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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
warhafftig in das leben der gerechtigkeit eintreten müssen. Da sage ich
drauf/ daß ich an solchem articul (nemlich wie uns der tod und aufferstehung
Christi die seligkeit seye/ und uns auch heilige) am meisten arbeite. Das
heisset aber nicht nur vornemlich an dem studio sanctimoniae treiben/ son-
dern glauben und dessen früchten/ wie es nach Göttlicher ordnung sein sol-
le/ mit einander treiben/ und sie nicht lassen von einander getrennet werden/
unterdessen einem jeglichen seine stelle und ordnung geben. Jch lasse auch
die conseqvenz nicht gelten/ wer mehr wort machte von dem Gottseligen leben
alß von dem glauben/ der legte den wercken mehr zu/ alß dem glauben;
in dem wir damit nicht nur Jacobum hart beschuldigen würden/ welcher in
seiner Epistel/ da ers mit leuten zuthun hatte/ bey denen der grund des glau-
bens gelegt war/ und sie davon genugsam unterricht hatten/ aber sich solcher
lehr anfingen zu mißbrauchen/ das meiste mit treibung auf die früchte zu-
bringt/ sondern eben so wohl Johannem/ den dem HErren so liebsten Jün-
ger: Da gleichwohl/ wo wir seine güldene Epistel lesen/ derjenigen wort/ dar-
mit er auf die heiligung treibet/ oder dero kennzeichen lehret/ auch derselben
nutzen anzeiget/ viel mehr sind/ als womit er die seligmachende krafft des
verdienstes Christi und des glaubens preiset. Wer wolte darum sagen/ daß
dieser theuere Apostel den wercken mehr als dem glauben beygeleget hätte?
Ja man rechne die reden Christi/ die er in seinen predigten an das volck ge-
than/ wovon der HErr mehr wort gemacht habe/ von dem glauben an ihn
und der darauß erlangenden seligkeit/ oder von dem leben? und doch hat er
darum den wercken nichts von der seligkeit zugeschrieben. So kan mir ja
nicht beygemessen werden/ daß ich in salutis acqvirendae negotio den wer-
cken mehr als dem glauben zuschreibe/ weil ich ja von unserer seiten den glau-
ben/ und zwar wie er den wercken allen/ sie seyn innerlich oder eusserlich/ ent-
gegen gesetzet wird/ vor das einige mittel der seligkeit zuerlangen erkenne und
lehre/ und den wercken in der erlangung der seligkeit nicht nur nicht mehr
sondern gar nichts zuschreibe. Was die dritte beschwerde anlanget/ daß
die phrasis in der krafft bey uns zu sein/ ambigua wäre: cum aliud sit,
apprehensive meritum Christi animis inculcare, aliud imitative ut Chri-
stum in vita repraesentent.
Jch sehe aber nicht/ wie mir solches entgegen
stehe: Jch sage/ daß Christi verdienst nicht nur müste in blossen gedancken/ son-
dern in der krafft bey uns sein. Soll diese phrasis falsch sein/ so ist die con-
tradictoria
war: das verdienst Christi mag in blossen gedancken/ und bedarff
nicht in der krafft bey uns zu sein. Ob sich nun jemand zu solchem satz be-
kennen würde/ zweiffele ich sehr. So ist dann jene propositio wahr. Waß
ich von den blossen gedancken sage/ habe ich aus Luthero in der mehrmahl an-

ge-
Yy 3

ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
warhafftig in das leben der gerechtigkeit eintreten muͤſſen. Da ſage ich
drauf/ daß ich an ſolchem articul (nemlich wie uns der tod und aufferſtehung
Chriſti die ſeligkeit ſeye/ und uns auch heilige) am meiſten arbeite. Das
heiſſet aber nicht nur vornemlich an dem ſtudio ſanctimoniæ treiben/ ſon-
dern glauben und deſſen fruͤchten/ wie es nach Goͤttlicher ordnung ſein ſol-
le/ mit einander treiben/ und ſie nicht laſſen von einander getrennet werden/
unterdeſſen einem jeglichen ſeine ſtelle und ordnung geben. Jch laſſe auch
die conſeqvenz nicht gelten/ wer mehr wort machte von dem Gottſeligen leben
alß von dem glauben/ der legte den wercken mehr zu/ alß dem glauben;
in dem wir damit nicht nur Jacobum hart beſchuldigen wuͤrden/ welcher in
ſeiner Epiſtel/ da ers mit leuten zuthun hatte/ bey denen der grund des glau-
bens gelegt war/ und ſie davon genugſam unterricht hatten/ aber ſich ſolcher
lehr anfingen zu mißbrauchen/ das meiſte mit treibung auf die fruͤchte zu-
bringt/ ſondern eben ſo wohl Johannem/ den dem HErren ſo liebſten Juͤn-
ger: Da gleichwohl/ wo wir ſeine guͤldene Epiſtel leſen/ derjenigen wort/ dar-
mit er auf die heiligung treibet/ oder dero kennzeichen lehret/ auch derſelben
nutzen anzeiget/ viel mehr ſind/ als womit er die ſeligmachende krafft des
verdienſtes Chriſti und des glaubens preiſet. Wer wolte darum ſagen/ daß
dieſer theuere Apoſtel den wercken mehr als dem glauben beygeleget haͤtte?
Ja man rechne die reden Chriſti/ die er in ſeinen predigten an das volck ge-
than/ wovon der HErr mehr wort gemacht habe/ von dem glauben an ihn
und der darauß erlangenden ſeligkeit/ oder von dem leben? und doch hat er
darum den wercken nichts von der ſeligkeit zugeſchrieben. So kan mir ja
nicht beygemeſſen werden/ daß ich in ſalutis acqvirendæ negotio den wer-
cken mehr als dem glauben zuſchreibe/ weil ich ja von unſerer ſeiten den glau-
ben/ und zwar wie er den wercken allen/ ſie ſeyn innerlich oder euſſerlich/ ent-
gegen geſetzet wird/ vor das einige mittel der ſeligkeit zuerlangen erkenne und
lehre/ und den wercken in der erlangung der ſeligkeit nicht nur nicht mehr
ſondern gar nichts zuſchreibe. Was die dritte beſchwerde anlanget/ daß
die phraſis in der krafft bey uns zu ſein/ ambigua waͤre: cum aliud ſit,
apprehenſive meritum Chriſti animis inculcare, aliud imitative ut Chri-
ſtum in vita repræſentent.
Jch ſehe aber nicht/ wie mir ſolches entgegen
ſtehe: Jch ſage/ daß Chriſti verdienſt nicht nur muͤſte in bloſſen gedancken/ ſon-
dern in der krafft bey uns ſein. Soll dieſe phraſis falſch ſein/ ſo iſt die con-
tradictoria
war: das verdienſt Chriſti mag in bloſſen gedancken/ und bedarff
nicht in der krafft bey uns zu ſein. Ob ſich nun jemand zu ſolchem ſatz be-
kennen wuͤrde/ zweiffele ich ſehr. So iſt dann jene propoſitio wahr. Waß
ich von den bloſſen gedancken ſage/ habe ich aus Luthero in der mehrmahl an-

