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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO XV.
sich darüber gegrämet und geängstet? 4. Ob etwa seither hoffnung zu ei-
nem andern verträglichern heyrath angeschienen/ so ihr ein taedium prioris
sponsi
machen können. 5. Ob sie nicht anders her bereits als von demselben
ignoto gehöret/ oder hören können/ daß Titius ein ehebrecher/ trunckenbold
etc. sey? 6. Ob sie vielleicht vorher bey jemand sich etwas klagend hätte ver-
lauten lassen? 7. Wie die eltern in jetzigem zustand der sache gesinnet sind?
8. Ob die aversatio bey ihr continuirlich/ oder anders/ nachdem leute bey ihr
seyn? 9. Ob sie/ wo die sache zu weiterer inquisition kommen möchte/ sonder-
lich daeinige bedrohung gebrauchet würden/ in der erzehlung und dero um-
ständen variabel befunden würde? und was dergleichen dinge mehr sind/
daraus judex sagax oder wer damit zu thun hat/ eine starcke verwirte melan-
choliam
oder hingegen boßheit abnehmen oder hingegen von glaubwürdig-
keit ihrer deposition bekräfftigt werden möchte?

Praesupposito aber/ daß sich die sache/ wie sie vorgibt/ verhalte/ so folgen
die vorgelegte fragen:

1. Ob aus denen argumentis eines fremden kerls/ den man niemal
gesehen/ gekennet/ der keinen nahmen von sich gegeben/ keines
herkommens gedacht/ und ausgesaget/ daß er
Titium kenne/
und wisse/ daß er ein ehebrecher/ und
Semproniam heimlicher
weise abholen wolle/ zu schliessen/ daß der teuffel in angenomme-
ner menschlichen gestalt/ der gewesen/ deme
Sempronia das an-
dre mal die ehe zugesaget?

HJerauf antworte mit nein. Ob zwahr kein zweiffel nicht ist/ daß der
satan zu weilen in menschlicher gestalt erscheine/ und wir nicht alle davon
hin und wieder anfindliche exempel vor falsch und fabelhafft achten wollen/
so bleibet doch dieses gewiß/ daß solche erscheinungen seltzamer/ als der ge-
meine hauffe gedencket; auch deßwegen ob dieses oder jenes eine teufflische
erscheinung gewesen/ ad affirmativam nicht wird zu gehen seyn/ so lange
nicht durch argumenta stringentia solches erwiesen wird/ und also so lange
noch müglich gewesen/ daß dieses und jenes daraus mans schließen will auch
ohne solche erscheinung möglicher weise hat geschehen können. Gleichwie
wir billig so lange auch kein miraculum glauben/ als die noth solches nicht
erfordert/ wo nemlich die sache nicht natürlich geschehen hatkönnen. Nun
ist nichts leichters/ als daß ein arger gesell/ der entweder Semproniam (ob
sie wohl ihn nicht) gekant/ vielleicht Titio feind gewesen/ und ihm eines an-
zu machen begehret/ oder auch der nichtes von ihnen gewust/ sondern aus
lauter muthwillen/ da Sempronia allein auf der heide war/ gelegenheit zu

ihr

SECTIO XV.
ſich daruͤber gegraͤmet und geaͤngſtet? 4. Ob etwa ſeither hoffnung zu ei-
nem andern vertraͤglichern heyrath angeſchienen/ ſo ihr ein tædium prioris
ſponſi
machen koͤnnen. 5. Ob ſie nicht anders her bereits als von demſelben
ignoto gehoͤret/ oder hoͤren koͤnnen/ daß Titius ein ehebrecher/ trunckenbold
ꝛc. ſey? 6. Ob ſie vielleicht vorher bey jemand ſich etwas klagend haͤtte ver-
lauten laſſen? 7. Wie die eltern in jetzigem zuſtand der ſache geſinnet ſind?
8. Ob die averſatio bey ihr continuirlich/ oder anders/ nachdem leute bey ihr
ſeyn? 9. Ob ſie/ wo die ſache zu weiterer inquiſition kommen moͤchte/ ſonder-
lich daeinige bedrohung gebrauchet wuͤrden/ in der erzehlung und dero um-
ſtaͤnden variabel befunden wuͤrde? und was dergleichen dinge mehr ſind/
daraus judex ſagax oder wer damit zu thun hat/ eine ſtarcke verwirte melan-
choliam
oder hingegen boßheit abnehmen oder hingegen von glaubwuͤrdig-
keit ihrer depoſition bekraͤfftigt werden moͤchte?

Præſuppoſito aber/ daß ſich die ſache/ wie ſie vorgibt/ verhalte/ ſo folgen
die vorgelegte fragen:

1. Ob aus denen argumentis eines fremden kerls/ den man niemal
geſehen/ gekennet/ der keinen nahmen von ſich gegeben/ keines
herkommens gedacht/ und ausgeſaget/ daß er
Titium kenne/
und wiſſe/ daß er ein ehebrecher/ und
Semproniam heimlicher
weiſe abholen wolle/ zu ſchlieſſen/ daß der teuffel in angenomme-
ner menſchlichen geſtalt/ der geweſen/ deme
Sempronia das an-
dre mal die ehe zugeſaget?

