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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. II. SECTIO XXXI.
terwürffet: jedennoch/ wo sie nicht gebräuchlich ist/ wünsche ich keinen mit
gewalt dazu zu nöthigen/ oder da er sich derselben nicht submittiren will da-
her seine buß/ dero zeugnüß er sonsten von sich giebt/ in zweiffel zu ziehen. Ja
es kan viel eher geschehen/ daß auch ein wahrer bußfertiger mensch/ welcher in
jenem stand der alten kirchen-buß solches mittel die gemeinde recht zu erbau-
en/ und ihrer liebe wiederum versichert zu werden/ selbs mit thränen suchen
würde/ jetzo solches vielmehr evitirt, wobey er seiner seelen wenig erbauung
findet/ oder in der buß gestärcket/ sondern nostris seculi moribus fast nur
beschimpfft wird.
3. Daher ob sie wol an ein und andern orten in der kirchen/ haupt-
sächlich fast zu obig angedeuteten nutzen/ üblich ist/ und daselbs billig behalten
wird/ so ist sie hergegen an sehr vielen orten auch nicht eingeführet/ oder wird
von denjenigen einzuführen gestattet/ welche so wol als das ministerium
ihre hand mit bey der anordnung solcher äusserlichen dinge haben müsten.
Also haben wir in der stadt Franckfurth am Mäyn die öffentliche kirchen-buß
nie gehabt oder erlangen können/ sondern allein an statt derselben musten die
scandalosi vor dem conventu ecclesiastico erscheinen/ und ihre lection
anhören; Hingegen auf der stadt angehörigen dörffern ist sie in gebrauch/
und wird darüber gehalten.
4. Wo nun diese disciplin nicht in usu ist/ stehet es nicht in eines
predigers (ja nicht in eines gesamten ministerii) macht/ solche zu introduciren/
und jemand dazu zu nöthigen: indem solche anordnung etwas ist/ darüber
die gantze kirche ihre cognitionem haben/ und also die übrige stände ihren
willen mit dazu geben müssen/ was eingeführet werden solle. Dahero an
einem solchen ort ein prediger seine also gefallene beicht-kinder allein sonsten zu
der buß zu disponiren hat/ sonderlich daß sie immerdar gegen jederman ih-
rer sünde wegen sich demüthigen/ und mit allen zeugnüssen der buß in ihrem
gantzen leben die geärgerte wieder zu bessern suchen: Verstehen sie sich nun
zu solchem/ was von der buß unabsonderlich ist/ so hat er sich damit zu ver-
gnügen/ und da die gantze kirche von ihren gliedern dieses orts nicht mehr er-
fordert/ denselben ein mehrers nicht aufzubürden/ sondern ihnen auf die
gnugsame buß-bezeugung alles wiederfahren zu lassen/ was in seinem amt
dem bußfertigen insgesamt zu gut kommen kan.
5. Weil nun in ihrer stadt (wie mich deßwegen in dem ober-consi-
storio
erkundiget/ als der ich noch der verfassungen hiesiger lande nicht zur
gnüge kundig bin/ und dahero auch der verzug des schreibens mit entstan-
den ist) die kirchen-buß oder öffentliche deprecation nicht solle in schwang
oder jemals eingeführet seyn/ ob sie wol in den nechst befindlichen orten ge-
braucht wird/ so folget aus obigen/ daß die gefallene personen/ davon die
fra-
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ARTIC. II. SECTIO XXXI.
terwuͤrffet: jedennoch/ wo ſie nicht gebraͤuchlich iſt/ wuͤnſche ich keinen mit
gewalt dazu zu noͤthigen/ oder da er ſich derſelben nicht ſubmittiren will da-
her ſeine buß/ dero zeugnuͤß er ſonſten von ſich giebt/ in zweiffel zu ziehen. Ja
es kan viel eher geſchehen/ daß auch ein wahrer bußfertiger menſch/ welcher in
jenem ſtand der alten kirchen-buß ſolches mittel die gemeinde recht zu erbau-
en/ und ihrer liebe wiederum verſichert zu werden/ ſelbs mit thraͤnen ſuchen
wuͤrde/ jetzo ſolches vielmehr evitirt, wobey er ſeiner ſeelen wenig erbauung
findet/ oder in der buß geſtaͤrcket/ ſondern noſtris ſeculi moribus faſt nur
beſchimpfft wird.
3. Daher ob ſie wol an ein und andern orten in der kirchen/ haupt-
ſaͤchlich faſt zu obig angedeuteten nutzen/ uͤblich iſt/ und daſelbs billig behalten
wird/ ſo iſt ſie hergegen an ſehr vielen orten auch nicht eingefuͤhret/ oder wird
von denjenigen einzufuͤhren geſtattet/ welche ſo wol als das miniſterium
ihre hand mit bey der anordnung ſolcher aͤuſſerlichen dinge haben muͤſten.
Alſo haben wir in der ſtadt Franckfurth am Maͤyn die oͤffentliche kirchen-buß
nie gehabt oder erlangen koͤnnen/ ſondern allein an ſtatt derſelben muſten die
ſcandaloſi vor dem conventu eccleſiaſtico erſcheinen/ und ihre lection
anhoͤren; Hingegen auf der ſtadt angehoͤrigen doͤrffern iſt ſie in gebrauch/
und wird daruͤber gehalten.
