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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. II. SECTIO X.
worten/ die nicht anderst als mit zimlich gezwungener erklärung zu einem gu-
ten verstand können gebracht werden. Daher wir so eifrig/ wo nicht andere
ursachen sind/ drüber zu halten/ nicht groß ursach haben. 2. Weil man den re-
formirt
en in solchem ritu nicht gern weichen will/ weil sich einige derselben su-
spect
gemacht/ ob sie auch von hertzen die wahre lehr von der schwere der erb-
sünde und rechts des Satans über diejenige/ welche ausser der gnade sind/
glauben/ so würde vonnöthen seyn/ von den reformirten elteren zu vernehmen/
warum sie diese ceremonie ausgelassen haben wolten/ ob sie damit von unse-
rer lehr ihren abgang bezeugten/ oder nur an der harten und unbequemen for-
mul sich ärgerten. Wäre jenes/ so könte ihnen gleichwol nicht willfahret wer-
den/ indem es alsdann nicht mehr dieses adiaphorum, sondern in der verwerf-
fung desselben um die lehr zu thun wäre/ in dero wir der göttlichen warheit nie
nichts begeben dörffen. Wäre aber dieses/ so sehe ich keine wichtige ursach
(ohne diejenige/ so bald folget) warum man nicht der reformirten herrschafft
mit auslassung solcher unnöthigen ceremonie fügen könte/ weil sie an unsere
kirche/ und also dero ritus nicht eben gebunden/ ein solcher actus privatim auf
dero adelichen hauß geschehen solte/ und ohne das die Christliche liebe die
schwachen also schonen heisset/ daß man ihnen in vielen Stücken/ womit son-
sten der warheit und dem glauben nichts abgehet/ weichen muß/ ja um sie nicht
zu ärgern in vielen stücken der sonsten uns zustehenden freyheit sich nicht ge-
brauchen darff. Jn solchem fall aber hätten wir die reformirten als schwa-
che anzusehen. Jedoch würde vonnöthen seyn/ daß sich der prediger zur gnü-
ge verwahrte/ und die ursach seines willfahrens dermassen vorstellete/ daß jene
nicht neues ärgernüß nehmen/ und es ansehen/ ob würde damit der exorci-
smus,
den doch viele unserer kirchen beybehalten/ an sich selbs verworffen.
3. Dieser willfahrung möchte allein entgegen stehen die sorge des ärgernüsses/
so die gemeinde daher nehmen möchte/ daher es darauf ankommen mag/ daß
der pfarrherr die sache recht überlege/ ob seine gemeinde daher ein ärgernüß
nehmen/ oder auch alsdenn ihm/ sie in der sache zu ihrer befriedigung genug zu
unterrichten/ müglich seyn würde. Siehet er vernünfftig vor/ daß sich nie-
mand daran stossen/ oder doch seine erklärung zu beruhigung der gemüther
platz finden würde/ so sehe nichts weiter übrig/ das ihn abhalten möchte/ den
schwachen diesen gefallen zu thun. Findet er aber/ daß er weder das ärger-
nüß meiden/ noch solches wieder abwenden könte/ so ist solches schon genug/
die sache zu decliniren/ und gehet die liebe gegen seine gemeinde und gefahr
des ärgernüsses allen übrigen considerationen vor. Der HErr gebe auch
hierinnen alle nöthige weißheit.

SECT.
IV. Theil. d d

ARTIC. II. SECTIO X.
worten/ die nicht anderſt als mit zimlich gezwungener erklaͤrung zu einem gu-
ten verſtand koͤnnen gebracht werden. Daher wir ſo eifrig/ wo nicht andere
urſachen ſind/ druͤber zu halten/ nicht groß urſach haben. 2. Weil man den re-
formirt
en in ſolchem ritu nicht gern weichen will/ weil ſich einige derſelben ſu-
ſpect
gemacht/ ob ſie auch von hertzen die wahre lehr von der ſchwere der erb-
ſuͤnde und rechts des Satans uͤber diejenige/ welche auſſer der gnade ſind/
glauben/ ſo wuͤrde vonnoͤthen ſeyn/ von den reformirten elteren zu vernehmen/
warum ſie dieſe ceremonie ausgelaſſen haben wolten/ ob ſie damit von unſe-
rer lehr ihren abgang bezeugten/ oder nur an der harten und unbequemen for-
mul ſich aͤrgerten. Waͤre jenes/ ſo koͤnte ihnen gleichwol nicht willfahret wer-
den/ indem es alsdann nicht mehr dieſes adiaphorum, ſondern in der verwerf-
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nichts begeben doͤrffen. Waͤre aber dieſes/ ſo ſehe ich keine wichtige urſach
(ohne diejenige/ ſo bald folget) warum man nicht der reformirten herrſchafft
mit auslaſſung ſolcher unnoͤthigen ceremonie fuͤgen koͤnte/ weil ſie an unſere
kirche/ und alſo dero ritus nicht eben gebunden/ ein ſolcher actus privatim auf
dero adelichen hauß geſchehen ſolte/ und ohne das die Chriſtliche liebe die
ſchwachen alſo ſchonen heiſſet/ daß man ihnen in vielen Stuͤcken/ womit ſon-
ſten der warheit und dem glauben nichts abgehet/ weichen muß/ ja um ſie nicht
zu aͤrgern in vielen ſtuͤcken der ſonſten uns zuſtehenden freyheit ſich nicht ge-
brauchen darff. Jn ſolchem fall aber haͤtten wir die reformirten als ſchwa-
che anzuſehen. Jedoch wuͤrde vonnoͤthen ſeyn/ daß ſich der prediger zur gnuͤ-
ge verwahrte/ und die urſach ſeines willfahrens dermaſſen vorſtellete/ daß jene
nicht neues aͤrgernuͤß nehmen/ und es anſehen/ ob wuͤrde damit der exorci-
ſmus,
den doch viele unſerer kirchen beybehalten/ an ſich ſelbs verworffen.
3. Dieſer willfahrung moͤchte allein entgegen ſtehen die ſorge des aͤrgernuͤſſes/
ſo die gemeinde daher nehmen moͤchte/ daher es darauf ankommen mag/ daß
der pfarrherr die ſache recht uͤberlege/ ob ſeine gemeinde daher ein aͤrgernuͤß
nehmen/ oder auch alsdenn ihm/ ſie in der ſache zu ihrer befriedigung genug zu
unterrichten/ muͤglich ſeyn wuͤrde. Siehet er vernuͤnfftig vor/ daß ſich nie-
mand daran ſtoſſen/ oder doch ſeine erklaͤrung zu beruhigung der gemuͤther
platz finden wuͤrde/ ſo ſehe nichts weiter uͤbrig/ das ihn abhalten moͤchte/ den
ſchwachen dieſen gefallen zu thun. Findet er aber/ daß er weder das aͤrger-
nuͤß meiden/ noch ſolches wieder abwenden koͤnte/ ſo iſt ſolches ſchon genug/
die ſache zu decliniren/ und gehet die liebe gegen ſeine gemeinde und gefahr
des aͤrgernuͤſſes allen uͤbrigen conſiderationen vor. Der HErr gebe auch
hierinnen alle noͤthige weißheit.

