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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO IX.
obstinatum, da wir selbs nicht anders als einen irrthum bey ihnen erkennen/
und diejenigen ursachen vor augen sehen/ die gleichwol nicht gering/ sondern
capabel sind/ einem vieles bedencken in der sache zu machen. Dieses ist meine
wenige meinung in dieser sache/ welche ich hiemit freundlich berichten sollen/
dabey den grundgütigen Gott demüthig anflehe/ der so wol die gantze sach also
dirigiren wolle/ daß sie mit wenigstem anstoß der gewissen oder ärgernüß der
gemeinde zu ende gehe/ auch unsere unwissenheit vergebe/ und die hertzen fest
mache/ welches köstlich ist und durch die gnade geschihet. Er wolle auch mei-
nen werthesten amts-bruder in solchem besondern anligen mit dem liecht sei-
nes Heiligen Geistes und krafft desselben erfüllen/ zu thun und auszurich-
ten/ was den gewissen zu ihrer reinigung und beruhigung das diensamste
ist.

SECTIO IX.
Von der ehe mit des vorigen weibes tochter.

DEn vorgelegten casum von Andrea, der Annam Sophiam seines vori-
gen weibes leibliche tochter geheyrathet hat/ anlangend/ bin ich recht
darüber erschrocken/ daß eine solche that dieser lande vorgegangen seyn
solle. Weilen nun gedachter grad nicht nur austrücklich in GOttes wort
verboten/ und gar die auff und absteigende linie in der schwägerschafft be-
trifft/ hat nicht nur die Obrigkeit solches zu geschehen nicht zulassen oder di-
spensi
ren können/ sondern sie können auch nicht beysammen leben; denn ob
wol unsere Lehrer zimlichen theils davor halten/ wo eine ehe in denen
im göttlichen recht verbotenen graden gleichwol vollzogen/ und mit der ein-
segnung bekräfftiget worden/ daß man sie darnach beysammen lassen müsse/
und quod rectum non fuit, ratum tamen fiat (wo ich nicht leugne/ daß gleich-
wol andere wieder anderer meinung sind/ und also solche wiederum dissolvi-
ret haben wollen) werden doch stets diejenige/ welche in die absteigende linie
geheyrathet; darvon ausgeschlossen/ und dero separation vor nothwendig
gehalten/ wie zu sehen bey Carpzov. Jurispr. Consist. 2. 6. 99. 12. Daher die-
se beyde elende leute wahrhafftig ausser der ehe/ indem ihre ehe niemal gül-
tig gewesen/ oder werden können/ leben/ folglich in lauter sünde/ dero sie oh-
ne von einander wiederum abzulassen/ nicht loß werden mögen. Weswegen
ihnen die sacra nicht administriret oder zugelassen werden können/ sondern es
muß ihnen vielmehr ihr gefährlicher stand gewiesen/ und ihren gewissen auff
andere art geholffen werden. So hat eine christliche Obrigkeit billig hierauff
auch einsehen zu haben/ und ihr amt/ zu abthuung solches ärgernüsses/ nach-
trücklich/ damit sie wieder abgesondert werden/ anzuwenden. 1688.

SECTIO
A a a a 2

SECTIO IX.
obſtinatum, da wir ſelbs nicht anders als einen irrthum bey ihnen erkennen/
und diejenigen urſachen vor augen ſehen/ die gleichwol nicht gering/ ſondern
capabel ſind/ einem vieles bedencken in der ſache zu machen. Dieſes iſt meine
wenige meinung in dieſer ſache/ welche ich hiemit freundlich berichten ſollen/
dabey den grundguͤtigẽ Gott demuͤthig anflehe/ der ſo wol die gantze ſach alſo
dirigiren wolle/ daß ſie mit wenigſtem anſtoß der gewiſſen oder aͤrgernuͤß der
gemeinde zu ende gehe/ auch unſere unwiſſenheit vergebe/ und die hertzen feſt
mache/ welches koͤſtlich iſt und durch die gnade geſchihet. Er wolle auch mei-
nen wertheſten amts-bruder in ſolchem beſondern anligen mit dem liecht ſei-
nes Heiligen Geiſtes und krafft deſſelben erfuͤllen/ zu thun und auszurich-
ten/ was den gewiſſen zu ihrer reinigung und beruhigung das dienſamſte
iſt.

SECTIO IX.
Von der ehe mit des vorigen weibes tochter.

