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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXIV.
allein zu rettung unsers theuren GOttes-Mannes wider die lästerung der
Papisten/ welche dieselbe in einen gantz gottlosen verstand verkehret hat-
ten/ angesehen gewesen; zu zeigen/ was vor ein heiliger und so lehr-als
trost-reicher verstand in denselben erkannt werden könte. Jch meyne aber/
es seye über dieselbe von mir satisfaction genug geschehen. Das wort
gelassenheit ist von so vielen rechtschaffensten und auch accuratesten
Theologis gebraucht worden/ ehe wir alle gebohren sind/ daß ich mich
wundere/ mit was stirn iemand etwas mehr dagegen vorbringen könne.
Wo mir aber auch die wort der erneuerung und heiligung vor unge-
gewöhnlich wollen halten (dann neu können sie nicht seyn/ die aevo aposto.
lico
nach dem zeugnüß der schrifft im schwang gewesen) so halte ich solches
vor eine der grösten beschimpffung unser kirchen/ deren schande wir viel-
mehr zuzudecken hätten. Ach freylich ist es so/ aber es seye auch solches
GOtt geklagt/ daß solche worte der erneuerung und heiligung einigen leh-
rern des volcks ungewöhnlich sind/ die sie vor sich selbst nicht verstehen/
oder von solchen dingen vor der gemeinde zu reden scheu tragen/ welche sie/
weil sie nichts davon an sich haben/ vor derselben nur zu schanden machen
würden: aber daher kommts/ daß etwa wenig erneuerung oder heiligung
bey den zuhörern sich findet (da doch niemand ohne heiligung GOtt sehen
wird) weil ihnen nicht einmahl die worte bekannt/ oder wohl gar ver-
dächtig sind: geschweige daß die sache selbs mit gnugsamen ernst ihnen ein-
getrieben und vorgestellt würde. Worüber wir uns gewiß vor GOTT
und Christlichen Augen zu schämen ursach finden solten/ wenn wir recht
erkenneten/ was das wahre Christenthum wäre/ wie dessen haupt- und
ende-zweck/ was diese zeit anlangt/ in der erneuerung und heiligung be-
stehet/ daher sache und worte in mund und that sich allezeit finden solten/
wo es recht hergienge. Was die errores Spenerianos aus meiner
Postill anlangt/ so verlange diejenige dermahleinsten zu sehen/ welche ein
solcher censor daraus klauben wird. Kommt aber nichts wichtigers/ als
was er meinem Großgst. Hochgeehrten Herrn zum ersten specimine ge-
wiesen/ vor dessen communication schuldigen danck sage/ so möchte er
wohl seine stunden zu etwas nützlichers als einer solchen vergebenen mühe
angewendet haben. Wie viel reichere aufferbauung in den Sonntägli-
chen Episteln als Evangelien zu finden wäre/ meyne ich ja/ es seye eine
solche wahrheit/ die man mit händen greiffen könne/ wo man sie nicht mit
augen will. Jn dem/ wir reden vom Glauben oder Glaubens-früchten/
dieselbe unwiedersprechlich deutlicher in jenen als diesen anzutreffen sind/
da wir offters/ wo wir alles zur seligkeit nöthige aus diesen wollen vortra-
gen/ bedörffen die Evangelia fast dahin zu beugen/ wohin sie von selbst

incli-

ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXIV.
allein zu rettung unſers theuren GOttes-Mannes wider die laͤſterung der
Papiſten/ welche dieſelbe in einen gantz gottloſen verſtand verkehret hat-
ten/ angeſehen geweſen; zu zeigen/ was vor ein heiliger und ſo lehr-als
troſt-reicher verſtand in denſelben erkannt werden koͤnte. Jch meyne aber/
es ſeye uͤber dieſelbe von mir ſatisfaction genug geſchehen. Das wort
gelaſſenheit iſt von ſo vielen rechtſchaffenſten und auch accurateſten
Theologis gebraucht worden/ ehe wir alle gebohren ſind/ daß ich mich
wundere/ mit was ſtirn iemand etwas mehr dagegen vorbringen koͤnne.
Wo mir aber auch die wort der erneuerung und heiligung vor unge-
gewoͤhnlich wollen halten (dann neu koͤnnen ſie nicht ſeyn/ die ævo apoſto.
lico
nach dem zeugnuͤß der ſchrifft im ſchwang geweſen) ſo halte ich ſolches
vor eine der groͤſten beſchimpffung unſer kirchen/ deren ſchande wir viel-
mehr zuzudecken haͤtten. Ach freylich iſt es ſo/ aber es ſeye auch ſolches
GOtt geklagt/ daß ſolche worte der erneuerung und heiligung einigen leh-
rern des volcks ungewoͤhnlich ſind/ die ſie vor ſich ſelbſt nicht verſtehen/
oder von ſolchen dingen vor der gemeinde zu reden ſcheu tragen/ welche ſie/
weil ſie nichts davon an ſich haben/ vor derſelben nur zu ſchanden machen
wuͤrden: aber daher kommts/ daß etwa wenig erneuerung oder heiligung
bey den zuhoͤrern ſich findet (da doch niemand ohne heiligung GOtt ſehen
wird) weil ihnen nicht einmahl die worte bekannt/ oder wohl gar ver-
daͤchtig ſind: geſchweige daß die ſache ſelbs mit gnugſamen ernſt ihnen ein-
getrieben und vorgeſtellt wuͤrde. Woruͤber wir uns gewiß vor GOTT
und Chriſtlichen Augen zu ſchaͤmen urſach finden ſolten/ wenn wir recht
erkenneten/ was das wahre Chriſtenthum waͤre/ wie deſſen haupt- und
ende-zweck/ was dieſe zeit anlangt/ in der erneuerung und heiligung be-
ſtehet/ daher ſache und worte in mund und that ſich allezeit finden ſolten/
wo es recht hergienge. Was die errores Spenerianos aus meiner
Poſtill anlangt/ ſo verlange diejenige dermahleinſten zu ſehen/ welche ein
ſolcher cenſor daraus klauben wird. Kommt aber nichts wichtigers/ als
was er meinem Großgſt. Hochgeehrten Herrn zum erſten ſpecimine ge-
wieſen/ vor deſſen communication ſchuldigen danck ſage/ ſo moͤchte er
wohl ſeine ſtunden zu etwas nuͤtzlichers als einer ſolchen vergebenen muͤhe
angewendet haben. Wie viel reichere aufferbauung in den Sonntaͤgli-
chen Epiſteln als Evangelien zu finden waͤre/ meyne ich ja/ es ſeye eine
ſolche wahrheit/ die man mit haͤnden greiffen koͤnne/ wo man ſie nicht mit
augen will. Jn dem/ wir reden vom Glauben oder Glaubens-fruͤchten/
dieſelbe unwiederſprechlich deutlicher in jenen als dieſen anzutreffen ſind/
da wir offters/ wo wir alles zur ſeligkeit noͤthige aus dieſen wollen vortra-
gen/ bedoͤrffen die Evangelia faſt dahin zu beugen/ wohin ſie von ſelbſt

