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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
die warheit einer seits nicht mit solchem fleiß und krafft vortragen/ wie sichs gezieh-
met/ anderseits dieselbe zu fassen keine mühe anwenden; daher es komt/ und nich
gnug betrauret werden kan/ daß wir bey aller bekantnüß und lehr der warheit gleich
wol eine solche menge leute in un sren gemeinden haben/ welche allerdings von Gott
und ihrem heyl wenig wissen. Und eben deswegen/ so dann weil leider so wenig früch-
ten der lehr sich bey unsern kirchen am meisten orten zeigen/ können wir nicht wol
jeugnen/ daß wir nicht einer fast starcken und allgemeinen reformation bedörffen/ die
nicht dieser und jener allein außzuführen hat/ sondern da kein stand/ ja in keinen stand
einige person ist/ die nicht an solcher Gottgefälligen reformation/ an sich und andern/
ohne unordnung und jeglicher/ wie ihn der HErr selbs gesetzet hat/ und führet/ zu
arbeiten verbunden wäre/ und wir doch/ biß der grosse Reformator von himmel
selbs komme/ und was menschen nicht vermocht/ durch seine göttliche krafft alles
neu/ einen neuen himmel und neue erde schaffende/ ausrichte/ damit nie zu ende
kommen werden. Wie ich dann nicht zweiffle/ daß derselben GOTT ergebene seele
selbs so viel hertzlicher eine stäte besserung wünschen werde/ als sie das ansehen der
verderbnüß betrübet. Weiter gehet auch weder die intention noch der fleiß der
jenigen/ welche von so vielen andern Theologen (denen der HERR es zu erken-
nen geben wolle) mit unverdienten aufflagen beleget/ und auch Christlichen hertzen
wiederlich und verdächtig gemacht werden.

Wie ich nun von mir selber/ als der nechst GOtt am besten wissen muß/ was
in meiner seelen seye/ versichert bin/ daß ich nicht in einem einigen lehr-puncten von
unsrer Augsp. Confession abgetreten bin (wie auch neulich gegen die ohne ursach
wider mich erbitterte Theologische Facultät zu Wittenberg meine unschuld durch
GOttes gnade so deutlich als kräfftig dargethan habe) auch solcher meiner reinen
Evangelischen lehr so viel tausend zeugen/ welche mich in Franckfurt/ Dreßden und
Berlin gehöret u. hören/ so dann die an allen orten meine schrifften in nicht geringer
anzahl lesen/ zu haben getraue/ so bin nicht weniger ferner versichert/ daß mir
kein widriger etwas anders von mir oder aus meinen büchern/ ohne boßhafftige ver-
kehrung meiner worte/ darthun oder zeigen werde/ daß ich vor einigen jahren in der
lehr des heils mich geändert hätte. Dann was im übrigen anlangt die fernere
untersuchung der schrifft/ welche als ein bergwerck ist/ aus dem man immer mehr
und mehr herrliches ertzt durch gottseligen fleiß herausholen/ und solche wahrheiten/
die einigen neu scheinen/ da sie doch/ als gleich in die schrifft von dem heiligen Geist
hingeleget/ alt gnug sind/ an dem tag bringen kan/ ist solcher fleiß der absicht GOt-
tes und dem befohlenen wachsthum in allen stücken der göttlichen erkäntnüß aller-
dings gemäß/ und an niemand zustraffen: nur das die regel des glaubens/ und
dessen nothwendig an einander hangende articul von der ordnung der seligkeit/ un-
verletzet bleiben.

