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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
het man dann das leben an/ so billiche ich nicht/ die schreckliche dissolution unter
den unsrigen/ und besorge daher annoch grausame gerichte/ aber ich sehe bey den
Papisten und Reformirten so viel epicurer dem leben nach/ als immer unter uns
seyn mögen/ und zwar was das Papstum anlangt/ bringen deroselben eigene prin-
cipia
mit/ daß sie nicht anders können/ als die leuthe/ sonderlich die es zu zahlen haben/
sicher machen. Welches man gleichwol von uns nicht sagen kan. Dahero auch
unter den Papisten unvergleichlich mehr Atheisten seyn/ als unter uns/ wie groß
sich auch deroselben anzahl bey uns belauffen mag. Wer Jtalien/ Franckreich/
Spanien durch reiset hat/ oder mit solchen leuthen familiar oder bekant worden/
der weiß hiervon zu urtheilen. So vielmehr/ weil die principia papaea gar leicht
selbst zu dem Atheismo führen/ wo sie von scharffsinnigen lenthen genau erwogen
werden/ welches wie es von vielen jahren allezeit meine gedancken gewesen (also
daß ich GOtt so vielmehr zu dancken gehabt/ daß er mich in der Evangelischen kir-
chen hat lassen erzogen werden/ in dem ich nicht sehe/ wie ich ohne göttliches wun-
der in der Papistischen kirchen mich des atheismi hätte entbrechen können) so hat
michs so vielmehr gefreuet/ als Christianus Alethophilus eben solches publice
dargethan. Also wüste ich die Eßeer mit den Reformirten nicht zuvergleichen/
sondern eher mit den Mennoniten oder Wiedertäuffern. 4. Will ich nicht wider-
sprechen/ daß bey allen parteyen die führer meiste schuld des verderbens und gött-
licher gerichte seyen/ davon ich auch unsere Evangelische kirche nicht ausnehme/
noch die jenige/ die unsers ordinis sind/ frey zusprechen getraue/ wie ich auch mei-
ne klage offentlich darüber geführet. 5. Bekenne ich gern/ daß keine einige secte
ist unter den Christen/ die nicht etwas in doctrinalibus und moralibus gutes be-
halten/ welches folglich zum grund geleget werden muß des übrigen guten/ so man
bey ihnen noch zu wegen zu bringen hat. Ja auch wir haben in vielen moralibus
und was die kirchen ceremonien anlangt von den andern unterschiedliches zu ler-
nen. Von doctrinalibus sehe ich noch nichts: Es wäre dann sache/ daß man
dahin ziehen wolte/ daß einige andere parteyen gewisse dogmata haben/ wel-
che sie mit mehrern fleiß excoliret, und trieben/ die aber von unserer lehr nicht
sremd/ sondern von uns eben so wol erkant werden/ aus unsern principiis nothwen-
dig fliessen/ und allein mit solchem fleiß und ernst als sichs geziemet/ untersucht und
getrieben worden sind. Solte man mir aber in articulis fidei selbst irrige lehren
weisen/ das ist/ solche die dem heiligen wort GOttes entgegen wären/ wolte alsdann
dieselbe selbst erkennen/ und gern quittiren: ich habe aber solche in bißherigen ge-
führten controversiis noch nicht angetroffen/ was die lehre selbst anlangt/ daher
in denselben auch noch nicht sehe/ was wir von andern zu lernen hätten. 6. Daß
die wahre Catholische kirch nicht in einer partey allein stehe/ sondern alle gläu-
bigen der gantzen welt begreiffe/ ist bey mir eine undisputirliche sache. Es ist a-

ber

Das ſechſte Capitel.
