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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO III.
eines sonst etwa guten lehrers auf ihrem werth oder unwerth beruhen: ge-
ben ihnen so viel beyfall, als uns deucht, daß wir gewißheit darinnen fin-
den, aber gründen unsern glauben nicht darauf, widersprechen aber es auch
nicht schlechterdings, als die wir noch aus der schrifft nichts dagegen ha-
ben, sondern lassen es zu des Autoris verantwortung: Treffen wir aber
etwas an, das deutlich wider die schrifft streitet, und wir solches erkennen
können, so haben wir es nicht nur nicht anzunehmen, und uns darauf zu ver-
lassen, sondern wir müssen es verwerffen, als welches der warheit entgegen
ist; Solte es auch der sonst beste und liebste mann seyn, welcher dasselbe ge-
schrieben. Dann alle menschen ihnen selbs gelassen, bleiben lügner, und
sind nicht werth, daß ihnen um ihr selbs willen geglaubet werde, allein
GOtt, und die durch den heiligen Geist getriebene männer, von welchen wir
die heilige schrifft haben, sind dieses glaubens würdig. Will mir also ein
lehrer mündlich oder schrifftlich etwas aufbürden zu glauben oder zu thun
das er mir nicht zeigen kan, daß es GOTT und CHRJSTUS von mir
erfordere, so lasse ichs fahren; es sey dann sache, daß ichs als einen guten
menschlichen rath annehme, deme ich zu folgen nützlich achte, aber in der
freyheit des gewissens. Will mir aber einiger lehrer etwas freyheit geben,
wo Christus mein gewissen bereits gebunden, und mir klar seinen willen
gezeiget hat, so traue ich solcher lehr nicht, sondern sehe ihn darinnen an als
einen, welcher mich sicher machen wolle: Jn dem vor Christi richterstul,
wo mich das wort Christi verdammen würde, des lehrers wort, der mir mit
seiner meynung freyheit hat machen wollen, nicht zu statten kommen wird.
Jnsgesamt aber ist zu mercken, daß die schrifft selbs, sonderlich das neue Te-
stament fleißiger und angelegenlicher zu lesen ist, als einiges menschen buch,
und ist eine nicht geringe verderbnüß, daß wir uns fast von jugend auf mehr
an menschen-arbeit hängen. Jch erkenne es auch vor einen fehler an mir,
und ein anzeigen, daß mirs noch ziemlich mangle, weil nicht nur allein vor noch
nicht vielen jahren, lieber in andern gottseligen büchern, als in der schrifft
gelesen habe, und gemeinet, durch diese als jene besser erbauet zu werden,
(so ja aber ein irrthum seyn muß, wir wolten dann sagen, daß menschen
die erbauung besser verstünden, als der heilige Geist) sondern noch off-
ters mich düncket, mehr bewogen zu werden durch die sprüche der schrifft, wie
sie in andern schrifften angeführet werden, als wie ich sie in des textes ord-
nung lese. Jch erkenne aber, wie gedacht, solches vor einen fehler, schrei-
be es der gewohnheit zu, daß wir von jugend auf fast zu einer andern und
unserer meinung nach, mehr methodischen art zu lehren gewehnet worden,
da wir aber die art des heiligen Geistes anders finden (wie ein verderbter
geschmack, das jenige, dessen er gewohnet, vor anmuthiger hält, als was

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ARTIC. I. SECTIO III.
eines ſonſt etwa guten lehrers auf ihrem werth oder unwerth beruhen: ge-
ben ihnen ſo viel beyfall, als uns deucht, daß wir gewißheit darinnen fin-
den, aber gruͤnden unſern glauben nicht darauf, widerſprechen aber es auch
nicht ſchlechterdings, als die wir noch aus der ſchrifft nichts dagegen ha-
ben, ſondern laſſen es zu des Autoris verantwortung: Treffen wir aber
etwas an, das deutlich wider die ſchrifft ſtreitet, und wir ſolches erkennen
koͤnnen, ſo haben wir es nicht nur nicht anzunehmen, und uns darauf zu ver-
laſſen, ſondern wir muͤſſen es verwerffen, als welches der warheit entgegen
iſt; Solte es auch der ſonſt beſte und liebſte mann ſeyn, welcher daſſelbe ge-
ſchrieben. Dann alle menſchen ihnen ſelbs gelaſſen, bleiben luͤgner, und
ſind nicht werth, daß ihnen um ihr ſelbs willen geglaubet werde, allein
GOtt, und die durch den heiligen Geiſt getriebene maͤnner, von welchen wir
die heilige ſchrifft haben, ſind dieſes glaubens wuͤrdig. Will mir alſo ein
lehrer muͤndlich oder ſchrifftlich etwas aufbuͤrden zu glauben oder zu thun
das er mir nicht zeigen kan, daß es GOTT und CHRJSTUS von mir
erfordere, ſo laſſe ichs fahren; es ſey dann ſache, daß ichs als einen guten
menſchlichen rath annehme, deme ich zu folgen nuͤtzlich achte, aber in der
freyheit des gewiſſens. Will mir aber einiger lehrer etwas freyheit geben,
wo Chriſtus mein gewiſſen bereits gebunden, und mir klar ſeinen willen
gezeiget hat, ſo traue ich ſolcher lehr nicht, ſondern ſehe ihn darinnen an als
einen, welcher mich ſicher machen wolle: Jn dem vor Chriſti richterſtul,
wo mich das wort Chriſti verdammen wuͤrde, des lehrers wort, der mir mit
ſeiner meynung freyheit hat machen wollen, nicht zu ſtatten kommen wird.
