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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
und wieder sehen/ die knoten seyen/ die uns den bald annahenden früling andeute-
ten! Ach lasset uns dann fleißig seyn/ das unsrige in unserer schwachheit/ aber
göttlicher krafft/ mit eyffer zu thun/ was jetziger zeit beschaffenheit erfordert und
zu lässet! dazu uns der HERR auch den Geist der weißheit geben wolle/ zu un-
terscheiden und zu erkennen/ was dießmal der wille des HErrn an uns seye. Un-
sere hiesige gemeinde belangend/ haben wir dem allerhöchsten hertzlich zu dancken/
daß er in derselben das wort so fruchtbar seyn lassen/ daß einige der jenigen sich fin-
den/ welche von grunde der seelen aus lebendigem glauben in ungefärbter liebe der
nachfolge ihres JESU sich befleissigen/ und die hindernüssen der welt sich davon
nicht abziehen lassen; so schencket GOtt derselben auch je zu weilen diese und jene
seele/ die durch lehr und gut exempel zu brüderlicher folge durch GOttes seegen sich
bewegen lassen. Aber es ist leider unser zustand allhier bey weiten noch nicht also/
wie anderst wo gute gemüther sich denselben einbilden/ und deßwegen zu uns ver-
langen. Jn deme nicht nur die zahl solcher lieben leute sehr gering gegen die übri-
ge zu rechnen ist/ sondern wir sind noch alle sehr schwach/ und wer mit uns ist/ sihet
so bald an uns mehrere dinge/ da er mitleiden mit unserer schwachheit haben muß/
als deren er sich erfreuen kan. Wir sind noch kinder/ und gehet unser wachsthum
sehr langsam daher. Zwar sind derselben ferner auch nicht wenige/ bey denen Gott
eine ziemliche begierde des guten auch erwecket hat/ aber die hindernüssen der welt
und die viele lästerungen halten manches gemüth zu rücke. Hingegen findet sich
leider in unserer kirchen gewiß so vieles unkraut/ als immermehr auf einigem acker/ so
wol von offenbarlich ärgerlichen personen/ als auch solchen die sich auf ihr opus o-
peratum
des äusserlichen GOttes dienstes verlassen/ und was da wider geredet/
oder mehr erfordert wird/ vor verdächtig und wol gar sectirisch halten; Daher
auch die viele lästerung entstanden/ die nicht nur hier in der statt selbs das gute
starck gehemmet/ (aber doch durch GOttes gnade uns dieses gute gethan haben/
daß wir haben lernen vorsichtiger zu wandeln) sondern durch gantz Teutschland
uns also geschwärtzet/ ob wären wir Quacker und in unserem Franckfurt eine neue
ketzerey entstanden/ mit den greulichsten/ theils aber lächerlichsten erzehlungen/ der
dinge/ die wir thäten: so aber alle entweder pur lauter calumnien, so auch den
wenigsten schein (wo man die sach unter suchte) nicht hatten/ oder boßhafftige ver-
kehrungen gantz guter dinge waren/ die in ihrer wahren beschaffenheit kein schel-
ten sondern lob verdienet hätten. Solche lästerungen haben uns genug zu erken-
nen gegeben/ was wir auch vor leute in unserer gemeinde und statt/ in
dero sie gleichwol meistens alle außgebrütet sind worden/ haben müssen.
Solten wir klagen/ so würden wir auch klage führen können/ daß uns nicht
nur allein an hilffe mangle/ sondern viele der jenigen/ von denen wir sie hoffen und
haben solten/ eher hindernüß einwerffen/ als das gute beförderen. Aber wir be-

feh-

Das ſechſte Capitel.
