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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.

ES ist denselben unentfallen/ wie nach des heiligen GOttes weiser und gütiger
direction/ vor nunmehr fast 20. jahren ich aus meinem damahligen Straß-
[b]urgischen kirchen-dienst ohne mein gesuch und mit gnugsamer überzeugung
Göttlichen fingers zu hiesiger gemeinde beruffen worden. Von solcher zeit habe
nach dem armen vermögen/ daß mir der HERR verliehen hat/ deroselben zu die-
nen und an ihr zu arbeiten nicht unterlassen/ auch in der hoffnung gestanden/ bey
solcher verrichtung die übrige lebenszeit/ wieviel oder wenig mir der HERR noch
möchte bestimmmet haben/ zu zubringen: Welches auch noch/ da derjenige/ wel-
cher über uns das regiment hat/ seinen willen nicht anders selbs zeiget/ mein eigenes
verlangen wäre. Ob denn nun wol auch in den vertrauen gestanden/ es werde
zu einer änderung niemahl eine solche anmuthung kommen/ welche nicht leicht mo-
deste
und doch ohne verletzung des gewissen decliniret werden möchte; so zeiget
sich doch fast nunmehr etwas anders/ welches/ wie andere unerwartete dinge/ mich
nicht wenig in meinem gemüth verunruhiget.

Es ist bereits gegen zwey jahr/ daß aus dem hochlöblichen Chursächsischen
Ober-Consistorio durch eine dritte vornehme hand ich sondiret worden/ weil der
damahlen noch lebendige Churfürstliche Oberhoffprediger Herr D. Lucius je mehr
und mehr ableibig und zu seinem amt unvermögen würde/ ob ich dermahleins auff
den fall der ordenlichen vocation zu solcher stelle/ daran ein grosses gelegen/ mich
gehorsam verstehen wolte. Jch habe aber so wenige inclination dazu bey mir ge-
funden/ daß vielmehr die vorstellung der wichtigkeit des amts eine mehrere furcht
eingejaget/ als begierde erwecket; Daher auch mit wahrhafftiger einwendung
meines bey mir befindlichen unvermögens solche gedancken abzuwenden getrachtet.
Es sind aber solche anmuthungen an mich seither eines halben jahres noch mehr-
mahl/ theils aus dem mittel des hochlöblichen Consistorii selbs/ theils abermahl
durch andere personen/ widerhohlet worden.

Da ich aber nicht anders gekont/ als vorige entschuldigungen zu wi-
derhohlen/ und zu bezeigen/ daß ich zwar einer wahrhafftig-Göttlichen beruffung
aller orten zu folgen schuldig wäre/ auch die stelle dermassen zu der Evangelischen
kirche nutzen wichtig erkennte/ daß ich/ wo ich dazu tüchtig wäre/ billich alles
andere zuverlassen hätte; ich sinde aber sothane tüchtigkeit so gar nicht/ daß ich
nach erwegen allem (wie meine letzte antwort in sich hielte) nicht sehe/ wie ge-
dachtes amt ohne sünde von mir übernommen/ oder von denen/ die mich recht
kenneten/ mir auffgetragen werden könte. Nebens dem ich hingegen einer an-
deren begabterer person an meine stelle meldung gethan/ die mit mehrerer frucht
ein solches vornehmes officium vrwalten könte. Hiemit hätte gedencken sollen/
daß die sache zu ende seyn würde. Es ist aber zu gleicher zeit/ als meine letzte/ ant-

wort
Das ſechſte Capitel.

ES iſt denſelben unentfallen/ wie nach des heiligen GOttes weiſer und guͤtiger
direction/ vor nunmehr faſt 20. jahren ich aus meinem damahligen Straß-
[b]urgiſchen kirchen-dienſt ohne mein geſuch und mit gnugſamer uͤberzeugung
Goͤttlichen fingers zu hieſiger gemeinde beruffen worden. Von ſolcher zeit habe
nach dem armen vermoͤgen/ daß mir der HERR verliehen hat/ deroſelben zu die-
nen und an ihr zu arbeiten nicht unterlaſſen/ auch in der hoffnung geſtanden/ bey
ſolcher verrichtung die uͤbrige lebenszeit/ wieviel oder wenig mir der HERR noch
moͤchte beſtim̃met haben/ zu zubringen: Welches auch noch/ da derjenige/ wel-
cher uͤber uns das regiment hat/ ſeinen willen nicht anders ſelbs zeiget/ mein eigenes
verlangen waͤre. Ob denn nun wol auch in den vertrauen geſtanden/ es werde
zu einer aͤnderung niemahl eine ſolche anmuthung kommen/ welche nicht leicht mo-
deſte
und doch ohne verletzung des gewiſſen decliniret werden moͤchte; ſo zeiget
ſich doch faſt nunmehr etwas anders/ welches/ wie andere unerwartete dinge/ mich
nicht wenig in meinem gemuͤth verunruhiget.

Es iſt bereits gegen zwey jahr/ daß aus dem hochloͤblichen Churſaͤchſiſchen
Ober-Conſiſtorio durch eine dritte vornehme hand ich ſondiret worden/ weil der
damahlen noch lebendige Churfuͤrſtliche Oberhoffprediger Herr D. Lucius je mehr
und mehr ableibig und zu ſeinem amt unvermoͤgen wuͤrde/ ob ich dermahleins auff
den fall der ordenlichen vocation zu ſolcher ſtelle/ daran ein groſſes gelegen/ mich
gehorſam verſtehen wolte. Jch habe aber ſo wenige inclination dazu bey mir ge-
funden/ daß vielmehr die vorſtellung der wichtigkeit des amts eine mehrere furcht
eingejaget/ als begierde erwecket; Daher auch mit wahrhafftiger einwendung
meines bey mir befindlichen unvermoͤgens ſolche gedancken abzuwenden getrachtet.
Es ſind aber ſolche anmuthungen an mich ſeither eines halben jahres noch mehr-
mahl/ theils aus dem mittel des hochloͤblichen Conſiſtorii ſelbs/ theils abermahl
durch andere perſonen/ widerhohlet worden.

