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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das vierdte Capitel.
3. Ob Livia dadurch wiederum macht bekommen zu hey-
rathen?

HJerauf antworte ich mit nein. Denn obwol das eheliche band durch
Verris heyrath gebrochen worden/ so gehörete doch/ daß Livia freyheit
wieder zu heyrathen bekäme/ mehr dazu. 1. Reden wir von dem gesetz und
foro exteriori, so wird die ehe nicht vor geschieden geachtet/ biß der richter-
liche ausspruch drüber geschehen/ welches nicht nur recht/ sondern gantz bil-
lig/ ja in menschlicher gesellschafft deswegen nöthig ist/ damit niemand
ihm selbs recht spreche/ welches wo es erlaubt wäre/ daß jemand in sei-
ner eignen sache richter zu seyn vermöchte/ viel ungelegenheit nach sich zie-
hen würde. Um so viel mehr/ weil auch die rechten nicht allezeit wegen
des ehebruchs (wo der andre theil auch gleiche schuld auff sich ligen hat)
die ehescheidung ergehen lassen/ sondern in gewissen fällen das zerrissene
band wieder auffs neue zu ergäntzen nöthigen. Daher auch hie nöthig ge-
wesen einer richterlichen untersuchung der sachen und ausspruchs. Re-
den wir aber 2. auch von dem gewissen und foro interiori ist eben
wol solche declaration von nöthen/ weil uns das gewissen aus-
trücklich dahin verbindet/ allen verordnungen der rechten/ die son-
derlich also billich sind/ zu gehorsamen/ und was also wider dieselbe ge-
schihet/ geschihet nicht ohne sünde. Weil also der richterliche ausspruch
Liviam nicht von Verre loßgesprochen/ halte davor daß Livia weder vor der
welt habe rechtmäßige freyheit zu heyrathen gehabt/ noch auch daß sie vor
GOTT ohne schwehre verletzung des gewissens habe wieder heyrathen
können.

4. Ob Liviae ehe mit Sulpitio rechtmäßig und gültig gewe-
sen?

HJevon hätte man ursach zu zweifeln: 1. weil in voriger frage erwiesen/
daß sie/ obwol Verres einen ehebruch begangen/ noch nicht macht mit
gutem gewissen zu heyrathen bekommen. 2. Weil sie damals päpstischer
religion zugethan gewesen/ nach dero principiis, daran sie gehalten/ auch
durch den ehebruch das eheliche band nicht zerrissen/ oder einigem theil zu
ander wärtiger heyrath erlaubnüß gegeben wird. Aber ohneracht solcher
ursachen zweifle nicht zu behaupten/ daß solche ehe zwahr nicht rechtmäßig/
aber doch gültig gewesen. Non rectum, sed tamen ratum. Es ist aber sol-
che distinction wol zu mercken. Rechtmäßig rectum) heißt/ was ich oh-
ne sünde mit gutem gewissen thun habe können. Gültig aber (ratum) daß

wo
Das vierdte Capitel.
3. Ob Livia dadurch wiederum macht bekommen zu hey-
rathen?

HJerauf antworte ich mit nein. Denn obwol das eheliche band durch
Verris heyrath gebrochen worden/ ſo gehoͤrete doch/ daß Livia freyheit
wieder zu heyrathen bekaͤme/ mehr dazu. 1. Reden wir von dem geſetz und
foro exteriori, ſo wird die ehe nicht vor geſchieden geachtet/ biß der richter-
liche ausſpruch druͤber geſchehen/ welches nicht nur recht/ ſondern gantz bil-
lig/ ja in menſchlicher geſellſchafft deswegen noͤthig iſt/ damit niemand
ihm ſelbs recht ſpreche/ welches wo es erlaubt waͤre/ daß jemand in ſei-
ner eignen ſache richter zu ſeyn vermoͤchte/ viel ungelegenheit nach ſich zie-
hen wuͤrde. Um ſo viel mehr/ weil auch die rechten nicht allezeit wegen
des ehebruchs (wo der andre theil auch gleiche ſchuld auff ſich ligen hat)
die eheſcheidung ergehen laſſen/ ſondern in gewiſſen faͤllen das zerriſſene
band wieder auffs neue zu ergaͤntzen noͤthigen. Daher auch hie noͤthig ge-
weſen einer richterlichen unterſuchung der ſachen und ausſpruchs. Re-
den wir aber 2. auch von dem gewiſſen und foro interiori iſt eben
wol ſolche declaration von noͤthen/ weil uns das gewiſſen aus-
truͤcklich dahin verbindet/ allen verordnungen der rechten/ die ſon-
derlich alſo billich ſind/ zu gehorſamen/ und was alſo wider dieſelbe ge-
ſchihet/ geſchihet nicht ohne ſuͤnde. Weil alſo der richterliche ausſpruch
Liviam nicht von Verre loßgeſprochen/ halte davor daß Livia weder vor der
welt habe rechtmaͤßige freyheit zu heyrathen gehabt/ noch auch daß ſie vor
GOTT ohne ſchwehre verletzung des gewiſſens habe wieder heyrathen
koͤnnen.

