Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.ARTIC. II. SECTIO XIII. maaß zu dienen. Jnsgemein mögen nur diese haupt-regeln der prüfung we-gen in acht genommen werden: einstheils daß man nicht so oben hin darüber fahre/ und eitele einbildungen/ von denen man gar keine wircklichkeit zeigen kän/ vor göttliche gewisse wirckungen achte/ anderntheils daß man dasjenige/ was wegen glaubens und liebe erfordert wird/ nicht nach dem gesetz und dessen strenge examinire/ sondern sich der Evangelischen güte (oder wie GOtt sei- ner kinder hertzen und wercke urtheilet) erinnere/ und also mit ungeheuchel- ter auffrichtigkeit zu frieden seye/ nicht aber alle augen auff die vollkommen- heit richte. Sonst wo gegen das erste gesündiget wird/ gibets sicherheit/ aus dem andern fehler entstehet lauter angst und zagen/ ja ringen mit der ver- zweiffelung. Der HErr aber gebe uns nicht allein allen seinen uns nöthigen willen/ sondern nicht weniger unsern zustand vor seinem angesicht/ zu erken- nen/ daß wir in dem liecht seines Geistes 1. Cor. 2/ 12. was er uns geschen- cket hat/ mit gewißheit sehen/ woran es noch manglet/ wahrnehmen/ und auch solche mängel stets zu bessern in seiner krafft beflissen seyen. Jm übrigen ge- liebten Bruders eigenen zustand anlangend/ ob mir wol ausser dem brieff sonsten von ihm nichts bekant/ kan doch versichern/ daß nicht nur ich/ sondern auch zwey meiner vertrauten Collegen/ welchen des wegen den brieff gezeiget/ aus solchem schreiben keinen zweiffel gefunden/ die gnade GOttes in dem- selben kräfftig zu erkennen: die der himmlische Vater nicht allein erhalten/ sondern auch vermehren wolle. Jch komme nun auff die vorgestellte beschrei- bung des glaubens/ welche mir gefallen lasse/ nur daß die erlangung der ewi- gen seligkeit/ die durch den glauben geschicht/ nicht erst dereinst hinaus nach diesem leben verschieben lassen wolte/ der mit Christo/ Paulo und Luthero unsre seligkeit und ewiges leben bereits/ weil wir noch in dem fleisch sind/ an- zufangen und wahrhafftig besessen zu werden. Joh. 3/ 16. 36. Rom. 8/ 24. Tit. 3/ 5. 1. Joh. 5/ 11. 12. mich versichert halte: so dann in der erleuterung aus- geführet zu werden nöthig achte/ daß die änderung unsres sinnes nicht zu der form des glaubens/ sondern dessen wirckung gehöre: auch was vor ein unter- scheid seye/ unter den beyden früchten des glaubens/ die da sind die gerecht- und heiligmachung/ und veränderung des menschen: indem jene nicht eigen- lich eine wirckung ist/ indem der glaube die seligkeit nicht würcket/ sondern als ein geschenck annimmet (non active, sed passive, recipiendo donum) aber in der veränderung des menschen und wirckung der wercke und früchten der gerechtigkeit/ concurriret er durch eigenliche wirckung/ oder ist doch dasjeni- ge/ wodurch der H. Geist wircket. Ob im übrigen mein tractat, den ich von art des seligmachenden glaubens vor etlichen jahren heraus gegeben/ und noch eine kleine folge der glaubens-gerechtigkeit ist/ zu der materie ausfüh- rung D d d d d
ARTIC. II. SECTIO XIII. maaß zu dienen. Jnsgemein moͤgen nur dieſe haupt-regeln der pruͤfung we-gen in acht genommen werden: einstheils daß man nicht ſo oben hin daruͤber fahre/ und eitele einbildungen/ von denen man gar keine wircklichkeit zeigen kaͤn/ vor goͤttliche gewiſſe wirckungen achte/ anderntheils daß man dasjenige/ was wegen glaubens und liebe erfordeꝛt wiꝛd/ nicht nach dem geſetz und deſſen ſtrenge examinire/ ſondern ſich der Evangeliſchen guͤte (oder wie GOtt ſei- ner kinder hertzen und wercke urtheilet) erinnere/ und alſo mit ungeheuchel- ter auffrichtigkeit zu frieden ſeye/ nicht aber alle augen auff die vollkommen- heit richte. Sonſt wo gegen das erſte geſuͤndiget wird/ gibets ſicherheit/ aus dem andern fehler entſtehet lauter angſt und zagen/ ja ringen mit der ver- zweiffelung. Der HErr aber gebe uns nicht allein allen ſeinen uns noͤthigen willen/ ſondern nicht weniger unſern zuſtand vor ſeinem angeſicht/ zu erken- nen/ daß wir in dem liecht ſeines Geiſtes 1. Cor. 2/ 12. was er uns geſchen- cket hat/ mit gewißheit ſehen/ woran es noch manglet/ wahrnehmen/ und auch ſolche maͤngel ſtets zu beſſern in ſeiner krafft befliſſen ſeyen. Jm uͤbrigen ge- liebten Bruders eigenen zuſtand anlangend/ ob mir wol auſſer dem brieff ſonſten von ihm nichts bekant/ kan doch verſichern/ daß nicht nur ich/ ſondern auch zwey meiner vertrauten Collegen/ welchen des wegen den brieff gezeiget/ aus ſolchem ſchreiben keinen zweiffel gefunden/ die gnade GOttes in dem- ſelben kraͤfftig zu erkennen: die der himmliſche Vater nicht allein erhalten/ ſondern auch vermehren wolle. Jch komme nun auff die vorgeſtellte beſchrei- bung des glaubens/ welche mir gefallen laſſe/ nur daß die erlangung der ewi- gen ſeligkeit/ die durch den glauben geſchicht/ nicht erſt dereinſt hinaus nach dieſem leben verſchieben laſſen wolte/ der mit Chriſto/ Paulo und Luthero unſre ſeligkeit und ewiges leben bereits/ weil wir noch in dem fleiſch ſind/ an- zufangen und wahrhafftig beſeſſen zu werden. Joh. 3/ 16. 