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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. III. SECT. XXVII.

DAß sobald zur sache selbst schreite/ so muß vor GOtt bekennen/ daß ich
mich über dessen schreiben in Dreßden dermassen erfreuet habe/ daß
die empfangung desselben/ eine von den vornehmsten stärckungen gewe-
sen/ damit in den damaligen vielen zerstreuungen/ sorgen und unruhe
der himmlische Vater mich erqvicket hat: Wie ich versichern kann/ daß mir
dieses eine der inniglichsten freuden hier iu diesem leben ist/ so offt hie und da-
her eines und andern rechtschaffenen Christen/ den der HErr kräfftig gerühret/
gewahr werde/ und aus jedem exempel zu stärckung meines glaubens in eige-
ner erfahrung sehe/ daß auch in den zeiten der über uns noch so schwere liegen-
den gerichte/ der gütigste Vater nicht unterlasse/ sein werck in denenjenigen see-
len zu treiben/ welche seiner gnade annoch bey sich platz lassen/ und also daß er
uns noch einigen saamen übrig lasse/ damit wir nicht werden möchten wie So-
doma und Gomorrha. Gelobet seye also die himmlische ewige güte/ welche
denselben auch/ wie sobald in der kindheit durch treue anweisung einer gottse-
ligen mutter und vorhaltung des Christlichen exempels eines seligen groß-va-
ters/ kräfftig zu sich zu ziehen angefangen/ und sein werck immer/ ob wol etwas
verborgener fortzusetzen nie unterlassen/ also endlich so viel kräfftiger bey ihm
durchgebrochen hat/ in ihm so wol eine heilige begierde/ sein eigen heil in der göt-
lichen gnade treulich zu wircken/ als auch einen aufrichtigen liebreichen eyffer/
erwecket hat/ auch seinen neben-menschen nach besten vermögen zu seiner ret-
tung an hand zu gehen. Ach geliebter freund/ er höre nicht auf/ (wie zwar ohne
das das vertrauen habe/ daß ers ohne meine erinnerung thun werde) den treue-
sten GOtt vor diese überschwengliche barmhertzigkeit an seiner seelen erzeiget/
mit tieffster demuth zu preisen/ und derselben sich in schuldiger danckbarkeit folg-
sam zu überlassen/ der gewissen versicherung/ daß er auf dem rechten wege ste-
he/ und sich nur fener von dem guten geist/ der ihn bereits kräfftig ergriffen hat/
leiten lassen dürffe. Es ist einmahl dieses der einige weg zu GOtt zu kommen/
buß und glauben: und zwar jene nicht allein von den groben sünden/ damit die
offenbar ruchlose sich zu beflecken pflegen/ sondern auch von dem der meisten
welt (ob sie wol allertieffst darinnen stecket/) unbekannt bleibenden fleischlichen
sinn/ der seine ehre/ nutzen/ lust und willen in allen suchet/ und darinnen nicht zu
sündigen meinet/ bey dessen beybehaltung aber nimmermehr das göttliche liecht
in die seele einleuchten kan: dieser aber/ nemlich der glaube/ nicht wie er in einer
fleischlichen einbildung von der gnade GOttes bestehet/ sondern eine göttliche
krafft in uns seyen/ und dasjenige an sich haben muß/ was unser theure Luthe-
rus in der mehrangeführten vorrede über die Römer bezeuget. Nachdem ich
nun sehe/ daß mein geliebter freund sich diesen einigen weg gefallen lässet/ und
auf denselben ein hergehet/ so kan mit warheit sagen/ daß er auf den rechten we-
ge stehe/ und auch auf denselben getrost fortwandern solle. So vielmehr aber

freuet
Aaa aaa 3
ARTIC. III. SECT. XXVII.

