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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
incliniren. Wie ichs erfahren/ als in dem vorigen jahr alle Glaubens-
Articul mir vorgenommen/ der gemeinde zu erklähren/ und also damit
zu frieden habe seyn müssen/ wo ich zu weilen nur eine wenige anlaß habe
finden können. Jch erfahre es auch dieses jahr/ da ich nun die tugend
daraus zu tractiren vorgenommen. Daß das herkommen der Juden und
der Adel ihres geschlechts der höchste seye/ als die aus denen vor-eltern
entsprossen/ die GOtt nach seinem urtheil allen andern völckern in der Welt
vorgezogen hat/ 5. Mos. 7. v. 26. ist offenbar. Ein anders ist/ wo wir von
ihrem gegenwärtigen zustand reden/ da sie freylich aus dem göttlichen gerichte
vor ietzo die geringste und verachteste sind. 5. Mos. 28. v. 37. 44. aber von
der edlesten extraction und geschlecht. Was über Röm. 12. v. 8. scrupulirt
wird/ ist ie eine nichtige sache. Der text zeigt selber/ was ich sage. So bemercket
Paulus 1. Tim. 5. v. 17. daß nicht alle ältesten haben am wort und in der
lehre gearbeitet/ welches eben diejenige sind/ die die aufsicht auf die gemeinde/
und sie nach gelegenheit zu erinnern gehabt: davon wir ja noch heut zu tage
an einigen orten die kirchen-censores haben. Die beschuldigung Herrn
Horbii wünschte zwar lieber von ihm selbs beantwortet zu werden/ und daß
diejenige/ welche ihn beschuldigen/ sich an ihn adressirten. Daß aber auffs
wenigste mein Grgst. Hochg. Herr einige erläuterung gebe/ so ist zwar 1. dieses
gantz gewiß/ daß leute/ welche sich nicht resolviren wolln/ ihr Christenthum ihre
vornehmste und einige sorge seyn zu lassen/ nicht viel trost aus seinen predig-
ten und zuspruch fassen/ sondern die anklage ihres gewissens fühlen werden.
Daher muß solches wort ihnen entweder ein geruch des lebens zum leben/ wo
sie sich dadurch bekehren lassen/ oder des todes zum tode werden/ daß sie theils
verstockter und ruchloser/ theils wo sie das gewissen nicht übertäuben können/
und sich doch zur busse nicht schicken wollen/ schwermüthig werden mögen.
Welches dann die ordinaire wirckung des Göttlichen worts ist/ wo es mit
ernst getrieben/ und ihm also seine krafft gelassen wird. Hingegen bin ich ver-
sichert/ daß seine lehre denjenigen/ welche sich in gehorsam GOttes dargeben/
und also des trostes fähig sind/ so viel trost in seiner lehr finden werden/ daß sie
sich auch stätig darüber zu freuen krafft finden. 2. Daß er in öffendlichen zu-
sammenkünfften keine andere als geistl. discours leiden wolle/ geschiehet ihm ge-
wiß ungütlich; er billichet so wohl/ wo von geist-als weltl. nützlichen dingen
geredet wird. Aber er wil alle die unnütze geschwätz/ richten des nebenmenschen/
grosser oder kleiner/ reden die nur zur zeitvertreib angesehen/ und sonsten weder
zu diesem noch jenem leben nichts dienen/ viel mehr üppige schertze/ abgestellet
haben. Da leugne ich nun nicht/ wo diese ausgemustert werden/ die
das meiste bey den zusammenkünfften insgemein machen/ so werden vie-
le fast stumm da sitzen müssen/ die ihr leben lang nichts anders gewohnt
gewesen sind. Er fordert hierinn aber nichts mehr/ als was Christus

und

Das ſechſte Capitel.