Wie nun gedachter massen vor mir selbs/ daß in der religion nicht die gering-

sten
Eee eee

ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
die warheit einer ſeits nicht mit ſolchem fleiß und krafft vortragen/ wie ſichs gezieh-
met/ anderſeits dieſelbe zu faſſen keine muͤhe anwenden; daher es komt/ und nich
gnug betrauret werden kan/ daß wir bey aller bekantnuͤß und lehr der warheit gleich
wol eine ſolche menge leute in un ſren gemeinden haben/ welche allerdings von Gott
und ihꝛem heyl wenig wiſſen. Und eben deswegen/ ſo dann weil leider ſo wenig fruͤch-
ten der lehr ſich bey unſern kirchen am meiſten orten zeigen/ koͤnnen wir nicht wol
jeugnen/ daß wiꝛ nicht einer faſt ſtarcken und allgemeinen reformation bedoͤrffen/ die
nicht dieſer und jener allein außzufuͤhren hat/ ſondeꝛn da kein ſtand/ ja in keinen ſtand
einige peꝛſon iſt/ die nicht an ſolcher Gottgefaͤlligen reformation/ an ſich und andeꝛn/
ohne unordnung und jeglicher/ wie ihn der HErr ſelbs geſetzet hat/ und fuͤhret/ zu
arbeiten verbunden waͤre/ und wir doch/ biß der groſſe Reformator von himmel
ſelbs komme/ und was menſchen nicht vermocht/ durch ſeine goͤttliche krafft alles
neu/ einen neuen himmel und neue erde ſchaffende/ ausrichte/ damit nie zu ende
kommen werden. Wie ich dann nicht zweiffle/ daß derſelben GOTT ergebene ſeele
ſelbs ſo viel hertzlicher eine ſtaͤte beſſerung wuͤnſchen werde/ als ſie das anſehen der
verderbnuͤß betruͤbet. Weiter gehet auch weder die intention noch der fleiß der
jenigen/ welche von ſo vielen andern Theologen (denen der HERR es zu erken-
nen geben wolle) mit unverdienten aufflagen beleget/ und auch Chriſtlichen hertzen
wiederlich und verdaͤchtig gemacht werden.

Wie ich nun von mir ſelber/ als der nechſt GOtt am beſten wiſſen muß/ was
in meiner ſeelen ſeye/ verſichert bin/ daß ich nicht in einem einigen lehr-puncten von
unſrer Augſp. Confeſſion abgetreten bin (wie auch neulich gegen die ohne urſach
wider mich erbitterte Theologiſche Facultaͤt zu Wittenberg meine unſchuld durch
GOttes gnade ſo deutlich als kraͤfftig dargethan habe) auch ſolcher meiner reinen
Evangeliſchen lehr ſo viel tauſend zeugen/ welche mich in Franckfurt/ Dreßden uñ
Berlin gehoͤret u. hoͤren/ ſo dann die an allen orten meine ſchrifften in nicht geringer
anzahl leſen/ zu haben getraue/ ſo bin nicht weniger ferner verſichert/ daß mir
kein widriger etwas anders von mir oder aus meinen buͤchern/ ohne boßhafftige ver-
kehrung meiner worte/ darthun oder zeigen werde/ daß ich vor einigen jahren in der
lehr des heils mich geaͤndert haͤtte. Dann was im uͤbrigen anlangt die fernere
unterſuchung der ſchrifft/ welche als ein bergwerck iſt/ aus dem man immer mehr
und mehr herrliches ertzt durch gottſeligen fleiß heꝛausholen/ und ſolche wahrheiten/
die einigen neu ſcheinen/ da ſie doch/ als gleich in die ſchꝛifft von dem heiligen Geiſt
hingeleget/ alt gnug ſind/ an dem tag bringen kan/ iſt ſolcher fleiß der abſicht GOt-
tes und dem befohlenen wachsthum in allen ſtuͤcken der goͤttlichen erkaͤntnuͤß aller-
dings gemaͤß/ und an niemand zuſtraffen: nur das die regel des glaubens/ und
deſſen nothwendig an einander hangende articul von der ordnung der ſeligkeit/ un-
verletzet bleiben.

