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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
SECTIO XXXIX.
Die wenigste behalten die erste gnade. Anfech-
tung in der letzten todes-gefahr überwunden
zu werden.

DAß in hohem stande gemeiniglich von jugend auf mehr die liebe der welt
und dero eitelkeit denen/ welche gleichwol in der tauffe denselben ein vor
allemal/ und auf das gantze leben/ abgesaget haben/ eingepflantzet wer-
de/ ist zwahr hertzlich zu betauren/ aber so vielweniger zu verwundern/ weil wir
leider dergleichen auch in dem gemeinen stande und leben gewahr werden: daß
es vielleicht eine seltene sache ist/ daß einige in ihrer durch die tauff empfange-
nen wiedergeburt beharren/ sondern die meiste erst wiederum in dem zuge-
nommenen alter einer neuen wiedergeburt durch das göttliche wort vonnö-
then haben. Hingegen preisen wir billich die gütigkeit und treue unsers
himmlischen Vaters/ welcher nicht nur die jahre der unwissenheit mit grosser
langmuth übersihet/ sondern aus den seelen/ die sich in der jugend durch den
allgemeinen strohm der exempel in die welt mit hinreissen lassen/ diejenige/
welche er noch findet/ daß sie seiner gnade platz geben werden, jede zu der be-
quemsten zeit/ wiederum so kräfftig ziehet/ daß sie sich auffs neue von der welt
entreissen lassen/ und der neue mensch nachmal in ihnen durch göttliche krafft
gebohren wird; obs wol gemeiniglich nicht ohne schwehrere geburts-schmer-
tzen abgehet/ ja der treue Vater offt eusserliches creutz zu der ersten bereitung
der hertzen gebraucht. Wie aber die seelen/ welche auf solche art in hertzlicher
buß wiederum zu ihrer ersten tauff-gnade und bund sich zurück begeben/ ver-
sichert sind/ daß ihnen auch die vorige sünden und eitelkeit ihrer unwissenheit
vor GOTT um Christi willen nicht mehr zugerechnet werden/ also lassen sie
die ihnen wiederfahrne gnade sich so wol zum grunde eines ewigen trosts auf
ihr gantzes leben/ als kräfftigem antrieb einer so viel ernstlichern übung der
gottseligkeit/ gereichen/ und machen von nichts mehreres werck/ als wie sie für
solche überschwengliche güte sich nur wiederum dem allerliebsten Vater danck-
bar gnug erzeigen möchten. Weil sie auch aus voriger erfahrung an sich selbs
gelernet/ welches die vornehmste hindernüssen ihres Christenthums bey ihnen
gewesen/ oder welche versuchungen und gelegenheiten ihnen am gefährlichsten
gefallen sind/ und sich also solche erfahrung in dem übrigen leben zu desto meh-
rer vorsichtigkeit dienen lassen/ so preisen sie wiederum die liebe dessen/ der ih-
nen auch einige vorige irrwege auffs neue zu ihrem besten (nemlich desto sorg-
fältiger bewahrung ihrer selbs) gereichen lässet: So zwahr ihnen auch aller-
dings nöthig seyn will. Was im übrigen E. Hoch-Fürstl. Durchl. anligen
anlanget/ daß an dem letzten ende der satan den kindern GOttes am gefähr-

lich-
Das fuͤnffte Capitel.
SECTIO XXXIX.
Die wenigſte behalten die erſte gnade. Anfech-
tung in der letzten todes-gefahr uͤberwunden
zu werden.

DAß in hohem ſtande gemeiniglich von jugend auf mehr die liebe der welt
und dero eitelkeit denen/ welche gleichwol in der tauffe denſelben ein vor
allemal/ und auf das gantze leben/ abgeſaget haben/ eingepflantzet wer-
de/ iſt zwahr hertzlich zu betauren/ aber ſo vielweniger zu verwundern/ weil wir
leider dergleichen auch in dem gemeinen ſtande und leben gewahr werden: daß
es vielleicht eine ſeltene ſache iſt/ daß einige in ihrer durch die tauff empfange-
nen wiedergeburt beharren/ ſondern die meiſte erſt wiederum in dem zuge-
nommenen alter einer neuen wiedergeburt durch das goͤttliche wort vonnoͤ-
then haben. Hingegen preiſen wir billich die guͤtigkeit und treue unſers
himmliſchen Vaters/ welcher nicht nur die jahre der unwiſſenheit mit groſſer
langmuth uͤberſihet/ ſondern aus den ſeelen/ die ſich in der jugend durch den
allgemeinen ſtrohm der exempel in die welt mit hinreiſſen laſſen/ diejenige/
welche er noch findet/ daß ſie ſeiner gnade platz geben werden, jede zu der be-
quemſten zeit/ wiederum ſo kraͤfftig ziehet/ daß ſie ſich auffs neue von der welt
entreiſſen laſſen/ und der neue menſch nachmal in ihnen durch goͤttliche krafft
gebohren wird; obs wol gemeiniglich nicht ohne ſchwehrere geburts-ſchmer-
tzen abgehet/ ja der treue Vater offt euſſerliches creutz zu der erſten bereitung
der hertzen gebraucht. Wie aber die ſeelen/ welche auf ſolche art in hertzlicher
buß wiederum zu ihrer erſten tauff-gnade und bund ſich zuruͤck begeben/ ver-
ſichert ſind/ daß ihnen auch die vorige ſuͤnden und eitelkeit ihrer unwiſſenheit
vor GOTT um Chriſti willen nicht mehr zugerechnet werden/ alſo laſſen ſie
die ihnen wiederfahrne gnade ſich ſo wol zum grunde eines ewigen troſts auf
ihr gantzes leben/ als kraͤfftigem antrieb einer ſo viel ernſtlichern uͤbung der
gottſeligkeit/ gereichen/ und machen von nichts mehreres werck/ als wie ſie fuͤr
ſolche uͤberſchwengliche guͤte ſich nur wiederum dem allerliebſten Vater danck-
bar gnug erzeigen moͤchten. Weil ſie auch aus voriger erfahrung an ſich ſelbs
gelernet/ welches die vornehmſte hindernuͤſſen ihres Chriſtenthums bey ihnen
geweſen/ oder welche verſuchungen und gelegenheiten ihnen am gefaͤhrlichſten
gefallen ſind/ und ſich alſo ſolche erfahrung in dem uͤbrigen leben zu deſto meh-
rer vorſichtigkeit dienen laſſen/ ſo preiſen ſie wiederum die liebe deſſen/ der ih-
nen auch einige vorige irrwege auffs neue zu ihrem beſten (nemlich deſto ſorg-
faͤltiger bewahrung ihrer ſelbs) gereichen laͤſſet: So zwahr ihnen auch aller-
dings noͤthig ſeyn will. Was im uͤbrigen E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. anligen
anlanget/ daß an dem letzten ende der ſatan den kindern GOttes am gefaͤhr-

