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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. VI.
ches zu verhüten gewißlich eine mehr als menschliche klugheit nöthig ist/ an dero a-
ber gern bey mir grossen mangel erkenne/ und dahero vor nichts angelegenlicher be-
te/ und von andern vor mich gebeten zu werden verlange/ als vor solches mir zu
meinem amt so nötigste gut. Jm übrigen sehe ich aus den überschriebenen/ wie es
meinen geliebten freund/ gleich wie so vielen andern treumeinenden/ ergangen seye/
mich dabey meiner eigenen offtmahligen anfechtung erinnerende. Nehmlich daß
das vor augen liegende verderben unserer kirche und dero aller stände uns offters
also einnehme/ daß wir vor demselben fast das übrige/ durch seine güte erhaltene
gute nicht sehen oder wahrnehmen/ dahero es offt fast klagen gibt wie jenes alten E-
liä: Jch bin allein überblieben. Worinnen wir aber gewißlich/ da wirs am
hertzlichsten meinen/ um die ehre des HERREN eiffern und betrübt sind/ gleich-
wohl irren/ und uns der HERR noch allmahl zuruffen läst/ er habe ihm noch seine
7000. überbleiben lassen/ welche/ ob sie nicht eben uns/ gleichwohl ihn/ sattsam und
zur gnüge bekant sind. Es sind offt unter den jenigen/ die wir um uns haben/ eini-
ge bessere seelen/ als wir ihnen zu trauen/ weil sie sich nicht also herauslassen/ noch die
gelegenheit haben/ oder wir nicht so tieff in ihre kundschafft kommen. So sind etwa an-
derwertlich noch mehrere/ die der HErr erhalten hat/ daß sie sich nicht mit den all-
gemeinen strom der ärgernüße mit hinreissen lassen/ sondern nach ihrer maaß das
werck des HERREN treiben. Wie sich auch gewißlich zu dieser zeit der HErr
in unserer Evangelischen kirchen nicht gantz unbezeuget lässet/ sondern in allen stän-
den viele/ etwan mehr als wir glauben möchten/ ihm vorbehalten hat/ die rechtschaf-
fen vor ihm seyen/ und entweder bereits jeglicher nach seinen stand oder habender
gelegenheit treulich arbeitet oder nur anlaß erwartet/ die ihm der HERR geben
wolte/ seine treue thätlich zu erweisen. Dann auch in diesen stück hat die weißheit
GOttes ihre weise dispositiones einige etwa biß zu ihrer zeit durch gewisse ursa-
chen zurück zu halten. Jch meines orts bekenne gern/ daß mir dieses eine von den
grössesten freuden ist/ daß der HERR mich von unterschiedlichen jahren vieler sol-
cher leute/ die hin und wider stehen und stecken/ hat lassen gewahr werden. Wann
so wohl aus anderer profession leuten als aus Predigern/ offteres von orten da ich
nie angedacht/ sich ihrer viele mir mit schreiben bekant gemacht/ und da sie etwa ihr
wohlgefallen an meiner wenigen arbeit/ also auch ihre begierde/ alles gerne gut zu
sehen/ und dazu das ihrige zu thun/ bezeuget. Darüber ich mich offt hertzlich tröste
nicht nur allein/ wie oben gemeldet/ daß ich so vieler treuer mitbrüder gebets/ mich
hieraus versichern kan/ sondern/ weil hieraus schliesse/ weil fast eine allge-
meine bewegung bey guten hertzen sich aller orten findet/ welche nach einer besse-
rung verlangen/ der HErr als von dem solche wirckung kommen muß/ müsse ge-
dancken der gnaden über uns haben/ und sich wiederum seiner armen kirch erbar-
men wollen. Da es zwar etwa nicht ohne sehr harte trübsalen/ die vorhero gehen sol-
len/ abgehen möchte/ aber genug ists/ daß den verderben gesteuert/ und eben durch

die
Yyy 3

ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. VI.