SECT.
IV. Theil. d d
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[209/0221] ARTIC. II. SECTIO X. worten/ die nicht anderſt als mit zimlich gezwungener erklaͤrung zu einem gu- ten verſtand koͤnnen gebracht werden. Daher wir ſo eifrig/ wo nicht andere urſachen ſind/ druͤber zu halten/ nicht groß urſach haben. 2. Weil man den re- formirten in ſolchem ritu nicht gern weichen will/ weil ſich einige derſelben ſu- ſpect gemacht/ ob ſie auch von hertzen die wahre lehr von der ſchwere der erb- ſuͤnde und rechts des Satans uͤber diejenige/ welche auſſer der gnade ſind/ glauben/ ſo wuͤrde vonnoͤthen ſeyn/ von den reformirten elteren zu vernehmen/ warum ſie dieſe ceremonie ausgelaſſen haben wolten/ ob ſie damit von unſe- rer lehr ihren abgang bezeugten/ oder nur an der harten und unbequemen for- mul ſich aͤrgerten. Waͤre jenes/ ſo koͤnte ihnen gleichwol nicht willfahret wer- den/ indem es alsdann nicht mehr dieſes adiaphorum, ſondern in der verwerf- fung deſſelben um die lehr zu thun waͤre/ in dero wir der goͤttlichen warheit nie nichts begeben doͤrffen. Waͤre aber dieſes/ ſo ſehe ich keine wichtige urſach (ohne diejenige/ ſo bald folget) warum man nicht der reformirten herrſchafft mit auslaſſung ſolcher unnoͤthigen ceremonie fuͤgen koͤnte/ weil ſie an unſere kirche/ und alſo dero ritus nicht eben gebunden/ ein ſolcher actus privatim auf dero adelichen hauß geſchehen ſolte/ und ohne das die Chriſtliche liebe die ſchwachen alſo ſchonen heiſſet/ daß man ihnen in vielen Stuͤcken/ womit ſon- ſten der warheit und dem glauben nichts abgehet/ weichen muß/ ja um ſie nicht zu aͤrgern in vielen ſtuͤcken der ſonſten uns zuſtehenden freyheit ſich nicht ge- brauchen darff. Jn ſolchem fall aber haͤtten wir die reformirten als ſchwa- che anzuſehen. Jedoch wuͤrde vonnoͤthen ſeyn/ daß ſich der prediger zur gnuͤ- ge verwahrte/ und die urſach ſeines willfahrens dermaſſen vorſtellete/ daß jene nicht neues aͤrgernuͤß nehmen/ und es anſehen/ ob wuͤrde damit der exorci- ſmus, den doch viele unſerer kirchen beybehalten/ an ſich ſelbs verworffen. 3. Dieſer willfahrung moͤchte allein entgegen ſtehen die ſorge des aͤrgernuͤſſes/ ſo die gemeinde daher nehmen moͤchte/ daher es darauf ankommen mag/ daß der pfarrherr die ſache recht uͤberlege/ ob ſeine gemeinde daher ein aͤrgernuͤß nehmen/ oder auch alsdenn ihm/ ſie in der ſache zu ihrer befriedigung genug zu unterrichten/ muͤglich ſeyn wuͤrde. Siehet er vernuͤnfftig vor/ daß ſich nie- mand daran ſtoſſen/ oder doch ſeine erklaͤrung zu beruhigung der gemuͤther platz finden wuͤrde/ ſo ſehe nichts weiter uͤbrig/ das ihn abhalten moͤchte/ den ſchwachen dieſen gefallen zu thun. Findet er aber/ daß er weder das aͤrger- nuͤß meiden/ noch ſolches wieder abwenden koͤnte/ ſo iſt ſolches ſchon genug/ die ſache zu decliniren/ und gehet die liebe gegen ſeine gemeinde und gefahr des aͤrgernuͤſſes allen uͤbrigen conſiderationen vor. Der HErr gebe auch hierinnen alle noͤthige weißheit. 1684. SECT. IV. Theil. d d

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/221>, abgerufen am 09.11.2024.