Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

Bild:
<< vorherige Seite

Das sechste Capitel.
angezogenen vorred über die Epistel an die Römer: Wann sie das Evan-
gelium hören so fallen sie daher/ und machen ihnen auß eigenen
kräfften einen gedancken im hertzen/ der spricht/ ich glaube/ das hal-
ten sie dann vor einen rechten glauben. Aber wie es ein menschliches
gedicht und gedancken ist/ den deß hertzens grund nimmer erfähret/
also thut er auch nichts/ und folget keine besserung hernach.
Bey
solchen leuten ist das verdienst Christi nur in ihren blossen gedancken/ und
nicht in der krafft; daher es weder mit glauben ergriffen wird zur seligkeit/
dann solche leut haben den glauben nicht/ der von GOtt gewürcket ist/ noch
anderes gutes in ihnen würcket. Also aber ist das verdienst Christi nicht
nur in blossen gedancken/ sondern in der krafft/ wann es mit wahrem/ und
also Göttlichem lebendigem glauben (der in kein unbußfertiges hertz kommen
kan) ergriffen/ und also in Göttlichem gericht wahrhafftig dem menschen zu-
gerechnet wird/ und nachmahl auch seine krafft ferner in tödtung unsers alten
menschen bey uns erweiset. Dieses ist die doppelte krafft des verdienstes
Christi; wie es uns eines theils die seligkeit schencket/ andern theils die sünde
würcklich in uns dempffet/ und die heiligung befördert. Also kan ich wohl
sagen/ ich nehme den leuten das verdienst Christi nicht aus den hertzen/ son-
dern ich will/ daß es nicht in blossen eiteln gedancken/ sondern warhafftig in
dem hertzen seye/ so wohl in warhafftiger zurechnung/ die dem glauben ge-
schiehet/ und nicht der menschlichen einbildung/ alß auch folglichen kräf-
tiger würckung vieler früchten daher diese beyde stück einander nicht entgegen
zusetzen/ sondern zu subordiniren seynd/ daß Christi leben/ leiden und ver-
dienst uns beydes donum und exemplum seye: welche beyde nutzen des ver-
diensts Christi nicht ohne die gröste gefahr getrennet werden können. Was
das 4. anlanget/ daß ich consecutive alle schwache verdamme/ ist war-
hafftig eine unerfindliche auflage/ oder unziehmlicher gebrauch des worts
schwachheit. Jch habe in dem Sendschreiben austrücklich gemeldet/ daß
uns unsere schwachheit nicht von der seligkeit ausschliesse. Aber darin ligt
eben der grausame betrug des teuffels/ daß man insgemein alles unter
dem nahmen der schwachheit will durchstreichen lassen/ was vor Gottes au-
gen fein gute starcke boßheit ist. Schwache Christen müssen doch Christen
und Christi Jünger seyn/ daher einen solchen glauben haben/ der lebendig
seye/ daß man nun und nimmermehr mit willen GOtt beleidigen/ sondern viel-
mehr nach allen stücken in seinen geboten wandeln wollen: wo solcher nicht/
sondern noch der vorsatz ist/ GOtt und dem fleisch zugleich zu dienen/ da ist
nicht etwa ein schwacher/ sondern ein todter und also nicht wahrer glaube: Der
mensch mag auch in seinem kopff vor gedancken haben/ was er immer will.

Also

Das ſechſte Capitel.
angezogenen vorred uͤber die Epiſtel an die Roͤmer: Wann ſie das Evan-
gelium hoͤren ſo fallen ſie daher/ und machen ihnen auß eigenen
kraͤfften einen gedancken im hertzen/ der ſpricht/ ich glaube/ das hal-
ten ſie dann vor einen rechten glauben. Aber wie es ein menſchliches
gedicht und gedancken iſt/ den deß hertzens grund nimmer erfaͤhret/
alſo thut er auch nichts/ und folget keine beſſerung hernach.