DEn vorgelegten caſum von Andrea, der Annam Sophiam ſeines vori-
gen weibes leibliche tochter geheyrathet hat/ anlangend/ bin ich recht
daruͤber erſchrocken/ daß eine ſolche that dieſer lande vorgegangen ſeyn
ſolle. Weilen nun gedachter grad nicht nur austruͤcklich in GOttes wort
verboten/ und gar die auff und abſteigende linie in der ſchwaͤgerſchafft be-
trifft/ hat nicht nur die Obrigkeit ſolches zu geſchehen nicht zulaſſen oder di-
ſpenſi
ren koͤnnen/ ſondern ſie koͤnnen auch nicht beyſammen leben; denn ob
wol unſere Lehrer zimlichen theils davor halten/ wo eine ehe in denen
im goͤttlichen recht verbotenen graden gleichwol vollzogen/ und mit der ein-
ſegnung bekraͤfftiget worden/ daß man ſie darnach beyſammen laſſen muͤſſe/
und quod rectum non fuit, ratum tamen fiat (wo ich nicht leugne/ daß gleich-
wol andere wieder anderer meinung ſind/ und alſo ſolche wiederum diſſolvi-
ret haben wollen) werden doch ſtets diejenige/ welche in die abſteigende linie
geheyrathet; darvon ausgeſchloſſen/ und dero ſeparation vor nothwendig
gehalten/ wie zu ſehen bey Carpzov. Jurispr. Conſiſt. 2. 6. 99. 12. Daher die-
ſe beyde elende leute wahrhafftig auſſer der ehe/ indem ihre ehe niemal guͤl-
tig geweſen/ oder werden koͤnnen/ leben/ folglich in lauter ſuͤnde/ dero ſie oh-
ne von einander wiederum abzulaſſen/ nicht loß werden moͤgen. Weswegen
ihnen die ſacra nicht adminiſtriret oder zugelaſſen werden koͤnnen/ ſondern es
muß ihnen vielmehr ihr gefaͤhrlicher ſtand gewieſen/ und ihren gewiſſen auff
andere art geholffen werden. So hat eine chriſtliche Obrigkeit billig hierauff
auch einſehen zu haben/ und ihr amt/ zu abthuung ſolches aͤrgernuͤſſes/ nach-
truͤcklich/ damit ſie wieder abgeſondert werden/ anzuwenden. 1688.

SECTIO
A a a a 2
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[555/0563] SECTIO IX. obſtinatum, da wir ſelbs nicht anders als einen irrthum bey ihnen erkennen/ und diejenigen urſachen vor augen ſehen/ die gleichwol nicht gering/ ſondern capabel ſind/ einem vieles bedencken in der ſache zu machen. Dieſes iſt meine wenige meinung in dieſer ſache/ welche ich hiemit freundlich berichten ſollen/ dabey den grundguͤtigẽ Gott demuͤthig anflehe/ der ſo wol die gantze ſach alſo dirigiren wolle/ daß ſie mit wenigſtem anſtoß der gewiſſen oder aͤrgernuͤß der gemeinde zu ende gehe/ auch unſere unwiſſenheit vergebe/ und die hertzen feſt mache/ welches koͤſtlich iſt und durch die gnade geſchihet. Er wolle auch mei- nen wertheſten amts-bruder in ſolchem beſondern anligen mit dem liecht ſei- nes Heiligen Geiſtes und krafft deſſelben erfuͤllen/ zu thun und auszurich- ten/ was den gewiſſen zu ihrer reinigung und beruhigung das dienſamſte iſt. SECTIO IX. Von der ehe mit des vorigen weibes tochter. DEn vorgelegten caſum von Andrea, der Annam Sophiam ſeines vori- gen weibes leibliche tochter geheyrathet hat/ anlangend/ bin ich recht daruͤber erſchrocken/ daß eine ſolche that dieſer lande vorgegangen ſeyn ſolle. Weilen nun gedachter grad nicht nur austruͤcklich in GOttes wort verboten/ und gar die auff und abſteigende linie in der ſchwaͤgerſchafft be- trifft/ hat nicht nur die Obrigkeit ſolches zu geſchehen nicht zulaſſen oder di- ſpenſiren koͤnnen/ ſondern ſie koͤnnen auch nicht beyſammen leben; denn ob wol unſere Lehrer zimlichen theils davor halten/ wo eine ehe in denen im goͤttlichen recht verbotenen graden gleichwol vollzogen/ und mit der ein- ſegnung bekraͤfftiget worden/ daß man ſie darnach beyſammen laſſen muͤſſe/ und quod rectum non fuit, ratum tamen fiat (wo ich nicht leugne/ daß gleich- wol andere wieder anderer meinung ſind/ und alſo ſolche wiederum diſſolvi- ret haben wollen) werden doch ſtets diejenige/ welche in die abſteigende linie geheyrathet; darvon ausgeſchloſſen/ und dero ſeparation vor nothwendig gehalten/ wie zu ſehen bey Carpzov. Jurispr. Conſiſt. 2. 6. 99. 12. Daher die- ſe beyde elende leute wahrhafftig auſſer der ehe/ indem ihre ehe niemal guͤl- tig geweſen/ oder werden koͤnnen/ leben/ folglich in lauter ſuͤnde/ dero ſie oh- ne von einander wiederum abzulaſſen/ nicht loß werden moͤgen. Weswegen ihnen die ſacra nicht adminiſtriret oder zugelaſſen werden koͤnnen/ ſondern es muß ihnen vielmehr ihr gefaͤhrlicher ſtand gewieſen/ und ihren gewiſſen auff andere art geholffen werden. So hat eine chriſtliche Obrigkeit billig hierauff auch einſehen zu haben/ und ihr amt/ zu abthuung ſolches aͤrgernuͤſſes/ nach- truͤcklich/ damit ſie wieder abgeſondert werden/ anzuwenden. 1688. SECTIO A a a a 2

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/563>, abgerufen am 22.11.2024.