ches zu verhuͤten gewißlich eine mehr als menſchliche klugheit noͤthig iſt/ an dero a-
ber gern bey mir groſſen mangel erkenne/ und dahero vor nichts angelegenlicher be-
te/ und von andern vor mich gebeten zu werden verlange/ als vor ſolches mir zu
meinem amt ſo noͤtigſte gut. Jm uͤbrigen ſehe ich aus den uͤberſchriebenen/ wie es
meinen geliebten freund/ gleich wie ſo vielen andern treumeinenden/ ergangen ſeye/
mich dabey meiner eigenen offtmahligen anfechtung erinnerende. Nehmlich daß
das vor augen liegende verderben unſerer kirche und dero aller ſtaͤnde uns offters
alſo einnehme/ daß wir vor demſelben faſt das uͤbrige/ durch ſeine guͤte erhaltene
gute nicht ſehen oder wahrnehmen/ dahero es offt faſt klagen gibt wie jenes alten E-
liaͤ: Jch bin allein uͤberblieben. Worinnen wir aber gewißlich/ da wirs am
hertzlichſten meinen/ um die ehre des HERREN eiffern und betruͤbt ſind/ gleich-
wohl irren/ und uns der HERR noch allmahl zuruffen laͤſt/ er habe ihm noch ſeine
7000. uͤberbleiben laſſen/ welche/ ob ſie nicht eben uns/ gleichwohl ihn/ ſattſam und
zur gnuͤge bekant ſind. Es ſind offt unter den jenigen/ die wir um uns haben/ eini-
ge beſſere ſeelen/ als wir ihnen zu trauen/ weil ſie ſich nicht alſo herauslaſſen/ noch die
gelegenheit haben/ oder wir nicht ſo tieff in ihre kundſchafft kom̃en. So ſind etwa an-
derwertlich noch mehrere/ die der HErr erhalten hat/ daß ſie ſich nicht mit den all-
gemeinen ſtrom der aͤrgernuͤße mit hinreiſſen laſſen/ ſondern nach ihrer maaß das
werck des HERREN treiben. Wie ſich auch gewißlich zu dieſer zeit der HErr
in unſerer Evangeliſchen kirchen nicht gantz unbezeuget laͤſſet/ ſondern in allen ſtaͤn-
den viele/ etwan mehr als wir glauben moͤchten/ ihm vorbehalten hat/ die rechtſchaf-
fen vor ihm ſeyen/ und entweder bereits jeglicher nach ſeinen ſtand oder habender
gelegenheit treulich arbeitet oder nur anlaß erwartet/ die ihm der HERR geben
wolte/ ſeine treue thaͤtlich zu erweiſen. Dann auch in dieſen ſtuͤck hat die weißheit
GOttes ihre weiſe diſpoſitiones einige etwa biß zu ihrer zeit durch gewiſſe urſa-
chen zuruͤck zu halten. Jch meines orts bekenne gern/ daß mir dieſes eine von den
groͤſſeſten freuden iſt/ daß der HERR mich von unterſchiedlichen jahren vieler ſol-
cher leute/ die hin und wider ſtehen und ſtecken/ hat laſſen gewahr werden. Wann
ſo wohl aus anderer profeſſion leuten als aus Predigern/ offteres von orten da ich
nie angedacht/ ſich ihrer viele mir mit ſchreiben bekant gemacht/ und da ſie etwa ihr
wohlgefallen an meiner wenigen arbeit/ alſo auch ihre begierde/ alles gerne gut zu
ſehen/ und dazu das ihrige zu thun/ bezeuget. Daruͤber ich mich offt hertzlich troͤſte
nicht nur allein/ wie oben gemeldet/ daß ich ſo vieler treuer mitbruͤder gebets/ mich
hieraus verſichern kan/ ſondern/ weil hieraus ſchlieſſe/ weil faſt eine allge-
meine bewegung bey guten hertzen ſich aller orten findet/ welche nach einer beſſe-
rung verlangen/ der HErr als von dem ſolche wirckung kommen muß/ muͤſſe ge-
dancken der gnaden uͤber uns haben/ und ſich wiederum ſeiner armen kirch erbar-
men wollen. Da es zwar etwa nicht ohne ſehr harte truͤbſalen/ die vorhero gehen ſol-
len/ abgehen moͤchte/ aber genug iſts/ daß den verderben geſteuert/ und eben durch

die
