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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
do sit seria & anupokritos, paterne acceptat, adhaerentem imperfectionem
& immunditiem merito suo tegit.
Welche worte Gerhardi bey weitem so
hart nicht lauten/ als wo man deutlich saget/ wie Herr Stenger thut/ und selbs
daraus folgert. pag. 104. Es wird nicht gefordert/ daß ihr sollet gar keine
sunde begehen.
pag. 298. Christus hats nicht geboten/ daß alle menschliche
fehler und schwachheiten sollen gantz von uns weg seyn.
pag. 299. mir henget
doch viel böses in meinem leben an/ welches zwar Christus nicht eben will
abgethan wissen.
Welche wort nicht nur in sich fassen/ daß GOTT wolle ge-
dult mit unser schwachheit tragen/ sondern auch daß wir zum gegentheil nicht schul-
dig seyen. Dann ists nicht geboten/ wirds nicht gefordert/ so sind wirs ja nicht
schuldig? Da wir doch wohl wissen/ daß wir GOTT viel schuldig bleiben/ was
uns zu leisten unmüglich ist. Weßwegen wir von dieser arth zu reden achten/ daß
sie billig unterlassen/ und auff andere weise/ wie man wohl kan/ die sache/ mit ei-
genlichen und nicht dergleichen incommoda consequentia nach sich ziehenden
Phrasibus ausgedruckt werden solle.

Dieses sind die vornemste redens arthen/ welche wir angetroffen haben/
darinn man einigen anstoß finden mögte/ die wir aber zum theil gantz gut und recht
gebraucht achten/ theils aber unterlassen worden zu seyn/ oder künfftig unterlassen
zu werden wünschen. Denen mögten vielleicht einige beygefügt werden/ die auch
(ob schon kein zweiffel daß in gutem verstand sie gebraucht werden) etwas frembd
und fast widersinnisch/ auffs wenigst paradox lauten: Als wo er Einschärff. p.
14.
unter frommen sündern und gottlosen sündern distinguiret/ da vielleicht bes-
ser vor sromme das wort bußfertige sünder gebraucht würde. Jn dem buch p. 357. u. f.
es unter die arten der trunckenheit zehlet/ wo man zur fröligkeit etwas mehr
trincket über das ordentliche maaß/ gleichwohl nicht über das ziel der mäs-
sigkeit.
Davon es heist p. 356. Daß GOTT es wohl erlaubet/ und sichts
nicht ungern/ daß ein Christ sich zuweilen truncken trincket.
Da man ja lie-
ber solchem trunck den nahmen der trunckenheit/ welcher primo conceptu in un-
serer sprach pflegt von dem laster verstanden zu werden/ nicht geben/ sondern ein
ander wort brauchen solte: Auffs wenigst gibts spöttern anlaß zuspotten. Also
auch bedarff die proposition vieler erklährung pag. 249. Von manchem men-
schen mag wohlgesagt werden/ wo er nicht ein und andere fasten anstellet/
kan er nicht in das reich GOttes kommen;
Einschärff. pag. 7. Jsts versetzt
mala facere & male, die weil fromme böses begehen nominaliter nicht adverbi-
aliter.
Also auch daß zu weilen einige ort fast scheinen einander zu widersprechen.
Als da Einschärff. p. 6. stehet Es weiß doch ein jeder für sich gar wohl/ oder
kans doch wissen/ ob seine s[ü]nden aus muthwill oder aus schwachheit ge-
schehen.
Und buch pag. 17. Es kan ja ein mensch noch wohl wissen/ ob er
sündiget aus schwachheit oder aus boßheit.
pag. 52. aber von den ungeübten/