ge-
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[357/0375] ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II. warhafftig in das leben der gerechtigkeit eintreten muͤſſen. Da ſage ich drauf/ daß ich an ſolchem articul (nemlich wie uns der tod und aufferſtehung Chriſti die ſeligkeit ſeye/ und uns auch heilige) am meiſten arbeite. Das heiſſet aber nicht nur vornemlich an dem ſtudio ſanctimoniæ treiben/ ſon- dern glauben und deſſen fruͤchten/ wie es nach Goͤttlicher ordnung ſein ſol- le/ mit einander treiben/ und ſie nicht laſſen von einander getrennet werden/ unterdeſſen einem jeglichen ſeine ſtelle und ordnung geben. Jch laſſe auch die conſeqvenz nicht gelten/ wer mehr wort machte von dem Gottſeligen leben alß von dem glauben/ der legte den wercken mehr zu/ alß dem glauben; in dem wir damit nicht nur Jacobum hart beſchuldigen wuͤrden/ welcher in ſeiner Epiſtel/ da ers mit leuten zuthun hatte/ bey denen der grund des glau- bens gelegt war/ und ſie davon genugſam unterricht hatten/ aber ſich ſolcher lehr anfingen zu mißbrauchen/ das meiſte mit treibung auf die fruͤchte zu- bringt/ ſondern eben ſo wohl Johannem/ den dem HErren ſo liebſten Juͤn- ger: Da gleichwohl/ wo wir ſeine guͤldene Epiſtel leſen/ derjenigen wort/ dar- mit er auf die heiligung treibet/ oder dero kennzeichen lehret/ auch derſelben nutzen anzeiget/ viel mehr ſind/ als womit er die ſeligmachende krafft des verdienſtes Chriſti und des glaubens preiſet. Wer wolte darum ſagen/ daß dieſer theuere Apoſtel den wercken mehr als dem glauben beygeleget haͤtte? Ja man rechne die reden Chriſti/ die er in ſeinen predigten an das volck ge- than/ wovon der HErr mehr wort gemacht habe/ von dem glauben an ihn und der darauß erlangenden ſeligkeit/ oder von dem leben? und doch hat er darum den wercken nichts von der ſeligkeit zugeſchrieben. So kan mir ja nicht beygemeſſen werden/ daß ich in ſalutis acqvirendæ negotio den wer- cken mehr als dem glauben zuſchreibe/ weil ich ja von unſerer ſeiten den glau- ben/ und zwar wie er den wercken allen/ ſie ſeyn innerlich oder euſſerlich/ ent- gegen geſetzet wird/ vor das einige mittel der ſeligkeit zuerlangen erkenne und lehre/ und den wercken in der erlangung der ſeligkeit nicht nur nicht mehr ſondern gar nichts zuſchreibe. Was die dritte beſchwerde anlanget/ daß die phraſis in der krafft bey uns zu ſein/ ambigua waͤre: cum aliud ſit, apprehenſive meritum Chriſti animis inculcare, aliud imitative ut Chri- ſtum in vita repræſentent. Jch ſehe aber nicht/ wie mir ſolches entgegen ſtehe: Jch ſage/ daß Chriſti verdienſt nicht nur muͤſte in bloſſen gedancken/ ſon- dern in der krafft bey uns ſein. Soll dieſe phraſis falſch ſein/ ſo iſt die con- tradictoria war: das verdienſt Chriſti mag in bloſſen gedancken/ und bedarff nicht in der krafft bey uns zu ſein. Ob ſich nun jemand zu ſolchem ſatz be- kennen wuͤrde/ zweiffele ich ſehr. So iſt dann jene propoſitio wahr. Waß ich von den bloſſen gedancken ſage/ habe ich aus Luthero in der mehrmahl an- ge- Yy 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/375>, abgerufen am 22.11.2024.