4. Wo nun dieſe diſciplin nicht in uſu iſt/ ſtehet es nicht in eines
predigers (ja nicht in eines geſamten miniſterii) macht/ ſolche zu introduciren/
und jemand dazu zu noͤthigen: indem ſolche anordnung etwas iſt/ daruͤber
die gantze kirche ihre cognitionem haben/ und alſo die uͤbrige ſtaͤnde ihren
willen mit dazu geben muͤſſen/ was eingefuͤhret werden ſolle. Dahero an
einem ſolchen ort ein prediger ſeine alſo gefallene beicht-kinder allein ſonſten zu
der buß zu diſponiren hat/ ſonderlich daß ſie immerdar gegen jederman ih-
rer ſuͤnde wegen ſich demuͤthigen/ und mit allen zeugnuͤſſen der buß in ihrem
gantzen leben die geaͤrgerte wieder zu beſſern ſuchen: Verſtehen ſie ſich nun
zu ſolchem/ was von der buß unabſonderlich iſt/ ſo hat er ſich damit zu ver-
gnuͤgen/ und da die gantze kirche von ihren gliedern dieſes orts nicht mehr er-
fordert/ denſelben ein mehrers nicht aufzubuͤrden/ ſondern ihnen auf die
gnugſame buß-bezeugung alles wiederfahren zu laſſen/ was in ſeinem amt
dem bußfertigen insgeſamt zu gut kommen kan.
5. Weil nun in ihrer ſtadt (wie mich deßwegen in dem ober-conſi-
ſtorio
erkundiget/ als der ich noch der verfaſſungen hieſiger lande nicht zur
gnuͤge kundig bin/ und dahero auch der verzug des ſchreibens mit entſtan-
den iſt) die kirchen-buß oder oͤffentliche deprecation nicht ſolle in ſchwang
oder jemals eingefuͤhret ſeyn/ ob ſie wol in den nechſt befindlichen orten ge-
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[301/0313] ARTIC. II. SECTIO XXXI. terwuͤrffet: jedennoch/ wo ſie nicht gebraͤuchlich iſt/ wuͤnſche ich keinen mit gewalt dazu zu noͤthigen/ oder da er ſich derſelben nicht ſubmittiren will da- her ſeine buß/ dero zeugnuͤß er ſonſten von ſich giebt/ in zweiffel zu ziehen. Ja es kan viel eher geſchehen/ daß auch ein wahrer bußfertiger menſch/ welcher in jenem ſtand der alten kirchen-buß ſolches mittel die gemeinde recht zu erbau- en/ und ihrer liebe wiederum verſichert zu werden/ ſelbs mit thraͤnen ſuchen wuͤrde/ jetzo ſolches vielmehr evitirt, wobey er ſeiner ſeelen wenig erbauung findet/ oder in der buß geſtaͤrcket/ ſondern noſtris ſeculi moribus faſt nur beſchimpfft wird. 3. Daher ob ſie wol an ein und andern orten in der kirchen/ haupt- ſaͤchlich faſt zu obig angedeuteten nutzen/ uͤblich iſt/ und daſelbs billig behalten wird/ ſo iſt ſie hergegen an ſehr vielen orten auch nicht eingefuͤhret/ oder wird von denjenigen einzufuͤhren geſtattet/ welche ſo wol als das miniſterium ihre hand mit bey der anordnung ſolcher aͤuſſerlichen dinge haben muͤſten. Alſo haben wir in der ſtadt Franckfurth am Maͤyn die oͤffentliche kirchen-buß nie gehabt oder erlangen koͤnnen/ ſondern allein an ſtatt derſelben muſten die ſcandaloſi vor dem conventu eccleſiaſtico erſcheinen/ und ihre lection anhoͤren; Hingegen auf der ſtadt angehoͤrigen doͤrffern iſt ſie in gebrauch/ und wird daruͤber gehalten. 4. Wo nun dieſe diſciplin nicht in uſu iſt/ ſtehet es nicht in eines predigers (ja nicht in eines geſamten miniſterii) macht/ ſolche zu introduciren/ und jemand dazu zu noͤthigen: indem ſolche anordnung etwas iſt/ daruͤber die gantze kirche ihre cognitionem haben/ und alſo die uͤbrige ſtaͤnde ihren willen mit dazu geben muͤſſen/ was eingefuͤhret werden ſolle. Dahero an einem ſolchen ort ein prediger ſeine alſo gefallene beicht-kinder allein ſonſten zu der buß zu diſponiren hat/ ſonderlich daß ſie immerdar gegen jederman ih- rer ſuͤnde wegen ſich demuͤthigen/ und mit allen zeugnuͤſſen der buß in ihrem gantzen leben die geaͤrgerte wieder zu beſſern ſuchen: Verſtehen ſie ſich nun zu ſolchem/ was von der buß unabſonderlich iſt/ ſo hat er ſich damit zu ver- gnuͤgen/ und da die gantze kirche von ihren gliedern dieſes orts nicht mehr er- fordert/ denſelben ein mehrers nicht aufzubuͤrden/ ſondern ihnen auf die gnugſame buß-bezeugung alles wiederfahren zu laſſen/ was in ſeinem amt dem bußfertigen insgeſamt zu gut kommen kan. 5. Weil nun in ihrer ſtadt (wie mich deßwegen in dem ober-conſi- ſtorio erkundiget/ als der ich noch der verfaſſungen hieſiger lande nicht zur gnuͤge kundig bin/ und dahero auch der verzug des ſchreibens mit entſtan- den iſt) die kirchen-buß oder oͤffentliche deprecation nicht ſolle in ſchwang oder jemals eingefuͤhret ſeyn/ ob ſie wol in den nechſt befindlichen orten ge- braucht wird/ ſo folget aus obigen/ daß die gefallene perſonen/ davon die fra- p p 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/313>, abgerufen am 22.11.2024.