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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DIST. III. SECT. XL.
der wah[r]heit entreissen könte. Trauen wir aber die schrifft nicht hinzu werffen und
abzuschaffen/ weil sie die grundfeste der warheit und von dem heiligen Geist ist/
wer gibet uns dann einige macht/ über diese oder jene derselben redens-arten/ son-
derlich die jenigen/ welche von ihr zu öfftern wiederholet werden? derer jegliche
gleichwol eben von dem jenigen geist herkommet/ welche die gantze schrifft eingege-
ben hat/ u. wir daher so wenig gewalt über einiges deroselben wörtlein haben/ als we-
nig die gantze schrifft (welche so zu reden ein totum homogeneum u. jegliche dero-
selben particula ejusdem naturae cum toto ist) in unser macht stehet. Wir
straffen an den Papisten/ das sie der schrifft autorität suspendiren ab autorita-
te Ecclesiae,
und wollen sie auch nicht anders erklähret wissen/ als wie diese befieh-
let/ daher sie literam scripturae nicht weiter passiren lassen/ als wie er mit
der recepta sententia Ecclesiae übereinkommet/ was sich nicht gerade hierauff rei-
met/ muß sich nach derselben beugen und dehnen lassen/ wie es mag. Der HErr
bewahre uns gnädiglich vor drm schrecklichen abfall/ nach dem fast einige lüsteren
sind/ ja in der that dergleichen bey nahen/ bezeügen/ daß wir auch von unseren prin-
cipio
der heiligen Schrifft abweichen/ und es dahin kommen lassen wolten/ nichts
auß derselben gelten zu lassen/ als was gerade iisdem verbis in unserm symbo-
licis libris
(welcher autorität und nutzen in denen von ihnen selbsten gesetzten
schrancken danckbahr erkenne) oder gemeiner lehr befindlich ist/ ja nicht diese aus
der schrifft/ sondern die schrifft aus denselben/ und nach ihrer norm zu erklähren;
so nunmehr das rechte Papstum mitten in unserer kirchen seyn würde/ und ich nicht
sehe was wir gegen das andere Papstum uns zu beschwehren hätten: sondern
glaube/ daß solche hypothesis am aller ersten auch die verständigste zu der Römi-
schen parthey bringen würde. Wird eine praxis der schrifft/ fonderlich in einer
wichtigen sache/ gebraucht/ so haben wir sie zwar/ wo sie von einigen unrecht ver-
standen und mißbraucht wird/ recht zu verstehen und zu erklähren/ aber derselbi-
gen uns nicht zu begeben noch sie auß zulassen/ vielmehr alles darauff zusetzen/ daß
wir sie erhalten/ und nicht ein jota von dem theuren schatz verliehren/ der nicht un-
ser sondern unsers GOttes und der gantzen kirchen ist. Jch sorge sehr/ es seye die-
ses eine der haupt-ursachen/ daß GOtt nun/ wie es fast vor augen ist/ dem Rö-
mischen Babel eine neue gewalt über uns gebe/ ja ihnen vermuthlich die gewalt
verhängen wird/ sein undanckbahres und auff so viele warnungen doch nicht gebes-
sertes Jerusalem zu verstöhren/ da mit aber gleichwol auch sein eigen gericht durch
erfüllung des masses seiner sünde ihm selbst über den halß zu ziehen: weil wir anfan-
gen in so vielen stücken unserer praxeos communis einige Römische principia, die
wir sonsten in der theorie widerlegen/ zu belieben/ an zu nehmen/ und uns nach
derselbigen zu richten. Nun der gütigste Vater sehe mit barmhertzigen augen sei-
ne arme und leider so sehr mit ärgernüssen und mißbräuchen verstellte gemeinde an/

und

ARTIC. I. DIST. III. SECT. XL.