und wieder ſehen/ die knoten ſeyen/ die uns den bald annahenden fruͤling andeute-
ten! Ach laſſet uns dann fleißig ſeyn/ das unſrige in unſerer ſchwachheit/ aber
goͤttlicher krafft/ mit eyffer zu thun/ was jetziger zeit beſchaffenheit erfordert und
zu laͤſſet! dazu uns der HERR auch den Geiſt der weißheit geben wolle/ zu un-
terſcheiden und zu erkennen/ was dießmal der wille des HErrn an uns ſeye. Un-
ſere hieſige gemeinde belangend/ haben wir dem allerhoͤchſten hertzlich zu dancken/
daß er in derſelben das wort ſo fruchtbar ſeyn laſſen/ daß einige der jenigen ſich fin-
den/ welche von grunde der ſeelen aus lebendigem glauben in ungefaͤrbter liebe der
nachfolge ihres JESU ſich befleiſſigen/ und die hindernuͤſſen der welt ſich davon
nicht abziehen laſſen; ſo ſchencket GOtt derſelben auch je zu weilen dieſe und jene
ſeele/ die durch lehr und gut exempel zu bruͤderlicher folge durch GOttes ſeegen ſich
bewegen laſſen. Aber es iſt leider unſer zuſtand allhier bey weiten noch nicht alſo/
wie anderſt wo gute gemuͤther ſich denſelben einbilden/ und deßwegen zu uns ver-
langen. Jn deme nicht nur die zahl ſolcher lieben leute ſehr gering gegen die uͤbri-
ge zu rechnen iſt/ ſondeꝛn wir ſind noch alle ſehr ſchwach/ und wer mit uns iſt/ ſihet
ſo bald an uns mehrere dinge/ da er mitleiden mit unſerer ſchwachheit haben muß/
als deren er ſich erfreuen kan. Wir ſind noch kinder/ und gehet unſer wachsthum
ſehr langſam daher. Zwar ſind derſelben ferner auch nicht wenige/ bey denen Gott
eine ziemliche begierde des guten auch erwecket hat/ aber die hindernuͤſſen der welt
und die viele laͤſterungen halten manches gemuͤth zu ruͤcke. Hingegen findet ſich
leider in unſerer kirchen gewiß ſo vieles unkraut/ als im̃ermehr auf einigem acker/ ſo
wol von offenbarlich aͤrgerlichen perſonen/ als auch ſolchen die ſich auf ihr opus o-
peratum
des aͤuſſerlichen GOttes dienſtes verlaſſen/ und was da wider geredet/
oder mehr erfordert wird/ vor verdaͤchtig und wol gar ſectiriſch halten; Daher
auch die viele laͤſterung entſtanden/ die nicht nur hier in der ſtatt ſelbs das gute
ſtarck gehemmet/ (aber doch durch GOttes gnade uns dieſes gute gethan haben/
daß wir haben lernen vorſichtiger zu wandeln) ſondern durch gantz Teutſchland
uns alſo geſchwaͤrtzet/ ob waͤren wir Quacker und in unſerem Franckfurt eine neue
ketzerey entſtanden/ mit den greulichſten/ theils aber laͤcherlichſten erzehlungen/ deꝛ
dinge/ die wir thaͤten: ſo aber alle entweder pur lauter calumnien, ſo auch den
wenigſten ſchein (wo man die ſach unter ſuchte) nicht hatten/ oder boßhafftige ver-
kehrungen gantz guter dinge waren/ die in ihrer wahren beſchaffenheit kein ſchel-
ten ſondern lob verdienet haͤtten. Solche laͤſterungen haben uns genug zu erken-
nen gegeben/ was wir auch vor leute in unſerer gemeinde und ſtatt/ in
dero ſie gleichwol meiſtens alle außgebruͤtet ſind worden/ haben muͤſſen.