het man dann das leben an/ ſo billiche ich nicht/ die ſchreckliche diſſolution unter
den unſrigen/ und beſorge daher annoch grauſame gerichte/ aber ich ſehe bey den
Papiſten und Reformirten ſo viel epicurer dem leben nach/ als immer unter uns
ſeyn moͤgen/ und zwar was das Papſtum anlangt/ bringen deroſelben eigene prin-
cipia
mit/ daß ſie nicht anders koͤnnen/ als die leuthe/ ſonderlich die es zu zahlen haben/
ſicher machen. Welches man gleichwol von uns nicht ſagen kan. Dahero auch
unter den Papiſten unvergleichlich mehr Atheiſten ſeyn/ als unter uns/ wie groß
ſich auch deroſelben anzahl bey uns belauffen mag. Wer Jtalien/ Franckreich/
Spanien durch reiſet hat/ oder mit ſolchen leuthen familiar oder bekant worden/
der weiß hiervon zu urtheilen. So vielmehr/ weil die principia papæa gar leicht
ſelbſt zu dem Atheismo fuͤhren/ wo ſie von ſcharffſinnigen lenthen genau erwogen
werden/ welches wie es von vielen jahren allezeit meine gedancken geweſen (alſo
daß ich GOtt ſo vielmehr zu dancken gehabt/ daß er mich in der Evangeliſchen kir-
chen hat laſſen erzogen werden/ in dem ich nicht ſehe/ wie ich ohne goͤttliches wun-
der in der Papiſtiſchen kirchen mich des atheismi haͤtte entbrechen koͤnnen) ſo hat
michs ſo vielmehr gefreuet/ als Chriſtianus Alethophilus eben ſolches publice
dargethan. Alſo wuͤſte ich die Eßeer mit den Reformirten nicht zuvergleichen/
ſondern eher mit den Mennoniten oder Wiedertaͤuffern. 4. Will ich nicht wider-
ſprechen/ daß bey allen parteyen die fuͤhrer meiſte ſchuld des verderbens und goͤtt-
licher gerichte ſeyen/ davon ich auch unſere Evangeliſche kirche nicht ausnehme/
noch die jenige/ die unſers ordinis ſind/ frey zuſprechen getraue/ wie ich auch mei-
ne klage offentlich daruͤber gefuͤhret. 5. Bekenne ich gern/ daß keine einige ſecte
iſt unter den Chriſten/ die nicht etwas in doctrinalibus und moralibus gutes be-
halten/ welches folglich zum grund geleget werden muß des uͤbrigen guten/ ſo man
bey ihnen noch zu wegen zu bringen hat. Ja auch wir haben in vielen moralibus
und was die kirchen ceremonien anlangt von den andern unterſchiedliches zu ler-
nen. Von doctrinalibus ſehe ich noch nichts: Es waͤre dann ſache/ daß man
dahin ziehen wolte/ daß einige andere parteyen gewiſſe dogmata haben/ wel-
che ſie mit mehrern fleiß excoliret, und trieben/ die aber von unſerer lehr nicht
ſremd/ ſondern von uns eben ſo wol erkant werden/ aus unſern principiis nothwen-
dig flieſſen/ und allein mit ſolchem fleiß und ernſt als ſichs geziemet/ unterſucht und
getrieben worden ſind. Solte man mir aber in articulis fidei ſelbſt irrige lehren
weiſen/ das iſt/ ſolche die dem heiligen wort GOttes entgegen waͤren/ wolte alsdañ
dieſelbe ſelbſt erkennen/ und gern quittiren: ich habe aber ſolche in bißherigen ge-
fuͤhrten controverſiis noch nicht angetroffen/ was die lehre ſelbſt anlangt/ daher
in denſelben auch noch nicht ſehe/ was wir von andern zu lernen haͤtten. 6. Daß
die wahre Catholiſche kirch nicht in einer partey allein ſtehe/ ſondern alle glaͤu-
bigen der gantzen welt begreiffe/ iſt bey mir eine undiſputirliche ſache. Es iſt a-

ber
