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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
andere ordnungen bey den handwerckern/ welche ich keines wegs mit der Christ-
lichen liebe vergleichen kan/ davon ich zwar vernehme/ daß ein zimlicher theil der-
selben auff den jetzigen reichstag vorgenommen/ und deroselben abstellung decre-
ti
rt sey/ GOTT gebe das es wohl exequirt werde. Es mögen aber gleichwohl
auch einige ordnungen seyn/ die mir und andern solten vieleicht unbillig vorkommen/
welche gleichwohl in sich keine unbillichkeit haben/ die nicht durch mehr andere bil-
lichkeit/ und also des einen vermeinter nachtheil durch einen allgemeinen und meh-
rern nöthigen nutzen ersetzt wird: wie abermahl dieses die unzweiffenlichste u. gewißeste
billichkeit ist/ daß in allen stücken der nutzen der mehrern/ dem jenigen/ was wenigern
möchte vortheilhafftig seyn/ vorgezogen werde/ und einige etwas mit gedult entra-
then/ da von sonst ihrer mehrere würden hindernüß haben; Welches alles die
jeglichen orts Obrigkeiten fleißig zu untersuchen haben/ was das diensamste seye.
Also möchte vielleicht meinem urtheil nach der Christlichen liebe am gemässesten
seyn/ wo man jedem so vielerley arbeit und handwerck zu liesse/ als er verstehet/ und
lernen mügen/ item daß die jungen zu längern lehrjahren nicht angestrengt würden/
als bloß nöthig wäre/ es möchte auch vielleicht jenes an gewissen orten nach derosel-
ben verfassung auch in dem weltlichen vorträglicher seyn/ ich getraue mir aber des-
wegen nicht zu sagen: daß solches nöthig/ oder auch aller orten das nützlichste wäre/
sondern es mögen mir vielleicht (wie ich dann etwas deßen selbs zu sehen meine)
solche ursachen angezeigt werden/ welche erweisen/ daß eine mehrere einstrengung
angewissen orten der gemeinen wohlfahrt gantz nöthig/ die angesonnene freyheit
hingegen sehr vielen schädlich/ und also deren verstattung/ so da scheinen mögen der
Christlichen liebe allerdings gemäß zu seyn/ derselben am würdigsten wäre. Da-
rum lasse ich solche sachen billich unbeurtheilet/ und treibe auff die liebe daß sie allein
zur regul vorgestellet werde/ aber daß/ wie sie an jeglichem ort in diesem und jenem
am bequemsten zu üben seye/ aus dessen orts verfassung gelernet werde/ jedoch daß
jeder in dem zweiffel/ ob dieses oder jenes recht? auff die von CHRJSTO uns
in unsern hertzen Matth. 7/ 12. gezeigte regel sehe/ und sich ehe in etwas seines vor-
theils begebe/ als in gefahr stehe/ den nächsten zu betriegen. So mag auch die
die längere lehr der lehrjungen ihre gute und vernünfftige ursach haben/ wo es nicht
um ein blosses lernen zu thun ist/ sondern auch um das/ üben/ ja dahin stehet/
ob nicht der eine/ weil währende (jedoch in Christlicher liebe gemäßigte) zwang
der lehrjungen zu hindertreibung ihrer jugend lüste/ und vieler bereitung des ü-
brigen lebens mehr nützlich als zu beklagen seye.

Die betler belangend/ ists freylich dem Christenthum unverantwortlich/
und eine sünde/ wo man solche lebens-art gestattet/ und sie nicht auff eine der liebe
gemessere/ und ihrer/ auch anderer seelen nützlichere/ art versorget. Wie nun
durch GOttes gnad von anderthalb jahren her hie zuthun angefangen worden/ so
ich auch andern orten zu heilsamer nachfolge dienlich zu seyn erachte. Also/ was