der wah[r]heit entreiſſen koͤnte. Trauen wir aber die ſchrifft nicht hinzu werffen und
abzuſchaffen/ weil ſie die grundfeſte der warheit und von dem heiligen Geiſt iſt/
wer gibet uns dann einige macht/ uͤber dieſe oder jene derſelben redens-arten/ ſon-
derlich die jenigen/ welche von ihr zu oͤfftern wiederholet werden? derer jegliche
gleichwol eben von dem jenigen geiſt herkommet/ welche die gantze ſchrifft eingege-
ben hat/ u. wir daher ſo wenig gewalt uͤber einiges deroſelben woͤrtlein haben/ als we-
nig die gantze ſchrifft (welche ſo zu reden ein totum homogeneum u. jegliche dero-
ſelben particula ejusdem naturæ cum toto iſt) in unſer macht ſtehet. Wir
ſtraffen an den Papiſten/ das ſie der ſchrifft autoritaͤt ſuſpendiren ab autorita-
te Eccleſiæ,
und wollen ſie auch nicht anders erklaͤhret wiſſen/ als wie dieſe befieh-
let/ daher ſie literam ſcripturæ nicht weiter paſſiren laſſen/ als wie er mit
der recepta ſententia Eccleſiæ uͤbereinkommet/ was ſich nicht gerade hierauff rei-
met/ muß ſich nach derſelben beugen und dehnen laſſen/ wie es mag. Der HErr
bewahre uns gnaͤdiglich vor dꝛm ſchrecklichen abfall/ nach dem faſt einige luͤſteren
ſind/ ja in der that dergleichen bey nahen/ bezeuͤgen/ daß wir auch von unſeren prin-
cipio
der heiligen Schrifft abweichen/ und es dahin kommen laſſen wolten/ nichts
auß derſelben gelten zu laſſen/ als was gerade iisdem verbis in unſerm ſymbo-
licis libris
(welcher autoritaͤt und nutzen in denen von ihnen ſelbſten geſetzten
ſchrancken danckbahr erkenne) oder gemeiner lehr befindlich iſt/ ja nicht dieſe aus
der ſchrifft/ ſondern die ſchrifft aus denſelben/ und nach ihrer norm zu erklaͤhren;
ſo nunmehr das rechte Papſtum mitten in unſerer kirchen ſeyn wuͤrde/ und ich nicht
ſehe was wir gegen das andere Papſtum uns zu beſchwehren haͤtten: ſondern
glaube/ daß ſolche hypotheſis am aller erſten auch die verſtaͤndigſte zu der Roͤmi-
ſchen parthey bringen wuͤrde. Wird eine praxis der ſchrifft/ fonderlich in einer
wichtigen ſache/ gebraucht/ ſo haben wir ſie zwar/ wo ſie von einigen unrecht ver-
ſtanden und mißbraucht wird/ recht zu verſtehen und zu erklaͤhren/ aber derſelbi-
gen uns nicht zu begeben noch ſie auß zulaſſen/ vielmehr alles darauff zuſetzen/ daß
wir ſie eꝛhalten/ und nicht ein jota von dem theuren ſchatz verliehren/ der nicht un-
ſer ſondern unſers GOttes und der gantzen kirchen iſt. Jch ſorge ſehr/ es ſeye die-
ſes eine der haupt-urſachen/ daß GOtt nun/ wie es faſt vor augen iſt/ dem Roͤ-
miſchen Babel eine neue gewalt uͤber uns gebe/ ja ihnen vermuthlich die gewalt
verhaͤngen wird/ ſein undanckbahres und auff ſo viele warnungen doch nicht gebeſ-
ſertes Jeruſalem zu verſtoͤhren/ da mit aber gleichwol auch ſein eigen gericht durch
erfuͤllung des maſſes ſeiner ſuͤnde ihm ſelbſt uͤber den halß zu ziehen: weil wir anfan-
gen in ſo vielen ſtuͤcken unſerer praxeos communis einige Roͤmiſche principia, die
wir ſonſten in der theorie widerlegen/ zu belieben/ an zu nehmen/ und uns nach
derſelbigen zu richten. Nun der guͤtigſte Vater ſehe mit barmhertzigen augen ſei-
ne arme und leider ſo ſehr mit aͤrgernuͤſſen und mißbraͤuchen verſtellte gemeinde an/

und
