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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XXVII.

OB ich schon vormalen, wie ich nicht in abrede bin, von N N. etwas
von desselben anligen und gewissens-ängsten verstanden, so wußte
doch damal nicht eigenlich und praecise die fragen und scrupulos,
welche am wehesten thäten, daher durch denselben theils, daß sonsten nicht
zu antworten wüste, mich entschuldigen, theils anerbieten lassen, wo mir
deutlicher das anliegen entdeckt würde, so wolte nach dem wenigen vermö-
gen, so GOTT geben würde, willig und aus brüderlichem hertzen zur hand
gehen. Seiter dem habe wenig mehr gehöret, und die hoffnung geschöpf-
fet, daß etwa durch GOTTes gnade das ungewitter vorbey seyn möchte,
bis durch neuliches an mich abgelassenes und eingelegte fragen die sach ge-
nauer eingesehen, und mir lieb gewesen, aufs wenigste meine liebe mit die-
sem versuch zu erzeigen, ob dessen gemüth aus einiger einfältiger beant-
wortung der vorgelegten fragen etlicher massen zu einiger ruhe gebracht
werden möchte. So wäre deßwegen nicht nöthig gewesen, meine ziem-
lich viel geschäffte, derer vielfältigkeit ich eben nicht in abrede bin, sich so
lang von solcher communication abhalten zu lassen, in dem das meiste von
meinen obligenheiten billich eines christlichen mitbruders anligen weichen,
und was demselben ein genüge zu thun vor zeit anzuwenden anderen geschäf-
ten abgebrochen wird, nicht übel angewendet zu seyn, erkannt werden solle;
Daher ich in diesem beyliegenden in der furcht des HErrn mich unterstan-
den, den zweifelen, als viel ich derselben krafft, worinnen sie eigenlich bestün-
den, eingesehen, nach möglichkeit abzuhelffen, und zu weisen, wie es einem,
der da verlangt mit einer gewißheit seines himmlischen vaters willen zuthun,
und der sich auch denselben in seiner ordnung erkennen zu lernen bemühet,
an mitteln nicht mangelen solle, aufs wenigste zu einer solchen gewißheit zu
kommen, die dem gewissen eine genüge thun möge, und da GOtt mit uns zu
frieden seyn wolle. Wann nun dieses müglich ist, wie ich es zu seyn nicht
zweiffele, so bleibet die möglichkeit des wahren Christenthums annoch fest
stehen. Was aber die freudigkeit anlangt und andere empfindlichkeit des
glaubens und etlicher dessen früchten, können zwar wol unterschiedliche mit-
tel und vorschläge darzu in der furcht deß HErren an die hand gegeben wer-
den: Aber wie solche eine freye und nicht bloß zur seligkeit nöthige gabe GOt-
tes sind: daher auch deroselben schenckung uns nicht schlechterdings von dem
HErrn zugesagt; vielmehr aber dieselbe, wie anders mehrers dergleichen, nur
mit bedingung göttl. wohlgefallens von dem himmlischen Vater gebeten und
die art der erhörung seinem weisen rath helmgestellt werden solle; so können
wir dennoch weder dieselbe selbs uns gewiß zu erlangen versichern, noch dürf-
fen hingegen aus ihrer versagung göttliche ungnade schliessen: So vielmehr

weil
r 3
ARTIC. I. SECTIO XXVII.

OB ich ſchon vormalen, wie ich nicht in abrede bin, von N N. etwas
von deſſelben anligen und gewiſſens-aͤngſten verſtanden, ſo wußte
doch damal nicht eigenlich und præciſe die fragen und ſcrupulos,
welche am weheſten thaͤten, daher durch denſelben theils, daß ſonſten nicht
zu antworten wuͤſte, mich entſchuldigen, theils anerbieten laſſen, wo mir
deutlicher das anliegen entdeckt wuͤrde, ſo wolte nach dem wenigen vermoͤ-
gen, ſo GOTT geben wuͤrde, willig und aus bruͤderlichem hertzen zur hand
gehen. Seiter dem habe wenig mehr gehoͤret, und die hoffnung geſchoͤpf-
fet, daß etwa durch GOTTes gnade das ungewitter vorbey ſeyn moͤchte,
bis durch neuliches an mich abgelaſſenes und eingelegte fragen die ſach ge-
nauer eingeſehen, und mir lieb geweſen, aufs wenigſte meine liebe mit die-
ſem verſuch zu erzeigen, ob deſſen gemuͤth aus einiger einfaͤltiger beant-
wortung der vorgelegten fragen etlicher maſſen zu einiger ruhe gebracht
werden moͤchte. So waͤre deßwegen nicht noͤthig geweſen, meine ziem-
lich viel geſchaͤffte, derer vielfaͤltigkeit ich eben nicht in abrede bin, ſich ſo
lang von ſolcher communication abhalten zu laſſen, in dem das meiſte von
meinen obligenheiten billich eines chriſtlichen mitbruders anligen weichen,
und was demſelben ein genuͤge zu thun vor zeit anzuwenden anderen geſchaͤf-
ten abgebrochen wird, nicht uͤbel angewendet zu ſeyn, erkannt werden ſolle;
Daher ich in dieſem beyliegenden in der furcht des HErrn mich unterſtan-
den, den zweifelen, als viel ich derſelben krafft, worinnen ſie eigenlich beſtuͤn-
den, eingeſehen, nach moͤglichkeit abzuhelffen, und zu weiſen, wie es einem,
der da verlangt mit einer gewißheit ſeines himmliſchen vaters willen zuthun,
und der ſich auch denſelben in ſeiner ordnung erkennen zu lernen bemuͤhet,
an mitteln nicht mangelen ſolle, aufs wenigſte zu einer ſolchen gewißheit zu
kommen, die dem gewiſſen eine genuͤge thun moͤge, und da GOtt mit uns zu
frieden ſeyn wolle. Wann nun dieſes muͤglich iſt, wie ich es zu ſeyn nicht
zweiffele, ſo bleibet die moͤglichkeit des wahren Chriſtenthums annoch feſt
ſtehen. Was aber die freudigkeit anlangt und andere empfindlichkeit des
glaubens und etlicher deſſen fruͤchten, koͤnnen zwar wol unterſchiedliche mit-
tel und vorſchlaͤge darzu in der furcht deß HErren an die hand gegeben wer-
den: Aber wie ſolche eine freye und nicht bloß zur ſeligkeit noͤthige gabe GOt-
tes ſind: daher auch deroſelben ſchenckung uns nicht ſchlechterdings von dem
HErrn zugeſagt; vielmehr aber dieſelbe, wie anders mehrers dergleichen, nur
mit bedingung goͤttl. wohlgefallens von dem himmliſchen Vater gebeten und
die art der erhoͤrung ſeinem weiſen rath helmgeſtellt werden ſolle; ſo koͤnnen
wir dennoch weder dieſelbe ſelbs uns gewiß zu erlangen verſichern, noch duͤꝛf-
fen hingegen aus ihrer verſagung goͤttliche ungnade ſchlieſſen: So vielmehr

