Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.Das siebende Capitel. SECTIO XI. Von dem Methodo der predigten/ ob dem natürlichen allezeit zu folgen. DEn methodum der gesandten predigt anlangend/ so mache ich nun ei- ches
Das ſiebende Capitel. SECTIO XI. Von dem Methodo der predigten/ ob dem natuͤrlichen allezeit zu folgen. DEn methodum der geſandten predigt anlangend/ ſo mache ich nun ei- ches
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Das ſiebende Capitel.
SECTIO XI.
Von dem Methodo der predigten/ ob dem
natuͤrlichen allezeit zu folgen.
DEn methodum der geſandten predigt anlangend/ ſo mache ich nun ei-
nen unterſcheid unter den ordinarie predigten/ wie dieſelbe insge-
mein beſchaffen ſollen ſeyn/ und unter den auſſer-ordentlichen/ die aus
gewiſſen urſachen ſo oder ſo gehalten werden. Was die erſte art anlangt/
zu welcher gleichwol die meiſte ſollen gehoͤren/ geziehmet ſichs/ daß man
eigentlich bey dem text bleibe/ u. ſolchen die normam laſſe ſeyn ſeiner tracta-
tion, wo freylich nichts hinein gebracht/ ſondern alles daraus genommen
und geſucht werden ſolle. Dieſes leugne ich nicht/ daß es nicht eben in ge-
genwaͤrtiger predigt geſchehe/ indem ſolche materien/ die dabey gehandelt
werden/ nicht aus dem text flieſſen/ ſondern etlicher maſſen nur gelegenheit
aus demſelben darzu genommen worden iſt. Es iſt aber nicht nur allein nicht
ungewoͤhnlich/ ſondern auch der erbauung nicht entgegen/ daß zuweilen eini-
ge andere predigten gehalten werden/ ſo ſich eben nach jener regel nicht gantz
richten/ daß nemlich zwar nicht wider die ſchrifft (als welches niemal zu
dulden) angefuͤhret/ aber doch auch nicht bloß bey dem text geblieben/ ſon-
dern dasjenige was man vorzutragen nuͤtzlich erachtet hat/ zu demſelben ge-
zogen wird. Die urſach iſt dieſe/ weil man offt an gewiſſe text durch die ge-
wohnheit gebunden iſt/ wie zum exempel an die ſonntaͤgliche evangelia/ ſo
kans zu weilen geſchehen/ daß ein prediger von einer gewiſſen materie vor
ſeiner gemeinde zu handlen noͤthig erkennet/ hat aber offt lange zeit keine ge-
legenheit dazu/ daher nimt er bey einem evangelio anlaß dasjenige zu hand-
len/ nicht was ihm deſſelben ſelbs an die hand gegeben haͤtte/ ſondern was
er ſonſten der gemeinde erbaulich erachtet hat. Da leugne ich nicht/ wo man
die accurateſte regulas methodi zu rath zeucht/ daß eine ſolche predigt eini-
gerley maſſen mag gezwungen geachtet werden/ aber es gehet die liebe der
kunſt und methodi regulis vor/ und mag dasjenige/ was wider dieſe etwas
impingiret/ etlicher maſſen defendiret werden/ weil die erbauung der
gemeinde/ etwas dergleichen haben will. Zwar wo einer dergleichen wol-
te bey der freyen wahl eines textes thun/ ſo wolle ich ſolches nicht billigen/
dann wo mans frey hat/ ſo nehme man ſolche texte/ welche die ſach die wir
lehren wollen/ ſelbs uns vorlegen/ und keines zwangs bedoͤrffen: Aber ein
anders iſts mit denen ex lege oder conſuetudine vorgeſchriebenen texten-
da iſt wahrhafftig nicht alle mal dasjenige/ was aus dem vorkommenden
Evangelio fließt/ auch das vor ſolches mal der kirchen noͤthigſte/ auf wel-
ches
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/222>, abgerufen am 16.02.2025. |