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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
widerleget/ welcher wir uns gebrauchen gegen die Reformirten/ welche denjenigen
glauben nicht wollen vor den wahren glauben gehalten haben/ welcher wieder ver-
lohren worden. Wie dann diese meynung mit solchem irrthum (der auch in den
Schmalkaldischen Articuln pag. 3. art. 3. verworffen wird:) gar nahe über ein
käme.
Alle die buß aber ist wahrhafftig/ in welcher der mensch seine sünde mit
hertzlicher göttlicher reue erkennt/ und mit wahren lebendigem glauben seines Er-
lösers verdienst ergreiffet. Bey solchem ist zwar freylich allezeit hertzlicher vorsatz
und trieb/ solchen vorsatz auch ins werck zusetzen/ der den menschen nicht müßig seyn
lässt. Weil aber gleichwohl es müglich ist/ daß nachmahls der mensch wieder ab-
fällt; so ist die beharrlichkeit ein solches consequens, welches da von separirt blei-
ben/ und also auch ohne diese dennoch die buß warhafftig gewesen seyn kan. 4. Er-
hellet auch aus dieser materi/ daß Herr Stenger (auffs wenigste/ wie an vielen
orten aus seinen worten/ nicht anders geschlossen werden mag) nicht gebührlich
unterscheide/ die stärcke und schwachheit des glaubens; Daher er aller orten von
den früchten des glaubens redet/ wie dieselbe sich bey dem glauben in seiner stärcke
befinden/ da es zu weilen gar ein andere bewandnüß mit hat/ wo der glaube
schwach und also auch der trieb desselben nicht so starck ist. Nun wie wir den
schwachen glauben vor einen wahren glauben achten und GOTT ihn auch davor
erkennet/ also sind auch desselben früchte/ ob wohl freylich viel mangels sich daran
befindet/ gleich wohl wahre früchte/ weil und wann sie auffrichtig sind. Dieses
ist also das jenige/ so wir in durchlesung der vor die hand gegebenen zwey schrifften
Herrn Stengers observiret/ und zu observiren nöthig erachtet haben; Daraus
dann leichtlich unsere endliche meynung erhellet/ daß nehmlich wir zwar viele der
redens-arten/ an welchen vielleicht einige/ die solche gehöret oder gelesen/ mögen an-
gestossen haben/ aus betrachtung so wohl der sache als anderer umstände/ sonderlich
seines eiffers/ vor gut und unsträfflich achten; hingegen in unterschiedlichen/ ob
wohl seine meynung recht/ desideriren/ daß er mit der kirche hätte reden sollen/
und mit unbequemen/ zweiffelhafftigen und dunckeln reden/ welche der gemeine zu-
hörer nicht leicht fasset/ nicht einen verdacht auff sich ziehen. So dann das die
letzte benamste lehr/ so wiederum in etliche puncten sich theilet/ wofern er sie/ wie
wir sie aus seinen worten gefast/ vor die seinige erkent/ und nicht besser declariret/
von uns nicht anders als irrig angesehen werden könne. Es sind einige ort der
Schrifft bereits angezogen worden mit welchem solche meynung streitet; So seind
auch die wort unserer Augspurgischen Confession art. 12. da es heist: Daß die
jenige so nach der tauff gesündiget haben/ zu allerzeit/ so sie bekehret wer-
den/ vergebung der sünden erlangen mögen:
Sonderlich aber wie sie wieder-
hohlet werden in der Apologi: Zu was zeit und wie offt sie sich bekehren/ also
bewand/ daß sie nicht mit Herr Stengers meynung bestehen. Dann ob er wohl
sagen mögte: er glaube mit der Augspurgischen Confession schlecht dahin/ daß

die

Das ſechſte Capitel.
widerleget/ welcher wir uns gebrauchen gegen die Reformirten/ welche denjenigen
glauben nicht wollen vor den wahren glauben gehalten haben/ welcher wieder ver-
lohren worden. Wie dann dieſe meynung mit ſolchem irrthum (der auch in den
Schmalkaldiſchen Articuln pag. 3. art. 3. verworffen wird:) gar nahe uͤber ein
kaͤme.
