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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
freuet mich/ daß derselbe/ ob zwar andere bücher/ und die gaben/ welche GOtt
in andere seine diener geleget hat/ nicht verachtet/ dennoch seinen grund allein
auf das göttliche unbetrügliche wort selbst setzet: Wie wir denn alle andere bü-
cher nicht anders als zeugen derjenigen warheit/ die in der schrifft gelehret wird/
und als einige handleiter zu deroselben leichteren verstand anzusehen haben/
dero wir je länger je weniger bedörffen/ je mehr wir in solches buch des lebens
selbst nunmehr eindringen. Daher er auch wol thut/ daß er nach seinen ver-
mögen jedermann zur lesung solches buchs hilfft vermahnen/ und solches allen
rathet. Dieses aber ist erschrecklich/ und solte man nicht davor gehalten haben/
daß es in unser Lutherischen kirchen/ und zwar wo man sich des ersten ursprun-
ges der seligen reformation rühmet/ dahin solte gekommen seyen/ daß prediger
selbst den zuhörern die lesung der heil. schrifft mißrathen. Welches leider all-
zustarck nach dem Pabstum schmecket/ und solche leute anzeiget/ die wiederum
den alten blinden gehorsam/ und die von damaliger geistlichkeit über die andere
geübte tyranney im hertzen haben/ da sie wollen/ daß die menschen an ihrer au-
tori
tät hengen sollen/ damit sie aus ihnen machen können/ was sie wollen. Aber
wehe denen lehrern/ welche nicht fleiß ankehren/ die menschen dahin zu weisen/
daß sie selbst gern ihren wahren meister Christum Matth. 23/ 8. in seinen wort
hören/ damit sie darnach alle übrige lehren prüffen lernen; so vielmehr wo sie
sie noch von demselben als viel an ihnen ist/ abhalten. Jch kan von einen sol-
chen wenig anders vermuthen/ als daß er seine gemeine betrügen will/ wann er
sie an sich/ als einen betrüglichen menschen/ weiset/ die er doch von sich ab/ und
zu dem/ der allein weder betrügen noch betrogen werden kan/ weisen solte. Ach
wie wünschte ich so hertzlich/ daß keiner meiner zuhörer wäre/ der sich nicht aufs
fleißigste in der bibel/ sonderlich in dem neuen testament/ so das kläreste ist/ üb-
te! und wird mir ein jeglicher unter denenselben so viel lieber seyen/ als fleißiger
ich weiß/ daß er sich solches lässet angelegen seyen. Weswegen auch so offt von
der cantzel sie erinnert habe/ daß sie weder mir/ noch jemand von den anderen
predigern/ etwas um unser selbst willen glauben/ sondern allezeit auf die grün-
de/ die wir aus GOttes wort anführten/ vornehmlich acht geben/ daher alle unsere
predigten nach denselben prüffen solten. Jch lese ihnen auch die vornehmste sprü-
che/ worauf ich mich beziehe/ auf der cantzel vor/ damit sie/ [wie es denn auch ei-
nige thun/] sobald solche nachschlagen/ und zu hauß wiederlesen und erwegen
mögen. Also in den catechismus-examinibus eirnnere ich eben dieses/ daß die
jugend/ wo sie nicht sobald die gantze bibel haben kan/ auffs wenigste das neue
testament sich bald bekant mache/ und alles was sie aus dem catechismo unter-
richtet werde/ daraus erweisen lernen möchte: weil der catechismus in der form/
wie sie ihn vor sich haben/ von einen menschen Luthero gemachet worden seye/
deswegen noch ferneres erweißthums bedürffe. Dergleichen hoffe ich/ daß alle/

welche

Das ſechſte Capitel.