die

Das ſechſte Capitel.
andere ordnungen bey den handwerckern/ welche ich keines wegs mit der Chriſt-
lichen liebe vergleichen kan/ davon ich zwar vernehme/ daß ein zimlicher theil der-
ſelben auff den jetzigen reichstag vorgenommen/ und deroſelben abſtellung decre-
ti
rt ſey/ GOTT gebe das es wohl exequirt werde. Es moͤgen aber gleichwohl
auch einige ordnungen ſeyn/ die mir und andern ſolten vieleicht unbillig vorkom̃en/
welche gleichwohl in ſich keine unbillichkeit haben/ die nicht durch mehr andere bil-
lichkeit/ und alſo des einen vermeinter nachtheil durch einen allgemeinen und meh-
reꝛn noͤthigẽ nutzen eꝛſetzt wiꝛd: wie abeꝛmahl dieſes die unzweiffenlichſte u. gewißeſte
billichkeit iſt/ daß in allen ſtuͤcken der nutzen der mehrern/ dem jenigen/ was wenigern
moͤchte vortheilhafftig ſeyn/ vorgezogen werde/ und einige etwas mit gedult entra-
then/ da von ſonſt ihrer mehrere wuͤrden hindernuͤß haben; Welches alles die
jeglichen orts Obrigkeiten fleißig zu unterſuchen haben/ was das dienſamſte ſeye.
Alſo moͤchte vielleicht meinem urtheil nach der Chriſtlichen liebe am gemaͤſſeſten
ſeyn/ wo man jedem ſo vielerley arbeit und handwerck zu lieſſe/ als er verſtehet/ und
lernen muͤgen/ item daß die jungen zu laͤngern lehrjahren nicht angeſtrengt wuͤrden/
als bloß noͤthig waͤre/ es moͤchte auch vielleicht jenes an gewiſſen orten nach deroſel-
ben verfaſſung auch in dem weltlichen vortraͤglicher ſeyn/ ich getraue mir aber des-
wegen nicht zu ſagen: daß ſolches noͤthig/ oder auch aller orten das nuͤtzlichſte waͤre/
ſondern es moͤgen mir vielleicht (wie ich dann etwas deßen ſelbs zu ſehen meine)
ſolche urſachen angezeigt werden/ welche erweiſen/ daß eine mehrere einſtrengung
angewiſſen orten der gemeinen wohlfahrt gantz noͤthig/ die angeſonnene freyheit
hingegen ſehr vielen ſchaͤdlich/ und alſo deren verſtattung/ ſo da ſcheinen moͤgen der
Chriſtlichen liebe allerdings gemaͤß zu ſeyn/ derſelben am wuͤrdigſten waͤre. Da-
rum laſſe ich ſolche ſachen billich unbeurtheilet/ und treibe auff die liebe daß ſie allein
zur regul vorgeſtellet werde/ aber daß/ wie ſie an jeglichem ort in dieſem und jenem
am bequemſten zu uͤben ſeye/ aus deſſen orts verfaſſung gelernet werde/ jedoch daß
jeder in dem zweiffel/ ob dieſes oder jenes recht? auff die von CHRJSTO uns
in unſern hertzen Matth. 7/ 12. gezeigte regel ſehe/ und ſich ehe in etwas ſeines vor-
theils begebe/ als in gefahr ſtehe/ den naͤchſten zu betriegen. So mag auch die
die laͤngere lehr der lehrjungen ihre gute und vernuͤnfftige urſach haben/ wo es nicht
um ein bloſſes lernen zu thun iſt/ ſondern auch um das/ uͤben/ ja dahin ſtehet/
ob nicht der eine/ weil waͤhrende (jedoch in Chriſtlicher liebe gemaͤßigte) zwang
der lehrjungen zu hindertreibung ihrer jugend luͤſte/ und vieler bereitung des uͤ-
brigen lebens mehr nuͤtzlich als zu beklagen ſeye.

Die betler belangend/ iſts freylich dem Chriſtenthum unverantwortlich/
und eine ſuͤnde/ wo man ſolche lebens-art geſtattet/ und ſie nicht auff eine der liebe
gemeſſere/ und ihrer/ auch anderer ſeelen nuͤtzlichere/ art verſorget. Wie nun
durch GOttes gnad von anderthalb jahren her hie zuthun angefangen worden/ ſo
ich auch andern orten zu heilſamer nachfolge dienlich zu ſeyn erachte. Alſo/ was

