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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XX.
entweder wohl oder übel ihre verrichtung thun können/ so kans nicht fehlen/ daß
nicht dergleichen leuten nachmal schwehr werden solte/ auch dasjenige/ was in
dem geistlichen deroselben natürlichen inclination entgegen ist/ (zum exempel/ ein
schwehrmüthiger den trost und dasjenige/ was ihn zur freude auffmuntern solte)
zu fassen. Ja bey solchen leuten/ wo nun die natur dahin gekommen/ daß sie voller
angsthafftigkeit/ zagen und schwehrmuth stecket/ da muß solche ihre inclination
gemeiniglich etwas haben/ darinnen sie sich martere. Also sehen wir/ daß bey
solchen/ die ihr Christenthum ihnen nicht sonderlich haben lassen angelegen seyn/
gemeiniglich sich die ängsten zeigen werden in bauch-sorge/ angst und furcht we-
gen des zeitlichen/ daher sie leicht gar verzweiffeln/ oder doch solche ihre sündliche
zuneigung und habitus des geistes ihre stete marter und qvaal ist. Hingegen bey
gottseligen hertzen ergreifft die natürl. schwehrmuth so bald dasjenige objectum,
damit sie sonsten meistens umbgangen oder es ihnen vor andern angelegen gewesen
war/ nemlich die geistliche/ da will kein trost also mehr hafften/ daß man nemlich
denselben fühlen könte. Daß demnach solche zustände vermischt sind/ und
etwas geist- und übriges leibliches in sich haben. Weil aber solche geistliche an-
fechtung gewiß sehr viel gutes in den seelen wircket/ wo man göttlichem rath dabey
platz gibt/ so zweiffle nicht/ daß GOtt/ der uns schaffet in mutterleib/ einer seele/ wel-
cher er nach seiner heiligen vorsehung ein solches leiden vor nöthig erkennet/ eben auch
einen solchen leib und temperament gibet/ darinnen sie zu solchem creutz bereits
die disposition müssen auff die welt bringen. Jndessen ist nachmal eine ziem-
liche vermuthung/ wo das leibliche zum grunde liget/ welches sich natürlicher weise/
sonderlich wo das übel so tieff eingesessen/ nicht leicht mehr ändert oder gar weg-
gehet/ daß GOtt einem solchen menschen die plage auf sein lebetag zu tragen nö-
thig besunden/ und dermassen zugeschickt habe/ wiewol ichs nur eine vermuthung
nenne/ den GOtt zuweilen zeiget/ wie er auch wider und über die natur seine all-
mächtige krafft erweisen könne/ und sich an die natur/ die seine ordnung und ge-
schöpff ist/ nicht selbst gebunden habe. Daher wir an solchen geängsteten nicht
nachlassen sollen nach vermögen zu arbeiten/ ob wir wol der gäntzlichen befreyung
keine versicherte hoffnung haben/ ob der HErr vielleicht etwas sonderbares an ihnen
thun/ und unser werck dazu segnen wolte; aufs wenigste/ daß doch solchen lieben
leuten einige erleichterung erlangt/ und sie stets zur gedult unter Gottes zucht-hand
und kindlicher gelassenheit (die die vornehmste erleichterung der last ist) gebracht
und darinnen erhalten werden möchten. Wird also der HErr sehr wol und Christ-
lich thun/ wo er continuiren wird/ mit gleicher liebe sich dieses betrübten bru-
ders anzunehmen/ und nach der empfangenen göttlichen gnade und eigener creu-
tzes-erfahrung ihm zu weilen zu zusprechen. Ja es wird auch dieses ein stück der

schul-
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ARTIC. II. SECTIO XX.
