Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LI. wegen ein scriptum bey der Fürstl. regentin ein/ gleich ob wäre ihr hochseligerHerr und das außschreiben darin zur ungebühr angestochen/ (so aber Herr Winckler beständig bezeuget/ nicht auf dasselbige sondern andere discoursen und machinationes reflectiret zu haben) würde auch gern gesehen haben/ daß der HHr. Theologen zu Giessen etwas dagegen zu schreiben aufgetragen wor- den wäre/ welches aber die Fürstin nicht beliebte. Es ist aber endlich GOttes wille gewesen ihn vergangenem Julio von dieser welt abzufordern. Der HErr lasse ihn barmhertzigkeit finden an jenem tage/ und rechne ihm nicht zu/ was er aus praeoccupirtem gemüth vor seuffzen einiger unschuldigen von einer zeit her ausgetrieben. Er war sonsten noch von ziemlichen kräfften bey diesem seinem al- ter/ aber bey einem jahr her/ nach dem er unter den letzten jungen Fürsten fast al- lein alles regieret/ und mit einer in das gantze reich bey nahe erschollenen refor- mation des hofs durch abschaffung oder änderung der vornehmsten räthe und bedienten grossen haß auf sich geladen/ und aber GOtt solchen Fürsten so bald in etlichen monaten wegnahm/ scheinet seiner kräfften ein ziemlicher anstoß ge- kommen seyn/ daß er bey der gefolgten regierung sich nicht mehr in der vorigen au- torität/ sondern von der cantzeley und weltlichen geschäfften die hand abzuziehen/ hingegen bey seinen amts-geschäfften zu bleiben/ gemüßiget sahe/ daß die fürstliche commission zu einiger reformation der Gießischen universität würcklichen ih- ren fortgang erreichte/ zeitwährender dero lauff er gestorben/ und noch auf dem todbett darüber geklagt haben solle/ weil es schiene damit seine vorhin gebrauch- te autorität vollends hinzufallen. Es ist aber solche commission noch nicht in allen stücken zu ende/ sondern allein zur restabilirung der disciplin 8. Studiosi so viele unruhe angefangen und insolenz getrieben haben sollen/ cum infamia re- legiret worden. Es sollen aber die Commissarii nechsten wiederum sich hinverfügen/ und die etwa noch übrige unordnungen/ so den irrungen unter den HHr. Professoribus suchen zurecht zu bringen. Da zu GOtt seinen segen und gnade verleihen wolle/ daß diese und alle universitäten warhafftig werden mö- gen/ was sie seyn sollen/ nemlich officinae Spiritus S. und rechte pflantzgärten der tugenden zu nutz kirchen und policey. Er gebe auch sonderlich/ daß die ge- meldete dero eigen universität visitation möge den erwünschten effect erlangen. Ach wie gut wäre es/ wo die auch hoffende beylegung der streitigkeiten zwischen den HHr. Theologis könte zu werck gerichtet werden: Aber wie mein wehrter herr sorge träget/ so habe selbst auch wenig hofnung. Jch sehe fast die bißhe- rige so viele außbrechende streit und geistliche kriege an/ als eine göttliche straff und gericht über unsere kirche/ weil wir an so vielen orten so weit von der einfalt angefangen haben abzugehen/ und die Theologiam durch vermischung der vernunfft-lehr in allzuspitzigen subtilitäten zu verwückeln. Wo es sich nicht fehlen kan/ daß nicht vielerley streit entstehen solte. Vielleicht wirds einigen ein anlaß seyn/ sich allgemach mehr und mehr von solchen dingen abzuziehen/ und so Ss 2
ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LI. wegen ein ſcriptum bey der Fuͤrſtl. regentin ein/ gleich ob waͤre ihr hochſeligerHerr und das außſchreiben darin zur ungebuͤhr angeſtochen/ (ſo aber Herr Winckler beſtaͤndig bezeuget/ nicht auf daſſelbige ſondern andere diſcourſen und machinationes reflectiret zu haben) wuͤrde auch gern geſehen haben/ daß der HHr. Theologen zu Gieſſen etwas dagegen zu ſchreiben aufgetragen wor- den waͤre/ welches aber die Fuͤrſtin nicht beliebte. Es iſt aber endlich GOttes wille geweſen ihn vergangenem Julio von dieſer welt abzufordern. Der HErr laſſe ihn barmhertzigkeit finden an jenem tage/ und rechne ihm nicht zu/ was er aus præoccupirtem gemuͤth vor ſeuffzen einiger unſchuldigen von einer zeit her ausgetrieben. Er war ſonſten noch von ziemlichen kraͤfften bey dieſem ſeinem al- ter/ aber bey einem jahr her/ nach dem er unter den letzten jungen Fuͤrſten faſt al- lein alles regieret/ und mit einer in das gantze reich bey nahe erſchollenen refor- mation des hofs durch abſchaffung oder aͤnderung der vornehmſten raͤthe und bedienten groſſen haß auf ſich geladen/ und aber GOtt ſolchen Fuͤrſten ſo bald in etlichen monaten wegnahm/ ſcheinet ſeiner kraͤfften ein ziemlicher anſtoß ge- kommen ſeyn/ daß er bey der gefolgten regierung ſich nicht mehr in der vorigen au- toritaͤt/ ſondern von der cantzeley und weltlichen geſchaͤfften die hand abzuziehen/ hingegen bey ſeinen amts-geſchaͤfften zu bleiben/ gemuͤßiget ſahe/ daß die fuͤrſtliche commiſſion zu einiger reformation der Gießiſchen univerſitaͤt wuͤrcklichen ih- ren fortgang erreichte/ zeitwaͤhrender dero lauff er geſtorben/ und noch auf dem todbett daruͤber geklagt haben ſolle/ weil es ſchiene damit ſeine vorhin gebrauch- te autoritaͤt vollends hinzufallen. Es iſt aber ſolche commiſſion noch nicht in allen ſtuͤcken zu ende/ ſondern allein zur reſtabilirung der diſciplin 8. Studioſi ſo viele unruhe angefangen und inſolenz getrieben haben ſollen/ cum infamia re- legiret worden. Es ſollen aber die Commiſſarii nechſten wiederum ſich hinverfuͤgen/ und die etwa noch uͤbrige unordnungen/ ſo den irrungen unter den HHr. Profeſſoribus ſuchen zurecht zu bringen. Da zu GOtt ſeinen ſegen und gnade verleihen wolle/ daß dieſe und alle univerſitaͤten warhafftig werden moͤ- gen/ was ſie ſeyn ſollen/ nemlich officinæ Spiritus S. und rechte pflantzgaͤrten der tugenden zu nutz kirchen und policey. Er gebe auch ſonderlich/ daß die ge- meldete dero eigen univerſitaͤt viſitation moͤge den erwuͤnſchten effect erlangen. Ach wie gut waͤre es/ wo die auch hoffende beylegung der ſtreitigkeiten zwiſchen den HHr. Theologis koͤnte zu werck gerichtet werden: Aber wie mein wehrter herr ſorge traͤget/ ſo habe ſelbſt auch wenig hofnung. Jch ſehe faſt die bißhe- rige ſo viele außbrechende ſtreit und geiſtliche kriege an/ als eine goͤttliche ſtraff und gericht uͤber unſere kirche/ weil wir an ſo vielen orten ſo weit von der einfalt angefangen haben abzugehen/ und die Theologiam durch vermiſchung der vernunfft-lehr in allzuſpitzigen ſubtilitaͤten zu verwuͤckeln. Wo es ſich nicht fehlen kan/ daß nicht vielerley ſtreit entſtehen ſolte. Vielleicht wirds einigen ein anlaß ſeyn/ ſich allgemach mehr und mehr von ſolchen dingen abzuziehen/ und ſo Ss 2
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ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LI.