HJerauf antworte mit nein. Ob zwahr kein zweiffel nicht iſt/ daß der
ſatan zu weilen in menſchlicher geſtalt erſcheine/ und wir nicht alle davon
hin und wieder anfindliche exempel vor falſch und fabelhafft achten wollen/
ſo bleibet doch dieſes gewiß/ daß ſolche erſcheinungen ſeltzamer/ als der ge-
meine hauffe gedencket; auch deßwegen ob dieſes oder jenes eine teuffliſche
erſcheinung geweſen/ ad affirmativam nicht wird zu gehen ſeyn/ ſo lange
nicht durch argumenta ſtringentia ſolches erwieſen wird/ und alſo ſo lange
noch muͤglich geweſen/ daß dieſes und jenes daraus mans ſchließen will auch
ohne ſolche erſcheinung moͤglicher weiſe hat geſchehen koͤnnen. Gleichwie
wir billig ſo lange auch kein miraculum glauben/ als die noth ſolches nicht
erfordert/ wo nemlich die ſache nicht natuͤrlich geſchehen hatkoͤnnen. Nun
iſt nichts leichters/ als daß ein arger geſell/ der entweder Semproniam (ob
ſie wohl ihn nicht) gekant/ vielleicht Titio feind geweſen/ und ihm eines an-
zu machen begehret/ oder auch der nichtes von ihnen gewuſt/ ſondern aus
lauter muthwillen/ da Sempronia allein auf der heide war/ gelegenheit zu

ihr
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[591/0599] SECTIO XV. ſich daruͤber gegraͤmet und geaͤngſtet? 4. Ob etwa ſeither hoffnung zu ei- nem andern vertraͤglichern heyrath angeſchienen/ ſo ihr ein tædium prioris ſponſi machen koͤnnen. 5. Ob ſie nicht anders her bereits als von demſelben ignoto gehoͤret/ oder hoͤren koͤnnen/ daß Titius ein ehebrecher/ trunckenbold ꝛc. ſey? 6. Ob ſie vielleicht vorher bey jemand ſich etwas klagend haͤtte ver- lauten laſſen? 7. Wie die eltern in jetzigem zuſtand der ſache geſinnet ſind? 8. Ob die averſatio bey ihr continuirlich/ oder anders/ nachdem leute bey ihr ſeyn? 9. Ob ſie/ wo die ſache zu weiterer inquiſition kommen moͤchte/ ſonder- lich daeinige bedrohung gebrauchet wuͤrden/ in der erzehlung und dero um- ſtaͤnden variabel befunden wuͤrde? und was dergleichen dinge mehr ſind/ daraus judex ſagax oder wer damit zu thun hat/ eine ſtarcke verwirte melan- choliam oder hingegen boßheit abnehmen oder hingegen von glaubwuͤrdig- keit ihrer depoſition bekraͤfftigt werden moͤchte? Præſuppoſito aber/ daß ſich die ſache/ wie ſie vorgibt/ verhalte/ ſo folgen die vorgelegte fragen: 1. Ob aus denen argumentis eines fremden kerls/ den man niemal geſehen/ gekennet/ der keinen nahmen von ſich gegeben/ keines herkommens gedacht/ und ausgeſaget/ daß er Titium kenne/ und wiſſe/ daß er ein ehebrecher/ und Semproniam heimlicher weiſe abholen wolle/ zu ſchlieſſen/ daß der teuffel in angenomme- ner menſchlichen geſtalt/ der geweſen/ deme Sempronia das an- dre mal die ehe zugeſaget? HJerauf antworte mit nein. Ob zwahr kein zweiffel nicht iſt/ daß der ſatan zu weilen in menſchlicher geſtalt erſcheine/ und wir nicht alle davon hin und wieder anfindliche exempel vor falſch und fabelhafft achten wollen/ ſo bleibet doch dieſes gewiß/ daß ſolche erſcheinungen ſeltzamer/ als der ge- meine hauffe gedencket; auch deßwegen ob dieſes oder jenes eine teuffliſche erſcheinung geweſen/ ad affirmativam nicht wird zu gehen ſeyn/ ſo lange nicht durch argumenta ſtringentia ſolches erwieſen wird/ und alſo ſo lange noch muͤglich geweſen/ daß dieſes und jenes daraus mans ſchließen will auch ohne ſolche erſcheinung moͤglicher weiſe hat geſchehen koͤnnen. Gleichwie wir billig ſo lange auch kein miraculum glauben/ als die noth ſolches nicht erfordert/ wo nemlich die ſache nicht natuͤrlich geſchehen hatkoͤnnen. Nun iſt nichts leichters/ als daß ein arger geſell/ der entweder Semproniam (ob ſie wohl ihn nicht) gekant/ vielleicht Titio feind geweſen/ und ihm eines an- zu machen begehret/ oder auch der nichtes von ihnen gewuſt/ ſondern aus lauter muthwillen/ da Sempronia allein auf der heide war/ gelegenheit zu ihr

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/599>, abgerufen am 22.11.2024.