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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel
andern auch das ansehen gewinnet/ es sey ihnen nur um die faule tage zu
thun: Wo man aber auch ihnen gantz keinen vorschub und hülffe thut/
ärgerts abermal so wol sie selbs als auch andere/ die es vor eine göttliche
strasse ihres abfalls achten/ wann sie nachmal ein elender leben führen
müssen. Dahero auch hierinnen die mittelstraß nach der regel der lie-
be zu gehen ist.
12. Wie nun zu hoffen/ wann auf solche und dergleichen art das werck
angestellet wird/ daß GOtt die redliche zu der seelen heil und seinen ehren
gerichtete intention und sein wort nicht gantz unfruchtbar werde bleiben
lassen/ sondern uns immer aufs wenigste eine und andere seelen schencken/
welche aus der finsternüß zu dem liecht bekehret werden/ so ist dannoch
noch schwerlich zu erwarten/ daß die zahl der bekehrten gar groß seyn
werde/ bis die stunde der erndte und die zeit verhanden seyn wird/ die der
HErr der bekehrung seines volcks längsten bestimmet hat. Was dann
die jenige anlanget/ welche alle solche angewandte mittel und fleiß einer
Christlichen obrigkeit und des predigamts an sich lassen vergebens seyn/
und in ihrer hartnäckigkeit beharren bleiben/ muß man sie endlich ihrer
verstockung und göttlichem gericht überlassen/ jedoch auch nicht müde
werden/ mit den gedachten mitteln immer anzuhalten/ ob GOtt nach
vielem und offterem versuch zu letzt segen geben wolte; in dem die hofnung
nicht allerdings jemal wegzuwerffen ist. Dabey hat man sie aber üm sol-
cher ursach willen nicht hart oder unchristlich zu tractiren/ und damit
gleichsam ihre verstockung zu straffen/ noch sie zu vertreiben/ sondern da
man alles thut/ sie zu den gütern des geistlichen reichs CHristi zu befor-
dern/ welches sie an sich vergebens seyn lassen/ muß man ihnen gleichwol/
wie ihnen GOtt das leben gönnet/ auch dasjenige lassen und gönnen/ was
in dem reich der welt unterthanen von ihrer Obrigkeit nach göttlicher
ordnung mit recht ohne unterscheid der religion fordern können/ nemlich
handhabung des rechten und schutz/ wie es einem jeglichen nach seinem zu-
stand (und also auch von den Juden nach dem ihrigen/ in dem sie unter
den Christen stehen) zukommt/ kan man sie also ihres unglaubens wegen
weder gantz untertrucken noch verjagen. Und haben wir Evangelische in
solcher sache uns sehr wol vorzusehen/ daß wir in der praxi gegen die Ju-
den nicht einige dergleichen dinge behaupten/ die unsre gewöhnliche und
wahre lehre von der freyheit der gewissen/ wie niemand sich die herr-
schafft darüber nehmen solle/ noch jemand der religion wegen übertrang
thun oder gewalt anlegen dörffe/ einigerley massen schwächen oder
umstossen/ und uns dermaleins von den Papisten entgegen gehalten/ auch
wider uns getrieben und gebraucht werden könten. So würde auch/ wo
man die Juden/ so in ihrem unglauben bleiben/ aller orten aus christlichen
regi-
Das ſiebende Capitel
andern auch das anſehen gewinnet/ es ſey ihnen nur um die faule tage zu
thun: Wo man aber auch ihnen gantz keinen vorſchub und huͤlffe thut/
aͤrgerts abermal ſo wol ſie ſelbs als auch andere/ die es vor eine goͤttliche
ſtraſſe ihres abfalls achten/ wann ſie nachmal ein elender leben fuͤhren
muͤſſen. Dahero auch hierinnen die mittelſtraß nach der regel der lie-
be zu gehen iſt.