Alle die buß aber iſt wahrhafftig/ in welcher der menſch ſeine ſuͤnde mit
hertzlicher goͤttlicher reue erkennt/ und mit wahren lebendigem glauben ſeines Er-
loͤſers verdienſt ergreiffet. Bey ſolchem iſt zwar freylich allezeit hertzlicher vorſatz
und trieb/ ſolchen vorſatz auch ins werck zuſetzen/ der den menſchen nicht muͤßig ſeyn
laͤſſt. Weil aber gleichwohl es muͤglich iſt/ daß nachmahls der menſch wieder ab-
faͤllt; ſo iſt die beharrlichkeit ein ſolches conſequens, welches da von ſeparirt blei-
ben/ und alſo auch ohne dieſe dennoch die buß warhafftig geweſen ſeyn kan. 4. Er-
hellet auch aus dieſer materi/ daß Herr Stenger (auffs wenigſte/ wie an vielen
orten aus ſeinen worten/ nicht anders geſchloſſen werden mag) nicht gebuͤhrlich
unterſcheide/ die ſtaͤrcke und ſchwachheit des glaubens; Daher er aller orten von
den fruͤchten des glaubens redet/ wie dieſelbe ſich bey dem glauben in ſeiner ſtaͤrcke
befinden/ da es zu weilen gar ein andere bewandnuͤß mit hat/ wo der glaube
ſchwach und alſo auch der trieb deſſelben nicht ſo ſtarck iſt. Nun wie wir den
ſchwachen glauben vor einen wahren glauben achten und GOTT ihn auch davor
erkennet/ alſo ſind auch deſſelben fruͤchte/ ob wohl freylich viel mangels ſich daran
befindet/ gleich wohl wahre fruͤchte/ weil und wann ſie auffrichtig ſind. Dieſes
iſt alſo das jenige/ ſo wir in durchleſung der vor die hand gegebenen zwey ſchrifften
Herrn Stengers obſerviret/ und zu obſerviren noͤthig erachtet haben; Daraus
dann leichtlich unſere endliche meynung erhellet/ daß nehmlich wir zwar viele der
redens-arten/ an welchen vielleicht einige/ die ſolche gehoͤret oder geleſen/ moͤgen an-
geſtoſſen haben/ aus betrachtung ſo wohl der ſache als anderer umſtaͤnde/ ſonderlich
ſeines eiffers/ vor gut und unſtraͤfflich achten; hingegen in unterſchiedlichen/ ob
wohl ſeine meynung recht/ deſideriren/ daß er mit der kirche haͤtte reden ſollen/
und mit unbequemen/ zweiffelhafftigen und dunckeln reden/ welche der gemeine zu-
hoͤrer nicht leicht faſſet/ nicht einen verdacht auff ſich ziehen. So dann das die
letzte benamſte lehr/ ſo wiederum in etliche puncten ſich theilet/ wofern er ſie/ wie
wir ſie aus ſeinen worten gefaſt/ vor die ſeinige erkent/ und nicht beſſer declariret/
von uns nicht anders als irrig angeſehen werden koͤnne. Es ſind einige ort der
Schrifft bereits angezogen worden mit welchem ſolche meynung ſtreitet; So ſeind
auch die wort unſerer Augſpurgiſchen Confeſſion art. 12. da es heiſt: Daß die
jenige ſo nach der tauff geſuͤndiget haben/ zu allerzeit/ ſo ſie bekehret wer-
den/ vergebung der ſuͤnden erlangen moͤgen:
Sonderlich aber wie ſie wieder-
hohlet werden in der Apologi: Zu was zeit und wie offt ſie ſich bekehren/ alſo
bewand/ daß ſie nicht mit Herr Stengers meynung beſtehen. Dann ob er wohl
