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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
solche tägliche betrachtung unserer sterblichkeit/ wo sie nur eine zeitlang continui-
retwird durch göttliche krafft so viel gutes in unserer seele würcket/ als einmahl
durch einige andere übung geschehen kan/ daß also da wir eine zeitlang gleichsam
ausser der welt bereits gelebet haben/ auch nachmahl die übrige zeit unsers lebens
vollends anf eine von der welt abgezogene art desto leichter geführet zu werden ver-
mag. Nun ich ruffe auch über sie jetzt bedrängte den HERRN über tod und
leben demüthig an/ daß er sein gericht auch wolle dieses mahl mit grosser barm-
hertzigkeit gemildert werden/ ja zu ihrer vielen besserung und bekehrung dienlich
seyn lassen/ der jenigen vornemlich/ welcher dienstes er zu seinen ehren und des
nechsten besten vorträglich zu seyn erkennet/ väterlichen zu schonen/ und nach
seinem rath dem würg-Engel bald wiederum befehlen wolle/ seyn schwerd in sei-
ne scheide zu stecken.

Er würcke auch durch seine gnade alles das jenige gute in ihren seelen/ was
er durch eine solche scharffe heimsuchung suchet/ und wende das fast vor augen
schwebende unglück und gefahr in dem geistlichen von unserer Lutherischen kirchen
nach seinem heiligen willen ab/ der auch unseres lieben sel. Lutheri Vaterland et-
wa nicht ohne sonderbare absicht uns zu einem betrübten spectacul in dem leib-
lichen hat werden lassen. Sonderlich wolle er auch nun meinen geliebten freund
eine hut und schirm ferner seyn/ daß keine plage sich zu ihnen machen/ sondern er
noch dermahleins mit den übrigen errettet seinen heiligen nahmen preisen/ und
das gefristete leben zu seinem preiß nutzlich anwenden und auffopffern möge.

Was nun die übersandte predigt anlangt/ habe ich mich so vielmehr nach
deroselben verlesung verwundert/ wie einige so vermessen seyn mögen/ dieselbe zu-
beschuldigen und in verdacht irrthums zu ziehen. Wir lehren unsere kinder als
eine pflicht des achten gebots/ daß wir unseren nechsten entschuldigen/ und alles
zum besten kehren sollen/ daher wären wir schuldig/ ob schon auch einige dunckle-
re wörter und reden vorkämen/ dieselbe nach der liebe regel/ sonderlich da die per-
son sich eben sonsten in keinen argwohn auff andere weise gestecket hat/ auf das
beste aufzunehmen und zu erklären: geschweige dann/ da ja in dieser gantzen pre-
digt nicht von dergleichen reden sich findet/ so nicht bey so vielen andern unver-
dächtigen gottseligen lehrern vorlängsten angetroffen worden.

Daß man die redens-art GOtt gelassene seele/ stille gelassenheit/ danck-
bahre gelassenheit etc.
übel anziehet/ ist wahrhafftig würdig sich darüber höch-
stens zu verwunderen. Sehen wir die wort an sich selbst an/ was haben sie dann bösesin
sich? Jst etwas das nur einigerley massen mehr darinnen gesagtist/ als daß sich eine
seele GOtt darstellet/ daß er in und mit ihr thun und schaffen wolte/ alles was ihm

ge-

Das ſechſte Capitel.
ſolche taͤgliche betrachtung unſerer ſterblichkeit/ wo ſie nur eine zeitlang continui-
retwird duꝛch goͤttliche krafft ſo viel gutes in unſerer ſeele wuͤrcket/ als einmahl
durch einige andere uͤbung geſchehen kan/ daß alſo da wir eine zeitlang gleichſam
auſſer der welt bereits gelebet haben/ auch nachmahl die uͤbrige zeit unſers lebens
vollends anf eine von der welt abgezogene art deſto leichter gefuͤhret zu werden ver-
mag. Nun ich ruffe auch uͤber ſie jetzt bedraͤngte den HERRN uͤber tod und
leben demuͤthig an/ daß er ſein gericht auch wolle dieſes mahl mit groſſer barm-
hertzigkeit gemildert werden/ ja zu ihrer vielen beſſerung und bekehrung dienlich
ſeyn laſſen/ der jenigen vornemlich/ welcher dienſtes er zu ſeinen ehren und des
nechſten beſten vortraͤglich zu ſeyn erkennet/ vaͤterlichen zu ſchonen/ und nach
ſeinem rath dem wuͤrg-Engel bald wiederum befehlen wolle/ ſeyn ſchwerd in ſei-
ne ſcheide zu ſtecken.

Er wuͤrcke auch durch ſeine gnade alles das jenige gute in ihren ſeelen/ was
eꝛ durch eine ſolche ſcharffe heimſuchung ſuchet/ und wende das faſt vor augen
ſchwebende ungluͤck und gefahr in dem geiſtlichen von unſerer Lutheriſchen kirchen
nach ſeinem heiligen willen ab/ der auch unſeres lieben ſel. Lutheri Vaterland et-
wa nicht ohne ſonderbare abſicht uns zu einem betruͤbten ſpectacul in dem leib-
lichen hat werden laſſen. Sonderlich wolle er auch nun meinen geliebten freund
eine hut und ſchirm ferner ſeyn/ daß keine plage ſich zu ihnen machen/ ſondern er
noch deꝛmahleins mit den uͤbrigen errettet ſeinen heiligen nahmen preiſen/ und
das gefriſtete leben zu ſeinem preiß nutzlich anwenden und auffopffern moͤge.

