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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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de nicht folgen müste/ gezeiget werden könnte/ so ist mir doch dieses am leidesten/
daßjenige argument unter uns zuhören/ daß von den papisten gegen unseren lieben
Lutherum/ alß derselbige dem gemeinen mann die bibel wiederum nach GOttes
ordnung in der hand gab/ getrieben worden/ und noch heut zu tag wieder die le-
sung der schrifft von solchen wiedersachern gebraucht zu werden pfleget. Von
uns aber/ wo wir gleiches argument gebrauchen/ sehr bestärcket wird. So viel
betrübter ists/ daß es einiger orten dahin kommen will/ daß wo ein mensch/ krafft
unserer eigenen lehr/ die schrifft fleißig lieset/ v. auß deroselben in einfalt seinen
glauben also zu erbauen und zu gründen suchet/ daß er den verstand derselben
nicht so wohl aus menschen außlegungen/ alß wie sich die schrifft und in de-
roselben der H. Geist selbst erkläret/ schöpffen will/ solches gleich einen verdach-
tenes Qvackers/ Weigelianers/ Sonderlings und dergleichen geben soll. Wie
es scheinet/ daß man zuweilen die autorität dieses oder jenes Doctoris, Profes-
soris
oder einer facultät höher heut zu tag treiben will/ alß bey den Papisten selbst
die autorität deß Papsts und seiner Cardinäle geachtet wird/ daß in jener
macht so bald stehen solle/ wer nicht nach ihnen methodo lehret/ mit ihren wor-
ten redet/ und alle conseqventias/ damit sie die libros symbolicos/ welche in
ihrer billigen würde zuhalten/ aber nicht weiter zu extendiren sind/ alß die
verfaßer damahl gedacht haben/ so bald unter schreibet/ gleich zum ketzer zu de-
clari
ren/ und mit diesen und jenen nahmen zubelegen. Welches eine so viel ge-
fährlichere sache ist/ weilen so bald ein ehrlicher mann durch eines und andern
in autorität stehenden Theologi/ wo zu etwa zu weilen privat-affecten und ae-
mulatione
n anlaß geben/ urtheil/ und dazu gemeiniglich nicht öffentlich/ sondern
durch heimliches gemurmel und hin und her in vertrauen schickende briefe/ in
verdacht einer irrigen lehr oder gefährlicher machinationen gezogen worden/
alß dann fast kein rath mehr übrig ist; Solches geschrey gehet heimlich und of-
fendlich weiter/ man redet von Babadisten/ Weigelianern/ Enthusiasten/ Qva-
ckern/ irrgeistern und will sich niemand finden/ welcher deutlich zeige/ worinnen
und in waß puncten der irrthum stehen solle (wie mir von einem vermummten
Balthasar Rebhan geschehen/ welcher in publico scripto mich einen nicht so
reinen Theologum/ ohne benennung worinnen meine lehr nicht rein seye/ ange-
geben) vielweniger einen gründlichen erweiß deßwegen vorlegte; Gerade ob
hätten wirs noch mit der Päpstischen inqvisition zu thun/ die sich gegen diejenige/
welche sie vor ketzer angibt und wohl gar zur straffe überlieffert/ zu keinem er-
weiß oder überweisung gehalten zu sein erachtet. Dergleichen Päpstische prin-
cipia,
wo ihnen nicht zeitlich durch getrosten wiederspruch cordater Theologen/
und Gottsfürchtiger redlicher Politicorum gerechtes einsehen gewehret wird/ sol-
ten endlich mit der zeit unsere arme ohne das in elenden stand befindliche kirche in
grosse gefahr stürtzen. Und waß wäre gerechter/ alß wo GOtt dem Papstum
eine neue gewalt (nachdem es auch fast dergleichen das ansehen gewinnen will)

über

ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO L.