entweder wohl oder uͤbel ihre verrichtung thun koͤnnen/ ſo kans nicht fehlen/ daß
nicht dergleichen leuten nachmal ſchwehr werden ſolte/ auch dasjenige/ was in
dem geiſtlichen deroſelben natuͤrlichen inclination entgegen iſt/ (zum exempel/ ein
ſchwehrmuͤthiger den troſt und dasjenige/ was ihn zur freude auffmuntern ſolte)
zu faſſen. Ja bey ſolchen leuten/ wo nun die natur dahin gekommen/ daß ſie voller
angſthafftigkeit/ zagen und ſchwehrmuth ſtecket/ da muß ſolche ihre inclination
gemeiniglich etwas haben/ darinnen ſie ſich martere. Alſo ſehen wir/ daß bey
ſolchen/ die ihr Chriſtenthum ihnen nicht ſonderlich haben laſſen angelegen ſeyn/
gemeiniglich ſich die aͤngſten zeigen werden in bauch-ſorge/ angſt und furcht we-
gen des zeitlichen/ daher ſie leicht gar verzweiffeln/ oder doch ſolche ihre ſuͤndliche
zuneigung und habitus des geiſtes ihre ſtete marter und qvaal iſt. Hingegen bey
gottſeligen hertzen ergreifft die natuͤrl. ſchwehrmuth ſo bald dasjenige objectum,
damit ſie ſonſten meiſtens umbgangen oder es ihnen vor andern angelegen geweſen
war/ nemlich die geiſtliche/ da will kein troſt alſo mehr hafften/ daß man nemlich
denſelben fuͤhlen koͤnte. Daß demnach ſolche zuſtaͤnde vermiſcht ſind/ und
etwas geiſt- und uͤbriges leibliches in ſich haben. Weil aber ſolche geiſtliche an-
fechtung gewiß ſehr viel gutes in den ſeelen wircket/ wo man goͤttlichem rath dabey
platz gibt/ ſo zweiffle nicht/ daß GOtt/ der uns ſchaffet in mutterleib/ einer ſeele/ wel-
cher er nach ſeiner heiligen vorſehung ein ſolches leiden vor noͤthig erkennet/ eben auch
einen ſolchen leib und temperament gibet/ darinnen ſie zu ſolchem creutz bereits
die diſpoſition muͤſſen auff die welt bringen. Jndeſſen iſt nachmal eine ziem-
liche vermuthung/ wo das leibliche zum grunde liget/ welches ſich natuͤrlicher weiſe/
ſonderlich wo das uͤbel ſo tieff eingeſeſſen/ nicht leicht mehr aͤndert oder gar weg-
gehet/ daß GOtt einem ſolchen menſchen die plage auf ſein lebetag zu tragen noͤ-
thig beſunden/ und dermaſſen zugeſchickt habe/ wiewol ichs nur eine vermuthung
nenne/ den GOtt zuweilen zeiget/ wie er auch wider und uͤber die natur ſeine all-
maͤchtige krafft erweiſen koͤnne/ und ſich an die natur/ die ſeine ordnung und ge-
ſchoͤpff iſt/ nicht ſelbſt gebunden habe. Daher wir an ſolchen geaͤngſteten nicht
nachlaſſen ſollen nach vermoͤgen zu arbeiten/ ob wir wol der gaͤntzlichen befreyung
keine verſicherte hoffnung haben/ ob der HErr vielleicht etwas ſonderbares an ihnen
thun/ und unſer werck dazu ſegnen wolte; aufs wenigſte/ daß doch ſolchen lieben
leuten einige erleichterung erlangt/ und ſie ſtets zur gedult unter Gottes zucht-hand
und kindlicher gelaſſenheit (die die vornehmſte erleichterung der laſt iſt) gebracht
und darinnen erhalten werden moͤchten. Wird alſo der HErr ſehr wol und Chriſt-
lich thun/ wo er continuiren wird/ mit gleicher liebe ſich dieſes betruͤbten bru-
ders anzunehmen/ und nach der empfangenen goͤttlichen gnade und eigener creu-
tzes-erfahrung ihm zu weilen zu zuſprechen. Ja es wird auch dieſes ein ſtuͤck der

ſchul-