Bey
ſolchen leuten iſt das verdienſt Chriſti nur in ihren bloſſen gedancken/ und
nicht in der krafft; daher es weder mit glauben ergriffen wird zur ſeligkeit/
dann ſolche leut haben den glauben nicht/ der von GOtt gewuͤrcket iſt/ noch
anderes gutes in ihnen wuͤrcket. Alſo aber iſt das verdienſt Chriſti nicht
nur in bloſſen gedancken/ ſondern in der krafft/ wann es mit wahrem/ und
alſo Goͤttlichem lebendigem glauben (der in kein unbußfertiges hertz kommen
kan) ergriffen/ und alſo in Goͤttlichem gericht wahrhafftig dem menſchen zu-
gerechnet wird/ und nachmahl auch ſeine krafft ferner in toͤdtung unſers alten
menſchen bey uns erweiſet. Dieſes iſt die doppelte krafft des verdienſtes
Chriſti; wie es uns eines theils die ſeligkeit ſchencket/ andern theils die ſuͤnde
wuͤrcklich in uns dempffet/ und die heiligung befoͤrdert. Alſo kan ich wohl
ſagen/ ich nehme den leuten das verdienſt Chriſti nicht aus den hertzen/ ſon-
dern ich will/ daß es nicht in bloſſen eiteln gedancken/ ſondern warhafftig in
dem hertzen ſeye/ ſo wohl in warhafftiger zurechnung/ die dem glauben ge-
ſchiehet/ und nicht der menſchlichen einbildung/ alß auch folglichen kraͤf-
tiger wuͤrckung vieler fruͤchten daher dieſe beyde ſtuͤck einander nicht entgegen
zuſetzen/ ſondern zu ſubordiniren ſeynd/ daß Chriſti leben/ leiden und ver-
dienſt uns beydes donum und exemplum ſeye: welche beyde nutzen des ver-
dienſts Chriſti nicht ohne die groͤſte gefahr getrennet werden koͤnnen. Was
das 4. anlanget/ daß ich conſecutive alle ſchwache verdamme/ iſt war-
hafftig eine unerfindliche auflage/ oder unziehmlicher gebrauch des worts
ſchwachheit. Jch habe in dem Sendſchreiben austruͤcklich gemeldet/ daß
uns unſere ſchwachheit nicht von der ſeligkeit ausſchlieſſe. Aber darin ligt
eben der grauſame betrug des teuffels/ daß man insgemein alles unter
dem nahmen der ſchwachheit will durchſtreichen laſſen/ was vor Gottes au-
gen fein gute ſtarcke boßheit iſt. Schwache Chriſten muͤſſen doch Chriſten
und Chriſti Juͤnger ſeyn/ daher einen ſolchen glauben haben/ der lebendig
ſeye/ daß man nun und nimmermehr mit willen GOtt beleidigen/ ſondern viel-
mehr nach allen ſtuͤcken in ſeinen geboten wandeln wollen: wo ſolcher nicht/
ſondern noch der vorſatz iſt/ GOtt und dem fleiſch zugleich zu dienen/ da iſt
nicht etwa ein ſchwacher/ ſondern ein todter und alſo nicht wahrer glaube: Der
menſch mag auch in ſeinem kopff vor gedancken haben/ was er immer will.

Alſo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0376" n="358"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das &#x017F;ech&#x017F;te Capitel.</hi></fw><lb/>
angezogenen vorred u&#x0364;ber die Epi&#x017F;tel an die Ro&#x0364;mer: <hi rendition="#fr">Wann &#x017F;ie das Evan-<lb/>
gelium ho&#x0364;ren &#x017F;o fallen &#x017F;ie daher/ und machen ihnen auß eigenen<lb/>
kra&#x0364;fften einen gedancken im hertzen/ der &#x017F;pricht/ ich glaube/ das hal-<lb/>
ten &#x017F;ie dann vor einen rechten glauben. Aber wie es ein men&#x017F;chliches<lb/>
gedicht und gedancken i&#x017F;t/ den deß hertzens grund nimmer erfa&#x0364;hret/<lb/>
al&#x017F;o thut er auch nichts/ und folget keine be&#x017F;&#x017F;erung hernach.</hi> Bey<lb/>
&#x017F;olchen leuten i&#x017F;t das verdien&#x017F;t Chri&#x017F;ti nur in ihren blo&#x017F;&#x017F;en gedancken/ und<lb/>