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[431/0449] ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXIV. allein zu rettung unſers theuren GOttes-Mannes wider die laͤſterung der Papiſten/ welche dieſelbe in einen gantz gottloſen verſtand verkehret hat- ten/ angeſehen geweſen; zu zeigen/ was vor ein heiliger und ſo lehr-als troſt-reicher verſtand in denſelben erkannt werden koͤnte. Jch meyne aber/ es ſeye uͤber dieſelbe von mir ſatisfaction genug geſchehen. Das wort gelaſſenheit iſt von ſo vielen rechtſchaffenſten und auch accurateſten Theologis gebraucht worden/ ehe wir alle gebohren ſind/ daß ich mich wundere/ mit was ſtirn iemand etwas mehr dagegen vorbringen koͤnne. Wo mir aber auch die wort der erneuerung und heiligung vor unge- gewoͤhnlich wollen halten (dann neu koͤnnen ſie nicht ſeyn/ die ævo apoſto. lico nach dem zeugnuͤß der ſchrifft im ſchwang geweſen) ſo halte ich ſolches vor eine der groͤſten beſchimpffung unſer kirchen/ deren ſchande wir viel- mehr zuzudecken haͤtten. Ach freylich iſt es ſo/ aber es ſeye auch ſolches GOtt geklagt/ daß ſolche worte der erneuerung und heiligung einigen leh- rern des volcks ungewoͤhnlich ſind/ die ſie vor ſich ſelbſt nicht verſtehen/ oder von ſolchen dingen vor der gemeinde zu reden ſcheu tragen/ welche ſie/ weil ſie nichts davon an ſich haben/ vor derſelben nur zu ſchanden machen wuͤrden: aber daher kommts/ daß etwa wenig erneuerung oder heiligung bey den zuhoͤrern ſich findet (da doch niemand ohne heiligung GOtt ſehen wird) weil ihnen nicht einmahl die worte bekannt/ oder wohl gar ver- daͤchtig ſind: geſchweige daß die ſache ſelbs mit gnugſamen ernſt ihnen ein- getrieben und vorgeſtellt wuͤrde. Woruͤber wir uns gewiß vor GOTT und Chriſtlichen Augen zu ſchaͤmen urſach finden ſolten/ wenn wir recht erkenneten/ was das wahre Chriſtenthum waͤre/ wie deſſen haupt- und ende-zweck/ was dieſe zeit anlangt/ in der erneuerung und heiligung be- ſtehet/ daher ſache und worte in mund und that ſich allezeit finden ſolten/ wo es recht hergienge. Was die errores Spenerianos aus meiner Poſtill anlangt/ ſo verlange diejenige dermahleinſten zu ſehen/ welche ein ſolcher cenſor daraus klauben wird. Kommt aber nichts wichtigers/ als was er meinem Großgſt. Hochgeehrten Herrn zum erſten ſpecimine ge- wieſen/ vor deſſen communication ſchuldigen danck ſage/ ſo moͤchte er wohl ſeine ſtunden zu etwas nuͤtzlichers als einer ſolchen vergebenen muͤhe angewendet haben. Wie viel reichere aufferbauung in den Sonntaͤgli- chen Epiſteln als Evangelien zu finden waͤre/ meyne ich ja/ es ſeye eine ſolche wahrheit/ die man mit haͤnden greiffen koͤnne/ wo man ſie nicht mit augen will. Jn dem/ wir reden vom Glauben oder Glaubens-fruͤchten/ dieſelbe unwiederſprechlich deutlicher in jenen als dieſen anzutreffen ſind/ da wir offters/ wo wir alles zur ſeligkeit noͤthige aus dieſen wollen vortra- gen/ bedoͤrffen die Evangelia faſt dahin zu beugen/ wohin ſie von ſelbſt incli-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/449>, abgerufen am 22.11.2024.