freuet mich/ daß derſelbe/ ob zwar andere buͤcher/ und die gaben/ welche GOtt
in andere ſeine diener geleget hat/ nicht verachtet/ dennoch ſeinen grund allein
auf das goͤttliche unbetruͤgliche wort ſelbſt ſetzet: Wie wir denn alle andere buͤ-
cher nicht anders als zeugen derjenigen warheit/ die in der ſchrifft gelehret wird/
und als einige handleiter zu deroſelben leichteren verſtand anzuſehen haben/
dero wir je laͤnger je weniger bedoͤrffen/ je mehr wir in ſolches buch des lebens
ſelbſt nunmehr eindringen. Daher er auch wol thut/ daß er nach ſeinen ver-
moͤgen jedermann zur leſung ſolches buchs hilfft vermahnen/ und ſolches allen
rathet. Dieſes aber iſt erſchrecklich/ und ſolte man nicht davor gehalten haben/
daß es in unſer Lutheriſchen kirchen/ und zwar wo man ſich des erſten urſprun-
ges der ſeligen reformation ruͤhmet/ dahin ſolte gekommen ſeyen/ daß prediger
ſelbſt den zuhoͤrern die leſung der heil. ſchrifft mißrathen. Welches leider all-
zuſtarck nach dem Pabſtum ſchmecket/ und ſolche leute anzeiget/ die wiederum
den alten blinden gehorſam/ und die von damaliger geiſtlichkeit uͤber die andere
geuͤbte tyranney im hertzen haben/ da ſie wollen/ daß die menſchen an ihrer au-
tori
taͤt hengen ſollen/ damit ſie aus ihnen machen koͤnnen/ was ſie wollen. Aber
wehe denen lehrern/ welche nicht fleiß ankehren/ die menſchen dahin zu weiſen/
daß ſie ſelbſt gern ihren wahren meiſter Chriſtum Matth. 23/ 8. in ſeinen wort
hoͤren/ damit ſie darnach alle uͤbrige lehren pruͤffen lernen; ſo vielmehr wo ſie
ſie noch von demſelben als viel an ihnen iſt/ abhalten. Jch kan von einen ſol-
chen wenig anders vermuthen/ als daß er ſeine gemeine betruͤgen will/ wann er
ſie an ſich/ als einen betruͤglichen menſchen/ weiſet/ die er doch von ſich ab/ und
zu dem/ der allein weder betruͤgen noch betrogen werden kan/ weiſen ſolte. Ach
wie wuͤnſchte ich ſo hertzlich/ daß keiner meiner zuhoͤrer waͤre/ der ſich nicht aufs
fleißigſte in der bibel/ ſonderlich in dem neuen teſtament/ ſo das klaͤreſte iſt/ uͤb-
te! und wird mir ein jeglicher unter denenſelben ſo viel lieber ſeyen/ als fleißiger
ich weiß/ daß er ſich ſolches laͤſſet angelegen ſeyen. Weswegen auch ſo offt von
der cantzel ſie erinnert habe/ daß ſie weder mir/ noch jemand von den anderen
predigern/ etwas um unſer ſelbſt willen glauben/ ſondern allezeit auf die gruͤn-
de/ die wir aus GOttes wort anfuͤhrten/ vornehmlich acht geben/ daher alle unſere
predigten nach denſelben pruͤffen ſolten. Jch leſe ihnen auch die vornehmſte ſpruͤ-
che/ worauf ich mich beziehe/ auf der cantzel vor/ damit ſie/ [wie es denn auch ei-
nige thun/] ſobald ſolche nachſchlagen/ und zu hauß wiederleſen und erwegen
moͤgen. Alſo in den catechiſmus-examinibus eirnnere ich eben dieſes/ daß die
jugend/ wo ſie nicht ſobald die gantze bibel haben kan/ auffs wenigſte das neue
teſtament ſich bald bekant mache/ und alles was ſie aus dem catechiſmo unter-
richtet werde/ daraus erweiſen lernen moͤchte: weil der catechiſmus in der form/
wie ſie ihn vor ſich haben/ von einen menſchen Luthero gemachet worden ſeye/
deswegen noch ferneres erweißthums beduͤrffe. Dergleichen hoffe ich/ daß alle/

welche