nicht in der krafft; daher es weder mit glauben ergriffen wird zur &#x017F;eligkeit/<lb/>
dann &#x017F;olche leut haben den glauben nicht/ der von GOtt gewu&#x0364;rcket i&#x017F;t/ noch<lb/>
anderes gutes in ihnen wu&#x0364;rcket. Al&#x017F;o aber i&#x017F;t das verdien&#x017F;t Chri&#x017F;ti nicht<lb/>
nur in blo&#x017F;&#x017F;en gedancken/ &#x017F;ondern in der krafft/ wann es mit wahrem/ und<lb/>
al&#x017F;o Go&#x0364;ttlichem lebendigem glauben (der in kein unbußfertiges hertz kommen<lb/>
kan) ergriffen/ und al&#x017F;o in Go&#x0364;ttlichem gericht wahrhafftig dem men&#x017F;chen zu-<lb/>
gerechnet wird/ und nachmahl auch &#x017F;eine krafft ferner in to&#x0364;dtung un&#x017F;ers alten<lb/>
men&#x017F;chen bey uns erwei&#x017F;et. Die&#x017F;es i&#x017F;t die doppelte krafft des verdien&#x017F;tes<lb/>
Chri&#x017F;ti; wie es uns eines theils die &#x017F;eligkeit &#x017F;chencket/ andern theils die &#x017F;u&#x0364;nde<lb/>
wu&#x0364;rcklich in uns dempffet/ und die heiligung befo&#x0364;rdert. Al&#x017F;o kan ich wohl<lb/>
&#x017F;agen/ ich nehme den leuten das verdien&#x017F;t Chri&#x017F;ti nicht aus den hertzen/ &#x017F;on-<lb/>
dern ich will/ daß es nicht in blo&#x017F;&#x017F;en eiteln gedancken/ &#x017F;ondern warhafftig in<lb/>
dem hertzen &#x017F;eye/ &#x017F;o wohl in warhafftiger zurechnung/ die dem glauben ge-<lb/>
&#x017F;chiehet/ und nicht der men&#x017F;chlichen einbildung/ alß auch folglichen kra&#x0364;f-<lb/>
tiger wu&#x0364;rckung vieler fru&#x0364;chten daher die&#x017F;e beyde &#x017F;tu&#x0364;ck einander nicht entgegen<lb/>
zu&#x017F;etzen/ &#x017F;ondern zu <hi rendition="#aq">&#x017F;ubordini</hi>ren &#x017F;eynd/ daß Chri&#x017F;ti leben/ leiden und ver-<lb/>
dien&#x017F;t uns beydes <hi rendition="#aq">donum</hi> und <hi rendition="#aq">exemplum</hi> &#x017F;eye: welche beyde nutzen des ver-<lb/>
dien&#x017F;ts Chri&#x017F;ti nicht ohne die gro&#x0364;&#x017F;te gefahr getrennet werden ko&#x0364;nnen. Was<lb/>
das 4. anlanget/ daß ich <hi rendition="#aq">con&#x017F;ecutive</hi> <hi rendition="#fr">alle &#x017F;chwache verdamme/</hi> i&#x017F;t war-<lb/>
hafftig eine unerfindliche auflage/ oder unziehmlicher gebrauch des worts<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;chwachheit.</hi> Jch habe in dem Send&#x017F;chreiben austru&#x0364;cklich gemeldet/ daß<lb/>
uns un&#x017F;ere &#x017F;chwachheit nicht von der &#x017F;eligkeit aus&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;e. Aber darin ligt<lb/>
eben der grau&#x017F;ame betrug des teuffels/ daß man insgemein alles unter<lb/>
dem nahmen der &#x017F;chwachheit will durch&#x017F;treichen la&#x017F;&#x017F;en/ was vor Gottes au-<lb/>
gen fein gute &#x017F;tarcke boßheit i&#x017F;t. Schwache Chri&#x017F;ten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en doch Chri&#x017F;ten<lb/>
und Chri&#x017F;ti Ju&#x0364;nger &#x017F;eyn/ daher einen &#x017F;olchen glauben haben/ der lebendig<lb/>
&#x017F;eye/ daß man nun und nimmermehr mit willen GOtt beleidigen/ &#x017F;ondern viel-<lb/>
mehr nach allen &#x017F;tu&#x0364;cken in &#x017F;einen geboten wandeln wollen: wo &#x017F;olcher nicht/<lb/>
&#x017F;ondern noch der vor&#x017F;atz i&#x017F;t/ GOtt und dem flei&#x017F;ch zugleich zu dienen/ da i&#x017F;t<lb/>
