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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XX.
kein mensch nehmen, sondern es muß uns solches unfehlbarlich werden
(nach dem gemeinen griechischen vers, Theou~ didontos ou'den iskhuei phthonos.)
es seye denn, daß wir selbs die sache hindern; Wo auch in einer dergleichen
wichtigen sache nicht zu dencken ist, daß GOtt seinen rath über uns durch
einige unsere unvorsichtigkeit, weil nicht alles zum genauesten überlegt, son-
dern in einigen stücken möchte gefehlt seyn worden, zu nicht würde werden
lassen, vielmehr wird solcher nicht anders als durch boßheit oder andere unor-
dentliche GOtt erzürnende affecten hintertrieben, und wir um das jenige,
so uns sonsten der HERR zugedacht hatte, gebracht werden können: Jn
solchem fall schliesse ich den willen GOttes ab eventu, so sonsten nicht eben
allezeit noch bloß dahin angienge. Was aber das erste anlangt, leugne
nicht, daß GOTT nicht nur freylich sein werck in solchem geschäffte so wol
als in andern werde gehabt, sondern es auch also gefügt haben, daß dessen
in dieser sache meldung geschehen, nicht so wol, daß er denselben dahin be-
stimmet, als eine gelegenheit geben wollen, zu einiger seiner prüfung, wie
man sich in allem in seinen willen bald so bald so schicken wolle, ohne was
etwa GOtt auf der andern seiten hierinnen gesucht haben mag. Dieweil
diese dinge und ursachen göttlichen raths verborgen sind, so lässet sich nicht
allemal finden, wohin dessen absicht gegangen: Das ist aber gewiß, daß
in jeglichem geschäffte alle die jenige, so nach GOttes willen damit umzu-
gehen haben, etwas antreffen, darinn sie GOTT prüffet. Die andere fra-
ge belangend: Wer solches gehindert habe? wird solche auf beantwortung
der vorigen fast selbs hinfallen: Als de[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] ich keine gewißheit einer göttli-
chen vocation noch sehe, sondern allein eine solche fügnüß, die zu einiger
prüffung dienen mögen. Wo wir aber die frage etwa so formiren wolten,
ob von jener seiten recht und gewissenhafft verfahren worden, so habe mei-
ne meynung dahinaus zu erklären, daß nicht eben kantliche fehler wahr-
nehme. Daß seiner lieben person gleich zu erst wohl gedacht, und die ab-
sicht auf ihn genommen worden, habe nicht anders zu gedencken, als daß es
aus redlicher meinung der kirchen rath zu schaffen werde geschehen seyn. So
sehe hingegen, daß nachmal andere gedancken gefasset worden, dahin an,
daß es wahrhafftig werde geschehen seyn, aus der meynung, wie geschrie-
ben worden, nemlich daß sie davor gehalten, es werde derselbe sich etwa
schwerlich dazu resolviren, sonderlich weil ich sehe, daß derselbe die ratio-
nes in contrarium
ziemlich ponderos wird gemacht, die andere aber viel-
leicht mit wenigen berühret haben: Nun wollen dergleichen herrschafften
nicht ohne sonderlich wichtige ursachen in der gefahr eines repulses stehen
aus opinion eines schimpfs, sonderlich von einem landes-kind, den sie
sich etwa mehr verbunden achten: Daher ich auch das bedencken an jetzige

gnä-

ARTIC. I. SECTIO XX.
kein menſch nehmen, ſondern es muß uns ſolches unfehlbarlich werden
(nach dem gemeinen griechiſchen vers, Θεου῀ διδόντος ου᾽δὲν ἰσχύει φϑόνος.)
es ſeye denn, daß wir ſelbs die ſache hindern; Wo auch in einer dergleichen
wichtigen ſache nicht zu dencken iſt, daß GOtt ſeinen rath uͤber uns durch
einige unſere unvorſichtigkeit, weil nicht alles zum genaueſten uͤberlegt, ſon-
dern in einigen ſtuͤcken moͤchte gefehlt ſeyn worden, zu nicht wuͤrde werden
laſſen, vielmehr wird ſolcher nicht anders als durch boßheit oder andere unor-
dentliche GOtt erzuͤrnende affecten hintertrieben, und wir um das jenige,
ſo uns ſonſten der HERR zugedacht hatte, gebracht werden koͤnnen: Jn
ſolchem fall ſchlieſſe ich den willen GOttes ab eventu, ſo ſonſten nicht eben
allezeit noch bloß dahin angienge. Was aber das erſte anlangt, leugne
nicht, daß GOTT nicht nur freylich ſein werck in ſolchem geſchaͤffte ſo wol
als in andern werde gehabt, ſondern es auch alſo gefuͤgt haben, daß deſſen
in dieſer ſache meldung geſchehen, nicht ſo wol, daß er denſelben dahin be-
ſtimmet, als eine gelegenheit geben wollen, zu einiger ſeiner pruͤfung, wie
man ſich in allem in ſeinen willen bald ſo bald ſo ſchicken wolle, ohne was
etwa GOtt auf der andern ſeiten hierinnen geſucht haben mag. Dieweil
dieſe dinge und urſachen goͤttlichen raths verborgen ſind, ſo laͤſſet ſich nicht
allemal finden, wohin deſſen abſicht gegangen: Das iſt aber gewiß, daß
in jeglichem geſchaͤffte alle die jenige, ſo nach GOttes willen damit umzu-
gehen haben, etwas antreffen, darinn ſie GOTT pruͤffet. Die andere fra-
ge belangend: Wer ſolches gehindert habe? wird ſolche auf beantwortung
der vorigen faſt ſelbs hinfallen: Als de[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] ich keine gewißheit einer goͤttli-
chen vocation noch ſehe, ſondern allein eine ſolche fuͤgnuͤß, die zu einiger
pruͤffung dienen moͤgen. Wo wir aber die frage etwa ſo formiren wolten,
ob von jener ſeiten recht und gewiſſenhafft verfahren worden, ſo habe mei-
ne meynung dahinaus zu erklaͤren, daß nicht eben kantliche fehler wahr-
nehme. Daß ſeiner lieben perſon gleich zu erſt wohl gedacht, und die ab-
ſicht auf ihn genommen worden, habe nicht anders zu gedencken, als daß es
aus redlicher meinung der kirchen rath zu ſchaffen werde geſchehen ſeyn. So
ſehe hingegen, daß nachmal andere gedancken gefaſſet worden, dahin an,
daß es wahrhafftig werde geſchehen ſeyn, aus der meynung, wie geſchrie-
ben worden, nemlich daß ſie davor gehalten, es werde derſelbe ſich etwa
ſchwerlich dazu reſolviren, ſonderlich weil ich ſehe, daß derſelbe die ratio-
nes in contrarium
ziemlich ponderos wird gemacht, die andere aber viel-
leicht mit wenigen beruͤhret haben: Nun wollen dergleichen herrſchafften
nicht ohne ſonderlich wichtige urſachen in der gefahr eines repulſes ſtehen
aus opinion eines ſchimpfs, ſonderlich von einem landes-kind, den ſie
ſich etwa mehr verbunden achten: Daher ich auch das bedencken an jetzige

