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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
mal dazu gibet/ zu treiben und der gemeine GOTTES vorzutragen mich
befleißige. Solche lehre aber ist an sich so bewandt/ daß sie trost und freude in
sich fasset/ und aus ihrer natur an sich selbs sie zu wircken tüchtig ist. Jn-
dessen findet sich nicht bey allen/ daß diese empfindliche freudigkeit auff solcher
lehre anhörung und betrachtung folge/ als wozu mehr als die lehre selbs kommen
muß. Die sache nun etwa gründlicher zuerwegen/ haben wir wol in acht zuneh-
men/ daß zwahr ein einiger weg zur seeligkeit seye/ nemlich der glaube an Chri-
stum JEsum und sein theuers verdienst/ darinnen wir der gnade GOttes und al-
les heyls theilhafftig werden. Aber es sind so zu reden einige besondere pfäde
auff diesem einigen wege/ das ist/ die arten GOTTES/ wie er die seinigen
auff solchen wegen zu dem glauben und in dem glauben führet/ sind nicht
gantz einerley/ sondern GOTT nach seiner weißheit führet jeglichen auf die art/
welche er an ihm zu seinen ehren und des menschen heyl jedesmal am dienstlich-
sten erkennet/ dessen unterscheids wir vielleicht bißweilen bey etzlichen die ursachen
erkennen können/ bey andern aber/ oder in andern stücken/ mags uns wol verbor-
gen/ und unter den schätzen der göttlichen weißheit/ die wir erst in jenem leben er-
sehen/ und darinnen ein grosses stück unserer seligkeit erkennen sollen/ verdecket
bleiben. Dahin gehöret/ daß er einige in vielen freuden und empfindlichem trost
führet/ so gleichsam immerfort in einem liechte wandeln; andere aber führet er
gleichsam in lauter finsternüß/ traurigkeit und ängsten; gleichwol beyde an sei-
ner hand/ und endlich zu einem zweck. Daß beyderley die wege Gottes seyen/
sehen wir offenbahrlich an sehr vielen exempeln/ da ein mensch zuweilen in der
tieffsten angst-hölen ligen/ und über nichts als unglauben und verlassung klagen
muß/ der etwa zu andern zeiten und malen auch eine himmlische süßigkeit geschme-
cket hat/ oder schmecken wird. Wo kein zweiffel ist/ daß beydes wercke und wege
des gütigsten Vaters sind. Wie nun in solcher abwechselung die sache so viel
offenbahrer ist/ so sehe ich nicht/ wie vor unmüglich zu halten seye/ daß GOTT
nicht sollte einige auff dem einen pfad allein immerfort sühren/ sonderlich auff
dem pfade der angst und finsternis: indem auff dem pfad des stätigen liechts und
freude allhier immerfort zu wandeln/ möchte fast vor den stand der erniederung/
darinnen wir noch hier in diesem leben stehen/ zu viel seyn/ und mit der göttlichen
ordnung/ darinnen ein unterscheid unter dem weg und vaterland bleiben muß/
nicht am besten überein kommen. Was aber die führung auff dem stäten angst-
wege anlanget/ sehe noch nicht/ wie dieselbe der göttlichen ordnung zuwider wäre.
Jndessen bleibet freylich die vermischte und abwechselende art der göttlichen füh-
rung wol die gemeinste. Hie stehet nun aber der göttlichen weißheit frey/ auff
welchem sie mich oder einen andern zu dem heyl leiten wolle; wir glauben aber
billich/ daß sie allezeit dessen heilige/ ob schon uns gemeiniglich unerforschliche/
ursachen habe. Wie wir sonsten in dem leiblichen finden/ daß GOTT einem

eine

Das fuͤnffte Capitel.