nicht etwa ein &#x017F;chwacher/ &#x017F;ondern ein todter und al&#x017F;o nicht wahrer glaube: Der<lb/>
men&#x017F;ch mag auch in &#x017F;einem kopff vor gedancken haben/ was er immer will.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Al&#x017F;o</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0376] Das ſechſte Capitel. angezogenen vorred uͤber die Epiſtel an die Roͤmer: Wann ſie das Evan- gelium hoͤren ſo fallen ſie daher/ und machen ihnen auß eigenen kraͤfften einen gedancken im hertzen/ der ſpricht/ ich glaube/ das hal- ten ſie dann vor einen rechten glauben. Aber wie es ein menſchliches gedicht und gedancken iſt/ den deß hertzens grund nimmer erfaͤhret/ alſo thut er auch nichts/ und folget keine beſſerung hernach. Bey ſolchen leuten iſt das verdienſt Chriſti nur in ihren bloſſen gedancken/ und nicht in der krafft; daher es weder mit glauben ergriffen wird zur ſeligkeit/ dann ſolche leut haben den glauben nicht/ der von GOtt gewuͤrcket iſt/ noch anderes gutes in ihnen wuͤrcket. Alſo aber iſt das verdienſt Chriſti nicht nur in bloſſen gedancken/ ſondern in der krafft/ wann es mit wahrem/ und alſo Goͤttlichem lebendigem glauben (der in kein unbußfertiges hertz kommen kan) ergriffen/ und alſo in Goͤttlichem gericht wahrhafftig dem menſchen zu- gerechnet wird/ und nachmahl auch ſeine krafft ferner in toͤdtung unſers alten menſchen bey uns erweiſet. Dieſes iſt die doppelte krafft des verdienſtes Chriſti; wie es uns eines theils die ſeligkeit ſchencket/ andern theils die ſuͤnde wuͤrcklich in uns dempffet/ und die heiligung befoͤrdert. Alſo kan ich wohl ſagen/ ich nehme den leuten das verdienſt Chriſti nicht aus den hertzen/ ſon- dern ich will/ daß es nicht in bloſſen eiteln gedancken/ ſondern warhafftig in dem hertzen ſeye/ ſo wohl in warhafftiger zurechnung/ die dem glauben ge- ſchiehet/ und nicht der menſchlichen einbildung/ alß auch folglichen kraͤf- tiger wuͤrckung vieler fruͤchten daher dieſe beyde ſtuͤck einander nicht entgegen zuſetzen/ ſondern zu ſubordiniren ſeynd/ daß Chriſti leben/ leiden und ver- dienſt uns beydes donum und exemplum ſeye: welche beyde nutzen des ver- dienſts Chriſti nicht ohne die groͤſte gefahr getrennet werden koͤnnen. Was das 4. anlanget/ daß ich conſecutive alle ſchwache verdamme/ iſt war- hafftig eine unerfindliche auflage/ oder unziehmlicher gebrauch des worts ſchwachheit. Jch habe in dem Sendſchreiben austruͤcklich gemeldet/ daß uns unſere ſchwachheit nicht von der ſeligkeit ausſchlieſſe. Aber darin ligt eben der grauſame betrug des teuffels/ daß man insgemein alles unter dem nahmen der ſchwachheit will durchſtreichen laſſen/ was vor Gottes au- gen fein gute ſtarcke boßheit iſt. Schwache Chriſten muͤſſen doch Chriſten und Chriſti Juͤnger ſeyn/ daher einen ſolchen glauben haben/ der lebendig ſeye/ daß man nun und nimmermehr mit willen GOtt beleidigen/ ſondern viel- mehr nach allen ſtuͤcken in ſeinen geboten wandeln wollen: wo ſolcher nicht/ ſondern noch der vorſatz iſt/ GOtt und dem fleiſch zugleich zu dienen/ da iſt nicht etwa ein ſchwacher/ ſondern ein todter und alſo nicht wahrer glaube: Der menſch mag auch in ſeinem kopff vor gedancken haben/ was er immer will. Alſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/376
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/376>, abgerufen am 22.11.2024.