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[111/0123] ARTIC. I. SECTIO XX. kein menſch nehmen, ſondern es muß uns ſolches unfehlbarlich werden (nach dem gemeinen griechiſchen vers, Θεου῀ διδόντος ου᾽δὲν ἰσχύει φϑόνος.) es ſeye denn, daß wir ſelbs die ſache hindern; Wo auch in einer dergleichen wichtigen ſache nicht zu dencken iſt, daß GOtt ſeinen rath uͤber uns durch einige unſere unvorſichtigkeit, weil nicht alles zum genaueſten uͤberlegt, ſon- dern in einigen ſtuͤcken moͤchte gefehlt ſeyn worden, zu nicht wuͤrde werden laſſen, vielmehr wird ſolcher nicht anders als durch boßheit oder andere unor- dentliche GOtt erzuͤrnende affecten hintertrieben, und wir um das jenige, ſo uns ſonſten der HERR zugedacht hatte, gebracht werden koͤnnen: Jn ſolchem fall ſchlieſſe ich den willen GOttes ab eventu, ſo ſonſten nicht eben allezeit noch bloß dahin angienge. Was aber das erſte anlangt, leugne nicht, daß GOTT nicht nur freylich ſein werck in ſolchem geſchaͤffte ſo wol als in andern werde gehabt, ſondern es auch alſo gefuͤgt haben, daß deſſen in dieſer ſache meldung geſchehen, nicht ſo wol, daß er denſelben dahin be- ſtimmet, als eine gelegenheit geben wollen, zu einiger ſeiner pruͤfung, wie man ſich in allem in ſeinen willen bald ſo bald ſo ſchicken wolle, ohne was etwa GOtt auf der andern ſeiten hierinnen geſucht haben mag. Dieweil dieſe dinge und urſachen goͤttlichen raths verborgen ſind, ſo laͤſſet ſich nicht allemal finden, wohin deſſen abſicht gegangen: Das iſt aber gewiß, daß in jeglichem geſchaͤffte alle die jenige, ſo nach GOttes willen damit umzu- gehen haben, etwas antreffen, darinn ſie GOTT pruͤffet. Die andere fra- ge belangend: Wer ſolches gehindert habe? wird ſolche auf beantwortung der vorigen faſt ſelbs hinfallen: Als de_ ich keine gewißheit einer goͤttli- chen vocation noch ſehe, ſondern allein eine ſolche fuͤgnuͤß, die zu einiger pruͤffung dienen moͤgen. Wo wir aber die frage etwa ſo formiren wolten, ob von jener ſeiten recht und gewiſſenhafft verfahren worden, ſo habe mei- ne meynung dahinaus zu erklaͤren, daß nicht eben kantliche fehler wahr- nehme. Daß ſeiner lieben perſon gleich zu erſt wohl gedacht, und die ab- ſicht auf ihn genommen worden, habe nicht anders zu gedencken, als daß es aus redlicher meinung der kirchen rath zu ſchaffen werde geſchehen ſeyn. So ſehe hingegen, daß nachmal andere gedancken gefaſſet worden, dahin an, daß es wahrhafftig werde geſchehen ſeyn, aus der meynung, wie geſchrie- ben worden, nemlich daß ſie davor gehalten, es werde derſelbe ſich etwa ſchwerlich dazu reſolviren, ſonderlich weil ich ſehe, daß derſelbe die ratio- nes in contrarium ziemlich ponderos wird gemacht, die andere aber viel- leicht mit wenigen beruͤhret haben: Nun wollen dergleichen herrſchafften nicht ohne ſonderlich wichtige urſachen in der gefahr eines repulſes ſtehen aus opinion eines ſchimpfs, ſonderlich von einem landes-kind, den ſie ſich etwa mehr verbunden achten: Daher ich auch das bedencken an jetzige gnaͤ-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/123>, abgerufen am 24.11.2024.