Was nun die uͤberſandte predigt anlangt/ habe ich mich ſo vielmehr nach
deroſelben verleſung verwundert/ wie einige ſo vermeſſen ſeyn moͤgen/ dieſelbe zu-
beſchuldigen und in verdacht irrthums zu ziehen. Wir lehren unſere kinder als
eine pflicht des achten gebots/ daß wir unſeren nechſten entſchuldigen/ und alles
zum beſten kehren ſollen/ daher waͤꝛen wir ſchuldig/ ob ſchon auch einige dunckle-
re woͤrter und reden vorkaͤmen/ dieſelbe nach der liebe regel/ ſonderlich da die per-
ſon ſich eben ſonſten in keinen argwohn auff andere weiſe geſtecket hat/ auf das
beſte aufzunehmen und zu erklaͤren: geſchweige dann/ da ja in dieſer gantzen pre-
digt nicht von dergleichen reden ſich findet/ ſo nicht bey ſo vielen andern unver-
daͤchtigen gottſeligen lehrern vorlaͤngſten angetroffen worden.

Daß man die redens-aꝛt GOtt gelaſſene ſeele/ ſtille gelaſſenheit/ danck-
bahre gelaſſenheit ꝛc.
uͤbel anziehet/ iſt wahrhafftig wuͤrdig ſich daruͤber hoͤch-
ſtens zu verwunderen. Sehen wir die wort an ſich ſelbſt an/ was haben ſie dañ boͤſesin
ſich? Jſt etwas das nur einigerley maſſen mehr dariñen geſagtiſt/ als daß ſich eine
ſeele GOtt darſtellet/ daß er in und mit ihr thun und ſchaffen wolte/ alles was ihm

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[642/0660] Das ſechſte Capitel. ſolche taͤgliche betrachtung unſerer ſterblichkeit/ wo ſie nur eine zeitlang continui- retwird duꝛch goͤttliche krafft ſo viel gutes in unſerer ſeele wuͤrcket/ als einmahl durch einige andere uͤbung geſchehen kan/ daß alſo da wir eine zeitlang gleichſam auſſer der welt bereits gelebet haben/ auch nachmahl die uͤbrige zeit unſers lebens vollends anf eine von der welt abgezogene art deſto leichter gefuͤhret zu werden ver- mag. Nun ich ruffe auch uͤber ſie jetzt bedraͤngte den HERRN uͤber tod und leben demuͤthig an/ daß er ſein gericht auch wolle dieſes mahl mit groſſer barm- hertzigkeit gemildert werden/ ja zu ihrer vielen beſſerung und bekehrung dienlich ſeyn laſſen/ der jenigen vornemlich/ welcher dienſtes er zu ſeinen ehren und des nechſten beſten vortraͤglich zu ſeyn erkennet/ vaͤterlichen zu ſchonen/ und nach ſeinem rath dem wuͤrg-Engel bald wiederum befehlen wolle/ ſeyn ſchwerd in ſei- ne ſcheide zu ſtecken. Er wuͤrcke auch durch ſeine gnade alles das jenige gute in ihren ſeelen/ was eꝛ durch eine ſolche ſcharffe heimſuchung ſuchet/ und wende das faſt vor augen ſchwebende ungluͤck und gefahr in dem geiſtlichen von unſerer Lutheriſchen kirchen nach ſeinem heiligen willen ab/ der auch unſeres lieben ſel. Lutheri Vaterland et- wa nicht ohne ſonderbare abſicht uns zu einem betruͤbten ſpectacul in dem leib- lichen hat werden laſſen. Sonderlich wolle er auch nun meinen geliebten freund eine hut und ſchirm ferner ſeyn/ daß keine plage ſich zu ihnen machen/ ſondern er noch deꝛmahleins mit den uͤbrigen errettet ſeinen heiligen nahmen preiſen/ und das gefriſtete leben zu ſeinem preiß nutzlich anwenden und auffopffern moͤge. Was nun die uͤberſandte predigt anlangt/ habe ich mich ſo vielmehr nach deroſelben verleſung verwundert/ wie einige ſo vermeſſen ſeyn moͤgen/ dieſelbe zu- beſchuldigen und in verdacht irrthums zu ziehen. Wir lehren unſere kinder als eine pflicht des achten gebots/ daß wir unſeren nechſten entſchuldigen/ und alles zum beſten kehren ſollen/ daher waͤꝛen wir ſchuldig/ ob ſchon auch einige dunckle- re woͤrter und reden vorkaͤmen/ dieſelbe nach der liebe regel/ ſonderlich da die per- ſon ſich eben ſonſten in keinen argwohn auff andere weiſe geſtecket hat/ auf das beſte aufzunehmen und zu erklaͤren: geſchweige dann/ da ja in dieſer gantzen pre- digt nicht von dergleichen reden ſich findet/ ſo nicht bey ſo vielen andern unver- daͤchtigen gottſeligen lehrern vorlaͤngſten angetroffen worden. Daß man die redens-aꝛt GOtt gelaſſene ſeele/ ſtille gelaſſenheit/ danck- bahre gelaſſenheit ꝛc. uͤbel anziehet/ iſt wahrhafftig wuͤrdig ſich daruͤber hoͤch- ſtens zu verwunderen. Sehen wir die wort an ſich ſelbſt an/ was haben ſie dañ boͤſesin ſich? Jſt etwas das nur einigerley maſſen mehr dariñen geſagtiſt/ als daß ſich eine ſeele GOtt darſtellet/ daß er in und mit ihr thun und ſchaffen wolte/ alles was ihm ge-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/660>, abgerufen am 22.11.2024.