Solten wir klagen/ ſo wuͤrden wir auch klage fuͤhren koͤnnen/ daß uns nicht
nur allein an hilffe mangle/ ſondern viele der jenigen/ von denen wir ſie hoffen und
haben ſolten/ eher hindernuͤß einwerffen/ als das gute befoͤrderen. Aber wir be-

feh-
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[290[292]/0310] Das ſechſte Capitel. und wieder ſehen/ die knoten ſeyen/ die uns den bald annahenden fruͤling andeute- ten! Ach laſſet uns dann fleißig ſeyn/ das unſrige in unſerer ſchwachheit/ aber goͤttlicher krafft/ mit eyffer zu thun/ was jetziger zeit beſchaffenheit erfordert und zu laͤſſet! dazu uns der HERR auch den Geiſt der weißheit geben wolle/ zu un- terſcheiden und zu erkennen/ was dießmal der wille des HErrn an uns ſeye. Un- ſere hieſige gemeinde belangend/ haben wir dem allerhoͤchſten hertzlich zu dancken/ daß er in derſelben das wort ſo fruchtbar ſeyn laſſen/ daß einige der jenigen ſich fin- den/ welche von grunde der ſeelen aus lebendigem glauben in ungefaͤrbter liebe der nachfolge ihres JESU ſich befleiſſigen/ und die hindernuͤſſen der welt ſich davon nicht abziehen laſſen; ſo ſchencket GOtt derſelben auch je zu weilen dieſe und jene ſeele/ die durch lehr und gut exempel zu bruͤderlicher folge durch GOttes ſeegen ſich bewegen laſſen. Aber es iſt leider unſer zuſtand allhier bey weiten noch nicht alſo/ wie anderſt wo gute gemuͤther ſich denſelben einbilden/ und deßwegen zu uns ver- langen. Jn deme nicht nur die zahl ſolcher lieben leute ſehr gering gegen die uͤbri- ge zu rechnen iſt/ ſondeꝛn wir ſind noch alle ſehr ſchwach/ und wer mit uns iſt/ ſihet ſo bald an uns mehrere dinge/ da er mitleiden mit unſerer ſchwachheit haben muß/ als deren er ſich erfreuen kan. Wir ſind noch kinder/ und gehet unſer wachsthum ſehr langſam daher. Zwar ſind derſelben ferner auch nicht wenige/ bey denen Gott eine ziemliche begierde des guten auch erwecket hat/ aber die hindernuͤſſen der welt und die viele laͤſterungen halten manches gemuͤth zu ruͤcke. Hingegen findet ſich leider in unſerer kirchen gewiß ſo vieles unkraut/ als im̃ermehr auf einigem acker/ ſo wol von offenbarlich aͤrgerlichen perſonen/ als auch ſolchen die ſich auf ihr opus o- peratum des aͤuſſerlichen GOttes dienſtes verlaſſen/ und was da wider geredet/ oder mehr erfordert wird/ vor verdaͤchtig und wol gar ſectiriſch halten; Daher auch die viele laͤſterung entſtanden/ die nicht nur hier in der ſtatt ſelbs das gute ſtarck gehemmet/ (aber doch durch GOttes gnade uns dieſes gute gethan haben/ daß wir haben lernen vorſichtiger zu wandeln) ſondern durch gantz Teutſchland uns alſo geſchwaͤrtzet/ ob waͤren wir Quacker und in unſerem Franckfurt eine neue ketzerey entſtanden/ mit den greulichſten/ theils aber laͤcherlichſten erzehlungen/ deꝛ dinge/ die wir thaͤten: ſo aber alle entweder pur lauter calumnien, ſo auch den wenigſten ſchein (wo man die ſach unter ſuchte) nicht hatten/ oder boßhafftige ver- kehrungen gantz guter dinge waren/ die in ihrer wahren beſchaffenheit kein ſchel- ten ſondern lob verdienet haͤtten. Solche laͤſterungen haben uns genug zu erken- nen gegeben/ was wir auch vor leute in unſerer gemeinde und ſtatt/ in dero ſie gleichwol meiſtens alle außgebruͤtet ſind worden/ haben muͤſſen. Solten wir klagen/ ſo wuͤrden wir auch klage fuͤhren koͤnnen/ daß uns nicht nur allein an hilffe mangle/ ſondern viele der jenigen/ von denen wir ſie hoffen und haben ſolten/ eher hindernuͤß einwerffen/ als das gute befoͤrderen. Aber wir be- feh-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 290[292]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/310>, abgerufen am 22.11.2024.