge? Hierauff in der furcht des HErren und mit deſſen hertzlicher an- ruffung zu antworten/ ſo bekenne/ daß ich ſonſten in der materie dieſer eheſa- chen nicht pflege ſo ſtreng zu ſeyn/ wie zuweilen einige aus guter meinung zu ſeyn pflegen/ und alſo was diejenige grade anlangt/ welche nicht von GOtt verboten ſind/ nicht nur allein zu den diſpenſationen mich unſchwehr bewe- gen lieſſe/ ſondern wo es in meiner macht geſtanden waͤre/ lieber geſehen haͤt- te/ daß wir Evangeliſche alle diejenige weitere verbote/ als das goͤttliche ge- ſetz gehet/ auffgehaben/ und es dabey gelaſſen haͤtten/ was der einige hoͤchſte geſetzgeber in ſolcher materie fuͤr alle menſchen am weißlichſten verordnet; Maſſen ich davor halte/ daß obwol einige ſcheinbare urſachen angefuͤhret werden/ warum die chriſtliche kirche noch weiter gegangen ſeye/ und dem ge- ſetz gleichſam von auſſen noch einen zaun umgeben habe/ ſolche gleichwohl ſo kraͤfftig nicht ſeyen/ daß nicht die daraus entſtehende incommoda, wie es ge- meiniglich mit allen menſchlichen zuſaͤtzen/ welche zu dem goͤttlichen geſetz hin- zugethan werden/ ergehet/ jenem vorgebenden nutzen gleich ſtreichen/ und es alſo rathſamer bey der von GOtt gegebenen freyheit gelaſſen worden waͤre. Daher ich/ wo ich an einem ſolchen ort wohnete/ da ſothane kirchliche und o- brigkeitliche verbote nicht ſind/ (dann wo ſie ſind/ ſo beruhet ihre obligation auff einem andern fundament) ſelbs in meinem gewiſſen kein bedencken finde/ warum ich nicht dergleichen perſonen/ als zum exempel geſchwiſter kind hey- rathen moͤchte. So wenig ich nun von denen menſchlichen verordnungen in ſolcher ſache halte/ ſo ſchwehr wuͤrde mirs ſeyn von dem goͤttlichen verbot in etwas abzuweichen/ ja unmuͤglich ſelbſten in etwas zu gehellen/ deſſen verbot durch eine rechtſchaffene folge aus ſolchem goͤttlichen geſetz gezogen wird. Vorausgeſetzt alſo deſſen/ ſo kan auff dieſe gegenwaͤrtige frage nicht anders als mit nein antworten. Welche meine antwort ich nicht gruͤnde auff das weltliche und Canoniſche recht/ deren dieſes uns an ſich ſelbs nicht verbin- det/ als ſo viel jede Obrigkeit aus demſelben ſelbs angenommen haͤtte/ jenes verbote aber durch die autoritaͤt der hoͤchſten weltlichen Obrigkeit/ von dero ſolche Y y y

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/545>, abgerufen am 22.11.2024.