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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXVIII.
gebrauchen haben mag. Nicht das ich mich einem mehrern entziehe/ sondern daß
ich erkenne das geringere maaß meines pfundes/ mich nicht über dasselbe etwas zu-
vermessen. Vorausgesetzt dessen/ so will erstlich dessen liebes schreiben durch gehen/
und darinnen/ wo ich anstehe bemercken. Was nun erstlich die analogiam
zwischen der alten Jüdischen/ und heutigen Christlichen kirchen angehet/ gestehe
gern/ daß dieselbe in vielen stücken mit warheit kan angestellet werden/ auch zu vie-
len feinen betrachtungen anlaß geben/ wie auch die gerichte/ durch welche GOtt
das verderbte Jüdenthum gestürtzet hat/ ein rechtes vorspiel gewesen sind/ dersel-
ben/ die dem abtrinnigen Christenthum vorstehen und uns zimlich nahe seyn mö-
gen. Ja auch schon in der alten Jüdischen kirchen zu den zeiten Jeremiä finden
wir eine auff uns schickende gleichförmigkeit/ und hat mich des lieben Hohburgs
vor deme getrucktes Teutsch Ewangelisches Jüdenthum/ so fast aus Jeremia
genommen/ sehr beweget. Was aber die vergleichung wegen der Secten in dem
Christenthum mit den 3. Secten der Juden anlanget/ gestehe ich/ daß ich solcher
nicht beypflichten kan. 1. Bey den Jüden waren solche secten nicht eigentlich des
gantzen volcks/ sondern meistentheils der lehrer/ oder wie wirs jetzo zu nennen pfle-
gen der geistlichen/ fast auff eine art/ wie unter den Papisten die orden seynd/ in-
dessen blieb das übrige volck zwar etwa mit affection dieser diesem/ der andere ei-
nem andern theil/ mehr zu gethan/ wie auff diese stunde in dem Papstthum mit
den orden geschiehet. Sie hatten aber ihren allgemeinen gottesdienst/ zu deme so
wohl das volck/ als auch die eigentliche sectatores sich ohne unterschied einsun-
den und bekenneten; also das in einem synedrio Pharisäer und Sadduceer wa-
ren. Hingegen unter den Christen ist die trennung zu gantz sonderbahren partey-
en ausgeschlagen/ die keinen gemeinen gottes dienst unter sich haben noch erkennen.
2. Lässet sich die Christliche kirche nicht in die 3. theil allein austheilen/ aus dero nicht
nur in orient so viele abtheilung sind/ solcher leuthe/ die einander nicht erkennen/
sondern auch in occident, ob wohlen/ was die ausbreitung anlangt/ die 3. Religi-
onen die meiste anzahl machen; sind gleich wol der andern von Socinianern/ Ar-
minianern/ Widertäuffern/ Quackern und dergleichen eine sehr considerable
mänge. 3. Würde sich auch in der application mit grossem recht vieles deside-
riren
lassen/ sonderlich sehe ich nicht/ wie wir ohne höchste undanckbarkeit gegen
GOTT/ und seine uns durch das reformation werck erzeigte gnade/ unser reli-
gion den Sadduceern vergleichen wolten. Sehen wir die lehre an/ so haben wir
keine ja die geringste analogi mit der lehre der Sadduceer/ dann was den miß-
brauch der lehr von dem verdienst Christi anlangt/ so gehet derselbe die lehr nicht
selber an/ und wird die Reformirten so wol treffen als uns/ die wir in der lehr von
dem allein seligmachenden glauben übereinkommen/ und sie nicht weniger bey den
ihrigen über den mißbrauch solcher lehr zu klagen haben/ und klagen als wir. Sie-

het
Ff 3

ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXVIII.