lich-
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[880/0888] Das fuͤnffte Capitel. SECTIO XXXIX. Die wenigſte behalten die erſte gnade. Anfech- tung in der letzten todes-gefahr uͤberwunden zu werden. DAß in hohem ſtande gemeiniglich von jugend auf mehr die liebe der welt und dero eitelkeit denen/ welche gleichwol in der tauffe denſelben ein vor allemal/ und auf das gantze leben/ abgeſaget haben/ eingepflantzet wer- de/ iſt zwahr hertzlich zu betauren/ aber ſo vielweniger zu verwundern/ weil wir leider dergleichen auch in dem gemeinen ſtande und leben gewahr werden: daß es vielleicht eine ſeltene ſache iſt/ daß einige in ihrer durch die tauff empfange- nen wiedergeburt beharren/ ſondern die meiſte erſt wiederum in dem zuge- nommenen alter einer neuen wiedergeburt durch das goͤttliche wort vonnoͤ- then haben. Hingegen preiſen wir billich die guͤtigkeit und treue unſers himmliſchen Vaters/ welcher nicht nur die jahre der unwiſſenheit mit groſſer langmuth uͤberſihet/ ſondern aus den ſeelen/ die ſich in der jugend durch den allgemeinen ſtrohm der exempel in die welt mit hinreiſſen laſſen/ diejenige/ welche er noch findet/ daß ſie ſeiner gnade platz geben werden, jede zu der be- quemſten zeit/ wiederum ſo kraͤfftig ziehet/ daß ſie ſich auffs neue von der welt entreiſſen laſſen/ und der neue menſch nachmal in ihnen durch goͤttliche krafft gebohren wird; obs wol gemeiniglich nicht ohne ſchwehrere geburts-ſchmer- tzen abgehet/ ja der treue Vater offt euſſerliches creutz zu der erſten bereitung der hertzen gebraucht. Wie aber die ſeelen/ welche auf ſolche art in hertzlicher buß wiederum zu ihrer erſten tauff-gnade und bund ſich zuruͤck begeben/ ver- ſichert ſind/ daß ihnen auch die vorige ſuͤnden und eitelkeit ihrer unwiſſenheit vor GOTT um Chriſti willen nicht mehr zugerechnet werden/ alſo laſſen ſie die ihnen wiederfahrne gnade ſich ſo wol zum grunde eines ewigen troſts auf ihr gantzes leben/ als kraͤfftigem antrieb einer ſo viel ernſtlichern uͤbung der gottſeligkeit/ gereichen/ und machen von nichts mehreres werck/ als wie ſie fuͤr ſolche uͤberſchwengliche guͤte ſich nur wiederum dem allerliebſten Vater danck- bar gnug erzeigen moͤchten. Weil ſie auch aus voriger erfahrung an ſich ſelbs gelernet/ welches die vornehmſte hindernuͤſſen ihres Chriſtenthums bey ihnen geweſen/ oder welche verſuchungen und gelegenheiten ihnen am gefaͤhrlichſten gefallen ſind/ und ſich alſo ſolche erfahrung in dem uͤbrigen leben zu deſto meh- rer vorſichtigkeit dienen laſſen/ ſo preiſen ſie wiederum die liebe deſſen/ der ih- nen auch einige vorige irrwege auffs neue zu ihrem beſten (nemlich deſto ſorg- faͤltiger bewahrung ihrer ſelbs) gereichen laͤſſet: So zwahr ihnen auch aller- dings noͤthig ſeyn will. Was im uͤbrigen E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. anligen anlanget/ daß an dem letzten ende der ſatan den kindern GOttes am gefaͤhr- lich-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 880. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/888>, abgerufen am 23.11.2024.