mal dazu gibet/ zu treiben und der gemeine GOTTES vorzutragen mich
befleißige. Solche lehre aber iſt an ſich ſo bewandt/ daß ſie troſt und freude in
ſich faſſet/ und aus ihrer natur an ſich ſelbs ſie zu wircken tuͤchtig iſt. Jn-
deſſen findet ſich nicht bey allen/ daß dieſe empfindliche freudigkeit auff ſolcher
lehre anhoͤrung und betrachtung folge/ als wozu mehr als die lehre ſelbs kommen
muß. Die ſache nun etwa gruͤndlicher zuerwegen/ haben wir wol in acht zuneh-
men/ daß zwahr ein einiger weg zur ſeeligkeit ſeye/ nemlich der glaube an Chri-
ſtum JEſum und ſein theuers verdienſt/ darinnen wir der gnade GOttes und al-
les heyls theilhafftig werden. Aber es ſind ſo zu reden einige beſondere pfaͤde
auff dieſem einigen wege/ das iſt/ die arten GOTTES/ wie er die ſeinigen
auff ſolchen wegen zu dem glauben und in dem glauben fuͤhret/ ſind nicht
gantz einerley/ ſondern GOTT nach ſeiner weißheit fuͤhret jeglichen auf die art/
welche er an ihm zu ſeinen ehren und des menſchen heyl jedesmal am dienſtlich-
ſten erkennet/ deſſen unterſcheids wir vielleicht bißweilen bey etzlichen die urſachen
erkennen koͤnnen/ bey andern aber/ oder in andern ſtuͤcken/ mags uns wol verbor-
gen/ und unter den ſchaͤtzen der goͤttlichen weißheit/ die wir erſt in jenem leben er-
ſehen/ und darinnen ein groſſes ſtuͤck unſerer ſeligkeit erkennen ſollen/ verdecket
bleiben. Dahin gehoͤret/ daß er einige in vielen freuden und empfindlichem troſt
fuͤhret/ ſo gleichſam immerfort in einem liechte wandeln; andere aber fuͤhret er
gleichſam in lauter finſternuͤß/ traurigkeit und aͤngſten; gleichwol beyde an ſei-
ner hand/ und endlich zu einem zweck. Daß beyderley die wege Gottes ſeyen/
ſehen wir offenbahrlich an ſehr vielen exempeln/ da ein menſch zuweilen in der
tieffſten angſt-hoͤlen ligen/ und uͤber nichts als unglauben und verlaſſung klagen
muß/ der etwa zu andern zeiten und malen auch eine him̃liſche ſuͤßigkeit geſchme-
cket hat/ oder ſchmecken wird. Wo kein zweiffel iſt/ daß beydes wercke und wege
des guͤtigſten Vaters ſind. Wie nun in ſolcher abwechſelung die ſache ſo viel
offenbahrer iſt/ ſo ſehe ich nicht/ wie vor unmuͤglich zu halten ſeye/ daß GOTT
nicht ſollte einige auff dem einen pfad allein immerfort ſuͤhren/ ſonderlich auff
dem pfade der angſt und finſternis: indem auff dem pfad des ſtaͤtigen liechts und
freude allhier immerfort zu wandeln/ moͤchte faſt vor den ſtand der erniederung/
darinnen wir noch hier in dieſem leben ſtehen/ zu viel ſeyn/ und mit der goͤttlichen
ordnung/ darinnen ein unterſcheid unter dem weg und vaterland bleiben muß/
nicht am beſten uͤberein kommen. Was aber die fuͤhrung auff dem ſtaͤten angſt-
wege anlanget/ ſehe noch nicht/ wie dieſelbe der goͤttlichen ordnung zuwider waͤre.