36. Rom. 8/ 24. Tit. 3/ 5. 1. Joh. 5/ 11. 12. mich verſichert halte: ſo dann in der erleuterung aus- gefuͤhret zu werden noͤthig achte/ daß die aͤnderung unſres ſinnes nicht zu der form des glaubens/ ſondern deſſen wirckung gehoͤre: auch was vor ein unter- ſcheid ſeye/ unter den beyden fruͤchten des glaubens/ die da ſind die gerecht- und heiligmachung/ und veraͤnderung des menſchen: indem jene nicht eigen- lich eine wirckung iſt/ indem der glaube die ſeligkeit nicht wuͤrcket/ ſondern als ein geſchenck annimmet (non activè, ſed paſſivè, recipiendo donum) aber in der veraͤnderung des menſchen und wirckung der wercke und fruͤchten der gerechtigkeit/ concurriret er durch eigenliche wirckung/ oder iſt doch dasjeni- ge/ wodurch der H. Geiſt wircket. Ob im uͤbrigen mein tractat, den ich von art des ſeligmachenden glaubens vor etlichen jahren heraus gegeben/ und noch eine kleine folge der glaubens-gerechtigkeit iſt/ zu der materie ausfuͤh- rung D d d d d
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ARTIC. II. SECTIO XIII.
maaß zu dienen. Jnsgemein moͤgen nur dieſe haupt-regeln der pruͤfung we-
gen in acht genommen werden: einstheils daß man nicht ſo oben hin daruͤber
fahre/ und eitele einbildungen/ von denen man gar keine wircklichkeit zeigen
kaͤn/ vor goͤttliche gewiſſe wirckungen achte/ anderntheils daß man dasjenige/
was wegen glaubens und liebe erfordeꝛt wiꝛd/ nicht nach dem geſetz und deſſen
ſtrenge examinire/ ſondern ſich der Evangeliſchen guͤte (oder wie GOtt ſei-
ner kinder hertzen und wercke urtheilet) erinnere/ und alſo mit ungeheuchel-
ter auffrichtigkeit zu frieden ſeye/ nicht aber alle augen auff die vollkommen-
heit richte. Sonſt wo gegen das erſte geſuͤndiget wird/ gibets ſicherheit/ aus
dem andern fehler entſtehet lauter angſt und zagen/ ja ringen mit der ver-
zweiffelung. Der HErr aber gebe uns nicht allein allen ſeinen uns noͤthigen
willen/ ſondern nicht weniger unſern zuſtand vor ſeinem angeſicht/ zu erken-
nen/ daß wir in dem liecht ſeines Geiſtes 1. Cor. 2/ 12. was er uns geſchen-
cket hat/ mit gewißheit ſehen/ woran es noch manglet/ wahrnehmen/ und auch
ſolche maͤngel ſtets zu beſſern in ſeiner krafft befliſſen ſeyen. Jm uͤbrigen ge-
liebten Bruders eigenen zuſtand anlangend/ ob mir wol auſſer dem brieff
ſonſten von ihm nichts bekant/ kan doch verſichern/ daß nicht nur ich/ ſondern
auch zwey meiner vertrauten Collegen/ welchen des wegen den brieff gezeiget/
aus ſolchem ſchreiben keinen zweiffel gefunden/ die gnade GOttes in dem-
ſelben kraͤfftig zu erkennen: die der himmliſche Vater nicht allein erhalten/
ſondern auch vermehren wolle. Jch komme nun auff die vorgeſtellte beſchrei-
bung des glaubens/ welche mir gefallen laſſe/ nur daß die erlangung der ewi-
gen ſeligkeit/ die durch den glauben geſchicht/ nicht erſt dereinſt hinaus nach
dieſem leben verſchieben laſſen wolte/ der mit Chriſto/ Paulo und Luthero
unſre ſeligkeit und ewiges leben bereits/ weil wir noch in dem fleiſch ſind/ an-
zufangen und wahrhafftig beſeſſen zu werden. Joh. 3/ 16. 36. Rom. 8/ 24.
Tit. 3/ 5. 1. Joh. 5/ 11. 12. mich verſichert halte: ſo dann in der erleuterung aus-
gefuͤhret zu werden noͤthig achte/ daß die aͤnderung unſres ſinnes nicht zu der
form des glaubens/ ſondern deſſen wirckung gehoͤre: auch was vor ein unter-
ſcheid ſeye/ unter den beyden fruͤchten des glaubens/ die da ſind die gerecht-
und heiligmachung/ und veraͤnderung des menſchen: indem jene nicht eigen-
lich eine wirckung iſt/ indem der glaube die ſeligkeit nicht wuͤrcket/ ſondern
als ein geſchenck annimmet (non activè, ſed paſſivè, recipiendo donum) aber
in der veraͤnderung des menſchen und wirckung der wercke und fruͤchten der
gerechtigkeit/ concurriret er durch eigenliche wirckung/ oder iſt doch dasjeni-
ge/ wodurch der H. Geiſt wircket. Ob im uͤbrigen mein tractat, den ich von
art des ſeligmachenden glaubens vor etlichen jahren heraus gegeben/ und
noch eine kleine folge der glaubens-gerechtigkeit iſt/ zu der materie ausfuͤh-
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