de nicht folgen muͤſte/ gezeiget werden koͤnnte/ ſo iſt mir doch dieſes am leideſten/
daßjenige argument unter uns zuhoͤren/ daß von den papiſten gegen unſeren lieben
Lutherum/ alß derſelbige dem gemeinen mann die bibel wiederum nach GOttes
ordnung in der hand gab/ getrieben worden/ und noch heut zu tag wieder die le-
ſung der ſchrifft von ſolchen wiederſachern gebraucht zu werden pfleget. Von
uns aber/ wo wir gleiches argument gebrauchen/ ſehr beſtaͤrcket wird. So viel
betruͤbter iſts/ daß es einiger orten dahin kommen will/ daß wo ein menſch/ krafft
unſerer eigenen lehr/ die ſchrifft fleißig lieſet/ v. auß deroſelben in einfalt ſeinen
glauben alſo zu erbauen und zu gruͤnden ſuchet/ daß er den verſtand derſelben
nicht ſo wohl aus menſchen außlegungen/ alß wie ſich die ſchrifft und in de-
roſelben der H. Geiſt ſelbſt erklaͤret/ ſchoͤpffen will/ ſolches gleich einen verdach-
tenes Qvackers/ Weigelianers/ Sonderlings und dergleichen geben ſoll. Wie
es ſcheinet/ daß man zuweilen die autoritaͤt dieſes oder jenes Doctoris, Profes-
ſoris
oder einer facultaͤt hoͤher heut zu tag treiben will/ alß bey den Papiſten ſelbſt
die autoritaͤt deß Papſts und ſeiner Cardinaͤle geachtet wird/ daß in jener
macht ſo bald ſtehen ſolle/ wer nicht nach ihnen methodo lehret/ mit ihren wor-
ten redet/ und alle conſeqventias/ damit ſie die libros ſymbolicos/ welche in
ihrer billigen wuͤrde zuhalten/ aber nicht weiter zu extendiren ſind/ alß die
verfaßer damahl gedacht haben/ ſo bald unter ſchreibet/ gleich zum ketzer zu de-
clari
ren/ und mit dieſen und jenen nahmen zubelegen. Welches eine ſo viel ge-
faͤhrlichere ſache iſt/ weilen ſo bald ein ehrlicher mann durch eines und andern
in autoritaͤt ſtehenden Theologi/ wo zu etwa zu weilen privat-affecten und æ-
mulatione
n anlaß geben/ urtheil/ und dazu gemeiniglich nicht oͤffentlich/ ſondern
durch heimliches gemurmel und hin und her in vertrauen ſchickende briefe/ in
verdacht einer irrigen lehr oder gefaͤhrlicher machinationen gezogen worden/
alß dann faſt kein rath mehr uͤbrig iſt; Solches geſchrey gehet heimlich und of-
fendlich weiter/ man redet von Babadiſten/ Weigelianern/ Enthuſiaſten/ Qva-
ckern/ irrgeiſtern und will ſich niemand finden/ welcher deutlich zeige/ worinnen
und in waß puncten der irrthum ſtehen ſolle (wie mir von einem vermummten
Balthaſar Rebhan geſchehen/ welcher in publico ſcripto mich einen nicht ſo
reinen Theologum/ ohne benennung worinnen meine lehr nicht rein ſeye/ ange-
geben) vielweniger einen gruͤndlichen erweiß deßwegen vorlegte; Gerade ob
haͤtten wirs noch mit der Paͤpſtiſchen inqviſition zu thun/ die ſich gegen diejenige/
welche ſie vor ketzer angibt und wohl gar zur ſtraffe uͤberlieffert/ zu keinem er-
weiß oder uͤberweiſung gehalten zu ſein erachtet. Dergleichen Paͤpſtiſche prin-
cipia,
wo ihnen nicht zeitlich durch getroſten wiederſpruch cordater Theologen/
und Gottsfuͤrchtiger redlicher Politicorum gerechtes einſehen gewehret wird/ ſol-
ten endlich mit der zeit unſere arme ohne das in elenden ſtand befindliche kirche in
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eine neue gewalt (nachdem es auch faſt dergleichen das anſehen gewinnen will)