incliniren. Wie ichs erfahren/ als in dem vorigen jahr alle Glaubens-
Articul mir vorgenommen/ der gemeinde zu erklaͤhren/ und alſo damit
zu frieden habe ſeyn muͤſſen/ wo ich zu weilen nur eine wenige anlaß habe
finden koͤnnen. Jch erfahre es auch dieſes jahr/ da ich nun die tugend
daraus zu tractiren vorgenommen. Daß das herkommen der Juden und
der Adel ihres geſchlechts der hoͤchſte ſeye/ als die aus denen vor-eltern
entſproſſen/ die GOtt nach ſeinem urtheil allen andern voͤlckern in der Welt
vorgezogen hat/ 5. Moſ. 7. v. 26. iſt offenbar. Ein anders iſt/ wo wir von
ihrem gegenwaͤrtigen zuſtand reden/ da ſie freylich aus dem goͤttlichen gerichte
vor ietzo die geringſte und verachteſte ſind. 5. Moſ. 28. v. 37. 44. aber von
der edleſten extraction und geſchlecht. Was uͤber Roͤm. 12. v. 8. ſcrupulirt
wird/ iſt ie eine nichtige ſache. Der text zeigt ſelber/ was ich ſage. So bemercket
Paulus 1. Tim. 5. v. 17. daß nicht alle aͤlteſten haben am wort und in der
lehre gearbeitet/ welches eben diejenige ſind/ die die aufſicht auf die gemeinde/
und ſie nach gelegenheit zu erinnern gehabt: davon wir ja noch heut zu tage
an einigen orten die kirchen-cenſores haben. Die beſchuldigung Herrn
Horbii wuͤnſchte zwar lieber von ihm ſelbs beantwortet zu werden/ und daß
diejenige/ welche ihn beſchuldigen/ ſich an ihn adreſſirten. Daß aber auffs
wenigſte mein Grgſt. Hochg. Herr einige erlaͤuterung gebe/ ſo iſt zwar 1. dieſes
gantz gewiß/ daß leute/ welche ſich nicht reſolviren wolln/ ihꝛ Chriſtenthum ihre
vornehmſte und einige ſorge ſeyn zu laſſen/ nicht viel troſt aus ſeinen predig-
ten und zuſpruch faſſen/ ſondern die anklage ihres gewiſſens fuͤhlen werden.
Daher muß ſolches wort ihnen entweder ein geruch des lebens zum leben/ wo
ſie ſich dadurch bekehren laſſen/ oder des todes zum tode werden/ daß ſie theils
verſtockter und ruchloſer/ theils wo ſie das gewiſſen nicht uͤbertaͤuben koͤnnen/
und ſich doch zur buſſe nicht ſchicken wollen/ ſchwermuͤthig werden moͤgen.
Welches dann die ordinaire wirckung des Goͤttlichen worts iſt/ wo es mit
ernſt getrieben/ und ihm alſo ſeine krafft gelaſſen wird. Hingegen bin ich ver-
ſichert/ daß ſeine lehre denjenigen/ welche ſich in gehorſam GOttes dargeben/
und alſo des troſtes faͤhig ſind/ ſo viel troſt in ſeiner lehr finden werden/ daß ſie
ſich auch ſtaͤtig daruͤber zu freuen krafft finden. 2. Daß er in oͤffendlichen zu-
ſam̃enkuͤnfften keine andere als geiſtl. diſcours leiden wolle/ geſchiehet ihm ge-
wiß unguͤtlich; er billichet ſo wohl/ wo von geiſt-als weltl. nuͤtzlichen dingen
geredet wird. Aber er wil alle die unnuͤtze geſchwaͤtz/ richten des nebenmenſchen/
groſſer oder kleiner/ reden die nur zur zeitvertreib angeſehen/ und ſonſten weder
zu dieſem noch jenem leben nichts dienen/ viel mehr uͤppige ſchertze/ abgeſtellet
haben. Da leugne ich nun nicht/ wo dieſe ausgemuſtert werden/ die
das meiſte bey den zuſammenkuͤnfften insgemein machen/ ſo werden vie-
le faſt ſtumm da ſitzen muͤſſen/ die ihr leben lang nichts anders gewohnt
geweſen ſind. Er fordert hierinn aber nichts mehr/ als was Chriſtus

und