DAß ſobald zur ſache ſelbſt ſchreite/ ſo muß vor GOtt bekennen/ daß ich
mich uͤber deſſen ſchreiben in Dreßden dermaſſen erfreuet habe/ daß
die empfangung deſſelben/ eine von den vornehmſten ſtaͤrckungen gewe-
ſen/ damit in den damaligen vielen zerſtreuungen/ ſorgen und unruhe
der himmliſche Vater mich erqvicket hat: Wie ich verſichern kann/ daß mir
dieſes eine der inniglichſten freuden hier iu dieſem leben iſt/ ſo offt hie und da-
her eines und andern rechtſchaffenen Chriſten/ den der HErr kraͤfftig geruͤhret/
gewahr werde/ und aus jedem exempel zu ſtaͤrckung meines glaubens in eige-
ner erfahrung ſehe/ daß auch in den zeiten der uͤber uns noch ſo ſchwere liegen-
den gerichte/ der guͤtigſte Vater nicht unterlaſſe/ ſein werck in denenjenigen ſee-
len zu treiben/ welche ſeiner gnade annoch bey ſich platz laſſen/ und alſo daß er
uns noch einigen ſaamen uͤbrig laſſe/ damit wir nicht werden moͤchten wie So-
doma und Gomorrha. Gelobet ſeye alſo die himmliſche ewige guͤte/ welche
denſelben auch/ wie ſobald in der kindheit durch treue anweiſung einer gottſe-
ligen mutter und vorhaltung des Chriſtlichen exempels eines ſeligen groß-va-
ters/ kraͤfftig zu ſich zu ziehen angefangen/ und ſein werck immer/ ob wol etwas
verborgener fortzuſetzen nie unterlaſſen/ alſo endlich ſo viel kraͤfftiger bey ihm
durchgebrochen hat/ in ihm ſo wol eine heilige begierde/ ſein eigen heil in der goͤt-
lichen gnade treulich zu wircken/ als auch einen aufrichtigen liebreichen eyffer/
erwecket hat/ auch ſeinen neben-menſchen nach beſten vermoͤgen zu ſeiner ret-
tung an hand zu gehen. Ach geliebter freund/ er hoͤre nicht auf/ (wie zwar ohne
das das vertrauen habe/ daß ers ohne meine erinnerung thun werde) den treue-
ſten GOtt vor dieſe uͤberſchwengliche barmhertzigkeit an ſeiner ſeelen erzeiget/
mit tieffſter demuth zu preiſen/ und derſelben ſich in ſchuldiger danckbarkeit folg-
ſam zu uͤberlaſſen/ der gewiſſen verſicherung/ daß er auf dem rechten wege ſte-
he/ und ſich nur fener von dem guten geiſt/ der ihn bereits kraͤfftig ergriffen hat/
leiten laſſen duͤrffe. Es iſt einmahl dieſes der einige weg zu GOtt zu kommen/
buß und glauben: und zwar jene nicht allein von den groben ſuͤnden/ damit die
offenbar ruchloſe ſich zu beflecken pflegen/ ſondern auch von dem der meiſten
welt (ob ſie wol allertieffſt darinnen ſtecket/) unbekannt bleibenden fleiſchlichen
ſinn/ der ſeine ehre/ nutzen/ luſt und willen in allen ſuchet/ und darinnen nicht zu
ſuͤndigen meinet/ bey deſſen beybehaltung aber nimmermehr das goͤttliche liecht
in die ſeele einleuchten kan: dieſer aber/ nemlich der glaube/ nicht wie er in einer
fleiſchlichen einbildung von der gnade GOttes beſtehet/ ſondern eine goͤttliche
krafft in uns ſeyen/ und dasjenige an ſich haben muß/ was unſer theure Luthe-
rus in der mehrangefuͤhrten vorrede uͤber die Roͤmer bezeuget. Nachdem ich
nun ſehe/ daß mein geliebter freund ſich dieſen einigen weg gefallen laͤſſet/ und
auf denſelben ein hergehet/ ſo kan mit warheit ſagen/ daß er auf den rechten we-
ge ſtehe/ und auch auf denſelben getroſt fortwandern ſolle. So vielmehr aber