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[319/0337] ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO L. de nicht folgen muͤſte/ gezeiget werden koͤnnte/ ſo iſt mir doch dieſes am leideſten/ daßjenige argument unter uns zuhoͤren/ daß von den papiſten gegen unſeren lieben Lutherum/ alß derſelbige dem gemeinen mann die bibel wiederum nach GOttes ordnung in der hand gab/ getrieben worden/ und noch heut zu tag wieder die le- ſung der ſchrifft von ſolchen wiederſachern gebraucht zu werden pfleget. Von uns aber/ wo wir gleiches argument gebrauchen/ ſehr beſtaͤrcket wird. So viel betruͤbter iſts/ daß es einiger orten dahin kommen will/ daß wo ein menſch/ krafft unſerer eigenen lehr/ die ſchrifft fleißig lieſet/ v. auß deroſelben in einfalt ſeinen glauben alſo zu erbauen und zu gruͤnden ſuchet/ daß er den verſtand derſelben nicht ſo wohl aus menſchen außlegungen/ alß wie ſich die ſchrifft und in de- roſelben der H. Geiſt ſelbſt erklaͤret/ ſchoͤpffen will/ ſolches gleich einen verdach- tenes Qvackers/ Weigelianers/ Sonderlings und dergleichen geben ſoll. Wie es ſcheinet/ daß man zuweilen die autoritaͤt dieſes oder jenes Doctoris, Profes- ſoris oder einer facultaͤt hoͤher heut zu tag treiben will/ alß bey den Papiſten ſelbſt die autoritaͤt deß Papſts und ſeiner Cardinaͤle geachtet wird/ daß in jener macht ſo bald ſtehen ſolle/ wer nicht nach ihnen methodo lehret/ mit ihren wor- ten redet/ und alle conſeqventias/ damit ſie die libros ſymbolicos/ welche in ihrer billigen wuͤrde zuhalten/ aber nicht weiter zu extendiren ſind/ alß die verfaßer damahl gedacht haben/ ſo bald unter ſchreibet/ gleich zum ketzer zu de- clariren/ und mit dieſen und jenen nahmen zubelegen. Welches eine ſo viel ge- faͤhrlichere ſache iſt/ weilen ſo bald ein ehrlicher mann durch eines und andern in autoritaͤt ſtehenden Theologi/ wo zu etwa zu weilen privat-affecten und æ- mulationen anlaß geben/ urtheil/ und dazu gemeiniglich nicht oͤffentlich/ ſondern durch heimliches gemurmel und hin und her in vertrauen ſchickende briefe/ in verdacht einer irrigen lehr oder gefaͤhrlicher machinationen gezogen worden/ alß dann faſt kein rath mehr uͤbrig iſt; Solches geſchrey gehet heimlich und of- fendlich weiter/ man redet von Babadiſten/ Weigelianern/ Enthuſiaſten/ Qva- ckern/ irrgeiſtern und will ſich niemand finden/ welcher deutlich zeige/ worinnen und in waß puncten der irrthum ſtehen ſolle (wie mir von einem vermummten Balthaſar Rebhan geſchehen/ welcher in publico ſcripto mich einen nicht ſo reinen Theologum/ ohne benennung worinnen meine lehr nicht rein ſeye/ ange- geben) vielweniger einen gruͤndlichen erweiß deßwegen vorlegte; Gerade ob haͤtten wirs noch mit der Paͤpſtiſchen inqviſition zu thun/ die ſich gegen diejenige/ welche ſie vor ketzer angibt und wohl gar zur ſtraffe uͤberlieffert/ zu keinem er- weiß oder uͤberweiſung gehalten zu ſein erachtet. Dergleichen Paͤpſtiſche prin- cipia, wo ihnen nicht zeitlich durch getroſten wiederſpruch cordater Theologen/ und Gottsfuͤrchtiger redlicher Politicorum gerechtes einſehen gewehret wird/ ſol- ten endlich mit der zeit unſere arme ohne das in elenden ſtand befindliche kirche in groſſe gefahr ſtuͤrtzen. Und waß waͤre gerechter/ alß wo GOtt dem Papſtum eine neue gewalt (nachdem es auch faſt dergleichen das anſehen gewinnen will) uͤber

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/337>, abgerufen am 22.11.2024.