wegen ein ſcriptum bey der Fuͤrſtl. regentin ein/ gleich ob waͤre ihr hochſeliger
Herr und das außſchreiben darin zur ungebuͤhr angeſtochen/ (ſo aber Herr
Winckler beſtaͤndig bezeuget/ nicht auf daſſelbige ſondern andere diſcourſen
und machinationes reflectiret zu haben) wuͤrde auch gern geſehen haben/ daß
der HHr. Theologen zu Gieſſen etwas dagegen zu ſchreiben aufgetragen wor-
den waͤre/ welches aber die Fuͤrſtin nicht beliebte. Es iſt aber endlich GOttes
wille geweſen ihn vergangenem Julio von dieſer welt abzufordern. Der HErr
laſſe ihn barmhertzigkeit finden an jenem tage/ und rechne ihm nicht zu/ was er
aus præoccupirtem gemuͤth vor ſeuffzen einiger unſchuldigen von einer zeit her
ausgetrieben. Er war ſonſten noch von ziemlichen kraͤfften bey dieſem ſeinem al-
ter/ aber bey einem jahr her/ nach dem er unter den letzten jungen Fuͤrſten faſt al-
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in etlichen monaten wegnahm/ ſcheinet ſeiner kraͤfften ein ziemlicher anſtoß ge-
kommen ſeyn/ daß er bey der gefolgten regierung ſich nicht mehr in der vorigen au-
toritaͤt/ ſondern von der cantzeley und weltlichen geſchaͤfften die hand abzuziehen/
hingegen bey ſeinen amts-geſchaͤfften zu bleiben/ gemuͤßiget ſahe/ daß die fuͤrſtliche
commiſſion zu einiger reformation der Gießiſchen univerſitaͤt wuͤrcklichen ih-
ren fortgang erreichte/ zeitwaͤhrender dero lauff er geſtorben/ und noch auf dem
todbett daruͤber geklagt haben ſolle/ weil es ſchiene damit ſeine vorhin gebrauch-
te autoritaͤt vollends hinzufallen. Es iſt aber ſolche commiſſion noch nicht in
allen ſtuͤcken zu ende/ ſondern allein zur reſtabilirung der diſciplin 8. Studioſi ſo
viele unruhe angefangen und inſolenz getrieben haben ſollen/ cum infamia re-
legiret worden. Es ſollen aber die Commiſſarii nechſten wiederum ſich
hinverfuͤgen/ und die etwa noch uͤbrige unordnungen/ ſo den irrungen unter den
HHr. Profeſſoribus ſuchen zurecht zu bringen. Da zu GOtt ſeinen ſegen und
gnade verleihen wolle/ daß dieſe und alle univerſitaͤten warhafftig werden moͤ-
gen/ was ſie ſeyn ſollen/ nemlich officinæ Spiritus S. und rechte pflantzgaͤrten der
tugenden zu nutz kirchen und policey. Er gebe auch ſonderlich/ daß die ge-
meldete dero eigen univerſitaͤt viſitation moͤge den erwuͤnſchten effect erlangen.
Ach wie gut waͤre es/ wo die auch hoffende beylegung der ſtreitigkeiten zwiſchen
den HHr. Theologis koͤnte zu werck gerichtet werden: Aber wie mein wehrter
herr ſorge traͤget/ ſo habe ſelbſt auch wenig hofnung. Jch ſehe faſt die bißhe-
rige ſo viele außbrechende ſtreit und geiſtliche kriege an/ als eine goͤttliche ſtraff
und gericht uͤber unſere kirche/ weil wir an ſo vielen orten ſo weit von der einfalt
angefangen haben abzugehen/ und die Theologiam durch vermiſchung der
vernunfft-lehr in allzuſpitzigen ſubtilitaͤten zu verwuͤckeln. Wo es ſich nicht
fehlen kan/ daß nicht vielerley ſtreit entſtehen ſolte. Vielleicht wirds einigen ein
anlaß ſeyn/ ſich allgemach mehr und mehr von ſolchen dingen abzuziehen/ und
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/341>, abgerufen am 18.06.2024. |