4. Ob Liviæ ehe mit Sulpitio rechtmaͤßig und guͤltig gewe-
ſen?

HJevon haͤtte man urſach zu zweifeln: 1. weil in voriger frage erwieſen/
daß ſie/ obwol Verres einen ehebruch begangen/ noch nicht macht mit
gutem gewiſſen zu heyrathen bekommen. 2. Weil ſie damals paͤpſtiſcher
religion zugethan geweſen/ nach dero principiis, daran ſie gehalten/ auch
durch den ehebruch das eheliche band nicht zerriſſen/ oder einigem theil zu
ander waͤrtiger heyrath erlaubnuͤß gegeben wird. Aber ohneracht ſolcher
urſachen zweifle nicht zu behaupten/ daß ſolche ehe zwahr nicht rechtmaͤßig/
aber doch guͤltig geweſen. Non rectum, ſed tamen ratum. Es iſt aber ſol-
che diſtinction wol zu mercken. Rechtmaͤßig rectum) heißt/ was ich oh-
ne ſuͤnde mit gutem gewiſſen thun habe koͤnnen. Guͤltig aber (ratum) daß

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[606/0614] Das vierdte Capitel. 3. Ob Livia dadurch wiederum macht bekommen zu hey- rathen? HJerauf antworte ich mit nein. Denn obwol das eheliche band durch Verris heyrath gebrochen worden/ ſo gehoͤrete doch/ daß Livia freyheit wieder zu heyrathen bekaͤme/ mehr dazu. 1. Reden wir von dem geſetz und foro exteriori, ſo wird die ehe nicht vor geſchieden geachtet/ biß der richter- liche ausſpruch druͤber geſchehen/ welches nicht nur recht/ ſondern gantz bil- lig/ ja in menſchlicher geſellſchafft deswegen noͤthig iſt/ damit niemand ihm ſelbs recht ſpreche/ welches wo es erlaubt waͤre/ daß jemand in ſei- ner eignen ſache richter zu ſeyn vermoͤchte/ viel ungelegenheit nach ſich zie- hen wuͤrde. Um ſo viel mehr/ weil auch die rechten nicht allezeit wegen des ehebruchs (wo der andre theil auch gleiche ſchuld auff ſich ligen hat) die eheſcheidung ergehen laſſen/ ſondern in gewiſſen faͤllen das zerriſſene band wieder auffs neue zu ergaͤntzen noͤthigen. Daher auch hie noͤthig ge- weſen einer richterlichen unterſuchung der ſachen und ausſpruchs. Re- den wir aber 2. auch von dem gewiſſen und foro interiori iſt eben wol ſolche declaration von noͤthen/ weil uns das gewiſſen aus- truͤcklich dahin verbindet/ allen verordnungen der rechten/ die ſon- derlich alſo billich ſind/ zu gehorſamen/ und was alſo wider dieſelbe ge- ſchihet/ geſchihet nicht ohne ſuͤnde. Weil alſo der richterliche ausſpruch Liviam nicht von Verre loßgeſprochen/ halte davor daß Livia weder vor der welt habe rechtmaͤßige freyheit zu heyrathen gehabt/ noch auch daß ſie vor GOTT ohne ſchwehre verletzung des gewiſſens habe wieder heyrathen koͤnnen. 4. Ob Liviæ ehe mit Sulpitio rechtmaͤßig und guͤltig gewe- ſen? HJevon haͤtte man urſach zu zweifeln: 1. weil in voriger frage erwieſen/ daß ſie/ obwol Verres einen ehebruch begangen/ noch nicht macht mit gutem gewiſſen zu heyrathen bekommen. 2. Weil ſie damals paͤpſtiſcher religion zugethan geweſen/ nach dero principiis, daran ſie gehalten/ auch durch den ehebruch das eheliche band nicht zerriſſen/ oder einigem theil zu ander waͤrtiger heyrath erlaubnuͤß gegeben wird. Aber ohneracht ſolcher urſachen zweifle nicht zu behaupten/ daß ſolche ehe zwahr nicht rechtmaͤßig/ aber doch guͤltig geweſen. Non rectum, ſed tamen ratum. Es iſt aber ſol- che diſtinction wol zu mercken. Rechtmaͤßig rectum) heißt/ was ich oh- ne ſuͤnde mit gutem gewiſſen thun habe koͤnnen. Guͤltig aber (ratum) daß wo

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/614>, abgerufen am 22.11.2024.