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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. II. SECTIO IX.
daß man etwa gegen die klarheit des textes die hypothesin zu salviren such-
te/ sondern es bleibet der text ungezwungen in seiner ordnung: und beken-
ne ich/ daß ich nicht verstehe/ was die zerstreuete analogia heissen solle.
Was betrifft die unwiedergebohrne lehrer/ hoffe ich auch nicht/ daß man
unsere orthodoxos beschuldigen könne/ daß sie zerstreuet und unvernehmlich
von der materie reden/ aufs wenigste von den meisten zu reden. Bey mir
stehen diese theses fest. 1. Ein unwiedergeborener hat kein wahres göttliches
liecht in seiner seelen. 2. Er kan aber die buchstäbliche wahrheit von den din-
gen/ die zu glauben sind/ in seinem verstand haben. 3. Diese kan er/ wie er
sie gelernet hat/ der gemeinde also vortragen/ daß er keine errores dogma-
ticos
sondern dogmata vera treibet. 4. Diese wahrhafftige lehren/ wie sie
theils propria verba der schrifft/ theils die nechste conclusiones, so durch
andere von GOTT erleuchtete männer gemeiniglich bereits längst daraus
gezogen in den büchern gefunden worden/ begreiffen/ haben also göttliche
wort eine krafft in sich/ in den seelen gutes zu wircken/ den glauben und des-
sen früchte zu entzünden/ zu vermehren und zu befördern/ wo nemlich solches
wort mit andacht angehöret und gehorsamlich angenommen wird. 5. Da-
her ist müglich und geschiehet wol durch göttliche gnade/ daß in den gemein-
den/ welche unwiedergeborne hertzen haben/ die gleichwol bey der orthodo-
xia
und reiner erklärung des worts bleiben/ einige durch die krafft des gött-
lichen worts/ welches jene predigen und in sich nicht lebend haben/ sondern
allein in dem munde führen mögen/ bekehret und in dem guten gestärcket
werden. 6. Jndessen ist der zustand solcher gemeinden sehr betrübt/ weil
(1) nicht nur allein solche ausser dem liecht des heiligen Geistes stehende men-
schen leicht auch von der orthodoxie deflectirn/ oder die schrifft unrecht aus-
legen können. (2) weil sie den nöthigen segen zu ihrem amt zu erbitten/ ja ins-
gesamt zu dem gebet/ so ein grosses theil des amts ist/ untüchtig sind. (3)
Weil sie mit ihrem leben und bösem exempel ihrer lehr krafft in den hertzen
der zuhörer sehr hinderen und schlagen. (4) Weil es ihnen manglet an der
weißheit des geistes in der anwendung des worts/ und den meisten amts
verrichtungen. Daher ob wol ihr amt nicht allerdings unfruchtbar ist/ so ist
doch die frucht sehr gering gegen dem als sie seyn solte. Gegen diese sätze/ sehe
ich nicht/ was aus Gottes wort mit bestand solte können vorgebracht werden:
oder habe es zu erwarten. Daß nun solche unwiedergeborne lehrer der wah-
ren lehren solten Matth. 7/ 15. durch die falschen propheten verstanden wer-
den/ bekenne ich/ daß ich aus dem text nicht sehe; falsche propheten müs-
sen einmal heissen/ die falsche propheceyungen/ das ist/ falsche lehren füh-
ren. Ein mehrers bringt das wort selbs und der übrige text nicht mit sich.

Was

ARTIC. II. SECTIO IX.
daß man etwa gegen die klarheit des textes die hypotheſin zu ſalviren ſuch-
te/ ſondern es bleibet der text ungezwungen in ſeiner ordnung: und beken-
ne ich/ daß ich nicht verſtehe/ was die zerſtreuete analogia heiſſen ſolle.
Was betrifft die unwiedergebohrne lehrer/ hoffe ich auch nicht/ daß man
unſere orthodoxos beſchuldigen koͤnne/ daß ſie zerſtreuet und unvernehmlich
von der materie reden/ aufs wenigſte von den meiſten zu reden. Bey mir
ſtehen dieſe theſes feſt. 1. Ein unwiedergeborener hat kein wahres goͤttliches
liecht in ſeiner ſeelen. 2. Er kan aber die buchſtaͤbliche wahrheit von den din-
gen/ die zu glauben ſind/ in ſeinem verſtand haben. 3. Dieſe kan er/ wie er
ſie gelernet hat/ der gemeinde alſo vortragen/ daß er keine errores dogma-
ticos
ſondern dogmata vera treibet. 4. Dieſe wahrhafftige lehren/ wie ſie
theils propria verba der ſchrifft/ theils die nechſte concluſiones, ſo durch
andere von GOTT erleuchtete maͤnner gemeiniglich bereits laͤngſt daraus
gezogen in den buͤchern gefunden worden/ begreiffen/ haben alſo goͤttliche
wort eine krafft in ſich/ in den ſeelen gutes zu wircken/ den glauben und deſ-
ſen fruͤchte zu entzuͤnden/ zu vermehren und zu befoͤrdern/ wo nemlich ſolches
wort mit andacht angehoͤret und gehorſamlich angenommen wird. 5. Da-
her iſt muͤglich und geſchiehet wol durch goͤttliche gnade/ daß in den gemein-
den/ welche unwiedergeborne hertzen haben/ die gleichwol bey der orthodo-
xia
und reiner erklaͤrung des worts bleiben/ einige durch die krafft des goͤtt-
lichen worts/ welches jene predigen und in ſich nicht lebend haben/ ſondern
allein in dem munde fuͤhren moͤgen/ bekehret und in dem guten geſtaͤrcket
werden. 6. Jndeſſen iſt der zuſtand ſolcher gemeinden ſehr betruͤbt/ weil
(1) nicht nur allein ſolche auſſer dem liecht des heiligen Geiſtes ſtehende men-
ſchen leicht auch von der orthodoxie deflectirn/ oder die ſchrifft unrecht aus-
legen koͤnnen. (2) weil ſie den noͤthigen ſegen zu ihrem amt zu erbitten/ ja ins-
geſamt zu dem gebet/ ſo ein groſſes theil des amts iſt/ untuͤchtig ſind. (3)
Weil ſie mit ihrem leben und boͤſem exempel ihrer lehr krafft in den hertzen
der zuhoͤrer ſehr hinderen und ſchlagen. (4) Weil es ihnen manglet an der
weißheit des geiſtes in der anwendung des worts/ und den meiſten amts
verrichtungen. Daher ob wol ihr amt nicht allerdings unfruchtbar iſt/ ſo iſt
doch die frucht ſehr gering gegen dem als ſie ſeyn ſolte. Gegen dieſe ſaͤtze/ ſehe
ich nicht/ was aus Gottes wort mit beſtand ſolte koͤnnen vorgebracht werden:
oder habe es zu erwarten. Daß nun ſolche unwiedergeborne lehrer der wah-
ren lehren ſolten Matth. 7/ 15. durch die falſchen propheten verſtanden wer-
den/ bekenne ich/ daß ich aus dem text nicht ſehe; falſche propheten muͤſ-
ſen einmal heiſſen/ die falſche propheceyungen/ das iſt/ falſche lehren fuͤh-
ren. Ein mehrers bringt das wort ſelbs und der uͤbrige text nicht mit ſich.