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[925/0943] ARTIC. III. SECT. XXVII. DAß ſobald zur ſache ſelbſt ſchreite/ ſo muß vor GOtt bekennen/ daß ich mich uͤber deſſen ſchreiben in Dreßden dermaſſen erfreuet habe/ daß die empfangung deſſelben/ eine von den vornehmſten ſtaͤrckungen gewe- ſen/ damit in den damaligen vielen zerſtreuungen/ ſorgen und unruhe der himmliſche Vater mich erqvicket hat: Wie ich verſichern kann/ daß mir dieſes eine der inniglichſten freuden hier iu dieſem leben iſt/ ſo offt hie und da- her eines und andern rechtſchaffenen Chriſten/ den der HErr kraͤfftig geruͤhret/ gewahr werde/ und aus jedem exempel zu ſtaͤrckung meines glaubens in eige- ner erfahrung ſehe/ daß auch in den zeiten der uͤber uns noch ſo ſchwere liegen- den gerichte/ der guͤtigſte Vater nicht unterlaſſe/ ſein werck in denenjenigen ſee- len zu treiben/ welche ſeiner gnade annoch bey ſich platz laſſen/ und alſo daß er uns noch einigen ſaamen uͤbrig laſſe/ damit wir nicht werden moͤchten wie So- doma und Gomorrha. Gelobet ſeye alſo die himmliſche ewige guͤte/ welche denſelben auch/ wie ſobald in der kindheit durch treue anweiſung einer gottſe- ligen mutter und vorhaltung des Chriſtlichen exempels eines ſeligen groß-va- ters/ kraͤfftig zu ſich zu ziehen angefangen/ und ſein werck immer/ ob wol etwas verborgener fortzuſetzen nie unterlaſſen/ alſo endlich ſo viel kraͤfftiger bey ihm durchgebrochen hat/ in ihm ſo wol eine heilige begierde/ ſein eigen heil in der goͤt- lichen gnade treulich zu wircken/ als auch einen aufrichtigen liebreichen eyffer/ erwecket hat/ auch ſeinen neben-menſchen nach beſten vermoͤgen zu ſeiner ret- tung an hand zu gehen. Ach geliebter freund/ er hoͤre nicht auf/ (wie zwar ohne das das vertrauen habe/ daß ers ohne meine erinnerung thun werde) den treue- ſten GOtt vor dieſe uͤberſchwengliche barmhertzigkeit an ſeiner ſeelen erzeiget/ mit tieffſter demuth zu preiſen/ und derſelben ſich in ſchuldiger danckbarkeit folg- ſam zu uͤberlaſſen/ der gewiſſen verſicherung/ daß er auf dem rechten wege ſte- he/ und ſich nur fener von dem guten geiſt/ der ihn bereits kraͤfftig ergriffen hat/ leiten laſſen duͤrffe. Es iſt einmahl dieſes der einige weg zu GOtt zu kommen/ buß und glauben: und zwar jene nicht allein von den groben ſuͤnden/ damit die offenbar ruchloſe ſich zu beflecken pflegen/ ſondern auch von dem der meiſten welt (ob ſie wol allertieffſt darinnen ſtecket/) unbekannt bleibenden fleiſchlichen ſinn/ der ſeine ehre/ nutzen/ luſt und willen in allen ſuchet/ und darinnen nicht zu ſuͤndigen meinet/ bey deſſen beybehaltung aber nimmermehr das goͤttliche liecht in die ſeele einleuchten kan: dieſer aber/ nemlich der glaube/ nicht wie er in einer fleiſchlichen einbildung von der gnade GOttes beſtehet/ ſondern eine goͤttliche krafft in uns ſeyen/ und dasjenige an ſich haben muß/ was unſer theure Luthe- rus in der mehrangefuͤhrten vorrede uͤber die Roͤmer bezeuget. Nachdem ich nun ſehe/ daß mein geliebter freund ſich dieſen einigen weg gefallen laͤſſet/ und auf denſelben ein hergehet/ ſo kan mit warheit ſagen/ daß er auf den rechten we- ge ſtehe/ und auch auf denſelben getroſt fortwandern ſolle. So vielmehr aber freuet Aaa aaa 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 925. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/943>, abgerufen am 22.11.2024.