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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XIIX.
ihrem gantzen leben daran gelegen ist, mit was vor einem hertzen sie zu der
tauff kommen, und wie geschickt sie darinnen zu den göttlichen wirckungen
seyen, daß sie nachmal des heiligen Geistes gnade in dem seligen bad der wie-
dergeburt so viel reichlicher empfangen: So dann dienet es auch andern noch
unglaubigen zum zeugnüß, daß es uns nicht darum zu thun seye, allein viel na-
men-Christen zu haben, sondern daß wir rechtschaffene wiedergebohrne leute
verlangen. Wo sie nun getaufft sind, muß eben so wol noch immerfort con-
tinui
ret werden sie recht ernstlich zu einem thätigen Christenthum, zu fleißiger
arbeit (dero sie sonsten nicht gewohnet sind, aber sich einmal dazu verstehen,
und solches als eine condition ihrer aufnahm ansehen müssen) zur warheit,
und zur andacht anzuweisen, und alles was von Jüdischer unart noch übrig
ist, nach vermögen ihnen abzugewehnen. Hieran ligt abermal ein sehr gros-
ses. Denn werden sie nicht zu einer wahren gottseligkeit und Christlichen
leben gebracht, so sind sie auch ohne lebendigen glauben, und nutzet sie, daß
sie getaufft und Christen heissen, nichts, vielmehr werden sie zweifache höllen
kinder, da sie eine mehrere wissenschafft von ihrem heil empfangen haben, und
solche nicht danckbarlich anwenden, auch noch dazu den namen des HErrn lä-
stern machen. Wie dann das böse exempel derjenigen, welche nur dem na-
men nach bekehret worden sind, und die leute bleiben die sie vorhin gewesen
waren, andere ihre ungläubige brüder so erschrecklich ärgert, und was wir
von der krafft unserer tauffe rühmen/ bey ihnen zum spott macht, als herrlich
hingegen dieselbe dadurch erbauet und zu bessern gedancken gebracht wären
worden, wo sie sehen, wie die getauffte nun so gar andere leute in allem, nem-
lich gantz göttlich und tugenhafft gesinnet, seyen, als sie sie vorhin gekant hat-
ten: Welches eine stattliche überzeugung der wiedergebährenden krafft des
Christenthums wäre. Es würden auch dadurch andere Christen nicht der-
massen geärgert, hingegen zu einer liebe bewogen, da nun, weil man es bey
der so genanten bekehrung gemeiniglich bey dem blossen unterricht des je-
nigen, was sie glauben müssen, bleiben lässet, und sich nachmal so wenig
um die leute bekümmert, daß sie rechtschaffene Christen wären, die meisten
Christen fast wenig hoffnung mehr haben, daß einige gerathen, und dahero
fast alle liebe und sorge für ihre bekehrung erlöschet. Hiezu achte auch nöthig
zu setzen, daß man gegen die bekehrte auch so um ihrer selbs als anderer noch
unglaubiger willen alle liebe zu erweisen schuldig seye/ jedoch also, daß man
nicht etwa ihre faulheit damit häge, sondern ihnen nach möglichkeit zur gele-
genheit verhelffe, wie sie nach dem exempel der andern Christen im schweiß
ihres angesichts ihr brod gewinnen mögen. Sonsten kan geschehen, wo
man sie mit der arbeit schonen wil, daß sie nur damit verderben, und es bey
an-
IV. Theil. n
ARTIC. I. SECTIO XIIX.
ihrem gantzen leben daran gelegen iſt, mit was vor einem hertzen ſie zu der
tauff kommen, und wie geſchickt ſie darinnen zu den goͤttlichen wirckungen
ſeyen, daß ſie nachmal des heiligen Geiſtes gnade in dem ſeligen bad der wie-
dergeburt ſo viel reichlicher empfangen: So dann dienet es auch andern noch
unglaubigen zum zeugnuͤß, daß es uns nicht darum zu thun ſeye, allein viel na-
men-Chriſten zu haben, ſondern daß wir rechtſchaffene wiedergebohrne leute
verlangen. Wo ſie nun getaufft ſind, muß eben ſo wol noch immerfort con-
tinui
ret werden ſie recht ernſtlich zu einem thaͤtigen Chriſtenthum, zu fleißiger
arbeit (dero ſie ſonſten nicht gewohnet ſind, aber ſich einmal dazu verſtehen,
und ſolches als eine condition ihrer aufnahm anſehen muͤſſen) zur warheit,
und zur andacht anzuweiſen, und alles was von Juͤdiſcher unart noch uͤbrig
iſt, nach vermoͤgen ihnen abzugewehnen. Hieran ligt abermal ein ſehr groſ-
ſes. Denn werden ſie nicht zu einer wahren gottſeligkeit und Chriſtlichen
leben gebracht, ſo ſind ſie auch ohne lebendigen glauben, und nutzet ſie, daß
ſie getaufft und Chriſten heiſſen, nichts, vielmehr werden ſie zweifache hoͤllen
kinder, da ſie eine mehrere wiſſenſchafft von ihrem heil empfangen haben, und
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ſtern machen. Wie dann das boͤſe exempel derjenigen, welche nur dem na-