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[779/0787] ARTIC. II. SECTIO XX. entweder wohl oder uͤbel ihre verrichtung thun koͤnnen/ ſo kans nicht fehlen/ daß nicht dergleichen leuten nachmal ſchwehr werden ſolte/ auch dasjenige/ was in dem geiſtlichen deroſelben natuͤrlichen inclination entgegen iſt/ (zum exempel/ ein ſchwehrmuͤthiger den troſt und dasjenige/ was ihn zur freude auffmuntern ſolte) zu faſſen. Ja bey ſolchen leuten/ wo nun die natur dahin gekommen/ daß ſie voller angſthafftigkeit/ zagen und ſchwehrmuth ſtecket/ da muß ſolche ihre inclination gemeiniglich etwas haben/ darinnen ſie ſich martere. Alſo ſehen wir/ daß bey ſolchen/ die ihr Chriſtenthum ihnen nicht ſonderlich haben laſſen angelegen ſeyn/ gemeiniglich ſich die aͤngſten zeigen werden in bauch-ſorge/ angſt und furcht we- gen des zeitlichen/ daher ſie leicht gar verzweiffeln/ oder doch ſolche ihre ſuͤndliche zuneigung und habitus des geiſtes ihre ſtete marter und qvaal iſt. Hingegen bey gottſeligen hertzen ergreifft die natuͤrl. ſchwehrmuth ſo bald dasjenige objectum, damit ſie ſonſten meiſtens umbgangen oder es ihnen vor andern angelegen geweſen war/ nemlich die geiſtliche/ da will kein troſt alſo mehr hafften/ daß man nemlich denſelben fuͤhlen koͤnte. Daß demnach ſolche zuſtaͤnde vermiſcht ſind/ und etwas geiſt- und uͤbriges leibliches in ſich haben. Weil aber ſolche geiſtliche an- fechtung gewiß ſehr viel gutes in den ſeelen wircket/ wo man goͤttlichem rath dabey platz gibt/ ſo zweiffle nicht/ daß GOtt/ der uns ſchaffet in mutterleib/ einer ſeele/ wel- cher er nach ſeiner heiligen vorſehung ein ſolches leiden vor noͤthig erkennet/ eben auch einen ſolchen leib und temperament gibet/ darinnen ſie zu ſolchem creutz bereits die diſpoſition muͤſſen auff die welt bringen. Jndeſſen iſt nachmal eine ziem- liche vermuthung/ wo das leibliche zum grunde liget/ welches ſich natuͤrlicher weiſe/ ſonderlich wo das uͤbel ſo tieff eingeſeſſen/ nicht leicht mehr aͤndert oder gar weg- gehet/ daß GOtt einem ſolchen menſchen die plage auf ſein lebetag zu tragen noͤ- thig beſunden/ und dermaſſen zugeſchickt habe/ wiewol ichs nur eine vermuthung nenne/ den GOtt zuweilen zeiget/ wie er auch wider und uͤber die natur ſeine all- maͤchtige krafft erweiſen koͤnne/ und ſich an die natur/ die ſeine ordnung und ge- ſchoͤpff iſt/ nicht ſelbſt gebunden habe. Daher wir an ſolchen geaͤngſteten nicht nachlaſſen ſollen nach vermoͤgen zu arbeiten/ ob wir wol der gaͤntzlichen befreyung keine verſicherte hoffnung haben/ ob der HErr vielleicht etwas ſonderbares an ihnen thun/ und unſer werck dazu ſegnen wolte; aufs wenigſte/ daß doch ſolchen lieben leuten einige erleichterung erlangt/ und ſie ſtets zur gedult unter Gottes zucht-hand und kindlicher gelaſſenheit (die die vornehmſte erleichterung der laſt iſt) gebracht und darinnen erhalten werden moͤchten. Wird alſo der HErr ſehr wol und Chriſt- lich thun/ wo er continuiren wird/ mit gleicher liebe ſich dieſes betruͤbten bru- ders anzunehmen/ und nach der empfangenen goͤttlichen gnade und eigener creu- tzes-erfahrung ihm zu weilen zu zuſprechen. Ja es wird auch dieſes ein ſtuͤck der ſchul- F f f f f 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 779. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/787>, abgerufen am 22.11.2024.