gebrauchen haben mag. Nicht das ich mich einem mehrern entziehe/ ſondern daß
ich erkenne das geringere maaß meines pfundes/ mich nicht uͤber daſſelbe etwas zu-
vermeſſen. Vorausgeſetzt deſſen/ ſo will erſtlich deſſen liebes ſchreiben durch gehen/
und darinnen/ wo ich anſtehe bemercken. Was nun erſtlich die analogiam
zwiſchen der alten Juͤdiſchen/ und heutigen Chriſtlichen kirchen angehet/ geſtehe
gern/ daß dieſelbe in vielen ſtuͤcken mit warheit kan angeſtellet werden/ auch zu vie-
len feinen betrachtungen anlaß geben/ wie auch die gerichte/ durch welche GOtt
das verderbte Juͤdenthum geſtuͤrtzet hat/ ein rechtes vorſpiel geweſen ſind/ derſel-
ben/ die dem abtrinnigen Chriſtenthum vorſtehen und uns zimlich nahe ſeyn moͤ-
gen. Ja auch ſchon in der alten Juͤdiſchen kirchen zu den zeiten Jeremiaͤ finden
wir eine auff uns ſchickende gleichfoͤrmigkeit/ und hat mich des lieben Hohburgs
vor deme getrucktes Teutſch Ewangeliſches Juͤdenthum/ ſo faſt aus Jeremia
genommen/ ſehr beweget. Was aber die vergleichung wegen der Secten in dem
Chriſtenthum mit den 3. Secten der Juden anlanget/ geſtehe ich/ daß ich ſolcher
nicht beypflichten kan. 1. Bey den Juͤden waren ſolche ſecten nicht eigentlich des
gantzen volcks/ ſondern meiſtentheils der lehrer/ oder wie wirs jetzo zu nennen pfle-
gen der geiſtlichen/ faſt auff eine art/ wie unter den Papiſten die orden ſeynd/ in-
deſſen blieb das uͤbrige volck zwar etwa mit affection dieſer dieſem/ der andere ei-
nem andern theil/ mehr zu gethan/ wie auff dieſe ſtunde in dem Papſtthum mit
den orden geſchiehet. Sie hatten aber ihren allgemeinen gottesdienſt/ zu deme ſo
wohl das volck/ als auch die eigentliche ſectatores ſich ohne unterſchied einſun-
den und bekenneten; alſo das in einem ſynedrio Phariſaͤer und Sadduceer wa-
ren. Hingegen unter den Chriſten iſt die trennung zu gantz ſonderbahren partey-
en ausgeſchlagen/ die keinen gemeinen gottes dienſt unter ſich haben noch erkennen.
2. Laͤſſet ſich die Chriſtliche kirche nicht in die 3. theil allein austheilen/ aus dero nicht
nur in orient ſo viele abtheilung ſind/ ſolcher leuthe/ die einander nicht erkennen/
ſondern auch in occident, ob wohlen/ was die ausbreitung anlangt/ die 3. Religi-
onen die meiſte anzahl machen; ſind gleich wol der andern von Socinianern/ Ar-
minianern/ Widertaͤuffern/ Quackern und dergleichen eine ſehr conſiderable
maͤnge. 3. Wuͤrde ſich auch in der application mit groſſem recht vieles deſide-
riren
laſſen/ ſonderlich ſehe ich nicht/ wie wir ohne hoͤchſte undanckbarkeit gegen
GOTT/ und ſeine uns durch das reformation werck erzeigte gnade/ unſer reli-
gion den Sadduceern vergleichen wolten. Sehen wir die lehre an/ ſo haben wir
keine ja die geringſte analogi mit der lehre der Sadduceer/ dann was den miß-
brauch der lehr von dem verdienſt Chriſti anlangt/ ſo gehet derſelbe die lehr nicht
ſelber an/ und wird die Reformirten ſo wol treffen als uns/ die wir in der lehr von
dem allein ſeligmachenden glauben uͤbereinkommen/ und ſie nicht weniger bey den
ihrigen uͤber den mißbrauch ſolcher lehr zu klagen haben/ und klagen als wir. Sie-

het
Ff 3