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[228[230]/0248] Das ſechſte Capitel. het man dann das leben an/ ſo billiche ich nicht/ die ſchreckliche diſſolution unter den unſrigen/ und beſorge daher annoch grauſame gerichte/ aber ich ſehe bey den Papiſten und Reformirten ſo viel epicurer dem leben nach/ als immer unter uns ſeyn moͤgen/ und zwar was das Papſtum anlangt/ bringen deroſelben eigene prin- cipia mit/ daß ſie nicht anders koͤnnen/ als die leuthe/ ſonderlich die es zu zahlen haben/ ſicher machen. Welches man gleichwol von uns nicht ſagen kan. Dahero auch unter den Papiſten unvergleichlich mehr Atheiſten ſeyn/ als unter uns/ wie groß ſich auch deroſelben anzahl bey uns belauffen mag. Wer Jtalien/ Franckreich/ Spanien durch reiſet hat/ oder mit ſolchen leuthen familiar oder bekant worden/ der weiß hiervon zu urtheilen. So vielmehr/ weil die principia papæa gar leicht ſelbſt zu dem Atheismo fuͤhren/ wo ſie von ſcharffſinnigen lenthen genau erwogen werden/ welches wie es von vielen jahren allezeit meine gedancken geweſen (alſo daß ich GOtt ſo vielmehr zu dancken gehabt/ daß er mich in der Evangeliſchen kir- chen hat laſſen erzogen werden/ in dem ich nicht ſehe/ wie ich ohne goͤttliches wun- der in der Papiſtiſchen kirchen mich des atheismi haͤtte entbrechen koͤnnen) ſo hat michs ſo vielmehr gefreuet/ als Chriſtianus Alethophilus eben ſolches publice dargethan. Alſo wuͤſte ich die Eßeer mit den Reformirten nicht zuvergleichen/ ſondern eher mit den Mennoniten oder Wiedertaͤuffern. 4. Will ich nicht wider- ſprechen/ daß bey allen parteyen die fuͤhrer meiſte ſchuld des verderbens und goͤtt- licher gerichte ſeyen/ davon ich auch unſere Evangeliſche kirche nicht ausnehme/ noch die jenige/ die unſers ordinis ſind/ frey zuſprechen getraue/ wie ich auch mei- ne klage offentlich daruͤber gefuͤhret. 5. Bekenne ich gern/ daß keine einige ſecte iſt unter den Chriſten/ die nicht etwas in doctrinalibus und moralibus gutes be- halten/ welches folglich zum grund geleget werden muß des uͤbrigen guten/ ſo man bey ihnen noch zu wegen zu bringen hat. Ja auch wir haben in vielen moralibus und was die kirchen ceremonien anlangt von den andern unterſchiedliches zu ler- nen. Von doctrinalibus ſehe ich noch nichts: Es waͤre dann ſache/ daß man dahin ziehen wolte/ daß einige andere parteyen gewiſſe dogmata haben/ wel- che ſie mit mehrern fleiß excoliret, und trieben/ die aber von unſerer lehr nicht ſremd/ ſondern von uns eben ſo wol erkant werden/ aus unſern principiis nothwen- dig flieſſen/ und allein mit ſolchem fleiß und ernſt als ſichs geziemet/ unterſucht und getrieben worden ſind. Solte man mir aber in articulis fidei ſelbſt irrige lehren weiſen/ das iſt/ ſolche die dem heiligen wort GOttes entgegen waͤren/ wolte alsdañ dieſelbe ſelbſt erkennen/ und gern quittiren: ich habe aber ſolche in bißherigen ge- fuͤhrten controverſiis noch nicht angetroffen/ was die lehre ſelbſt anlangt/ daher in denſelben auch noch nicht ſehe/ was wir von andern zu lernen haͤtten. 6. Daß die wahre Catholiſche kirch nicht in einer partey allein ſtehe/ ſondern alle glaͤu- bigen der gantzen welt begreiffe/ iſt bey mir eine undiſputirliche ſache. Es iſt a- ber

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 228[230]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/248>, abgerufen am 21.11.2024.