die
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[442/0460] Das ſechſte Capitel. andere ordnungen bey den handwerckern/ welche ich keines wegs mit der Chriſt- lichen liebe vergleichen kan/ davon ich zwar vernehme/ daß ein zimlicher theil der- ſelben auff den jetzigen reichstag vorgenommen/ und deroſelben abſtellung decre- tirt ſey/ GOTT gebe das es wohl exequirt werde. Es moͤgen aber gleichwohl auch einige ordnungen ſeyn/ die mir und andern ſolten vieleicht unbillig vorkom̃en/ welche gleichwohl in ſich keine unbillichkeit haben/ die nicht durch mehr andere bil- lichkeit/ und alſo des einen vermeinter nachtheil durch einen allgemeinen und meh- reꝛn noͤthigẽ nutzen eꝛſetzt wiꝛd: wie abeꝛmahl dieſes die unzweiffenlichſte u. gewißeſte billichkeit iſt/ daß in allen ſtuͤcken der nutzen der mehrern/ dem jenigen/ was wenigern moͤchte vortheilhafftig ſeyn/ vorgezogen werde/ und einige etwas mit gedult entra- then/ da von ſonſt ihrer mehrere wuͤrden hindernuͤß haben; Welches alles die jeglichen orts Obrigkeiten fleißig zu unterſuchen haben/ was das dienſamſte ſeye. Alſo moͤchte vielleicht meinem urtheil nach der Chriſtlichen liebe am gemaͤſſeſten ſeyn/ wo man jedem ſo vielerley arbeit und handwerck zu lieſſe/ als er verſtehet/ und lernen muͤgen/ item daß die jungen zu laͤngern lehrjahren nicht angeſtrengt wuͤrden/ als bloß noͤthig waͤre/ es moͤchte auch vielleicht jenes an gewiſſen orten nach deroſel- ben verfaſſung auch in dem weltlichen vortraͤglicher ſeyn/ ich getraue mir aber des- wegen nicht zu ſagen: daß ſolches noͤthig/ oder auch aller orten das nuͤtzlichſte waͤre/ ſondern es moͤgen mir vielleicht (wie ich dann etwas deßen ſelbs zu ſehen meine) ſolche urſachen angezeigt werden/ welche erweiſen/ daß eine mehrere einſtrengung angewiſſen orten der gemeinen wohlfahrt gantz noͤthig/ die angeſonnene freyheit hingegen ſehr vielen ſchaͤdlich/ und alſo deren verſtattung/ ſo da ſcheinen moͤgen der Chriſtlichen liebe allerdings gemaͤß zu ſeyn/ derſelben am wuͤrdigſten waͤre. Da- rum laſſe ich ſolche ſachen billich unbeurtheilet/ und treibe auff die liebe daß ſie allein zur regul vorgeſtellet werde/ aber daß/ wie ſie an jeglichem ort in dieſem und jenem am bequemſten zu uͤben ſeye/ aus deſſen orts verfaſſung gelernet werde/ jedoch daß jeder in dem zweiffel/ ob dieſes oder jenes recht? auff die von CHRJSTO uns in unſern hertzen Matth. 7/ 12. gezeigte regel ſehe/ und ſich ehe in etwas ſeines vor- theils begebe/ als in gefahr ſtehe/ den naͤchſten zu betriegen. So mag auch die die laͤngere lehr der lehrjungen ihre gute und vernuͤnfftige urſach haben/ wo es nicht um ein bloſſes lernen zu thun iſt/ ſondern auch um das/ uͤben/ ja dahin ſtehet/ ob nicht der eine/ weil waͤhrende (jedoch in Chriſtlicher liebe gemaͤßigte) zwang der lehrjungen zu hindertreibung ihrer jugend luͤſte/ und vieler bereitung des uͤ- brigen lebens mehr nuͤtzlich als zu beklagen ſeye. Die betler belangend/ iſts freylich dem Chriſtenthum unverantwortlich/ und eine ſuͤnde/ wo man ſolche lebens-art geſtattet/ und ſie nicht auff eine der liebe gemeſſere/ und ihrer/ auch anderer ſeelen nuͤtzlichere/ art verſorget. Wie nun durch GOttes gnad von anderthalb jahren her hie zuthun angefangen worden/ ſo ich auch andern orten zu heilſamer nachfolge dienlich zu ſeyn erachte. Alſo/ was die

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/460>, abgerufen am 25.11.2024.