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[227[229]/0247] ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXVIII. gebrauchen haben mag. Nicht das ich mich einem mehrern entziehe/ ſondern daß ich erkenne das geringere maaß meines pfundes/ mich nicht uͤber daſſelbe etwas zu- vermeſſen. Vorausgeſetzt deſſen/ ſo will erſtlich deſſen liebes ſchreiben durch gehen/ und darinnen/ wo ich anſtehe bemercken. Was nun erſtlich die analogiam zwiſchen der alten Juͤdiſchen/ und heutigen Chriſtlichen kirchen angehet/ geſtehe gern/ daß dieſelbe in vielen ſtuͤcken mit warheit kan angeſtellet werden/ auch zu vie- len feinen betrachtungen anlaß geben/ wie auch die gerichte/ durch welche GOtt das verderbte Juͤdenthum geſtuͤrtzet hat/ ein rechtes vorſpiel geweſen ſind/ derſel- ben/ die dem abtrinnigen Chriſtenthum vorſtehen und uns zimlich nahe ſeyn moͤ- gen. Ja auch ſchon in der alten Juͤdiſchen kirchen zu den zeiten Jeremiaͤ finden wir eine auff uns ſchickende gleichfoͤrmigkeit/ und hat mich des lieben Hohburgs vor deme getrucktes Teutſch Ewangeliſches Juͤdenthum/ ſo faſt aus Jeremia genommen/ ſehr beweget. Was aber die vergleichung wegen der Secten in dem Chriſtenthum mit den 3. Secten der Juden anlanget/ geſtehe ich/ daß ich ſolcher nicht beypflichten kan. 1. Bey den Juͤden waren ſolche ſecten nicht eigentlich des gantzen volcks/ ſondern meiſtentheils der lehrer/ oder wie wirs jetzo zu nennen pfle- gen der geiſtlichen/ faſt auff eine art/ wie unter den Papiſten die orden ſeynd/ in- deſſen blieb das uͤbrige volck zwar etwa mit affection dieſer dieſem/ der andere ei- nem andern theil/ mehr zu gethan/ wie auff dieſe ſtunde in dem Papſtthum mit den orden geſchiehet. Sie hatten aber ihren allgemeinen gottesdienſt/ zu deme ſo wohl das volck/ als auch die eigentliche ſectatores ſich ohne unterſchied einſun- den und bekenneten; alſo das in einem ſynedrio Phariſaͤer und Sadduceer wa- ren. Hingegen unter den Chriſten iſt die trennung zu gantz ſonderbahren partey- en ausgeſchlagen/ die keinen gemeinen gottes dienſt unter ſich haben noch erkennen. 2. Laͤſſet ſich die Chriſtliche kirche nicht in die 3. theil allein austheilen/ aus dero nicht nur in orient ſo viele abtheilung ſind/ ſolcher leuthe/ die einander nicht erkennen/ ſondern auch in occident, ob wohlen/ was die ausbreitung anlangt/ die 3. Religi- onen die meiſte anzahl machen; ſind gleich wol der andern von Socinianern/ Ar- minianern/ Widertaͤuffern/ Quackern und dergleichen eine ſehr conſiderable maͤnge. 3. Wuͤrde ſich auch in der application mit groſſem recht vieles deſide- riren laſſen/ ſonderlich ſehe ich nicht/ wie wir ohne hoͤchſte undanckbarkeit gegen GOTT/ und ſeine uns durch das reformation werck erzeigte gnade/ unſer reli- gion den Sadduceern vergleichen wolten. Sehen wir die lehre an/ ſo haben wir keine ja die geringſte analogi mit der lehre der Sadduceer/ dann was den miß- brauch der lehr von dem verdienſt Chriſti anlangt/ ſo gehet derſelbe die lehr nicht ſelber an/ und wird die Reformirten ſo wol treffen als uns/ die wir in der lehr von dem allein ſeligmachenden glauben uͤbereinkommen/ und ſie nicht weniger bey den ihrigen uͤber den mißbrauch ſolcher lehr zu klagen haben/ und klagen als wir. Sie- het Ff 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 227[229]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/247>, abgerufen am 21.11.2024.