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[133/0145] ARTIC. I. SECTIO XXVII. OB ich ſchon vormalen, wie ich nicht in abrede bin, von N N. etwas von deſſelben anligen und gewiſſens-aͤngſten verſtanden, ſo wußte doch damal nicht eigenlich und præciſe die fragen und ſcrupulos, welche am weheſten thaͤten, daher durch denſelben theils, daß ſonſten nicht zu antworten wuͤſte, mich entſchuldigen, theils anerbieten laſſen, wo mir deutlicher das anliegen entdeckt wuͤrde, ſo wolte nach dem wenigen vermoͤ- gen, ſo GOTT geben wuͤrde, willig und aus bruͤderlichem hertzen zur hand gehen. Seiter dem habe wenig mehr gehoͤret, und die hoffnung geſchoͤpf- fet, daß etwa durch GOTTes gnade das ungewitter vorbey ſeyn moͤchte, bis durch neuliches an mich abgelaſſenes und eingelegte fragen die ſach ge- nauer eingeſehen, und mir lieb geweſen, aufs wenigſte meine liebe mit die- ſem verſuch zu erzeigen, ob deſſen gemuͤth aus einiger einfaͤltiger beant- wortung der vorgelegten fragen etlicher maſſen zu einiger ruhe gebracht werden moͤchte. So waͤre deßwegen nicht noͤthig geweſen, meine ziem- lich viel geſchaͤffte, derer vielfaͤltigkeit ich eben nicht in abrede bin, ſich ſo lang von ſolcher communication abhalten zu laſſen, in dem das meiſte von meinen obligenheiten billich eines chriſtlichen mitbruders anligen weichen, und was demſelben ein genuͤge zu thun vor zeit anzuwenden anderen geſchaͤf- ten abgebrochen wird, nicht uͤbel angewendet zu ſeyn, erkannt werden ſolle; Daher ich in dieſem beyliegenden in der furcht des HErrn mich unterſtan- den, den zweifelen, als viel ich derſelben krafft, worinnen ſie eigenlich beſtuͤn- den, eingeſehen, nach moͤglichkeit abzuhelffen, und zu weiſen, wie es einem, der da verlangt mit einer gewißheit ſeines himmliſchen vaters willen zuthun, und der ſich auch denſelben in ſeiner ordnung erkennen zu lernen bemuͤhet, an mitteln nicht mangelen ſolle, aufs wenigſte zu einer ſolchen gewißheit zu kommen, die dem gewiſſen eine genuͤge thun moͤge, und da GOtt mit uns zu frieden ſeyn wolle. Wann nun dieſes muͤglich iſt, wie ich es zu ſeyn nicht zweiffele, ſo bleibet die moͤglichkeit des wahren Chriſtenthums annoch feſt ſtehen. Was aber die freudigkeit anlangt und andere empfindlichkeit des glaubens und etlicher deſſen fruͤchten, koͤnnen zwar wol unterſchiedliche mit- tel und vorſchlaͤge darzu in der furcht deß HErren an die hand gegeben wer- den: Aber wie ſolche eine freye und nicht bloß zur ſeligkeit noͤthige gabe GOt- tes ſind: daher auch deroſelben ſchenckung uns nicht ſchlechterdings von dem HErrn zugeſagt; vielmehr aber dieſelbe, wie anders mehrers dergleichen, nur mit bedingung goͤttl. wohlgefallens von dem himmliſchen Vater gebeten und die art der erhoͤrung ſeinem weiſen rath helmgeſtellt werden ſolle; ſo koͤnnen wir dennoch weder dieſelbe ſelbs uns gewiß zu erlangen verſichern, noch duͤꝛf- fen hingegen aus ihrer verſagung goͤttliche ungnade ſchlieſſen: So vielmehr weil r 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/145>, abgerufen am 24.11.2024.