der ersten Kirchen, neben den ältesten, so an der lehr arbeiteten, auch andere hatten, welche auf das leben der brüder acht gaben, sie auch nach befinden warneten, strafften, vermahnten: Solche leut in jeglicher gemeinde, da sie mit den Predigern in vertraulicher correspondenz stünden, solten ein gros- ses zum wachsthum einer gemeinde helffen.
9. Wohlangeordnetes fasten, daß der Mensch durch solche eusserliche übung nicht nur allein die lüsten des fleisches so viel besser zähme, sondern sich oftmals desto geschickter zur andacht, gebet und betrachtung mache. Wo- bey jeglicher auf das vermögen seiner natur, und ob er finde, daß ihn solches mittel zu der andacht fördre, achtung zu geben hat: Welche aber aus schwachheit der natur zu dem gäntzlichen fasten sich nicht geschickt befinden, thun wohl, mehrmal solche fasten anzustellen, da sie nur das wenigste, nemlich zur blossen stärckung der sonsten unkräfftigen natur, zu sich nehmen, um die zeit zu geistlichen übungen anzuwenden.
10. Fleißige und öfftere erwegung, daß dieses der hauptzweck seye, warum uns GOtt in die welt gesetzet und zu Christen beruffen, nemlich daß wir zu seinem bilde wieder erneuret werden sollen, daher wir immer trachten müssen, ihm ähnlicher zu werden. Wer darnach nicht trachtet, machet den zweck seines GOttes an sich selbs zu nicht, und raubt GOtt etwas seine ehre, die er an ihm suchet.
SECTIO II. Ob mans dahin bringen könne/ nicht mehr muthwillig das gewissen zu verletzen?
ES wird vielleicht nicht wohl eingenommen seyn, daß jemand aus- trücklich sollte behauptet haben, daß es niemand dahin bringen kön- ne, nicht weiter mehr mit vorsetzlichen sünden sein gewissen zu verle- tzen, dann solches widerspräche austrücklich göttlichem wort, nach welchem es zwar heisset, daß wir allesamt mannichfältig fehlen, die vergebung täglich bitten müssen, und wo wir sagen, wir haben keine sünde, uns damit verfüh- ren, aber auch zugleich widerum heisset es, daß die gläubige GOttes gebot halten, daß sie nicht sünde thun, daß sie ihr fleisch samt den lüsten und begier- den creutzigen und tödten daß sie nicht nach dem fleisch sondern nach dem geist wandlen, welches so wohl als das erste wahr seyn muß, und aber zeiget, daß es also leute gebe, die nicht mehr in vorsetzlichen sünden wandeln. Der HErr lehre uns solche wahrheit, wie er sie in seinem wort uns vorstellet, immer mehr und mehr aus eigener und vieler gläubiger mit-brüder erfahrung und exem- pel erkennen.
1688.
SECT.
b 3
ARTIC. I. SECT. I.
der erſten Kirchen, neben den aͤlteſten, ſo an der lehr arbeiteten, auch andere hatten, welche auf das leben der bruͤder acht gaben, ſie auch nach befinden warneten, ſtrafften, vermahnten: Solche leut in jeglicher gemeinde, da ſie mit den Predigern in vertraulicher correſpondenz ſtuͤnden, ſolten ein groſ- ſes zum wachsthum einer gemeinde helffen.
9. Wohlangeordnetes faſten, daß der Menſch durch ſolche euſſerliche uͤbung nicht nur allein die luͤſten des fleiſches ſo viel beſſer zaͤhme, ſondern ſich oftmals deſto geſchickter zur andacht, gebet und betrachtung mache. Wo- bey jeglicher auf das vermoͤgen ſeiner natur, und ob er finde, daß ihn ſolches mittel zu der andacht foͤrdre, achtung zu geben hat: Welche aber aus ſchwachheit der natur zu dem gaͤntzlichen faſten ſich nicht geſchickt befinden, thun wohl, mehrmal ſolche faſten anzuſtellen, da ſie nur das wenigſte, nemlich zur bloſſen ſtaͤrckung der ſonſten unkraͤfftigen natur, zu ſich nehmen, um die zeit zu geiſtlichen uͤbungen anzuwenden.
10. Fleißige und oͤfftere erwegung, daß dieſes der hauptzweck ſeye, warum uns GOtt in die welt geſetzet und zu Chriſten beruffen, nemlich daß wir zu ſeinem bilde wieder erneuret werden ſollen, daher wir immer trachten muͤſſen, ihm aͤhnlicher zu werden. Wer darnach nicht trachtet, machet den zweck ſeines GOttes an ſich ſelbs zu nicht, und raubt GOtt etwas ſeine ehre, die er an ihm ſuchet.
SECTIO II. Ob mans dahin bringen koͤnne/ nicht mehr muthwillig das gewiſſen zu verletzen?