men nach bekehret worden ſind, und die leute bleiben die ſie vorhin geweſen
waren, andere ihre unglaͤubige bruͤder ſo erſchrecklich aͤrgert, und was wir
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hingegen dieſelbe dadurch erbauet und zu beſſern gedancken gebracht waͤren
worden, wo ſie ſehen, wie die getauffte nun ſo gar andere leute in allem, nem-
lich gantz goͤttlich und tugenhafft geſinnet, ſeyen, als ſie ſie vorhin gekant hat-
ten: Welches eine ſtattliche uͤberzeugung der wiedergebaͤhrenden krafft des
Chriſtenthums waͤre. Es wuͤrden auch dadurch andere Chriſten nicht der-
maſſen geaͤrgert, hingegen zu einer liebe bewogen, da nun, weil man es bey
der ſo genanten bekehrung gemeiniglich bey dem bloſſen unterricht des je-
nigen, was ſie glauben muͤſſen, bleiben laͤſſet, und ſich nachmal ſo wenig
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unglaubiger willen alle liebe zu erweiſen ſchuldig ſeye/ jedoch alſo, daß man
nicht etwa ihre faulheit damit haͤge, ſondern ihnen nach moͤglichkeit zur gele-
genheit verhelffe, wie ſie nach dem exempel der andern Chriſten im ſchweiß
ihres angeſichts ihr brod gewinnen moͤgen. Sonſten kan geſchehen, wo
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an-
IV. Theil. n
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[97/0109] ARTIC. I. SECTIO XIIX. ihrem gantzen leben daran gelegen iſt, mit was vor einem hertzen ſie zu der tauff kommen, und wie geſchickt ſie darinnen zu den goͤttlichen wirckungen ſeyen, daß ſie nachmal des heiligen Geiſtes gnade in dem ſeligen bad der wie- dergeburt ſo viel reichlicher empfangen: So dann dienet es auch andern noch unglaubigen zum zeugnuͤß, daß es uns nicht darum zu thun ſeye, allein viel na- men-Chriſten zu haben, ſondern daß wir rechtſchaffene wiedergebohrne leute verlangen. Wo ſie nun getaufft ſind, muß eben ſo wol noch immerfort con- tinuiret werden ſie recht ernſtlich zu einem thaͤtigen Chriſtenthum, zu fleißiger arbeit (dero ſie ſonſten nicht gewohnet ſind, aber ſich einmal dazu verſtehen, und ſolches als eine condition ihrer aufnahm anſehen muͤſſen) zur warheit, und zur andacht anzuweiſen, und alles was von Juͤdiſcher unart noch uͤbrig iſt, nach vermoͤgen ihnen abzugewehnen. Hieran ligt abermal ein ſehr groſ- ſes. Denn werden ſie nicht zu einer wahren gottſeligkeit und Chriſtlichen leben gebracht, ſo ſind ſie auch ohne lebendigen glauben, und nutzet ſie, daß ſie getaufft und Chriſten heiſſen, nichts, vielmehr werden ſie zweifache hoͤllen kinder, da ſie eine mehrere wiſſenſchafft von ihrem heil empfangen haben, und ſolche nicht danckbaꝛlich anwenden, auch noch dazu den namen des HEꝛꝛn laͤ- ſtern machen. Wie dann das boͤſe exempel derjenigen, welche nur dem na- men nach bekehret worden ſind, und die leute bleiben die ſie vorhin geweſen waren, andere ihre unglaͤubige bruͤder ſo erſchrecklich aͤrgert, und was wir von der krafft unſerer tauffe ruͤhmen/ bey ihnen zum ſpott macht, als herrlich hingegen dieſelbe dadurch erbauet und zu beſſern gedancken gebracht waͤren worden, wo ſie ſehen, wie die getauffte nun ſo gar andere leute in allem, nem- lich gantz goͤttlich und tugenhafft geſinnet, ſeyen, als ſie ſie vorhin gekant hat- ten: Welches eine ſtattliche uͤberzeugung der wiedergebaͤhrenden krafft des Chriſtenthums waͤre. Es wuͤrden auch dadurch andere Chriſten nicht der- maſſen geaͤrgert, hingegen zu einer liebe bewogen, da nun, weil man es bey der ſo genanten bekehrung gemeiniglich bey dem bloſſen unterricht des je- nigen, was ſie glauben muͤſſen, bleiben laͤſſet, und ſich nachmal ſo wenig um die leute bekuͤmmert, daß ſie rechtſchaffene Chriſten waͤren, die meiſten Chriſten faſt wenig hoffnung mehr haben, daß einige gerathen, und dahero faſt alle liebe und ſorge fuͤr ihre bekehrung erloͤſchet. Hiezu achte auch noͤthig zu ſetzen, daß man gegen die bekehrte auch ſo um ihrer ſelbs als anderer noch unglaubiger willen alle liebe zu erweiſen ſchuldig ſeye/ jedoch alſo, daß man nicht etwa ihre faulheit damit haͤge, ſondern ihnen nach moͤglichkeit zur gele- genheit verhelffe, wie ſie nach dem exempel der andern Chriſten im ſchweiß ihres angeſichts ihr brod gewinnen moͤgen. Sonſten kan geſchehen, wo man ſie mit der arbeit ſchonen wil, daß ſie nur damit verderben, und es bey an- IV. Theil. n

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/109>, abgerufen am 24.11.2024.