Jnsgeſamt aber iſt zu mercken, daß die ſchrifft ſelbs, ſonderlich das neue Te-
ſtament fleißiger und angelegenlicher zu leſen iſt, als einiges menſchen buch,
und iſt eine nicht geringe verderbnuͤß, daß wir uns faſt von jugend auf mehr
an menſchen-arbeit haͤngen. Jch erkenne es auch vor einen fehler an mir,
und ein anzeigen, daß miꝛs noch ziemlich mangle, weil nicht nur allein vor noch
nicht vielen jahren, lieber in andern gottſeligen buͤchern, als in der ſchrifft
geleſen habe, und gemeinet, durch dieſe als jene beſſer erbauet zu werden,
(ſo ja aber ein irrthum ſeyn muß, wir wolten dann ſagen, daß menſchen
die erbauung beſſer verſtuͤnden, als der heilige Geiſt) ſondern noch off-
ters mich duͤncket, mehr bewogen zu werden durch die ſpruͤche der ſchrifft, wie
ſie in andern ſchrifften angefuͤhret werden, als wie ich ſie in des textes ord-
nung leſe. Jch erkenne aber, wie gedacht, ſolches vor einen fehler, ſchrei-
be es der gewohnheit zu, daß wir von jugend auf faſt zu einer andern und
unſerer meinung nach, mehr methodiſchen art zu lehren gewehnet worden,
da wir aber die art des heiligen Geiſtes anders finden (wie ein verderbter
geſchmack, das jenige, deſſen er gewohnet, vor anmuthiger haͤlt, als was

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[19/0031] ARTIC. I. SECTIO III. eines ſonſt etwa guten lehrers auf ihrem werth oder unwerth beruhen: ge- ben ihnen ſo viel beyfall, als uns deucht, daß wir gewißheit darinnen fin- den, aber gruͤnden unſern glauben nicht darauf, widerſprechen aber es auch nicht ſchlechterdings, als die wir noch aus der ſchrifft nichts dagegen ha- ben, ſondern laſſen es zu des Autoris verantwortung: Treffen wir aber etwas an, das deutlich wider die ſchrifft ſtreitet, und wir ſolches erkennen koͤnnen, ſo haben wir es nicht nur nicht anzunehmen, und uns darauf zu ver- laſſen, ſondern wir muͤſſen es verwerffen, als welches der warheit entgegen iſt; Solte es auch der ſonſt beſte und liebſte mann ſeyn, welcher daſſelbe ge- ſchrieben. Dann alle menſchen ihnen ſelbs gelaſſen, bleiben luͤgner, und ſind nicht werth, daß ihnen um ihr ſelbs willen geglaubet werde, allein GOtt, und die durch den heiligen Geiſt getriebene maͤnner, von welchen wir die heilige ſchrifft haben, ſind dieſes glaubens wuͤrdig. Will mir alſo ein lehrer muͤndlich oder ſchrifftlich etwas aufbuͤrden zu glauben oder zu thun das er mir nicht zeigen kan, daß es GOTT und CHRJSTUS von mir erfordere, ſo laſſe ichs fahren; es ſey dann ſache, daß ichs als einen guten menſchlichen rath annehme, deme ich zu folgen nuͤtzlich achte, aber in der freyheit des gewiſſens. Will mir aber einiger lehrer etwas freyheit geben, wo Chriſtus mein gewiſſen bereits gebunden, und mir klar ſeinen willen gezeiget hat, ſo traue ich ſolcher lehr nicht, ſondern ſehe ihn darinnen an als einen, welcher mich ſicher machen wolle: Jn dem vor Chriſti richterſtul, wo mich das wort Chriſti verdammen wuͤrde, des lehrers wort, der mir mit ſeiner meynung freyheit hat machen wollen, nicht zu ſtatten kommen wird. Jnsgeſamt aber iſt zu mercken, daß die ſchrifft ſelbs, ſonderlich das neue Te- ſtament fleißiger und angelegenlicher zu leſen iſt, als einiges menſchen buch, und iſt eine nicht geringe verderbnuͤß, daß wir uns faſt von jugend auf mehr an menſchen-arbeit haͤngen. Jch erkenne es auch vor einen fehler an mir, und ein anzeigen, daß miꝛs noch ziemlich mangle, weil nicht nur allein vor noch nicht vielen jahren, lieber in andern gottſeligen buͤchern, als in der ſchrifft geleſen habe, und gemeinet, durch dieſe als jene beſſer erbauet zu werden, (ſo ja aber ein irrthum ſeyn muß, wir wolten dann ſagen, daß menſchen die erbauung beſſer verſtuͤnden, als der heilige Geiſt) ſondern noch off- ters mich duͤncket, mehr bewogen zu werden durch die ſpruͤche der ſchrifft, wie ſie in andern ſchrifften angefuͤhret werden, als wie ich ſie in des textes ord- nung leſe. Jch erkenne aber, wie gedacht, ſolches vor einen fehler, ſchrei- be es der gewohnheit zu, daß wir von jugend auf faſt zu einer andern und unſerer meinung nach, mehr methodiſchen art zu lehren gewehnet worden, da wir aber die art des heiligen Geiſtes anders finden (wie ein verderbter geſchmack, das jenige, deſſen er gewohnet, vor anmuthiger haͤlt, als was an c 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/31>, abgerufen am 03.12.2024.