Was
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[199/0211] ARTIC. II. SECTIO IX. daß man etwa gegen die klarheit des textes die hypotheſin zu ſalviren ſuch- te/ ſondern es bleibet der text ungezwungen in ſeiner ordnung: und beken- ne ich/ daß ich nicht verſtehe/ was die zerſtreuete analogia heiſſen ſolle. Was betrifft die unwiedergebohrne lehrer/ hoffe ich auch nicht/ daß man unſere orthodoxos beſchuldigen koͤnne/ daß ſie zerſtreuet und unvernehmlich von der materie reden/ aufs wenigſte von den meiſten zu reden. Bey mir ſtehen dieſe theſes feſt. 1. Ein unwiedergeborener hat kein wahres goͤttliches liecht in ſeiner ſeelen. 2. Er kan aber die buchſtaͤbliche wahrheit von den din- gen/ die zu glauben ſind/ in ſeinem verſtand haben. 3. Dieſe kan er/ wie er ſie gelernet hat/ der gemeinde alſo vortragen/ daß er keine errores dogma- ticos ſondern dogmata vera treibet. 4. Dieſe wahrhafftige lehren/ wie ſie theils propria verba der ſchrifft/ theils die nechſte concluſiones, ſo durch andere von GOTT erleuchtete maͤnner gemeiniglich bereits laͤngſt daraus gezogen in den buͤchern gefunden worden/ begreiffen/ haben alſo goͤttliche wort eine krafft in ſich/ in den ſeelen gutes zu wircken/ den glauben und deſ- ſen fruͤchte zu entzuͤnden/ zu vermehren und zu befoͤrdern/ wo nemlich ſolches wort mit andacht angehoͤret und gehorſamlich angenommen wird. 5. Da- her iſt muͤglich und geſchiehet wol durch goͤttliche gnade/ daß in den gemein- den/ welche unwiedergeborne hertzen haben/ die gleichwol bey der orthodo- xia und reiner erklaͤrung des worts bleiben/ einige durch die krafft des goͤtt- lichen worts/ welches jene predigen und in ſich nicht lebend haben/ ſondern allein in dem munde fuͤhren moͤgen/ bekehret und in dem guten geſtaͤrcket werden. 6. Jndeſſen iſt der zuſtand ſolcher gemeinden ſehr betruͤbt/ weil (1) nicht nur allein ſolche auſſer dem liecht des heiligen Geiſtes ſtehende men- ſchen leicht auch von der orthodoxie deflectirn/ oder die ſchrifft unrecht aus- legen koͤnnen. (2) weil ſie den noͤthigen ſegen zu ihrem amt zu erbitten/ ja ins- geſamt zu dem gebet/ ſo ein groſſes theil des amts iſt/ untuͤchtig ſind. (3) Weil ſie mit ihrem leben und boͤſem exempel ihrer lehr krafft in den hertzen der zuhoͤrer ſehr hinderen und ſchlagen. (4) Weil es ihnen manglet an der weißheit des geiſtes in der anwendung des worts/ und den meiſten amts verrichtungen. Daher ob wol ihr amt nicht allerdings unfruchtbar iſt/ ſo iſt doch die frucht ſehr gering gegen dem als ſie ſeyn ſolte. Gegen dieſe ſaͤtze/ ſehe ich nicht/ was aus Gottes wort mit beſtand ſolte koͤnnen vorgebracht werden: oder habe es zu erwarten. Daß nun ſolche unwiedergeborne lehrer der wah- ren lehren ſolten Matth. 7/ 15. durch die falſchen propheten verſtanden wer- den/ bekenne ich/ daß ich aus dem text nicht ſehe; falſche propheten muͤſ- ſen einmal heiſſen/ die falſche propheceyungen/ das iſt/ falſche lehren fuͤh- ren. Ein mehrers bringt das wort ſelbs und der uͤbrige text nicht mit ſich. Was

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/211>, abgerufen am 24.11.2024.