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[541/0559] ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. VI. ches zu verhuͤten gewißlich eine mehr als menſchliche klugheit noͤthig iſt/ an dero a- ber gern bey mir groſſen mangel erkenne/ und dahero vor nichts angelegenlicher be- te/ und von andern vor mich gebeten zu werden verlange/ als vor ſolches mir zu meinem amt ſo noͤtigſte gut. Jm uͤbrigen ſehe ich aus den uͤberſchriebenen/ wie es meinen geliebten freund/ gleich wie ſo vielen andern treumeinenden/ ergangen ſeye/ mich dabey meiner eigenen offtmahligen anfechtung erinnerende. Nehmlich daß das vor augen liegende verderben unſerer kirche und dero aller ſtaͤnde uns offters alſo einnehme/ daß wir vor demſelben faſt das uͤbrige/ durch ſeine guͤte erhaltene gute nicht ſehen oder wahrnehmen/ dahero es offt faſt klagen gibt wie jenes alten E- liaͤ: Jch bin allein uͤberblieben. Worinnen wir aber gewißlich/ da wirs am hertzlichſten meinen/ um die ehre des HERREN eiffern und betruͤbt ſind/ gleich- wohl irren/ und uns der HERR noch allmahl zuruffen laͤſt/ er habe ihm noch ſeine 7000. uͤberbleiben laſſen/ welche/ ob ſie nicht eben uns/ gleichwohl ihn/ ſattſam und zur gnuͤge bekant ſind. Es ſind offt unter den jenigen/ die wir um uns haben/ eini- ge beſſere ſeelen/ als wir ihnen zu trauen/ weil ſie ſich nicht alſo herauslaſſen/ noch die gelegenheit haben/ oder wir nicht ſo tieff in ihre kundſchafft kom̃en. So ſind etwa an- derwertlich noch mehrere/ die der HErr erhalten hat/ daß ſie ſich nicht mit den all- gemeinen ſtrom der aͤrgernuͤße mit hinreiſſen laſſen/ ſondern nach ihrer maaß das werck des HERREN treiben. Wie ſich auch gewißlich zu dieſer zeit der HErr in unſerer Evangeliſchen kirchen nicht gantz unbezeuget laͤſſet/ ſondern in allen ſtaͤn- den viele/ etwan mehr als wir glauben moͤchten/ ihm vorbehalten hat/ die rechtſchaf- fen vor ihm ſeyen/ und entweder bereits jeglicher nach ſeinen ſtand oder habender gelegenheit treulich arbeitet oder nur anlaß erwartet/ die ihm der HERR geben wolte/ ſeine treue thaͤtlich zu erweiſen. Dann auch in dieſen ſtuͤck hat die weißheit GOttes ihre weiſe diſpoſitiones einige etwa biß zu ihrer zeit durch gewiſſe urſa- chen zuruͤck zu halten. Jch meines orts bekenne gern/ daß mir dieſes eine von den groͤſſeſten freuden iſt/ daß der HERR mich von unterſchiedlichen jahren vieler ſol- cher leute/ die hin und wider ſtehen und ſtecken/ hat laſſen gewahr werden. Wann ſo wohl aus anderer profeſſion leuten als aus Predigern/ offteres von orten da ich nie angedacht/ ſich ihrer viele mir mit ſchreiben bekant gemacht/ und da ſie etwa ihr wohlgefallen an meiner wenigen arbeit/ alſo auch ihre begierde/ alles gerne gut zu ſehen/ und dazu das ihrige zu thun/ bezeuget. Daruͤber ich mich offt hertzlich troͤſte nicht nur allein/ wie oben gemeldet/ daß ich ſo vieler treuer mitbruͤder gebets/ mich hieraus verſichern kan/ ſondern/ weil hieraus ſchlieſſe/ weil faſt eine allge- meine bewegung bey guten hertzen ſich aller orten findet/ welche nach einer beſſe- rung verlangen/ der HErr als von dem ſolche wirckung kommen muß/ muͤſſe ge- dancken der gnaden uͤber uns haben/ und ſich wiederum ſeiner armen kirch erbar- men wollen. Da es zwar etwa nicht ohne ſehr harte truͤbſalen/ die vorhero gehen ſol- len/ abgehen moͤchte/ aber genug iſts/ daß den verderben geſteuert/ und eben durch die Yyy 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/559>, abgerufen am 22.11.2024.