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[487/0505] ARTIC. I. DIST. III. SECT. XL. der wahrheit entreiſſen koͤnte. Trauen wir aber die ſchrifft nicht hinzu werffen und abzuſchaffen/ weil ſie die grundfeſte der warheit und von dem heiligen Geiſt iſt/ wer gibet uns dann einige macht/ uͤber dieſe oder jene derſelben redens-arten/ ſon- derlich die jenigen/ welche von ihr zu oͤfftern wiederholet werden? derer jegliche gleichwol eben von dem jenigen geiſt herkommet/ welche die gantze ſchrifft eingege- ben hat/ u. wir daher ſo wenig gewalt uͤber einiges deroſelben woͤrtlein haben/ als we- nig die gantze ſchrifft (welche ſo zu reden ein totum homogeneum u. jegliche dero- ſelben particula ejusdem naturæ cum toto iſt) in unſer macht ſtehet. Wir ſtraffen an den Papiſten/ das ſie der ſchrifft autoritaͤt ſuſpendiren ab autorita- te Eccleſiæ, und wollen ſie auch nicht anders erklaͤhret wiſſen/ als wie dieſe befieh- let/ daher ſie literam ſcripturæ nicht weiter paſſiren laſſen/ als wie er mit der recepta ſententia Eccleſiæ uͤbereinkommet/ was ſich nicht gerade hierauff rei- met/ muß ſich nach derſelben beugen und dehnen laſſen/ wie es mag. Der HErr bewahre uns gnaͤdiglich vor dꝛm ſchrecklichen abfall/ nach dem faſt einige luͤſteren ſind/ ja in der that dergleichen bey nahen/ bezeuͤgen/ daß wir auch von unſeren prin- cipio der heiligen Schrifft abweichen/ und es dahin kommen laſſen wolten/ nichts auß derſelben gelten zu laſſen/ als was gerade iisdem verbis in unſerm ſymbo- licis libris (welcher autoritaͤt und nutzen in denen von ihnen ſelbſten geſetzten ſchrancken danckbahr erkenne) oder gemeiner lehr befindlich iſt/ ja nicht dieſe aus der ſchrifft/ ſondern die ſchrifft aus denſelben/ und nach ihrer norm zu erklaͤhren; ſo nunmehr das rechte Papſtum mitten in unſerer kirchen ſeyn wuͤrde/ und ich nicht ſehe was wir gegen das andere Papſtum uns zu beſchwehren haͤtten: ſondern glaube/ daß ſolche hypotheſis am aller erſten auch die verſtaͤndigſte zu der Roͤmi- ſchen parthey bringen wuͤrde. Wird eine praxis der ſchrifft/ fonderlich in einer wichtigen ſache/ gebraucht/ ſo haben wir ſie zwar/ wo ſie von einigen unrecht ver- ſtanden und mißbraucht wird/ recht zu verſtehen und zu erklaͤhren/ aber derſelbi- gen uns nicht zu begeben noch ſie auß zulaſſen/ vielmehr alles darauff zuſetzen/ daß wir ſie eꝛhalten/ und nicht ein jota von dem theuren ſchatz verliehren/ der nicht un- ſer ſondern unſers GOttes und der gantzen kirchen iſt. Jch ſorge ſehr/ es ſeye die- ſes eine der haupt-urſachen/ daß GOtt nun/ wie es faſt vor augen iſt/ dem Roͤ- miſchen Babel eine neue gewalt uͤber uns gebe/ ja ihnen vermuthlich die gewalt verhaͤngen wird/ ſein undanckbahres und auff ſo viele warnungen doch nicht gebeſ- ſertes Jeruſalem zu verſtoͤhren/ da mit aber gleichwol auch ſein eigen gericht durch erfuͤllung des maſſes ſeiner ſuͤnde ihm ſelbſt uͤber den halß zu ziehen: weil wir anfan- gen in ſo vielen ſtuͤcken unſerer praxeos communis einige Roͤmiſche principia, die wir ſonſten in der theorie widerlegen/ zu belieben/ an zu nehmen/ und uns nach derſelbigen zu richten. Nun der guͤtigſte Vater ſehe mit barmhertzigen augen ſei- ne arme und leider ſo ſehr mit aͤrgernuͤſſen und mißbraͤuchen verſtellte gemeinde an/ und

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/505>, abgerufen am 22.11.2024.