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[60/0078] Das ſechſte Capitel. widerleget/ welcher wir uns gebrauchen gegen die Reformirten/ welche denjenigen glauben nicht wollen vor den wahren glauben gehalten haben/ welcher wieder ver- lohren worden. Wie dann dieſe meynung mit ſolchem irrthum (der auch in den Schmalkaldiſchen Articuln pag. 3. art. 3. verworffen wird:) gar nahe uͤber ein kaͤme. Alle die buß aber iſt wahrhafftig/ in welcher der menſch ſeine ſuͤnde mit hertzlicher goͤttlicher reue erkennt/ und mit wahren lebendigem glauben ſeines Er- loͤſers verdienſt ergreiffet. Bey ſolchem iſt zwar freylich allezeit hertzlicher vorſatz und trieb/ ſolchen vorſatz auch ins werck zuſetzen/ der den menſchen nicht muͤßig ſeyn laͤſſt. Weil aber gleichwohl es muͤglich iſt/ daß nachmahls der menſch wieder ab- faͤllt; ſo iſt die beharrlichkeit ein ſolches conſequens, welches da von ſeparirt blei- ben/ und alſo auch ohne dieſe dennoch die buß warhafftig geweſen ſeyn kan. 4. Er- hellet auch aus dieſer materi/ daß Herr Stenger (auffs wenigſte/ wie an vielen orten aus ſeinen worten/ nicht anders geſchloſſen werden mag) nicht gebuͤhrlich unterſcheide/ die ſtaͤrcke und ſchwachheit des glaubens; Daher er aller orten von den fruͤchten des glaubens redet/ wie dieſelbe ſich bey dem glauben in ſeiner ſtaͤrcke befinden/ da es zu weilen gar ein andere bewandnuͤß mit hat/ wo der glaube ſchwach und alſo auch der trieb deſſelben nicht ſo ſtarck iſt. Nun wie wir den ſchwachen glauben vor einen wahren glauben achten und GOTT ihn auch davor erkennet/ alſo ſind auch deſſelben fruͤchte/ ob wohl freylich viel mangels ſich daran befindet/ gleich wohl wahre fruͤchte/ weil und wann ſie auffrichtig ſind. Dieſes iſt alſo das jenige/ ſo wir in durchleſung der vor die hand gegebenen zwey ſchrifften Herrn Stengers obſerviret/ und zu obſerviren noͤthig erachtet haben; Daraus dann leichtlich unſere endliche meynung erhellet/ daß nehmlich wir zwar viele der redens-arten/ an welchen vielleicht einige/ die ſolche gehoͤret oder geleſen/ moͤgen an- geſtoſſen haben/ aus betrachtung ſo wohl der ſache als anderer umſtaͤnde/ ſonderlich ſeines eiffers/ vor gut und unſtraͤfflich achten; hingegen in unterſchiedlichen/ ob wohl ſeine meynung recht/ deſideriren/ daß er mit der kirche haͤtte reden ſollen/ und mit unbequemen/ zweiffelhafftigen und dunckeln reden/ welche der gemeine zu- hoͤrer nicht leicht faſſet/ nicht einen verdacht auff ſich ziehen. So dann das die letzte benamſte lehr/ ſo wiederum in etliche puncten ſich theilet/ wofern er ſie/ wie wir ſie aus ſeinen worten gefaſt/ vor die ſeinige erkent/ und nicht beſſer declariret/ von uns nicht anders als irrig angeſehen werden koͤnne. Es ſind einige ort der Schrifft bereits angezogen worden mit welchem ſolche meynung ſtreitet; So ſeind auch die wort unſerer Augſpurgiſchen Confeſſion art. 12. da es heiſt: Daß die jenige ſo nach der tauff geſuͤndiget haben/ zu allerzeit/ ſo ſie bekehret wer- den/ vergebung der ſuͤnden erlangen moͤgen: Sonderlich aber wie ſie wieder- hohlet werden in der Apologi: Zu was zeit und wie offt ſie ſich bekehren/ alſo bewand/ daß ſie nicht mit Herr Stengers meynung beſtehen. Dann ob er wohl ſagen moͤgte: er glaube mit der Augſpurgiſchen Confeſſion ſchlecht dahin/ daß die

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/78>, abgerufen am 25.11.2024.