Wie nun gedachter maſſen vor mir ſelbs/ daß in der religion nicht die gering-

ſten
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[953/0971] ARTIC. III. SECTIO XXXVI. die warheit einer ſeits nicht mit ſolchem fleiß und krafft vortragen/ wie ſichs gezieh- met/ anderſeits dieſelbe zu faſſen keine muͤhe anwenden; daher es komt/ und nich gnug betrauret werden kan/ daß wir bey aller bekantnuͤß und lehr der warheit gleich wol eine ſolche menge leute in un ſren gemeinden haben/ welche allerdings von Gott und ihꝛem heyl wenig wiſſen. Und eben deswegen/ ſo dann weil leider ſo wenig fruͤch- ten der lehr ſich bey unſern kirchen am meiſten orten zeigen/ koͤnnen wir nicht wol jeugnen/ daß wiꝛ nicht einer faſt ſtarcken und allgemeinen reformation bedoͤrffen/ die nicht dieſer und jener allein außzufuͤhren hat/ ſondeꝛn da kein ſtand/ ja in keinen ſtand einige peꝛſon iſt/ die nicht an ſolcher Gottgefaͤlligen reformation/ an ſich und andeꝛn/ ohne unordnung und jeglicher/ wie ihn der HErr ſelbs geſetzet hat/ und fuͤhret/ zu arbeiten verbunden waͤre/ und wir doch/ biß der groſſe Reformator von himmel ſelbs komme/ und was menſchen nicht vermocht/ durch ſeine goͤttliche krafft alles neu/ einen neuen himmel und neue erde ſchaffende/ ausrichte/ damit nie zu ende kommen werden. Wie ich dann nicht zweiffle/ daß derſelben GOTT ergebene ſeele ſelbs ſo viel hertzlicher eine ſtaͤte beſſerung wuͤnſchen werde/ als ſie das anſehen der verderbnuͤß betruͤbet. Weiter gehet auch weder die intention noch der fleiß der jenigen/ welche von ſo vielen andern Theologen (denen der HERR es zu erken- nen geben wolle) mit unverdienten aufflagen beleget/ und auch Chriſtlichen hertzen wiederlich und verdaͤchtig gemacht werden. Wie ich nun von mir ſelber/ als der nechſt GOtt am beſten wiſſen muß/ was in meiner ſeelen ſeye/ verſichert bin/ daß ich nicht in einem einigen lehr-puncten von unſrer Augſp. Confeſſion abgetreten bin (wie auch neulich gegen die ohne urſach wider mich erbitterte Theologiſche Facultaͤt zu Wittenberg meine unſchuld durch GOttes gnade ſo deutlich als kraͤfftig dargethan habe) auch ſolcher meiner reinen Evangeliſchen lehr ſo viel tauſend zeugen/ welche mich in Franckfurt/ Dreßden uñ Berlin gehoͤret u. hoͤren/ ſo dann die an allen orten meine ſchrifften in nicht geringer anzahl leſen/ zu haben getraue/ ſo bin nicht weniger ferner verſichert/ daß mir kein widriger etwas anders von mir oder aus meinen buͤchern/ ohne boßhafftige ver- kehrung meiner worte/ darthun oder zeigen werde/ daß ich vor einigen jahren in der lehr des heils mich geaͤndert haͤtte. Dann was im uͤbrigen anlangt die fernere unterſuchung der ſchrifft/ welche als ein bergwerck iſt/ aus dem man immer mehr und mehr herrliches ertzt durch gottſeligen fleiß heꝛausholen/ und ſolche wahrheiten/ die einigen neu ſcheinen/ da ſie doch/ als gleich in die ſchꝛifft von dem heiligen Geiſt hingeleget/ alt gnug ſind/ an dem tag bringen kan/ iſt ſolcher fleiß der abſicht GOt- tes und dem befohlenen wachsthum in allen ſtuͤcken der goͤttlichen erkaͤntnuͤß aller- dings gemaͤß/ und an niemand zuſtraffen: nur das die regel des glaubens/ und deſſen nothwendig an einander hangende articul von der ordnung der ſeligkeit/ un- verletzet bleiben. Wie nun gedachter maſſen vor mir ſelbs/ daß in der religion nicht die gering- ſten Eee eee

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 953. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/971>, abgerufen am 22.11.2024.