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[432/0450] Das ſechſte Capitel. incliniren. Wie ichs erfahren/ als in dem vorigen jahr alle Glaubens- Articul mir vorgenommen/ der gemeinde zu erklaͤhren/ und alſo damit zu frieden habe ſeyn muͤſſen/ wo ich zu weilen nur eine wenige anlaß habe finden koͤnnen. Jch erfahre es auch dieſes jahr/ da ich nun die tugend daraus zu tractiren vorgenommen. Daß das herkommen der Juden und der Adel ihres geſchlechts der hoͤchſte ſeye/ als die aus denen vor-eltern entſproſſen/ die GOtt nach ſeinem urtheil allen andern voͤlckern in der Welt vorgezogen hat/ 5. Moſ. 7. v. 26. iſt offenbar. Ein anders iſt/ wo wir von ihrem gegenwaͤrtigen zuſtand reden/ da ſie freylich aus dem goͤttlichen gerichte vor ietzo die geringſte und verachteſte ſind. 5. Moſ. 28. v. 37. 44. aber von der edleſten extraction und geſchlecht. Was uͤber Roͤm. 12. v. 8. ſcrupulirt wird/ iſt ie eine nichtige ſache. Der text zeigt ſelber/ was ich ſage. So bemercket Paulus 1. Tim. 5. v. 17. daß nicht alle aͤlteſten haben am wort und in der lehre gearbeitet/ welches eben diejenige ſind/ die die aufſicht auf die gemeinde/ und ſie nach gelegenheit zu erinnern gehabt: davon wir ja noch heut zu tage an einigen orten die kirchen-cenſores haben. Die beſchuldigung Herrn Horbii wuͤnſchte zwar lieber von ihm ſelbs beantwortet zu werden/ und daß diejenige/ welche ihn beſchuldigen/ ſich an ihn adreſſirten. Daß aber auffs wenigſte mein Grgſt. Hochg. Herr einige erlaͤuterung gebe/ ſo iſt zwar 1. dieſes gantz gewiß/ daß leute/ welche ſich nicht reſolviren wolln/ ihꝛ Chriſtenthum ihre vornehmſte und einige ſorge ſeyn zu laſſen/ nicht viel troſt aus ſeinen predig- ten und zuſpruch faſſen/ ſondern die anklage ihres gewiſſens fuͤhlen werden. Daher muß ſolches wort ihnen entweder ein geruch des lebens zum leben/ wo ſie ſich dadurch bekehren laſſen/ oder des todes zum tode werden/ daß ſie theils verſtockter und ruchloſer/ theils wo ſie das gewiſſen nicht uͤbertaͤuben koͤnnen/ und ſich doch zur buſſe nicht ſchicken wollen/ ſchwermuͤthig werden moͤgen. Welches dann die ordinaire wirckung des Goͤttlichen worts iſt/ wo es mit ernſt getrieben/ und ihm alſo ſeine krafft gelaſſen wird. Hingegen bin ich ver- ſichert/ daß ſeine lehre denjenigen/ welche ſich in gehorſam GOttes dargeben/ und alſo des troſtes faͤhig ſind/ ſo viel troſt in ſeiner lehr finden werden/ daß ſie ſich auch ſtaͤtig daruͤber zu freuen krafft finden. 2. Daß er in oͤffendlichen zu- ſam̃enkuͤnfften keine andere als geiſtl. diſcours leiden wolle/ geſchiehet ihm ge- wiß unguͤtlich; er billichet ſo wohl/ wo von geiſt-als weltl. nuͤtzlichen dingen geredet wird. Aber er wil alle die unnuͤtze geſchwaͤtz/ richten des nebenmenſchen/ groſſer oder kleiner/ reden die nur zur zeitvertreib angeſehen/ und ſonſten weder zu dieſem noch jenem leben nichts dienen/ viel mehr uͤppige ſchertze/ abgeſtellet haben. Da leugne ich nun nicht/ wo dieſe ausgemuſtert werden/ die das meiſte bey den zuſammenkuͤnfften insgemein machen/ ſo werden vie- le faſt ſtumm da ſitzen muͤſſen/ die ihr leben lang nichts anders gewohnt geweſen ſind. Er fordert hierinn aber nichts mehr/ als was Chriſtus und

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/450>, abgerufen am 25.11.2024.