ES wird vielleicht nicht wohl eingenommen ſeyn, daß jemand aus- truͤcklich ſollte behauptet haben, daß es niemand dahin bringen koͤn- ne, nicht weiter mehr mit vorſetzlichen ſuͤnden ſein gewiſſen zu verle- tzen, dann ſolches widerſpraͤche austruͤcklich goͤttlichem wort, nach welchem es zwar heiſſet, daß wir alleſamt mannichfaͤltig fehlen, die vergebung taͤglich bitten muͤſſen, und wo wir ſagen, wir haben keine ſuͤnde, uns damit verfuͤh- ren, aber auch zugleich widerum heiſſet es, daß die glaͤubige GOttes gebot halten, daß ſie nicht ſuͤnde thun, daß ſie ihr fleiſch ſamt den luͤſten und begier- den creutzigen und toͤdten daß ſie nicht nach dem fleiſch ſondern nach dem geiſt wandlen, welches ſo wohl als das erſte wahr ſeyn muß, und aber zeiget, daß es alſo leute gebe, die nicht mehr in vorſetzlichen ſuͤnden wandeln. Der HErr lehre uns ſolche wahrheit, wie er ſie in ſeinem wort uns vorſtellet, immer mehr und mehr aus eigener und vieler glaͤubiger mit-bruͤder erfahrung und exem- pel erkennen.
1688.
SECT.
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ARTIC. I. SECT. I.
der erſten Kirchen, neben den aͤlteſten, ſo an der lehr arbeiteten, auch andere
hatten, welche auf das leben der bruͤder acht gaben, ſie auch nach befinden
warneten, ſtrafften, vermahnten: Solche leut in jeglicher gemeinde, da ſie
mit den Predigern in vertraulicher correſpondenz ſtuͤnden, ſolten ein groſ-
ſes zum wachsthum einer gemeinde helffen.
9. Wohlangeordnetes faſten, daß der Menſch durch ſolche euſſerliche
uͤbung nicht nur allein die luͤſten des fleiſches ſo viel beſſer zaͤhme, ſondern ſich
oftmals deſto geſchickter zur andacht, gebet und betrachtung mache. Wo-
bey jeglicher auf das vermoͤgen ſeiner natur, und ob er finde, daß ihn ſolches
mittel zu der andacht foͤrdre, achtung zu geben hat: Welche aber aus
ſchwachheit der natur zu dem gaͤntzlichen faſten ſich nicht geſchickt befinden,
thun wohl, mehrmal ſolche faſten anzuſtellen, da ſie nur das wenigſte, nemlich
zur bloſſen ſtaͤrckung der ſonſten unkraͤfftigen natur, zu ſich nehmen, um die
zeit zu geiſtlichen uͤbungen anzuwenden.
10. Fleißige und oͤfftere erwegung, daß dieſes der hauptzweck ſeye,
warum uns GOtt in die welt geſetzet und zu Chriſten beruffen, nemlich daß
wir zu ſeinem bilde wieder erneuret werden ſollen, daher wir immer trachten
muͤſſen, ihm aͤhnlicher zu werden. Wer darnach nicht trachtet, machet den
zweck ſeines GOttes an ſich ſelbs zu nicht, und raubt GOtt etwas ſeine ehre,
die er an ihm ſuchet.
SECTIO II.
Ob mans dahin bringen koͤnne/ nicht mehr
muthwillig das gewiſſen zu verletzen?
ES wird vielleicht nicht wohl eingenommen ſeyn, daß jemand aus-
truͤcklich ſollte behauptet haben, daß es niemand dahin bringen koͤn-
ne, nicht weiter mehr mit vorſetzlichen ſuͤnden ſein gewiſſen zu verle-
tzen, dann ſolches widerſpraͤche austruͤcklich goͤttlichem wort, nach welchem
es zwar heiſſet, daß wir alleſamt mannichfaͤltig fehlen, die vergebung taͤglich
bitten muͤſſen, und wo wir ſagen, wir haben keine ſuͤnde, uns damit verfuͤh-
ren, aber auch zugleich widerum heiſſet es, daß die glaͤubige GOttes gebot
halten, daß ſie nicht ſuͤnde thun, daß ſie ihr fleiſch ſamt den luͤſten und begier-
den creutzigen und toͤdten daß ſie nicht nach dem fleiſch ſondern nach dem geiſt
wandlen, welches ſo wohl als das erſte wahr ſeyn muß, und aber zeiget, daß
es alſo leute gebe, die nicht mehr in vorſetzlichen ſuͤnden wandeln. Der HErr
lehre uns ſolche wahrheit, wie er ſie in ſeinem wort uns vorſtellet, immer mehr
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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/25>, abgerufen am 21.11.2024.
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