daß

Das ſechſte Capitel.
do ſit ſeria & ἀνυπόκριτος, paternè acceptat, adhærentem imperfectionem
& immunditiem merito ſuo tegit.
Welche worte Gerhardi bey weitem ſo
hart nicht lauten/ als wo man deutlich ſaget/ wie Herr Stenger thut/ und ſelbs
daraus folgert. pag. 104. Es wird nicht gefordert/ daß ihr ſollet gar keine
ſunde begehen.
pag. 298. Chriſtus hats nicht geboten/ daß alle menſchliche
fehler und ſchwachheiten ſollen gantz von uns weg ſeyn.
pag. 299. mir henget
doch viel boͤſes in meinem leben an/ welches zwar Chriſtus nicht eben will
abgethan wiſſen.
Welche wort nicht nur in ſich faſſen/ daß GOTT wolle ge-
dult mit unſer ſchwachheit tragen/ ſondern auch daß wir zum gegentheil nicht ſchul-
dig ſeyen. Dann iſts nicht geboten/ wirds nicht gefordert/ ſo ſind wirs ja nicht
ſchuldig? Da wir doch wohl wiſſen/ daß wir GOTT viel ſchuldig bleiben/ was
uns zu leiſten unmuͤglich iſt. Weßwegen wir von dieſer arth zu reden achten/ daß
ſie billig unterlaſſen/ und auff andere weiſe/ wie man wohl kan/ die ſache/ mit ei-
genlichen und nicht dergleichen incommoda conſequentìa nach ſich ziehenden
Phraſibus ausgedruckt werden ſolle.

Dieſes ſind die vornemſte redens arthen/ welche wir angetroffen haben/
darinn man einigen anſtoß finden moͤgte/ die wir aber zum theil gantz gut und recht
gebraucht achten/ theils aber unterlaſſen worden zu ſeyn/ oder kuͤnfftig unterlaſſen
zu werden wuͤnſchen. Denen moͤgten vielleicht einige beygefuͤgt werden/ die auch
(ob ſchon kein zweiffel daß in gutem verſtand ſie gebraucht werden) etwas frembd
und faſt widerſinniſch/ auffs wenigſt paradox lauten: Als wo er Einſchaͤrff. p.
14.
unter frommen ſuͤndern und gottloſen ſuͤndern diſtinguiret/ da vielleicht beſ-
ſer vor ſrom̃e das wort bußfertige ſuͤnder gebraucht wuͤrde. Jn dem buch p. 357. u. f.
es unter die arten der trunckenheit zehlet/ wo man zur froͤligkeit etwas mehr
trincket uͤber das ordentliche maaß/ gleichwohl nicht uͤber das ziel der maͤſ-
ſigkeit.
Davon es heiſt p. 356. Daß GOTT es wohl erlaubet/ und ſichts
nicht ungern/ daß ein Chriſt ſich zuweilen truncken trincket.
Da man ja lie-
ber ſolchem trunck den nahmen der trunckenheit/ welcher primo conceptu in un-
ſerer ſprach pflegt von dem laſter verſtanden zu werden/ nicht geben/ ſondern ein
ander wort brauchen ſolte: Auffs wenigſt gibts ſpoͤttern anlaß zuſpotten. Alſo
auch bedarff die propoſition vieler erklaͤhrung pag. 249. Von manchem men-
ſchen mag wohlgeſagt werden/ wo er nicht ein und andere faſten anſtellet/
kan er nicht in das reich GOttes kommen;
Einſchaͤrff. pag. 7. Jſts verſetzt
mala facere & male, die weil fromme boͤſes begehen nominaliter nicht adverbi-
aliter.
Alſo auch daß zu weilen einige ort faſt ſcheinen einander zu widerſprechen.
Als da Einſchaͤrff. p. 6. ſtehet Es weiß doch ein jeder fuͤr ſich gar wohl/ oder
kans doch wiſſen/ ob ſeine ſ[uͤ]nden aus muthwill oder aus ſchwachheit ge-
ſchehen.
Und buch pag. 17. Es kan ja ein menſch noch wohl wiſſen/ ob er
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pag. 52. aber von den ungeuͤbten/