12. Wie nun zu hoffen/ wann auf ſolche und dergleichen art das werck
angeſtellet wird/ daß GOtt die redliche zu der ſeelen heil und ſeinen ehren
gerichtete intention und ſein wort nicht gantz unfruchtbar werde bleiben
laſſen/ ſondern uns immer aufs wenigſte eine und andere ſeelen ſchencken/
welche aus der finſternuͤß zu dem liecht bekehret werden/ ſo iſt dannoch
noch ſchwerlich zu erwarten/ daß die zahl der bekehrten gar groß ſeyn
werde/ bis die ſtunde der erndte und die zeit verhanden ſeyn wird/ die der
HErr der bekehrung ſeines volcks laͤngſten beſtimmet hat. Was dann
die jenige anlanget/ welche alle ſolche angewandte mittel und fleiß einer
Chriſtlichen obrigkeit und des predigamts an ſich laſſen vergebens ſeyn/
und in ihrer hartnaͤckigkeit beharren bleiben/ muß man ſie endlich ihrer
verſtockung und goͤttlichem gericht uͤberlaſſen/ jedoch auch nicht muͤde
werden/ mit den gedachten mitteln immer anzuhalten/ ob GOtt nach
vielem und offterem verſuch zu letzt ſegen geben wolte; in dem die hofnung
nicht allerdings jemal wegzuwerffen iſt. Dabey hat man ſie aber uͤm ſol-
cher urſach willen nicht hart oder unchriſtlich zu tractiren/ und damit
gleichſam ihre verſtockung zu ſtraffen/ noch ſie zu vertreiben/ ſondern da
man alles thut/ ſie zu den guͤtern des geiſtlichen reichs CHriſti zu befor-
dern/ welches ſie an ſich vergebens ſeyn laſſen/ muß man ihnen gleichwol/
wie ihnen GOtt das leben goͤnnet/ auch dasjenige laſſen und goͤnnen/ was
in dem reich der welt unterthanen von ihrer Obrigkeit nach goͤttlicher
ordnung mit recht ohne unterſcheid der religion fordern koͤnnen/ nemlich
handhabung des rechten und ſchutz/ wie es einem jeglichen nach ſeinem zu-
ſtand (und alſo auch von den Juden nach dem ihrigen/ in dem ſie unter
den Chriſten ſtehen) zukommt/ kan man ſie alſo ihres unglaubens wegen
weder gantz untertrucken noch verjagen. Und haben wir Evangeliſche in
ſolcher ſache uns ſehr wol vorzuſehen/ daß wir in der praxi gegen die Ju-
den nicht einige dergleichen dinge behaupten/ die unſre gewoͤhnliche und
wahre lehre von der freyheit der gewiſſen/ wie niemand ſich die herr-
ſchafft daruͤber nehmen ſolle/ noch jemand der religion wegen uͤbertrang
thun oder gewalt anlegen doͤrffe/ einigerley maſſen ſchwaͤchen oder
umſtoſſen/ und uns dermaleins von den Papiſten entgegen gehalten/ auch
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[98/0110] Das ſiebende Capitel andern auch das anſehen gewinnet/ es ſey ihnen nur um die faule tage zu thun: Wo man aber auch ihnen gantz keinen vorſchub und huͤlffe thut/ aͤrgerts abermal ſo wol ſie ſelbs als auch andere/ die es vor eine goͤttliche ſtraſſe ihres abfalls achten/ wann ſie nachmal ein elender leben fuͤhren muͤſſen. Dahero auch hierinnen die mittelſtraß nach der regel der lie- be zu gehen iſt. 12. Wie nun zu hoffen/ wann auf ſolche und dergleichen art das werck angeſtellet wird/ daß GOtt die redliche zu der ſeelen heil und ſeinen ehren gerichtete intention und ſein wort nicht gantz unfruchtbar werde bleiben laſſen/ ſondern uns immer aufs wenigſte eine und andere ſeelen ſchencken/ welche aus der finſternuͤß zu dem liecht bekehret werden/ ſo iſt dannoch noch ſchwerlich zu erwarten/ daß die zahl der bekehrten gar groß ſeyn werde/ bis die ſtunde der erndte und die zeit verhanden ſeyn wird/ die der HErr der bekehrung ſeines volcks laͤngſten beſtimmet hat. Was dann die jenige anlanget/ welche alle ſolche angewandte mittel und fleiß einer Chriſtlichen obrigkeit und des predigamts an ſich laſſen vergebens ſeyn/ und in ihrer hartnaͤckigkeit beharren bleiben/ muß man ſie endlich ihrer verſtockung und goͤttlichem gericht uͤberlaſſen/ jedoch auch nicht muͤde werden/ mit den gedachten mitteln immer anzuhalten/ ob GOtt nach vielem und offterem verſuch zu letzt ſegen geben wolte; in dem die hofnung nicht allerdings jemal wegzuwerffen iſt. Dabey hat man ſie aber uͤm ſol- cher urſach willen nicht hart oder unchriſtlich zu tractiren/ und damit gleichſam ihre verſtockung zu ſtraffen/ noch ſie zu vertreiben/ ſondern da man alles thut/ ſie zu den guͤtern des geiſtlichen reichs CHriſti zu befor- dern/ welches ſie an ſich vergebens ſeyn laſſen/ muß man ihnen gleichwol/ wie ihnen GOtt das leben goͤnnet/ auch dasjenige laſſen und goͤnnen/ was in dem reich der welt unterthanen von ihrer Obrigkeit nach goͤttlicher ordnung mit recht ohne unterſcheid der religion fordern koͤnnen/ nemlich handhabung des rechten und ſchutz/ wie es einem jeglichen nach ſeinem zu- ſtand (und alſo auch von den Juden nach dem ihrigen/ in dem ſie unter den Chriſten ſtehen) zukommt/ kan man ſie alſo ihres unglaubens wegen weder gantz untertrucken noch verjagen. Und haben wir Evangeliſche in ſolcher ſache uns ſehr wol vorzuſehen/ daß wir in der praxi gegen die Ju- den nicht einige dergleichen dinge behaupten/ die unſre gewoͤhnliche und wahre lehre von der freyheit der gewiſſen/ wie niemand ſich die herr- ſchafft daruͤber nehmen ſolle/ noch jemand der religion wegen uͤbertrang thun oder gewalt anlegen doͤrffe/ einigerley maſſen ſchwaͤchen oder umſtoſſen/ und uns dermaleins von den Papiſten entgegen gehalten/ auch wider uns getrieben und gebraucht werden koͤnten. So wuͤrde auch/ wo man die Juden/ ſo in ihrem unglauben bleiben/ aller orten aus chriſtlichen regi-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/110>, abgerufen am 24.11.2024.