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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das vierdte Capitel.
untersuchung thut/ aus allen fundamenten/ welche vom gegentheil mögen ge-
braucht werden/ weiter kommen möchte/ als in einigen zweiffel/ obs dann ge-
wiß verboten seye/ wo er nemlich aus einer praeoccupation die krafft der ar-
gument
en nicht völlig bey sich eintringen lässet: Nimmermehr aber so weit/
daß er in der seelen der gerechtigkeit der sache überzeuget wäre: Ohne welche
versicherung aber das gewissen nicht zugibet/ daß man die sache unternehme/
wo der mensch auffs gelindeste von der sache zu reden/ förchten muß/ daß er
wider GOttes willen thun möchte. Daher in solchem zustand freylich kein
ander mittel ist/ als den sichersten theil zu wehlen/ und also diese zweiffelhaffte
sache zu unterlassen/ dann darinnen ist er gewiß/ daß er nicht sündige/ obs
auch schon sonsten keine verbotene sache wäre.

Zu diesen beyden gründen mögen wir auch noch den dritten setzen. Wir
wissen/ daß allen Christen durch und durch nicht nur das böse/ sondern auch
der schein des bösen verboten ist/ daher sie solchen zu meiden schuldig seynd.
1. Thessal. 5/ 12. daher auch der Apostel sagt 1. Cor. 10/ 28. Jch habe
zwahr alles macht/ aber es frommet nicht alles: Jch habe es alles
macht/ aber es bessert nicht alles.
Wie er auch daselbst und Rom. 14.
so dann 1. Cor. 8. mit mehrerem zeigt/ daß wo eine sache auch sonsten an
und vor sich selbst erlaubt seye/ dieses ansehen/ daß ein ander sich daran stos-
sen und ärgern werde/ schon zu wege bringen solle/ daß ein Christ dasselbe
unterlasse/ so gar/ daß er derjenigen sünde hart straffet/ welche hingegen/
und also der liebe zuwider/ handelten. Wie er dann von ailen fordert:
Seyd nicht ärgerlich/ weder den Juden noch den Griechen noch der
gemeinde GOTTES.
Welches er von seinem Heyland selbst gelernet/
der seinen Jüngern die sünde des ärgernüsses kaum weiß schrecklich genug
vorzumahlen/ um sie darvon abzuwenden Matth. 18. Also daß er bezeu-
get/ daß wer nur einen der geringsten seiner gläubigen ärgere/ sich so schwehr-
lich vergreiffe/ daß ihm besser wäre mit an den halß gehengtem stein in
dem meer/ da es am tieffsten ist/ ersäuffet zu werden.
Vorausgesetzt
dieser gewiß gegründeter lehr/ weil auch gewiß ist/ daß eine solche heyrath
nicht nur ein und andre person/ sondern alle/ die davon hören/ auffs hefftig-
ste ärgern würde/ so solte auch dieses einige argument schon genug seyn/ ob
man sonst mit einigen subtilen rationen/ die die gemeinde nicht zu fassen ver-
mag/ die sach zu behaupten vermöchte/ daß etzliche gelehrte damit zu frieden
seyn sollten (dergleichen bündige rationes gleichwohl noch nie gesehen ha-
be) daß dannoch/ daß über einer solchen ungewohnten und insgemein bißher
verdammten sache ohnfehlbarlich entstehende ärgernüß jeglichen von einer sol-
chen heyrath abziehen solte/ welcher betrachtet/ daß wir in allen dingen nicht

nur

Das vierdte Capitel.
unterſuchung thut/ aus allen fundamenten/ welche vom gegentheil moͤgen ge-
braucht werden/ weiter kommen moͤchte/ als in einigen zweiffel/ obs dann ge-
wiß verboten ſeye/ wo er nemlich aus einer præoccupation die krafft der ar-
gument
en nicht voͤllig bey ſich eintringen laͤſſet: Nimmermehr aber ſo weit/
daß er in der ſeelen der gerechtigkeit der ſache uͤberzeuget waͤre: Ohne welche
verſicherung aber das gewiſſen nicht zugibet/ daß man die ſache unternehme/
wo der menſch auffs gelindeſte von der ſache zu reden/ foͤrchten muß/ daß er
wider GOttes willen thun moͤchte. Daher in ſolchem zuſtand freylich kein
ander mittel iſt/ als den ſicherſten theil zu wehlen/ und alſo dieſe zweiffelhaffte
ſache zu unterlaſſen/ dann darinnen iſt er gewiß/ daß er nicht ſuͤndige/ obs
auch ſchon ſonſten keine verbotene ſache waͤre.