daß
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[44/0062] Das ſechſte Capitel. do ſit ſeria & ἀνυπόκριτος, paternè acceptat, adhærentem imperfectionem & immunditiem merito ſuo tegit. Welche worte Gerhardi bey weitem ſo hart nicht lauten/ als wo man deutlich ſaget/ wie Herr Stenger thut/ und ſelbs daraus folgert. pag. 104. Es wird nicht gefordert/ daß ihr ſollet gar keine ſunde begehen. pag. 298. Chriſtus hats nicht geboten/ daß alle menſchliche fehler und ſchwachheiten ſollen gantz von uns weg ſeyn. pag. 299. mir henget doch viel boͤſes in meinem leben an/ welches zwar Chriſtus nicht eben will abgethan wiſſen. Welche wort nicht nur in ſich faſſen/ daß GOTT wolle ge- dult mit unſer ſchwachheit tragen/ ſondern auch daß wir zum gegentheil nicht ſchul- dig ſeyen. Dann iſts nicht geboten/ wirds nicht gefordert/ ſo ſind wirs ja nicht ſchuldig? Da wir doch wohl wiſſen/ daß wir GOTT viel ſchuldig bleiben/ was uns zu leiſten unmuͤglich iſt. Weßwegen wir von dieſer arth zu reden achten/ daß ſie billig unterlaſſen/ und auff andere weiſe/ wie man wohl kan/ die ſache/ mit ei- genlichen und nicht dergleichen incommoda conſequentìa nach ſich ziehenden Phraſibus ausgedruckt werden ſolle. Dieſes ſind die vornemſte redens arthen/ welche wir angetroffen haben/ darinn man einigen anſtoß finden moͤgte/ die wir aber zum theil gantz gut und recht gebraucht achten/ theils aber unterlaſſen worden zu ſeyn/ oder kuͤnfftig unterlaſſen zu werden wuͤnſchen. Denen moͤgten vielleicht einige beygefuͤgt werden/ die auch (ob ſchon kein zweiffel daß in gutem verſtand ſie gebraucht werden) etwas frembd und faſt widerſinniſch/ auffs wenigſt paradox lauten: Als wo er Einſchaͤrff. p. 14. unter frommen ſuͤndern und gottloſen ſuͤndern diſtinguiret/ da vielleicht beſ- ſer vor ſrom̃e das wort bußfertige ſuͤnder gebraucht wuͤrde. Jn dem buch p. 357. u. f. es unter die arten der trunckenheit zehlet/ wo man zur froͤligkeit etwas mehr trincket uͤber das ordentliche maaß/ gleichwohl nicht uͤber das ziel der maͤſ- ſigkeit. Davon es heiſt p. 356. Daß GOTT es wohl erlaubet/ und ſichts nicht ungern/ daß ein Chriſt ſich zuweilen truncken trincket. Da man ja lie- ber ſolchem trunck den nahmen der trunckenheit/ welcher primo conceptu in un- ſerer ſprach pflegt von dem laſter verſtanden zu werden/ nicht geben/ ſondern ein ander wort brauchen ſolte: Auffs wenigſt gibts ſpoͤttern anlaß zuſpotten. Alſo auch bedarff die propoſition vieler erklaͤhrung pag. 249. Von manchem men- ſchen mag wohlgeſagt werden/ wo er nicht ein und andere faſten anſtellet/ kan er nicht in das reich GOttes kommen; Einſchaͤrff. pag. 7. Jſts verſetzt mala facere & male, die weil fromme boͤſes begehen nominaliter nicht adverbi- aliter. Alſo auch daß zu weilen einige ort faſt ſcheinen einander zu widerſprechen. Als da Einſchaͤrff. p. 6. ſtehet Es weiß doch ein jeder fuͤr ſich gar wohl/ oder kans doch wiſſen/ ob ſeine ſuͤnden aus muthwill oder aus ſchwachheit ge- ſchehen. Und buch pag. 17. Es kan ja ein menſch noch wohl wiſſen/ ob er ſuͤndiget aus ſchwachheit oder aus boßheit. pag. 52. aber von den ungeuͤbten/ daß

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/62>, abgerufen am 26.11.2024.