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[926/0944] Das ſechſte Capitel. freuet mich/ daß derſelbe/ ob zwar andere buͤcher/ und die gaben/ welche GOtt in andere ſeine diener geleget hat/ nicht verachtet/ dennoch ſeinen grund allein auf das goͤttliche unbetruͤgliche wort ſelbſt ſetzet: Wie wir denn alle andere buͤ- cher nicht anders als zeugen derjenigen warheit/ die in der ſchrifft gelehret wird/ und als einige handleiter zu deroſelben leichteren verſtand anzuſehen haben/ dero wir je laͤnger je weniger bedoͤrffen/ je mehr wir in ſolches buch des lebens ſelbſt nunmehr eindringen. Daher er auch wol thut/ daß er nach ſeinen ver- moͤgen jedermann zur leſung ſolches buchs hilfft vermahnen/ und ſolches allen rathet. Dieſes aber iſt erſchrecklich/ und ſolte man nicht davor gehalten haben/ daß es in unſer Lutheriſchen kirchen/ und zwar wo man ſich des erſten urſprun- ges der ſeligen reformation ruͤhmet/ dahin ſolte gekommen ſeyen/ daß prediger ſelbſt den zuhoͤrern die leſung der heil. ſchrifft mißrathen. Welches leider all- zuſtarck nach dem Pabſtum ſchmecket/ und ſolche leute anzeiget/ die wiederum den alten blinden gehorſam/ und die von damaliger geiſtlichkeit uͤber die andere geuͤbte tyranney im hertzen haben/ da ſie wollen/ daß die menſchen an ihrer au- toritaͤt hengen ſollen/ damit ſie aus ihnen machen koͤnnen/ was ſie wollen. Aber wehe denen lehrern/ welche nicht fleiß ankehren/ die menſchen dahin zu weiſen/ daß ſie ſelbſt gern ihren wahren meiſter Chriſtum Matth. 23/ 8. in ſeinen wort hoͤren/ damit ſie darnach alle uͤbrige lehren pruͤffen lernen; ſo vielmehr wo ſie ſie noch von demſelben als viel an ihnen iſt/ abhalten. Jch kan von einen ſol- chen wenig anders vermuthen/ als daß er ſeine gemeine betruͤgen will/ wann er ſie an ſich/ als einen betruͤglichen menſchen/ weiſet/ die er doch von ſich ab/ und zu dem/ der allein weder betruͤgen noch betrogen werden kan/ weiſen ſolte. Ach wie wuͤnſchte ich ſo hertzlich/ daß keiner meiner zuhoͤrer waͤre/ der ſich nicht aufs fleißigſte in der bibel/ ſonderlich in dem neuen teſtament/ ſo das klaͤreſte iſt/ uͤb- te! und wird mir ein jeglicher unter denenſelben ſo viel lieber ſeyen/ als fleißiger ich weiß/ daß er ſich ſolches laͤſſet angelegen ſeyen. Weswegen auch ſo offt von der cantzel ſie erinnert habe/ daß ſie weder mir/ noch jemand von den anderen predigern/ etwas um unſer ſelbſt willen glauben/ ſondern allezeit auf die gruͤn- de/ die wir aus GOttes wort anfuͤhrten/ vornehmlich acht geben/ daher alle unſere predigten nach denſelben pruͤffen ſolten. Jch leſe ihnen auch die vornehmſte ſpruͤ- che/ worauf ich mich beziehe/ auf der cantzel vor/ damit ſie/ [wie es denn auch ei- nige thun/] ſobald ſolche nachſchlagen/ und zu hauß wiederleſen und erwegen moͤgen. Alſo in den catechiſmus-examinibus eirnnere ich eben dieſes/ daß die jugend/ wo ſie nicht ſobald die gantze bibel haben kan/ auffs wenigſte das neue teſtament ſich bald bekant mache/ und alles was ſie aus dem catechiſmo unter- richtet werde/ daraus erweiſen lernen moͤchte: weil der catechiſmus in der form/ wie ſie ihn vor ſich haben/ von einen menſchen Luthero gemachet worden ſeye/ deswegen noch ferneres erweißthums beduͤrffe. Dergleichen hoffe ich/ daß alle/ welche

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 926. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/944>, abgerufen am 22.11.2024.