Jndeſſen bleibet freylich die vermiſchte und abwechſelende art der goͤttlichen fuͤh-
rung wol die gemeinſte. Hie ſtehet nun aber der goͤttlichen weißheit frey/ auff
welchem ſie mich oder einen andern zu dem heyl leiten wolle; wir glauben aber
billich/ daß ſie allezeit deſſen heilige/ ob ſchon uns gemeiniglich unerforſchliche/
urſachen habe. Wie wir ſonſten in dem leiblichen finden/ daß GOTT einem

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[806/0814] Das fuͤnffte Capitel. mal dazu gibet/ zu treiben und der gemeine GOTTES vorzutragen mich befleißige. Solche lehre aber iſt an ſich ſo bewandt/ daß ſie troſt und freude in ſich faſſet/ und aus ihrer natur an ſich ſelbs ſie zu wircken tuͤchtig iſt. Jn- deſſen findet ſich nicht bey allen/ daß dieſe empfindliche freudigkeit auff ſolcher lehre anhoͤrung und betrachtung folge/ als wozu mehr als die lehre ſelbs kommen muß. Die ſache nun etwa gruͤndlicher zuerwegen/ haben wir wol in acht zuneh- men/ daß zwahr ein einiger weg zur ſeeligkeit ſeye/ nemlich der glaube an Chri- ſtum JEſum und ſein theuers verdienſt/ darinnen wir der gnade GOttes und al- les heyls theilhafftig werden. Aber es ſind ſo zu reden einige beſondere pfaͤde auff dieſem einigen wege/ das iſt/ die arten GOTTES/ wie er die ſeinigen auff ſolchen wegen zu dem glauben und in dem glauben fuͤhret/ ſind nicht gantz einerley/ ſondern GOTT nach ſeiner weißheit fuͤhret jeglichen auf die art/ welche er an ihm zu ſeinen ehren und des menſchen heyl jedesmal am dienſtlich- ſten erkennet/ deſſen unterſcheids wir vielleicht bißweilen bey etzlichen die urſachen erkennen koͤnnen/ bey andern aber/ oder in andern ſtuͤcken/ mags uns wol verbor- gen/ und unter den ſchaͤtzen der goͤttlichen weißheit/ die wir erſt in jenem leben er- ſehen/ und darinnen ein groſſes ſtuͤck unſerer ſeligkeit erkennen ſollen/ verdecket bleiben. Dahin gehoͤret/ daß er einige in vielen freuden und empfindlichem troſt fuͤhret/ ſo gleichſam immerfort in einem liechte wandeln; andere aber fuͤhret er gleichſam in lauter finſternuͤß/ traurigkeit und aͤngſten; gleichwol beyde an ſei- ner hand/ und endlich zu einem zweck. Daß beyderley die wege Gottes ſeyen/ ſehen wir offenbahrlich an ſehr vielen exempeln/ da ein menſch zuweilen in der tieffſten angſt-hoͤlen ligen/ und uͤber nichts als unglauben und verlaſſung klagen muß/ der etwa zu andern zeiten und malen auch eine him̃liſche ſuͤßigkeit geſchme- cket hat/ oder ſchmecken wird. Wo kein zweiffel iſt/ daß beydes wercke und wege des guͤtigſten Vaters ſind. Wie nun in ſolcher abwechſelung die ſache ſo viel offenbahrer iſt/ ſo ſehe ich nicht/ wie vor unmuͤglich zu halten ſeye/ daß GOTT nicht ſollte einige auff dem einen pfad allein immerfort ſuͤhren/ ſonderlich auff dem pfade der angſt und finſternis: indem auff dem pfad des ſtaͤtigen liechts und freude allhier immerfort zu wandeln/ moͤchte faſt vor den ſtand der erniederung/ darinnen wir noch hier in dieſem leben ſtehen/ zu viel ſeyn/ und mit der goͤttlichen ordnung/ darinnen ein unterſcheid unter dem weg und vaterland bleiben muß/ nicht am beſten uͤberein kommen. Was aber die fuͤhrung auff dem ſtaͤten angſt- wege anlanget/ ſehe noch nicht/ wie dieſelbe der goͤttlichen ordnung zuwider waͤre. Jndeſſen bleibet freylich die vermiſchte und abwechſelende art der goͤttlichen fuͤh- rung wol die gemeinſte. Hie ſtehet nun aber der goͤttlichen weißheit frey/ auff welchem ſie mich oder einen andern zu dem heyl leiten wolle; wir glauben aber billich/ daß ſie allezeit deſſen heilige/ ob ſchon uns gemeiniglich unerforſchliche/ urſachen habe. Wie wir ſonſten in dem leiblichen finden/ daß GOTT einem eine

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 806. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/814>, abgerufen am 22.11.2024.