Da ich aber nicht anders gekont/ als vorige entſchuldigungen zu wi-
derhohlen/ und zu bezeigen/ daß ich zwar einer wahrhafftig-Goͤttlichen beruffung
aller orten zu folgen ſchuldig waͤre/ auch die ſtelle dermaſſen zu der Evangeliſchen
kirche nutzen wichtig erkennte/ daß ich/ wo ich dazu tuͤchtig waͤre/ billich alles
andere zuverlaſſen haͤtte; ich ſinde aber ſothane tuͤchtigkeit ſo gar nicht/ daß ich
nach erwegen allem (wie meine letzte antwort in ſich hielte) nicht ſehe/ wie ge-
dachtes amt ohne ſuͤnde von mir uͤbernommen/ oder von denen/ die mich recht
kenneten/ mir auffgetragen werden koͤnte. Nebens dem ich hingegen einer an-
deren begabterer perſon an meine ſtelle meldung gethan/ die mit mehrerer frucht
ein ſolches vornehmes officium vrwalten koͤnte. Hiemit haͤtte gedencken ſollen/
daß die ſache zu ende ſeyn wuͤrde. Es iſt aber zu gleicher zeit/ als meine letzte/ ant-

wort
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[666/0684] Das ſechſte Capitel. ES iſt denſelben unentfallen/ wie nach des heiligen GOttes weiſer und guͤtiger direction/ vor nunmehr faſt 20. jahren ich aus meinem damahligen Straß- burgiſchen kirchen-dienſt ohne mein geſuch und mit gnugſamer uͤberzeugung Goͤttlichen fingers zu hieſiger gemeinde beruffen worden. Von ſolcher zeit habe nach dem armen vermoͤgen/ daß mir der HERR verliehen hat/ deroſelben zu die- nen und an ihr zu arbeiten nicht unterlaſſen/ auch in der hoffnung geſtanden/ bey ſolcher verrichtung die uͤbrige lebenszeit/ wieviel oder wenig mir der HERR noch moͤchte beſtim̃met haben/ zu zubringen: Welches auch noch/ da derjenige/ wel- cher uͤber uns das regiment hat/ ſeinen willen nicht anders ſelbs zeiget/ mein eigenes verlangen waͤre. Ob denn nun wol auch in den vertrauen geſtanden/ es werde zu einer aͤnderung niemahl eine ſolche anmuthung kommen/ welche nicht leicht mo- deſte und doch ohne verletzung des gewiſſen decliniret werden moͤchte; ſo zeiget ſich doch faſt nunmehr etwas anders/ welches/ wie andere unerwartete dinge/ mich nicht wenig in meinem gemuͤth verunruhiget. Es iſt bereits gegen zwey jahr/ daß aus dem hochloͤblichen Churſaͤchſiſchen Ober-Conſiſtorio durch eine dritte vornehme hand ich ſondiret worden/ weil der damahlen noch lebendige Churfuͤrſtliche Oberhoffprediger Herr D. Lucius je mehr und mehr ableibig und zu ſeinem amt unvermoͤgen wuͤrde/ ob ich dermahleins auff den fall der ordenlichen vocation zu ſolcher ſtelle/ daran ein groſſes gelegen/ mich gehorſam verſtehen wolte. Jch habe aber ſo wenige inclination dazu bey mir ge- funden/ daß vielmehr die vorſtellung der wichtigkeit des amts eine mehrere furcht eingejaget/ als begierde erwecket; Daher auch mit wahrhafftiger einwendung meines bey mir befindlichen unvermoͤgens ſolche gedancken abzuwenden getrachtet. Es ſind aber ſolche anmuthungen an mich ſeither eines halben jahres noch mehr- mahl/ theils aus dem mittel des hochloͤblichen Conſiſtorii ſelbs/ theils abermahl durch andere perſonen/ widerhohlet worden. Da ich aber nicht anders gekont/ als vorige entſchuldigungen zu wi- derhohlen/ und zu bezeigen/ daß ich zwar einer wahrhafftig-Goͤttlichen beruffung aller orten zu folgen ſchuldig waͤre/ auch die ſtelle dermaſſen zu der Evangeliſchen kirche nutzen wichtig erkennte/ daß ich/ wo ich dazu tuͤchtig waͤre/ billich alles andere zuverlaſſen haͤtte; ich ſinde aber ſothane tuͤchtigkeit ſo gar nicht/ daß ich nach erwegen allem (wie meine letzte antwort in ſich hielte) nicht ſehe/ wie ge- dachtes amt ohne ſuͤnde von mir uͤbernommen/ oder von denen/ die mich recht kenneten/ mir auffgetragen werden koͤnte. Nebens dem ich hingegen einer an- deren begabterer perſon an meine ſtelle meldung gethan/ die mit mehrerer frucht ein ſolches vornehmes officium vrwalten koͤnte. Hiemit haͤtte gedencken ſollen/ daß die ſache zu ende ſeyn wuͤrde. Es iſt aber zu gleicher zeit/ als meine letzte/ ant- wort

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/684>, abgerufen am 22.11.2024.