Zu dieſen beyden gruͤnden moͤgen wir auch noch den dritten ſetzen. Wir
wiſſen/ daß allen Chriſten durch und durch nicht nur das boͤſe/ ſondern auch
der ſchein des boͤſen verboten iſt/ daher ſie ſolchen zu meiden ſchuldig ſeynd.
1. Theſſal. 5/ 12. daher auch der Apoſtel ſagt 1. Cor. 10/ 28. Jch habe
zwahr alles macht/ aber es frommet nicht alles: Jch habe es alles
macht/ aber es beſſert nicht alles.
Wie er auch daſelbſt und Rom. 14.
ſo dann 1. Cor. 8. mit mehrerem zeigt/ daß wo eine ſache auch ſonſten an
und vor ſich ſelbſt erlaubt ſeye/ dieſes anſehen/ daß ein ander ſich daran ſtoſ-
ſen und aͤrgern werde/ ſchon zu wege bringen ſolle/ daß ein Chriſt daſſelbe
unterlaſſe/ ſo gar/ daß er derjenigen ſuͤnde hart ſtraffet/ welche hingegen/
und alſo der liebe zuwider/ handelten. Wie er dann von ailen fordert:
Seyd nicht aͤrgerlich/ weder den Juden noch den Griechen noch der
gemeinde GOTTES.
Welches er von ſeinem Heyland ſelbſt gelernet/
der ſeinen Juͤngern die ſuͤnde des aͤrgernuͤſſes kaum weiß ſchrecklich genug
vorzumahlen/ um ſie darvon abzuwenden Matth. 18. Alſo daß er bezeu-
get/ daß wer nur einen der geringſten ſeiner glaͤubigen aͤrgere/ ſich ſo ſchwehr-
lich veꝛgreiffe/ daß ihm beſſer waͤre mit an den halß gehengtem ſtein in
dem meer/ da es am tieffſten iſt/ erſaͤuffet zu werden.
Vorausgeſetzt
dieſer gewiß gegruͤndeter lehr/ weil auch gewiß iſt/ daß eine ſolche heyrath
nicht nur ein und andre perſon/ ſondern alle/ die davon hoͤren/ auffs hefftig-
ſte aͤrgern wuͤrde/ ſo ſolte auch dieſes einige argument ſchon genug ſeyn/ ob
man ſonſt mit einigen ſubtilen rationen/ die die gemeinde nicht zu faſſen ver-
mag/ die ſach zu behaupten vermoͤchte/ daß etzliche gelehrte damit zu frieden
ſeyn ſollten (dergleichen buͤndige rationes gleichwohl noch nie geſehen ha-
be) daß dannoch/ daß uͤber einer ſolchen ungewohnten und insgemein bißher
verdam̃ten ſache ohnfehlbarlich entſtehende aͤrgernuͤß jeglichen von einer ſol-
chen heyrath abziehen ſolte/ welcher betrachtet/ daß wir in allen dingen nicht

nur
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[542/0550] Das vierdte Capitel. unterſuchung thut/ aus allen fundamenten/ welche vom gegentheil moͤgen ge- braucht werden/ weiter kommen moͤchte/ als in einigen zweiffel/ obs dann ge- wiß verboten ſeye/ wo er nemlich aus einer præoccupation die krafft der ar- gumenten nicht voͤllig bey ſich eintringen laͤſſet: Nimmermehr aber ſo weit/ daß er in der ſeelen der gerechtigkeit der ſache uͤberzeuget waͤre: Ohne welche verſicherung aber das gewiſſen nicht zugibet/ daß man die ſache unternehme/ wo der menſch auffs gelindeſte von der ſache zu reden/ foͤrchten muß/ daß er wider GOttes willen thun moͤchte. Daher in ſolchem zuſtand freylich kein ander mittel iſt/ als den ſicherſten theil zu wehlen/ und alſo dieſe zweiffelhaffte ſache zu unterlaſſen/ dann darinnen iſt er gewiß/ daß er nicht ſuͤndige/ obs auch ſchon ſonſten keine verbotene ſache waͤre. Zu dieſen beyden gruͤnden moͤgen wir auch noch den dritten ſetzen. Wir wiſſen/ daß allen Chriſten durch und durch nicht nur das boͤſe/ ſondern auch der ſchein des boͤſen verboten iſt/ daher ſie ſolchen zu meiden ſchuldig ſeynd. 1. Theſſal. 5/ 12. daher auch der Apoſtel ſagt 1. Cor. 10/ 28. Jch habe zwahr alles macht/ aber es frommet nicht alles: Jch habe es alles macht/ aber es beſſert nicht alles. Wie er auch daſelbſt und Rom. 14. ſo dann 1. Cor. 8. mit mehrerem zeigt/ daß wo eine ſache auch ſonſten an und vor ſich ſelbſt erlaubt ſeye/ dieſes anſehen/ daß ein ander ſich daran ſtoſ- ſen und aͤrgern werde/ ſchon zu wege bringen ſolle/ daß ein Chriſt daſſelbe unterlaſſe/ ſo gar/ daß er derjenigen ſuͤnde hart ſtraffet/ welche hingegen/ und alſo der liebe zuwider/ handelten. Wie er dann von ailen fordert: Seyd nicht aͤrgerlich/ weder den Juden noch den Griechen noch der gemeinde GOTTES. Welches er von ſeinem Heyland ſelbſt gelernet/ der ſeinen Juͤngern die ſuͤnde des aͤrgernuͤſſes kaum weiß ſchrecklich genug vorzumahlen/ um ſie darvon abzuwenden Matth. 18. Alſo daß er bezeu- get/ daß wer nur einen der geringſten ſeiner glaͤubigen aͤrgere/ ſich ſo ſchwehr- lich veꝛgreiffe/ daß ihm beſſer waͤre mit an den halß gehengtem ſtein in dem meer/ da es am tieffſten iſt/ erſaͤuffet zu werden. Vorausgeſetzt dieſer gewiß gegruͤndeter lehr/ weil auch gewiß iſt/ daß eine ſolche heyrath nicht nur ein und andre perſon/ ſondern alle/ die davon hoͤren/ auffs hefftig- ſte aͤrgern wuͤrde/ ſo ſolte auch dieſes einige argument ſchon genug ſeyn/ ob man ſonſt mit einigen ſubtilen rationen/ die die gemeinde nicht zu faſſen ver- mag/ die ſach zu behaupten vermoͤchte/ daß etzliche gelehrte damit zu frieden ſeyn ſollten (dergleichen buͤndige rationes gleichwohl noch nie geſehen ha- be) daß dannoch/ daß uͤber einer ſolchen ungewohnten und insgemein bißher verdam̃ten ſache ohnfehlbarlich entſtehende aͤrgernuͤß jeglichen von einer ſol- chen heyrath abziehen ſolte/ welcher betrachtet/ daß wir in allen dingen nicht nur

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/550>, abgerufen am 22.11.2024.